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  • · Fachbeitrag · Gesetzliches Ehegattenerbrecht

    Gehört § 1371 Abs. 1 BGB zum Güter- oder zum Erbrecht? ‒ Das Machtwort des EuGH

    von RA Holger Siebert, FA Erbrecht und Steuerrecht, Berlin

    | Streitig ist, ob die pauschale Erbteilserhöhung nach § 1931 Abs. 3, § 1371 Abs. 1 BGB auch stattfindet, wenn es sich um einen Erbfall nach ausländischem Recht handelt. Der EuGH hat diesen Streit nun geklärt. Abweichend von der h.M. qualifiziert der EuGH das Zusatzviertel als rein erbrechtlich. |

    1. Ausgangslage

    Wird ein verheirateter Erblasser von seinem Ehegatten überlebt und hat er nicht testiert, bestimmt das deutsche Erbrecht die Erbquote des überlebenden Ehegatten in § 1931 BGB. Der Anteil des Ehegattenerbrechts bemisst sich daher zum einen danach, neben welchen Blutsverwandten der Ehegatte erbt und zum anderen, in welchem Güterstand die Ehegatten verheiratet waren.

     

    Neben Verwandten der ersten Ordnung, das heißt Abkömmlingen, erhält der Ehegatte (vorbehaltlich des in § 1931 Abs. 4 BGB für die Gütertrennung geregelten Sonderfalls) einen Erbteil von 1/4, neben Erben der zweiten Ordnung ist er zu 1/2 berufen. Lebten die Ehegatten im Güterstand der Gütertrennung, ist die Erbquote von der Anzahl der miterbenden Abkömmlinge abhängig, § 1931 Abs. 4 BGB. Lebten die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, verweist § 1931 Abs. 3 auf § 1371 BGB, in dessen Abs. 1 dem Ehegatten ein zusätzliches Viertel am Nachlass gewährt wird. Im Ergebnis ist der überlebende Ehegatte neben Kindern zu 1/2, neben Erben der zweiten Ordnung (d. h. neben Eltern des Erblassers oder deren Abkömmlingen) zu 3/4 erbberechtigt. § 1371 Abs. 3 BGB gewährt dem Ehegatten die Möglichkeit, stattdessen auszuschlagen und den tatsächlichen Zugewinnausgleich (ZGA) neben dem kleinen Pflichtteil zu fordern.

     

    MERKE | Das Zusatzviertel nach § 1371 Abs. 1 BGB wird unabhängig davon gewährt, ob in der Ehezeit überhaupt ein Zugewinn erwirtschaftet worden ist bzw. wer wirtschaftlich zum ZGA verpflichtet wäre. Das Gesetz räumt somit dem überlebenden Ehegatten ein starkes gesetzliches Erbrecht ein.

     

    2. Fragestellung

    Fraglich ist, ob diese pauschale Erbteilserhöhung nach § 1371 BGB auch stattfindet, wenn es sich um einen Erbfall nach ausländischem Recht handelt. Hinsichtlich der Qualifikation von § 1371 Abs. 1 BGB werden insgesamt drei Möglichkeiten diskutiert: § 1371 Abs.  1 BGB kann als

    • güterrechtliche Norm,
    • erbrechtliche Norm oder
    • doppelt qualifizierte Norm (güter- und erbrechtlich) ausgewiesen werden.

     

    • Geht man von einer rein erbrechtlichen Qualifikation aus, kommt eine Anwendung nicht in Betracht, wenn ein ausländisches Erbstatut greift.

     

    • Geht man von einer Doppelqualifikation aus, wäre das nachvollziehbare Ergebnis, dass § 1371 Abs.  1 BGB nur anzuwenden ist, wenn sowohl deutsches Güter- als auch das deutsches Erbstatut gilt.

     

    • Qualifiziert man aber § 1371 Abs.  1 BGB als (allein) güterrechtliche Norm, steht ‒ unter der Voraussetzung, dass deutsches Güterrechtsstatut anzuwenden ist ‒ einer Anwendung dieser Norm auch im Fall eines ausländischen Erbstatuts nichts Grundsätzliches entgegen.

     

    MERKE | Die h. M. nach deutschem Recht geht bislang davon aus, dass § 1371 Abs. 1 BGB eine güterrechtliche Vorschrift ist, die bei Anwendung deutschen Güterrechts damit auch neben ausländischem Erbrecht anzuwenden ist.

     

    3. Bisherige Rechtsprechung

    Die Rechtsprechung hat wie folgt entschieden:

     

    • OLG Stuttgart vom 8.3.05 (ZEV 05, 443): § 1371 BGB ist güterrechtlich zu qualifizieren. In einem Erbfall war nach dem IPR österreichisches Erbrecht neben deutschem Güterrecht anzuwenden. Nach österreichischem Erbrecht erbte der Ehegatte 1/3. Würde man ihm das Zusatzviertel gewähren, erhielte er insgesamt 7/12. Diese Konsequenz zieht das OLG jedoch nicht: „Zwar ist der ZGA als Ausprägung des deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft güterrechtlicher Natur. Dies rechtfertigt aber nicht, den Zugewinn als Erbquote auch zu verwirklichen, wenn sich das Erbstatut nach ausländischem Recht richtet und es ‒ wie das österreichische Recht ‒ keine solche Erbquote kennt. Denn das Erbstatut bestimmt die Erbquote. Diese Quote ist auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten abänderbar.“

     

    • OLG Schleswig vom 19.8.13 (NJW 14, 88): Die sich für einen Ehegatten nach österreichischem Erbrecht ergebende Erbquote von 1/3 erhöht sich bei Anwendung deutschen Güterrechts aufgrund § 1371 Abs. 1 BGB. Diese Erhöhung erfolgt jedoch nicht immer in Höhe des vollen in § 1371 Abs. 1 BGB vorgesehenen 1/4. Vielmehr soll bei Anwendung ausländischen Erbrechts die Erhöhung nur um so viel erfolgen, dass dem überlebenden Ehegatten das zukommt, was ihm nach dem Recht eines der betroffenen Staaten höchstens zusteht. Im Fall eines österreichischen Erblassers, für den österreichisches Erbrecht gilt, erhöht sich so die Erbrechtsquote des überlebenden Ehegatten neben Abkömmlingen von 1/3 auf 1/2.

     

    • OLG Düsseldorf vom 10.3.15 (NZFam 15, 576): Der pauschalierte ZGA ist trotz Zusammentreffens von deutschem Güterrechtsstatut und ausländischem Erbstatut möglich, weil das italienische Recht keine güterrechtlichen Ansprüche im Todesfall vorsieht. Diese Lücke schließt § 1371 Abs. 1 BGB, der im Fall des ZGA im Todesfall regelmäßig vorsieht, die Erbquote um 1/4 für den überlebenden Ehegatten zu erhöhen. Die von § 1371 BGB bewirkte Erhöhung des der Ehefrau kraft italienischen Erbrechts zustehenden Erbteils von 1/3 um 1/4 (= 7/12) ist allerdings im Wege der Anpassung dahin gehend zu korrigieren, dass die Ehefrau als Erbin zu 1/2 Anteil berufen ist. Denn durch die Kombination italienischen Erbrechts mit deutschem Güterrecht darf die Ehefrau nicht mehr erhalten, als sie bei Anwendung der für sie günstigeren Rechtsordnung erhalten würde.

     

    • BGH 13.5.15 (NJW 15, 2185): Die Erblasserin war griechische Staatsangehörige. Erbstatut war damit griechisches Recht, Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. Die Erblasserin und ihr überlebender Ehegatte hatten als anwendbares Güterrecht das deutsche Recht gewählt, Art. 15 Abs. 2 EGBGB. Der Ehegatte und der Sohn der Erblasserin stritten darum, ob sich die Erbquote des überlebenden Ehegatten nach griechischem Recht (1/4) um ein weiteres Viertel gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöht. Der Erbteil des Ehemanns ist um 1/4 zu erhöhen. Das Erbstatut ist zwar griechisches Recht, das keine dem § 1371 Abs. 1 BGB entsprechende Regelung kennt. Für die güterrechtlichen Folgen ihrer Ehe haben die Ehegatten jedoch wirksam deutsches Recht gewählt. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 1371 Abs. 1 BGB ist damit von der kollisionsrechtlichen Qualifikation der Vorschrift abhängig. Der BGH stellt den Meinungsstreit dar und schließt sich der rein güterrechtlichen Qualifikation an:
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    • Der Zweck des § 1371 Abs. 1 BGB ist es, den Güterstand als Sonderordnung des Vermögens der Ehegatten aufgrund der Ehe abzuwickeln. Der überlebende Ehegatte soll nicht wegen seiner engen Verbundenheit mit dem Verstorbenen an dessen Vermögen beteiligt werden, wie es das Erbrecht tut. Sofern beim Auseinanderfallen von Erbstatut und Güterrechtsstatut Wertungswidersprüche auftreten, könnten diese durch eine international-privatrechtliche Anpassung korrigiert werden.

    4. Anwendung der EU-ErbVO

    Während in den zitierten Entscheidungen gem. Art. 25 EGBGB a.F. durch Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ausländisches Erbrecht anzuwenden war, ändert sich diese Anknüpfung für Erbfälle ab dem 17.8.15 durch die EU-ErbVO. Dies beseitigt aber nicht den Streit über die Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB. Dieser tritt nun auf, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte und daneben deutsches Güterrecht anzuwenden ist.

    5. Vorlagebeschluss des KG (ZEV 17, 209)

    Das KG wollte nun die Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB durch den EuGH klären lassen und hat diese Frage vorgelegt:

     

    „Verlässliche Kriterien zur Grenzziehung zeigen weder die EU-ErbVO noch die zwischenzeitlich mit Wirkung ab 29.1.19 in Kraft getretene VO 2016/1103 des Rates vom 24.6.16 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands (EuGüVO) bzw. der entsprechenden, parallel erlassenen VO zu den vermögensrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften auf.

     

    Der Senat ist mit dem Nachlassgericht der Ansicht, die Frage, ob § 1371 Abs. 1 BGB i. S. v. Art. 1 Abs. 1 EU-ErbVO als erbrechtliche Norm zu qualifizieren ist, müsste im Hinblick auf ihren Zweck, den Ausgleich des ehelichen Zugewinns nach Beendigung der Gütergemeinschaft herbeizuführen, verneint werden. Denn Sinn und Zweck der Regelung ist es, den ehelichen Zugewinn im Fall der Beendigung des Güterstands durch den Tod eines der Ehegatten auszugleichen; sie soll immer anzuwenden sein, wenn sich die Ehewirkungen, und damit auch die Fragen des ehelichen Güterrechts nach deutschem Recht richten. Dies wäre nicht gewährleistet, wenn man die Regelung dem Erbstatut unterstellen würde, weil ihr Anwendungsbereich auf die Fälle beschränkt würde, in denen sich die Rechtsnachfolge gem. Art. 21 und 22 EuErbVO nach deutschem Erbrecht bestimmt.“

    6. Entscheidung des EuGH vom 1.3.18

    Was die vorgelegte Frage zur Qualifikation von § 1371 Abs. 1 BGB betrifft, kommt der EuGH mit einer erfreulich klaren und kurzen Erläuterung zum Ergebnis, dass diese Vorschrift erbrechtlich zu qualifizieren ist (EuGH Mahnkopf 1.3.18, C-558/16; BeckRS 2018, 2032). Er führt hierzu aus:

     

    „Wie der Generalanwalt in den Nrn. 78 und 93 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, betrifft § 1371 Abs. 1 BGB gem. den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen nicht die Aufteilung der Vermögenswerte zwischen den Ehegatten, sondern die Rechte des überlebenden Ehegatten an den Gegenständen, die schon zum Nachlassvermögen gezählt werden. Unter diesen Umständen scheint der Hauptzweck der Bestimmung nicht in der Aufteilung des Vermögens oder in der Beendigung des ehelichen Güterstands, sondern vielmehr in der Bestimmung des dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den übrigen Erben zufallenden Erbteils zu liegen. Eine solche Vorschrift betrifft daher in erster Linie die Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Ehegatten und nicht das eheliche Güterrecht. Folglich bezieht sich eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Erbsachen i. S. d. VO Nr. 650/2012.“

     

    MERKE | Mit der Unterstellung des § 1371 Abs. 1 BGB unter das Erbstatut ist somit auch insoweit die EU-ErbVO anzuwenden. Bei Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts scheidet die Gewährung dieses Zusatzviertels mithin aus.

     

    7. Stellungnahme

    Die Entscheidung des EuGH, die der deutschen obergerichtlichen Rechtsprechung und h.M. diametral widerspricht, ist aus meiner Sicht zu begrüßen:

     

    Indem § 1371 BGB dem überlebenden Ehegatten ein pauschales Zusatzviertel zu seinem Erbteil gewährt, unabhängig vom tatsächlichen Entstehen eines möglichen ZGA-Anspruchs, zeigt sich, dass hier nicht der wirtschaftliche Erfolg aus dem ehelichen Güterstand ausgeglichen werden soll. Lediglich die rein erbrechtliche Position des Ehegatten soll gestärkt werden, indem auch die möglichen Pflichtteilsansprüche der Kinder quotal gesenkt werden.

     

    Demgegenüber ist das Abstellen auf die Stellung der Vorschrift im Gesetz (4. Buch Familienrecht/Güterrecht) ein eher schwaches Argument (vgl. Mankowski, ZEV 14, 121). Dies wird bereits dadurch entkräftet, dass durch § 1931 Abs. 3 BGB, also aus dem Erbrecht heraus, auf diese Vorschrift verwiesen wird. Und auch, wie manche meinen, hat der „Kern“ der Vorschrift keine güterrechtliche Natur. Folgendes Argument greift nicht: Es gehe nicht um einen bloßen Modus der Nachlassverteilung wie bei § 1931 Abs.  4 BGB, sondern um die vorherige Abscheidung desjenigen Teils des Vermögens, der dem überlebenden Ehegatten gebührt (Mankowski, a.a.O.). Dies ist jedenfalls insoweit nicht zutreffend, als das Zusatzviertel unabhängig von Verwirklichung und Richtung eines möglichen Zugewinns dadurch gewährt wird, dass bloß die Erbquote erhöht wird.

     

    Insoweit ist auch die Aussage unzutreffend, dass hier ein güterrechtlicher Ausgleich mittels eines erbrechtlichen Instruments erfolge (Ludwig, DNotZ 05, 586 [588]; Jeremias/Schäper, IPRax 05, 521). Richtig ist vielmehr die These, dass dem überlebenden Ehegatten aufgrund des bestehenden Güterstands eine stärkere erbrechtliche Position eingeräumt wird. Dies weist § 1371 Abs. 1 BGB aber konsequenter Weise dem Erbrecht zu. So sieht das nun auch der EuGH in seiner zitierten Entscheidung.

     

    Durch die erbrechtliche Qualifikation wird die das rechnerische Ergebnis zurechtbiegende „Anpassung“ vermieden. Die falsche Gleichung 1/3 + 1/4 = 1/2 muss nicht mehr unter Missachtung von Adam Riese ins Feld geführt werden.

    8. Fazit

    Das Ergebnis des EuGH entspricht auch den wirtschaftlichen Belangen des überlebenden Ehegatten:

     

    Denn dieser erhält bei Anwendung ausländischen Erbrechts und deutschem Güterrecht neben dem Erbteil immer auch seinen möglichen ZGA; aber eben nur, wenn ein solcher während der Ehezeit verwirklicht wurde.

     

    MERKE | Ist das Zusatzviertel nach § 1371 Abs. 1 BGB aufgrund Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts nicht zu gewähren, ist bei Anwendbarkeit deutschen Güterrechts fraglich, ob der überlebende Ehegatte nun den rechnerischen Zugewinn einfordern kann. Der Wortlaut des § 1371 Abs. 2 BGB gibt es nicht her. Gleichwohl ergibt sich dies im Wege der (ergänzenden) Gesetzesauslegung, die die Vorschrift so lesen lässt, dass der tatsächliche Zugewinn zu gewähren ist, wenn dem Ehegatten das Zusatzviertel nach §  1371 Abs. 1 BGB verwehrt ist und dieser auch kein Vermächtnis erhält.

     

    Alternativ wäre das gleiche Ergebnis durch eine analoge Anwendung des § 1371 Abs. 2 BGB (siehe insoweit Litzenburger, FD-ErbR 2018, 405926) zu erzielen.

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2018 | Seite 131 | ID 45234994