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  • · Fachbeitrag · Anfechtung

    Irrige Annahme der Verjährung einer gegen den Nachlass gerichteten Forderung

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    • 1. Die falsche Vorstellung eines Erben, eine gegen den Nachlass gerichtete Forderung sei verjährt, betrifft die Zusammensetzung des Nachlasses hinsichtlich seines Bestandes an Aktiva und Passiva.
    • 2. Insoweit liegt ein Irrtum des Erben über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses vor, wenn nach Durchführung eines Zivilverfahrens feststeht, dass die Forderung entgegen der Vorstellung des Erben nicht verjährt ist, und sich der Nachlass nunmehr als überschuldet erweist.
     

    Sachverhalt

    Die Beteiligte zu 1 ist die Ehefrau (F), der Beteiligte zu 2 der Sohn (S) des verstorbenen Erblassers (E). Die Beteiligten zu 3, 4 und 5 sind die Kinder des E aus erster Ehe (K 3 bis 5). K 3 ist am 27.7.14 verstorben. K 3 bis 5 haben die Erbschaft nach E nicht ausdrücklich angenommen. Das Nachlassgericht erteilte am 22.3.13 auf Antrag der F einen Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge. Die weiteren Erben erhielten am 27.3.13 eine Abschrift davon. Am 22.5.14 gingen beim Nachlassgericht notariell beglaubigte Ausschlagungs- bzw. Anfechtungserklärungen von K 3 bis 5 ein. Erst infolge eines Urteils des LG vom 10.4.14 sei geklärt worden, dass der Nachlass mit einer Darlehensschuld nebst Zinsen belastet sei. Das Nachlassgericht lehnte es ab, den Erbschein einzuziehen. Die Anfechtung sei verfristet, da F die K 3 bis 5 bereits am 22.9.12 vom Darlehen unterrichtet habe. Dagegen wenden sich K 4 und 5 erfolgreich.

     

     

     

    Entscheidungsgründe

    K 4 und 5 sowie der verstorbene K 3 haben jeweils wirksam mit notarieller Erklärung die Annahme der Erbschaft infolge „Versäumung der Ausschlagungsfrist“ wegen Irrtums über die Überschuldung des Nachlasses angefochten. Sie haben die Erbschaft nach E aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen. Sie irrten darüber, dass der Nachlass überschuldet ist, mithin über eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S. von § 119 Abs. 2 BGB. Selbst wenn F die K 3 bis 5 durch das Schreiben vom 22.9.12über das Darlehen informierte, irrten sie über eine verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. von § 119 Abs. 2 BGB. Sie glaubten, die Darlehensforderung stelle wegen der erhobenen Einrede der Verjährung mangels Durchsetzbarkeit keine Verbindlichkeit des E dar. Die Forderung sei nicht als Passivum Bestandteil des Nachlasses. Diese Fehlvorstellung dauerte, bis ihnen das Urteil des LG vom 10.4.14 zugestellt wurde. Es liegt ein Irrtum darüber vor, dass die Forderung eine Nachlassverbindlichkeit darstellt und damit den Nachlass belastet. Nur weil diese Forderung besteht, ist der Nachlass überschuldet.

     

    Dieser Irrtum war auch kausal für die Annahme der Erbschaft. Aus der Anfechtung kurz nachdem K 3 bis 5 das Urteil des LG zugestellt worden ist, ergibt sich, dass sie die Erbschaft bei früherer Kenntnis sofort ausgeschlagen hätten. Angesichts dessen, dass der Nachlass überschuldet war, war deren Irrtum auch in objektiver Hinsicht erheblich. Auch die sechswöchige Anfechtungsfrist des § 1954 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB ist gewahrt. K 3 bis 5 erlangten die für die Anfechtung maßgebliche Kenntnis von der Überschuldung des Nachlasses durch die Entscheidung des LG vom 10.4.14. Diese wurde den Prozessbevollmächtigten von K 4 am 22.4.14 zugestellt. Die formgerechten Anfechtungserklärungen vom 16.5.14 gingen am 22.5.14 und somit vor Fristablauf beim Nachlassgericht ein. Anhaltspunkte dafür, dass K 3 bis 5 bereits vor Zustellung die am 10.4.14 verkündete Entscheidung des LG kannten, liegen nicht vor.

     

    Die in dem Erbschein ausgewiesene Erbfolge, in dem K 3 bis 5 als Erben genannt sind, ist damit unrichtig.

     

    Praxishinweis

    Fehlvorstellungen darüber, dass die Verbindlichkeiten den Wert des Nachlasses übersteigen, sind nur relevant, wenn sie auf falschen Vorstellungen darüber beruhen, wie der Nachlass zusammengesetzt ist. Der Irrtum muss wesentliche Verbindlichkeiten betreffen, deren Bestehen ungeklärt ist (BGH NJW 89, 2885 für den Fall der Belastung mit einem Vermächtnis; OLG Rostock NJW-RR 12, 1356). Dies dehnt das OLG hier insgesamt auf nicht rechtskräftig geklärte Forderungen aus. Dies ist fraglich, weil der Nachlass - wie K 3 bis 5 bekannt war - überschuldet war. Die Einrede der Verjährung betrifft nicht den Bestand der Forderung, sondern nur die Durchsetzbarkeit (Staudinger/Gerhard Otte, BGB, (2008), § 1954 Rn. 15).

     

    Eventuelle Fehlvorstellungen über den Wert der zum Nachlass gehörenden Gegenstände können die Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung nicht begründen. Der Wert der Nachlassgegenstände oder des Nachlasses als solcher ist auch keine verkehrswesentliche Eigenschaft i. S. von § 119 Abs. 2 BGB (BayObLG NJW 03, 216, 221 m.w.N.).

     

    Erweist sich der Nachlass als werthaltiger als bei der Annahme der Erbschaft vermutet, berechtigt eine steuerlich günstigere Gestaltungsmöglichkeit unter den Miterben nicht dazu, die Erbschaftsannahme anzufechten (OLG Frankfurt ErbStB 10, 332).

     

    Weiterführender Hinweis

    • EE 15, 128 zur Anfechtung der Anfechtungserklärung
    Quelle: Ausgabe 09 / 2015 | Seite 146 | ID 43535442