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  • · Fachbeitrag · Auslegung

    Testamentsauslegung: Vor- und Nacherbschaft oder Nießbrauchsvermächtnis?

    von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar

    | Das OLG Karlsruhe hat sich mit der Abgrenzung zwischen Vor- und Nacherbschaft (§ 2100 BGB) und einem Nießbrauchsvermächtnis im Rahmen der begehrten Feststellung einer Vor- und Nacherbschaft befasst (§ 1089 BGB). |

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin ist die Nichte der Erblasserin; ihre Mutter, die einzige Schwester der Erblasserin, ist vorverstorben. Die Klägerin hat zwei Geschwister. Der Beklagte ist der Witwer der kinderlos verstorbenen Erblasserin. Er heiratete die Erblasserin im Jahre 2019, nachdem er zuvor mit dieser 27 Jahre eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft geführt hatte. Bereits im Jahre 2011 ‒ nach dem Tod ihres ersten Ehemannes ‒ verfasste die Erblasserin ein eigenhändiges Testament überschrieben mit „Testament!“ und folgendem Wortlaut :

     

    • Testament

    Ich Z. geb. N. geb. am … vermache im Falle meines Todes meinem Lebensgefährten B. geb. am … solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen …

    R., den … [Unterschrift der Z]“

     

    Der Beklagte beantragte beim AG ‒ Nachlassgericht ‒ zunächst den Erlass eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben der Erblasserin ausweisen sollte. Nach einem Hinweis des Nachlassgerichts, wonach die Verfügung der Erblasserin vom 29.3.11 als Nießbrauchsvermächtnis zugunsten des Beklagten auszulegen sei, änderte der Beklagte seinen Erbscheinsantrag dahin gehend, dass er selbst als Erbe mit einer Quote von 3/4 und die Klägerin sowie ihre beiden Geschwister mit einer Quote von je 1/12 als Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge auszuweisen seien. Mit Beschluss stellte das Nachlassgericht die für die Erteilung des Erbscheins gemäß dem geänderten Antrag des Beklagten erforderlichen Tatsachen fest. Die Beschwerde der Klägerin und ihrer Geschwister gegen diesen Beschluss wurde zurückgewiesen.

     

    Die Klägerin hat hiernach weiterhin die Auffassung vertreten, die Erblasserin habe in ihrem Testament Vor- und Nacherbschaft angeordnet, sodass die Klägerin in dieser Konsequenz entsprechende Feststellungsklage erhoben hat.

     

    Das LG hat diese Klage als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Erbrecht der Klägerin bestimme sich gemäß dem zutreffenden Erbschein nach der gesetzlichen Erbfolge, weil die Erblasserin keine hiervon abweichende Verfügung getroffen habe. Mit dem Testament habe die Erblasserin den Beklagten nicht zum (nicht befreiten) Vorerben bestimmt, sondern ihm ein Nießbrauchsvermächtnis an ihrem gesamten Vermögen gemäß § 1089 BGB eingeräumt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das OLG Karlsruhe zurückgewiesen.

     

    • 1. Kann im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen der Wille des Erblassers in Hinblick auf die etwaige Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft (hier: in Abgrenzung zu einem Nießbrauchsvermächtnis) nicht zweifelsfrei festgestellt werden und greifen die Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB nicht ein, so geht dies zulasten dessen, der für sich die Rechte eines Nacherben in Anspruch nimmt.
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    • 2. Bleibt bei der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen zweifelhaft, ob der wirkliche Wille des Erblassers auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge oder eines Nießbrauchsvermächtnisses gerichtet war, so spricht bei der Ermittlung seines mutmaßlichen Willens der Umstand für die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses, dass hierdurch der wiederholte Anfall von Erbschaftssteuer vermieden wird (im Anschluss an Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 1.4.60, BReg 1 Z 81/59, nicht amtlicher Leitsatz, juris).
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    • 3. Konnte die zum Zeitpunkt der Testamentserstellung verwitwete und kinderlose Erblasserin ihren ‒ unterstellten ‒ Willen, ihr Vermögen dauerhaft in der leiblichen Familie zu halten, sowohl durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft als auch Zuwendung eines Nießbrauchsvermächtnisses an ihren neuen Lebenspartner erreichen, weil zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre, so spricht die Jahre später erfolgte Eheschließung mit diesem Lebenspartner nicht ohne Weiteres für die Annahme einer Vor- und Nacherbschaft im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung. Ein hierauf ‒ zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung ‒ gerichteter hypothetischer Wille ist für den Fall nicht zu ermitteln, dass die Erblasserin zunächst nicht mit einer Eheschließung rechnete und ihr später ‒ zum Zeitpunkt der Eheschließung ‒ bekannt war, dass damit ein gesetzliches Ehegattenerbrecht verbunden wäre.

    (Abruf-Nr. 245016)

     

    Entscheidungsgründe

    Die im Hinblick auf die Auslegung und Abgrenzung zwischen Nießbrauch und Vorerbschaft lesenswerte Begründung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

     

    • Die Abgrenzung kann nicht allein anhand der vom Testierenden verwandten Terminologie vorgenommen werden.
    • Begriffe „Vor- oder Nacherbe“ müssen, um die entsprechenden Rechtsfolgen herbeizuführen, nicht gebraucht werden.
    • Die Stellung des Vorerben ist grundsätzlich danach zu beurteilen, inwieweit der Bedachte sogleich dinglicher Vermögensinhaber und „Herr“ des Nachlasses mit Verfügungsbefugnis sein soll.
    • Hat der Erblasser einen zweimaligen Anfall der Erbschaft gewollt?
    • Die Formulierung „vermache ich“ deutet auf ein Vermächtnis hin, allerdings nicht nur.
    • Die Formulierung „solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen“ deutet auf ein Nießbrauchsvermächtnis hin; wobei zu beachten ist, dass der nicht befreite Vorerbe in seiner Stellung dem Nießbrauchsberechtigten angenähert ist.
    • Die fehlende Benennung von Nacherben steht der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft nicht entgegen, weil Nacherben in diesem Fall die gesetzlichen Erben wären.
    • Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens spricht der Umstand für die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses, dass hierdurch der wiederholte Anfall von Erbschaftsteuer vermieden wird.
    Quelle: Ausgabe 01 / 2025 | Seite 2 | ID 50258272