· Fachbeitrag · Erbschein
Nachlasspfleger trotz eines erteilten Erbscheins?
von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a.D., Vallendar
| Die Erteilung eines Erbscheins schließt in der Regel aus, dass die Erben unbekannt sind, weshalb die Bestellung eines Nachlasspflegers regelmäßig nicht in Betracht kommt. Etwas anderes kann aber gelten, wenn dem Nachlassgericht ein wohlbegründeter Antrag auf Einziehung eines (erteilten) Erbscheins vorliegt (OLG München 18.6.20, 31 Wx 553/19, Abruf-Nr. 219493 ). |
Sachverhalt
Der geschiedene Erblasser ist am 15.4.18 verstorben. Aus der geschiedenen Ehe entstammen zwei Töchter (Beteiligte zu 4 und 5). Er hat ein Testament vom 15.10.17 hinterlassen, in dem er zwei weitere Personen (Beteiligte zu 1 und 2) je zu 1/2 zu seinen Erben einsetzte, auf deren Antrag hin das Nachlassgerichtihnen einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt hat. In der Folge zweifelten die Töchter an der Eigenhändigkeit des Testaments vom 15.10.17, woraufhin das Nachlassgericht ein Sachverständigengutachten zur Frage der eigenhändigen Errichtung des Testaments eingeholt hat, das am 16.9.19 erstattet wurde.
Am 24.9.19 erhob der Beteiligte zu 2 vor dem LG Traunstein ‒ Zivilkammer ‒ gegen die Beteiligten zu 4 und 5 Klage auf Feststellung, dass er den Erblasser zu 1/2 beerbt habe. Daraufhin hat das Nachlassgericht mitBeschluss vom 24.10.19 „das Verfahren“ ausgesetzt. Bereits mit Beschluss vom 5.8.19 hatte das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger bestellt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 2.
Entscheidungsgründe
Das OLG München hat als Beschwerdegericht die Beschwerde für zulässig und begründet erachtet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Erbe sei jedenfalls nicht unbekannt i. S. d. § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB. Dies sei der Fall, wenn sich das Nachlassgericht ‒ oder ihm nachfolgend im Beschwerdeverfahren das Beschwerdegericht ‒ nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen könne, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden sei (BGH ZEV 13, 36). Das gelte auch dann, wenn nur zwei Personen als Erben infrage kämen, sich das Nachlassgericht aber nicht davon überzeugen könne, wer von beiden Erbe sei (BayObLGZ 1960, 405).
Die Vermutung des § 2365 BGB schließe im Regelfall das Unbekanntsein des Erben aus, wenn ein Erbschein erteilt sei. Der Erbe könne gleichwohl unbekannt sein, wenn zwar bereits ein Erbschein erteilt sei, aber ein wohlbegründeter Antrag auf dessen Einziehung vorliege. Liege ein solcher Antrag vor, habe das Nachlassgericht die Frage, ob seine Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert sei, als Vorfrage für die Anordnung der Nachlasspflegschaft selbstständig zu prüfen (BayObLG, a. a. O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teile der Senat zunächst die Ansicht, dass allein der Umstand, dass die Beteiligten zu 1 und 2 am 7.8.18 einen Erbschein erteilt bekommen hätten, der Bestellung eines Nachlasspflegers nicht grundsätzlich entgegenstehe. Vielmehr sei als Vorfrage vor der Bestellung des Nachlasspflegers zu prüfen, ob die Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert sei (BayObLG a. a. O.).
Der auf der Grundlage des Testaments erteilte Erbschein wäre einzuziehen, wenn er unrichtig sei (§ 2361 BGB). Das sei dann der Fall, wenn das Gericht das bezeugte Erbrecht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr als gegeben ansehe, wobei bloße Zweifel nicht genügten (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2361 Rn. 9). Dabei müsse sich das Nachlassgericht in die Lage versetzen, als hätte es den Erbschein erstmals zu erteilen(Palandt/Weidlich, a. a. O.).
Vorliegend sei die Überzeugung von der Richtigkeit des erteilten Erbscheins nicht in dem Maße erschüttert, das die Bestellung eines Nachlasspflegers rechtfertigen würde. Die Zweifel der Beteiligten zu 4 und 5 an der eigenhändigenErrichtung des Testaments seien durch das Gutachten ausgeräumt. Damit stehe die Urheberschaft des Erblassers für die fragliche Verfügung mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, fest (BGH NJW 14, 71; NJW 94, 1348).
Soweit die Beteiligten zu 4 und 5 zuletzt vorgetragen hätten, der Erblasser sei „zum Zeitpunkt der vermeintlichen Testamentserrichtung ... gesundheitlich bereits sehr angeschlagen“ gewesen, vermöge auch dies keine erheblichen Zweifel an der Richtigkeit des erteilten Erbscheins zu begründen. Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers im Errichtungszeitpunkt, die nach der Konzeption des § 2229 Abs. 4 BGB die Regel ist, begründe dieser Vortrag nicht.
In welchem Umfang das Nachlassgericht Ermittlungen für eine möglicheTestierunfähigkeit bei einem Erblasser anstellen müsse, hänge von den Einzelheiten des jeweiligen Falls ab. Zunächst müssten konkrete Anhaltspunktedafür vorliegen, dass überhaupt eine krankheitsbedingte Aufhebung der Testierfähigkeit vorgelegen haben könnte. Für die Annahme derart konkreter Anhaltspunkte reichen weder ein fortgeschrittenes Alter an sich noch pauschale Aussagen von Beteiligten. Ergäben sich für das Nachlassgericht keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser bei Errichtung der Verfügung testierunfähig gewesen sein könnte, könne es ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens in der Sache entscheiden (BayObLG NJW-RR 90, 1419).
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung des OLG München stellt klar, unter welchen Voraussetzungen bei Erteilung eines Erbscheins davon ausgegangen werden kann, dass der Erbe (gleichwohl) unbekannt ist, nämlich, wenn ein „wohlbegründeter“ Antrag auf Einziehung des Erbscheins vorliegt. Die Begründetheit des Antrags auf Einziehung eines erteilten Erbscheins ist als Vorfrage vor der Bestellung eines Nachlasspflegers vom Nachlassgericht zu prüfen. Diese Prüfung obliegt dem Rechtspfleger, der beabsichtigt, einen Nachlasspfleger zu bestellen (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 RPflG), und zwar auch dann, wenn für das Einziehungsverfahren selbst der Nachlassrichter zuständig wäre (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 2 RPflG).