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  • · Fachbeitrag · Behindertentestament

    Verlust des Schutzzweckes des sog. Behindertentestaments

    von RA und VRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar

    • 1. Vermögen, das ein Betroffener, der Begünstigter eines sog. Behindertentestaments ist, im Zuge einer Erbteilsübertragung unter Aufhebung der objektiven Zweckbindung des zugewendeten Vermögens erlangt, unterfällt nicht dem Schonvermögen.
    • 2. Daran ändert auch der Umstand, dass die Erbteilsübertragung zuvor vom AG genehmigt wurde, nichts.

    (LG Kassel 17.10.13, 3 T 342/13, ZErb 14, 32, = ZEV 14, 104, Abruf-Nr. 140362)

     

    Sachverhalt

    Die unter Betreuung stehende Betroffene verfügte nur über geringes Einkommen und Vermögen. Daher wurde die dem Berufsbetreuer zustehende Vergütung aus der Staatskasse gezahlt. Als der Vater der Betroffenen verstarb, wurde er aufgrund testamentarischer Erbfolge zu 72 Prozent von der Mutter der Betroffenen sowie zu 28 Prozent von der Betroffenen beerbt. Die Betroffene war im Wege eines sog. Behindertentestaments als nicht befreite Vorerbin und ihre Mutter als Nacherbin eingesetzt. Der Nacherbfall sollte mit dem Tod der Betroffenen eintreten. Zudem wurde die Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des Erbteils der Betroffenen angeordnet und ihre Mutter zur Testamentsvollstreckerin (TV) bestellt. Diese erhielt die Anordnung, der Betroffenen aus den jeweils ihr gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgen (Nutzungen) des Nachlasses nach billigem Ermessen Geld- oder Sachleistungen zu geben. Dies sollte ihre Lebensqualität verbessern. Die Sozialhilfeträger sollten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften keinen Zugriff darauf haben.

     

    Der zuständige Leistungserbringer (Sozialversicherungsträger) und die Vertreter der Staatskasse im Betreuungsverfahren akzeptierten die Vermögenszuwendung an die Betroffene als geschütztes Vermögen.

     

    Mit notariellem Vertrag übertrug die Betroffene, vertreten durch ihren Betreuer, ihren Anteil an der ungeteilten Erbengemeinschaft mit dinglicher Wirkung an ihre Mutter. Als Gegenleistung wurde eine Zahlung in Höhe des rechnerischen Werts des Anteils der Betroffenen am gesamten Nachlass des Vaters (über 20.000 EUR) vereinbart. Gleichzeitig wurde die Bewilligung zur Berichtigung des Grundbuchs auf eine alleinige Eigentümerstellung der Mutter der Betroffenen erteilt. Das zuständige AG genehmigte die Erklärungen des Betreuers betreffend die Übertragung des Erbteils.

     

    Daraufhin hat das AG durch Beschluss die Wiedereinziehung der ausgezahlten Betreuervergütung angeordnet. Gegen diesen Beschluss wandte sich die Betroffene erfolglos mit ihrer sofortigen Beschwerde.

     

    Entscheidungsgründe

    Nachdem die Staatskasse den Betreuer vergütet hat, ist der Anspruch gegen die Betroffene auf die Staatskasse übergegangen, § 1836e Abs. 1 BGB. Dieser Anspruch kann im Wege des Regresses durchgesetzt werden. Der Regress der Staatskasse setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Erstattung durch die Staatskasse der Betreute nicht mittellos war oder die Mittellosigkeit zum späteren Zeitpunkt behoben worden ist. Die Zahlungen der Staatskasse gemäß §§ 1835, 1836, 1836a BGB, § 1 (Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) sind Sozialleistungen mit Vorschusscharakter (Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1836e Rn. 1). Im Unterschied zum sonstigen Sozialrecht muss der Betreute auch später erworbenes Vermögen für den Regress einsetzen (BGH NJW 07, 844). Hier liegen die Voraussetzungen für den Regress der Staatskasse vor.

     

    Die Betroffene verfügt nach Erfüllung des Erbteilsübertragungsvertrags über Sparvermögen von über 20.000 EUR. Dieses unterfällt nicht mehr dem Schonvermögen. Anders als die der Betroffenen infolge testamentarischer Erbregelung zugefallene Vorerbschaft ist das nun vorhandene Sparvermögen dem Zugriff nicht mehr entzogen.

     

    Infolge der Übertragung des Erbteils der Betroffenen auf ihre Mutter, ist dieser Erbteil dinglich übertragen und damit die Erbengemeinschaft infolge des Eintritts von Personenidentität auseinandergesetzt. Sämtliche auf dem Erbteil liegenden Beschränkungen sind gegenstandslos geworden. Der vertraglich vereinbarte Herauszahlungsbetrag stellt kein Surrogat für die vormals der Testamentsvollstreckung (im sog. Behindertentestament) unterliegenden Vermögensgegenstände dar. Der Geldbetrag ist für die Betroffene bzw. ihren Betreuer mit keinerlei Beschränkungen belegt. Vielmehr ist nun ein freier Zugriff auf das Vermögen möglich. Damit ist der Schutzmechanismus, der durch die testamentarische Regelung geschaffen worden ist, aufgehoben. Nicht nur die Betroffene, sondern vielmehr auch deren Gläubiger können nun auf die Vermögensgegenstände ungehindert zugreifen.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung des LG Kassel überzeugt und ist sorgfältig und zutreffend begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sind Verfügungen von Todes wegen, die in einem sog. Behindertentestament von den Eltern eines behinderten Kindes getroffen wurden, nicht als sittenwidrig eingestuft (vgl. u.a. BGH ZEV 13, 337 = FGPrax 13, 167; BGHZ 188, 96 = ZEV 11, 258).

     

    Mit dem Behindertentestament ist den Eltern des Kindes von der Rechtsprechung eine Möglichkeit eröffnet, besondere Bedürfnisse des behinderten Kindes aus den Mitteln des Nachlasses zu befriedigen. Zudem werden die Träger der Sozialhilfe daran gehindert, auf den Nachlass des behinderten Kindes (als Vorerben) zuzugreifen. Die (bisher) gewährten Sozialleistungen des Kindes werden durch den Anfall der Erbschaft beim Behinderten nicht ausgeschlossen, sondern bleiben bestehen. Wegen der schwierigen rechtlichen Materie empfiehlt es sich in diesen Fällen dringend, rechtlichen Rat bei einem Rechtsanwalt (Fachanwalt für Erbrecht) oder einem Notar einzuholen.

     

    Die wohl gängigste Gestaltung eines „Behindertentestaments“ sieht Folgendes vor (vgl. auch EE 12, 10; 10, 61und 06, 193):

     

    Übersicht / Regelungsgegenstand des Behindertentestaments

    • Das behinderte Kind wird zumindest mit einer Erbquote über dem Pflichtteil zum Erben eingesetzt. Denn so entstehen keine Pflichtteilsansprüche, die der Sozialhilfeträger gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf sich überleiten könnte.

     

    • Es wird Dauertestamentsvollstreckung gemäß § 2209 BGB bis zu dessen Tod angeordnet. Die Dauertestamentsvollstreckung begründet eine separierte Vermögensmasse, die kein sozialrechtlich verwertbares Vermögen darstellt, § 12 SGB II, § 90 SGB XII,.

     

    • Flankierend trifft der Erblasser gemäß § 2216 Abs. 2 BGB Verwaltungsanordnungen, wie der TV das Vermögen verwalten soll und was er dem behinderten Kind zu dessen Lebzeiten zuweisen soll. Damit sind namentlich solche Geld- oder Sachleistungen gemeint, die zur Verbesserung seiner Lebensqualität beitragen. Diese können ihm nach den entsprechenden staatlichen Leistungsgesetzen zur Verfügung gestellt werden, ohne dass die Ansprüche auf staatliche Leistungen geschmälert werden (Horst, EE 12, 10).

     

    • Üblicherweise wird das behinderte Kind auch nur zum nicht befreiten Vorerben eingesetzt, da sonst der bei dessen Tod noch vorhandene Nachlass gemäß § 102 SGB XII für die in den letzten zehn Jahren erbrachten Sozialleistungen haften würde.
     

    Hier war das Behindertentestament rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings waren die Beteiligten (Miterben) schlecht beraten, die Erbengemeinschaft durch Erbteilsverkauf an die Mutter auseinanderzusetzen. Durch diesen Verkauf und den Erhalt der Gegenleistung (Kaufpreis) wurde aus dem für den Sozialhilfeträger und die Staatskasse zunächst nicht verwertbaren Vermögen (Vorerbschaft) ein Sparvermögen, auf das der Sozialhilfeträger sowie andere Gläubiger grundsätzlich ungehindert zugreifen können. Der Schutzmechanismus des Behindertentestaments wurde damit aufgehoben.

     

    MERKE | Der durch das Behindertentestament errichtete Schutz kann durch Verfügungen über den Nachlass (Vorerbschaft) in der Hand des Behinderten verloren gehen. Zu prüfen wäre für die Beteiligten, ob Schadenersatzansprüche gegen den beurkundenden Notar bestehen.

     

    Im Beschluss wird § 1836a BGB zitiert. Diese Vorschrift wurde aufgehoben.

     

    Weiterführende Hinweise

    • EE 14,5, zur Pflichtteilsstrafklausel beim Behindertentestament
    • EE 12, 10, zur Testamentsgestaltung bei überschuldeten Erben
    • EE 06, 193, dazu wie überschuldete oder bedürftige Personen erbrechtlich abgesichert werden können
    • EE 05, 112, zum Behindertentestament - Zwischenbilanz
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 95 | ID 42659785