· Fachbeitrag · Gemeinschaftliches Testament
Die Krux mit der Wechselbezüglichkeit
von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm
| Das OLG München hat sich mit der Frage beschäftigt, ob Anordnungen der Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament betreffend einen „Pflichtteils-“ bzw. „Erbteilsverzicht“ der Kinder bis beide Eltern verstorben sind, wechselbezüglich sind oder nicht. |
Sachverhalt
Die Erblasserin E hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann M ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Hierin regelten sie für den ersten Todesfall eines der Ehegatten, dass der überlebende Ehegatte „Alleinerbe“ sein sollte. Eine ausdrückliche Einsetzung eines Erben nach dem Tod des überlebenden Ehegatten ist nicht angeordnet. Die weiteren Verfügungen betreffen Anordnungen in Bezug auf die „Pflichtteile“ und die „Erbteile“ ihrer beiden Söhne (S1 = Beteiligter zu 1 und S2) sowie die Zuwendung von Vermögensgegenständen bzw. -massen. S2 ist inzwischen verstorben. Nach dem Tod des M errichtete die E ein Testament, in dem sie den Beteiligten zu 2 und 3 ihr Wohneigentum zuwendete. Die Beteiligten streiten darüber, ob die E und der M die gemeinsamen Söhne wechselbezüglich als Schlusserben eingesetzt haben. Die Beteiligten zu 2 und 3 beantragten beim Nachlassgericht erfolglos einen Erbschein, der sie mit einer Erbquote von je ½ ausweist. Die Beschwerde blieb erfolglos.
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Anordnungen der Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament betreffend einen „Pflichtteilsverzicht“ und Regelungen der Erbteile der Kinder bis beide Eltern verstorben sind, können für die wechselbezügliche Anordnung von deren Einsetzung als Schlusserben sprechen (Abruf-Nr. 191618). |
Entscheidungsgründe
Das gemeinschaftliche Testament enthält eine Schlusserbeneinsetzung der E zugunsten S1 und S2, die wechselbezüglich i. S. d. § 2270 Abs. 1 BGB zu ihrer Erbeinsetzung durch M ist. Das von der E später errichtete Testament ist entsprechend § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.
Gemeinschaftliches Testament ist auslegungsbedürftig
Das gemeinschaftliche Testament ist auslegungsbedürftig, weil es die Schlusserbfolge nicht ausdrücklich regelt. Maßgebend dafür ist, dass die Ehegatten neben dem ersten Erbfall auch den Fall des Ablebens des überlebenden Ehegatten abschließend regeln wollten und entsprechend dem gemeinsamen Willen das beidseitige Vermögen als eine Einheit einem Dritten anfallen soll (vgl. NK-Erbrecht/Gierl, 4. Aufl., § 2269 Rn. 11 ff.).
Die Ehegatten haben hier konkludent eine Schlusserbeneinsetzung getroffen. Denn sie haben im gemeinschaftlichen Testament neben der Alleinerbeinsetzung des Überlebenden zugleich Anordnungen für den Fall bis bzw. nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten getroffen. Ihre Anordnungen betreffend einen „Pflichtteils-“ bzw. „Erbteilsverzicht“ bis beide Eltern verstorben sind, legen den Schluss nahe, dass der Überlebende in den Genuss des ehelichen Vermögens gelangen sollte und ihre Kinder erst nach dem Ableben des Überlebenden darauf Zugriff haben sollten. Diese Anordnung drückt die Vorstellung aus, dass das beidseitige Vermögen nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten als eine Einheit ungeschmälert an einen Dritten übergehen soll.
Söhne sollten gleichberechtigte Miterben sein
Nach dem Willen von E und M sollten S1 und S2 (Mit-)Schlusserben zu je 1/2 sein. Denn „beide“ sollen auf ihren „Pflichtteil“ bzw. Erbteil“ bis zum Tod des Überlebenden verzichten. Auch soll das nach Verteilung der Immobilie und der den Beteiligten zu 2 und 3 zugewendeten Geldbeträge restliches Bargeld und Mobiliar unter S1 und S2 aufgeteilt werden. Sie haben dem S2 eine Eigentumswohnung „als Ausgleich“ für die Übertragung eines Grundstücks angeordnet. Insoweit sollte S2 seinem Bruder wirtschaftlich gleichgestellt werden.
MERKE | Mit der Zuwendung der Immobilie an S2 wird dieser nicht zum Alleinerben eingesetzt. Vielmehr ist dies ein Vorausvermächtnis, durch das die erstrebte gleichmäßige Verteilung des nach Abzug aller Vermächtnisse noch verbliebenen Rechtsvermögens der Ehegatten erreicht werden soll. |
Verfügungen sind wechselbezüglich
Die Einsetzung der E durch M ist wechselbezüglich i. S. d. § 2270 Abs. 1 BGB zu der Einsetzung von S1 und S2. Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB sind im gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen wechselbezüglich und damit für den Überlebenden bindend, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre. Wenn also jede der beiden Verfügungen mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLG FamRZ 05, 1931). Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGH NJW-RR 87, 1410).
MERKE | Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese für jede Verfügung gesondert durch Auslegung ermittelt werden (BGH NJW-RR 87, 1410). Erst wenn die Auslegung kein Ergebnis ergibt, ist im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht, § 2270 Abs. 2 BGB. |
§ 2270 Abs. 2 BGB ist einschlägig. Zum einen haben sich der M und die E gegenseitig bedacht; diese Verfügungen sind im Zweifel zueinander wechselbezüglich. Darüber hinaus hat der M die E zur Alleinerbin eingesetzt und diese hat für den Fall ihres Überlebens S1 und S2 eingesetzt, die mit beiden verwandt sind. § 2270 BGB greift somit auch im Verhältnis dieser zwei Verfügungen zueinander ein, ebenso wie umgekehrt im Verhältnis der Einsetzung des M durch die E zur Einsetzung von S1 und S2 durch den M für den Fall seines Überlebens (Reimann/Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, 5. Aufl. § 2270 BGB Rn. 57).
Diese Auslegungsregel beruht auf der allgemeinen Lebenserfahrung. Hiergegen ist nichts vorgebracht. Insbesondere sprechen die Vermögensverhältnisse nicht dagegen. Nach der BGH-Rechtsprechung geben erhebliche Unterschiede in den Vermögensverhältnissen Anlass zu prüfen, ob die letztwillige Verfügung des vermögenden Ehegatten, der durch die Erbeinsetzung des anderen keinen Vermögensvorteil zu erwarten hat, in ein Abhängigkeitsverhältnis zu der seines Ehegatten gestellt werden sollte (BGH NJW-RR 12, 207). Die Ehegatten haben hier bei ihrer Vermögensplanung nicht darauf abgestellt, wem die Vermögenswerte rechtlich zuzuordnen sind. Dies ergibt sich aus der Regelung zu den Immobilien und die Verteilung des Restvermögens nach Zuwendung der Geldbeträge an die Enkel. Etwaig unterschiedliche Vermögensverhältnisse der Eheleute waren für sie nicht bedeutsam für ihre Testierung.
Testament der E hat keine Indizwirkung gegen die Wechselbezüglichkeit
Dem Testament der E kann keine Indizwirkung gegen die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen entnommen werden. Denn maßgeblich ist allein die gemeinsame Willensrichtung beider Ehegatten in Bezug darauf, wie sie ihr eheliches Vermögen im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments verteilen. Aus der Testamentsurkunde ergibt sich der gemeinsame Wille, dass ihr eheliches Vermögen nach dem Tod des Überlebenden in die nächste Generation ihrer Kinder, nicht aber in die Enkelgeneration übergehen soll. Demgemäß konnte die E die Beschwerdeführer nicht als Erben einsetzen, weil dies die Rechte des im gemeinschaftlichen Testament eingesetzten Schlusserben entsprechend § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB beeinträchtigen würde.
Relevanz für die Praxis
Die Wechselbezüglichkeit muss für jede Verfügung gesondert bejaht werden (OLG München FamRZ 10, 1846). Fällt der im Ehegattentestament eingesetzte Schlusserbe weg, ist § 2270 Abs. 2 BGB auf Ersatzerben nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen feststellen lassen, die Ersatzerbeinsetzung also nicht allein auf § 2069 BGB beruht.