· Fachbeitrag · Testament
Auslegung „für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens“ mithilfe der Andeutungstheorie
von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, Münster
| Darüber, wie die Klausel „für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens“ auszulegen ist, gibt es Rechtsprechung. Das OLG Frankfurt weicht jedoch bezüglich der Frage, wie bei der Auslegung die Andeutungstheorie zu verstehen ist, von der Ansicht des OLG Hamm ab. Dazu im Einzelnen: |
Sachverhalt
Die Erblasserin (E) war mit dem ca. 16 Monate zuvor verstorbenen (M) verheiratet und kinderlos. Die Beteiligte zu 1 (C) ist die Cousine der E, die Beteiligten zu 2) bis 5) sind Nichten und Neffen des M (N2 bis N5). E und M hatten sich gegenseitig testamentarisch zu Alleinerben eingesetzt. Mit einer Ergänzung bestimmten sie, dass bei gleichzeitigem Ableben das Erbe unter N2 bis N 5 geteilt werden solle. Gem. Erbschein wurde die E von N2 bis N5 zu je 1/4 beerbt. Auf Anregung der C hat das Gericht den Erbschein als unrichtig eingezogen. N2 bis N5 haben dagegen erfolglos Beschwerde eingelegt.
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Haben Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament im Anschluss an die gegenseitige Alleinerbeneinsetzung bestimmt, dass für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens das Erbe unter ihren Neffen bzw. Nichten aufgeteilt werden soll, so kann der Begriff des „gleichzeitigen Ablebens“ entgegen dem Wortsinn nur dann dahin verstanden werden, dass auch das Versterben in erheblich zeitlichem Abstand umfasst werden sollte, wenn sich hierfür eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen findet (Abruf-Nr. 206906). |
Entscheidungsgründe
N2 bis N5 sind nicht Erben der E geworden. Das Testament enthält keine Schlusserbeneinsetzung. Die Ergänzung regelt eine Erbeinsetzung nur für den Fall des gleichzeitigen Ablebens. Ob E und M damit auch den Fall regeln wollten, dass sie im zeitlichen Abstand versterben, ist auslegungsbedürftig. Die Formulierung wird so ausgelegt, dass sie Fälle erfasst, in denen Eheleute innerhalb eines kurzen Zeitraums versterben und der Überlebende in dieser Zeitspanne nicht neu testieren kann (OLG Düsseldorf ZEV 15, 548; OLG München EE 14, 22). Denn in diesen Fällen hinge es ohne Schlusserbeneinsetzung vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob die gesetzlichen Erben des Ehemanns oder die der Ehefrau erben. Auf diese Fallgestaltung wollen Ehegatten mit der Formulierung wie „bei gleichzeitigem Ableben“ die Erbeinsetzung i. d. R. beschränken. Der Überlebende soll bestimmen, wer ihn beerbt (OLG München EE 14, 22).
Eine für diesen Fall getroffene Erbeinsetzung gilt deshalb grundsätzlich nicht für den Fall hier, dass die Ehegatten in erheblichem zeitlichem Abstand versterben (OLG München EE 14, 22). E und M starben im Abstand von ca. 16 Monaten.
Ausnahme: Es muss aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls feststellbar sein, dass E und M die Formulierung dahin verstanden haben, dass auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand erfasst sein sollte, und wenn sich eine Grundlage im Testament findet (OLG München, a.a.O.). Das Testament ist nicht dahin gehend auszulegen. Selbst wenn man von einem entsprechenden Erblasserwillen ausgeht, ist dieser nicht formgerecht i. S. d. §§ 2247, 2267 BGB erklärt. Denn er ist im Testament nicht angedeutet.
Bei der sog. Andeutungstheorie soll es ausreichen, wenn sich die Auslegungsnotwendigkeit und die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut des Testaments herleiten lassen (OLG Hamm FamRZ 11, 1428). Diese Ansicht ist abzulehnen (so auch Herrler, ZEV 11, 429, Böttcher, ZEV 11, 537). Die Andeutungstheorie soll dem Erblasserwillen und den strengen Formerfordernissen für letztwillige Verfügungen genügen und diese in Einklang bringen. Dem trägt das OLG Hamm nicht hinreichend Rechnung. Soweit es reichen soll, die Auslegungsnotwendigkeit aus dem Wortlaut herzuleiten, ist dies ein Zirkelschluss. Denn die Notwendigkeit, ein Testament auszulegen, ist der Ausgangspunkt für das Gericht, die letztwillige Verfügung auszulegen und Voraussetzung dafür, dass eine Andeutung geprüft werden muss. Daher kann die Auslegungsnotwendigkeit nicht zugleich als Kriterium dafür dienen, ob der Erblasserwille formgerecht ist.
Nach Ansicht des OLG Hamm muss sich die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut der letztwilligen Verfügung herleiten (FamRZ 11, 1428, 1429) lassen. Dies ist so zu verstehen, dass der ermittelte Erblasserwille nicht eingeschränkt werden soll. Das ist abzulehnen, da so die Formerfordernisse umgangen werden und keine Rückkopplung zwischen Erblasserwillen und Formvoraussetzungen erfolgt. Bei der Andeutungstheorie ist zu prüfen, ob das Auslegungsergebnis im Inhalt des Testaments angedeutet ist. Dadurch wird nicht der Auslegung Grenzen gesetzt, die mit der BGH-Rechtsprechung unvereinbar sind (so OLG Hamm, a.a.O.). Denn der Erblasserwille ist zu ermitteln und es ist sodann zu prüfen, ob das Auslegungsergebnis formgültig ist (BGH NJW 81, 1736, 1737).
Relevanz für die Praxis
Bei der Auslegung ist der wirkliche Wille des Erblassers zu ermitteln. Dieser ist auch vorrangig, wenn der Wortlaut eindeutig ist. Daher kann der Wortlaut die Auslegung nicht begrenzen. Aus den Umständen muss sich aber ergeben, dass der Erklärende damit einen anderen Sinn als den allgemeinen Sprachgebrauch verbunden hat. Dazu sind sämtliche, auch außerhalb des Testaments liegende Umstände zu beachten (BGHZ 86, 41 ff.). Ist der Inhalt durch Auslegung ermittelt, ist zu prüfen, ob der ermittelte Erblasserwille formgültig erklärt ist (BGHZ 86, 41 ff.). Das ist der Fall, wenn er im Testament zumindest angedeutet ist (BGHZ 80, 246 ff.). Das OLG Hamm versteht die Andeutungstheorie dahin gehend, dass es nur eine Andeutung der Auslegungsnotwendigkeit und der generellen Willensrichtung des Erblassers im Testament fordert. Nach Ansicht des OLG Frankfurt muss das Auslegungsergebnis im Testament angedeutet sein.
PRAXISTIPP | Wollen die Ehegatten keine Schlusserbeneinsetzung, sollten sie testieren, dass nach dem Tod des Überlebenden die gesetzliche Erbfolge greift, falls er nicht anders testiert hat (so Böttcher, Anmerkung zu OLG Hamm ZEV 11, 536). |