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  • · Fachbeitrag · Testierfähigkeit

    Anfechtungsrecht des Erblassers bei Testierunfähigkeit (vaskuläre Demenz)

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    • 1. Zur Annahme von Testierunfähigkeit bei vaskulärer Demenz mittelschwerer Ausprägung in Verbindung mit markanten Orientierungsstörungen.
    • 2. Auch bei nachgewiesener Testierunfähigkeit hat der Erblasser kein eigenes Anfechtungsrecht entsprechend § 2282 Abs. 2 BGB hinsichtlich eigener nicht wechselbezüglicher Verfügungen.
     

    Sachverhalt

    Der verwitwete kinderlose Erblasser (E) ist gestorben. Die Beteiligte zu 1) und Beschwerdeführerin ist Adoptivtochter (AT) einer Schwester der vorverstorbenen Ehefrau (F). Der Beteiligte zu 3) ist Neffe (N) der F, die Beteiligte zu 2) ist die Ehefrau (FN) des Beteiligten zu 3). In einem gemeinschaftlichen Testament bestimmten E und F als Schlusserben nach ihrem Ableben N und FN. Später, in 2007, hat der E in zwei handschriftlichen Testamenten jeweils die AT als Alleinerbin eingesetzt. Der betreute E befand sich zu dieser Zeit im Pflegezentrum. Hauptbetreuerin war die Schwester (S) der F. Die AT war Ersatzbetreuerin. Im Nachlassverfahren der F hat die AT namens und im Auftrag des E das gemeinschaftliche Testament von E und F angefochten. Im gegenständlichen Nachlassverfahren nach E hat die AT das gemeinschaftliche Testament erneut angefochten. Sie beantragte einen Erbschein, der sie auf der Grundlage der eigenhändigen Testamente des E als Alleinerbin ausweist. N und FN haben beantragt, ihnen einen Erbschein auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments zu erteilen, der sie zu Erben zu je 1/2 ausweist. Das Nachlassgericht hat den Antrag der AT zurückgewiesen und dem Antrag von N und FN stattgegeben. Die Beschwerde der AT war erfolglos.

     

     

    Entscheidungsgründe

    Die Erbfolge ist anhand des gemeinschaftlichen Testaments zu bestimmen.

     

    Erblasser war 2007 testierunfähig

    Der E war, als er die beiden handschriftlichen Testamente abfasste, testierunfähig. Anhaltspunkte dafür, dass er bereits testierunfähig war, als er mit F das gemeinschaftliche Testament verfasste, existieren nicht.

     

    Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann nicht testieren, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einsehen und nach dieser Einsicht handeln kann. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen. Vielmehr werden seine Erwägungen und Willensentschlüsse durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden.

     

    Die Unfreiheit kann sich darauf beschränken, die Motive dafür, eine letztwillige Verfügung zu errichten, entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist auch derjenige, der sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe kein klares, von krankhaften Einflüssen ungestörtes Urteil bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter handeln kann (st. Rspr. vgl. BGH FamRZ 58, 127; OLG Bamberg ZErb 12, 308; OLG München EE 08, 111). Um Testierfähigkeit bejahen zu können, reicht es deshalb nicht aus, dass der Testierende die eigenen Bezugspersonen erkennen und einfache Sachverhalte erfassen kann. Er muss vielmehr die für und gegen eine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe abwägen können. Zudem muss er sich aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, also selbstständig und aus eigener Kraft ein Urteil bilden können. Dies setzt voraus, dass es ihm bei der Testamentserrichtung möglich ist, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen (OLG München, a.a.O.).

     

    Der E litt in dem Zeitpunkt, als er die handschriftlichen Testamente errichtete, an einer vaskulären Demenz. Diese war mittelgradig bis schwer ausgeprägt, sodass ihm nicht mehr möglich war, einen freien Willen zu bilden. Hierbei hat der Senat insbesondere die Eintragungen in der Pflegeakte des E, die Befunde des Hausarztes sowie die Ausführungen des Sachverständigen berücksichtigt. Das neuropsychiatrische Störungsbild der vaskulären Demenz ist durch eine große Variabilität gekennzeichnet. Im Gegensatz zur Alzheimer Demenz steht der Gedächtnisverlust nicht im Vordergrund und auch die Einsichts- und Urteilsfähigkeit können relativ erhalten sein. Typisch sind fluktuierende Beeinträchtigungen von Funktionen des Stammhirns mit Störungen der Aufmerksamkeit, vermehrter Perseveration (Wiederholung von Worten) und Verlust der kognitiven Flexibilität, sowie Vigilanzschwankungen.

    • Ist die Demenz nur leicht ausgeprägt, kann aus forensisch-psychiatrischer Sicht i.d.R. davon ausgegangen werden, dass der Erblasser geschäfts- und testierfähig ist.

     

    • Ist die demenzielle Erkrankung mittelschwer ausgeprägt, ist zu erwägen, dass der Erblasser testierunfähig ist. Entscheidend ist das Ausmaß der kognitiven Einschränkungen, die eine eigenständige Lebensführung ohne Hilfe nicht mehr gestatten und die vielfach mit Desorientierung einhergehen. Bei eingetretener Desorientierung ist eine freie Willensbestimmung nicht mehr begründbar. Bei einer Demenz handelt es sich um eine chronisch fortschreitende, sich über Monate und Jahre erheblich verschlechternde Krankheit, die unheilbar ist. Schwankungen in der Befindlichkeit könnten zwar in den Initial- und leichteren Stadien der Erkrankung in einer forensisch-psychiatrisch relevanten Art und Weise auftreten, nicht mehr jedoch bei mittelgradigen und/oder schwersten Ausfallerscheinungen.

     

    Die belegten Orientierungsstörungen des E schließen aus, dass er einen freien Willen bilden konnte. Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die fehlende Orientierung zur eigenen Person einen weit fortgeschrittenen Krankheitsverlauf dokumentiere, ohne dass sich in der Folge die Befunde häufen müssten. Es sei anhand der Unterlagen deutlich belegt, dass sich die Orientierungsstörungen des E verschlechtert haben.

     

    Das Gericht musste weder den Hausarzt noch das Pflegepersonal vernehmen. Eine Aufklärungspflicht besteht nur insoweit, als dass das Vorbringen der Beteiligten und der festgestellte Sachverhalt Anlass geben, weiter zu ermitteln (BayObLG 18.2.03, 1 Z BR 136/02, juris). Aufgrund des Zeitablaufs wären, auch wenn der Hausarzt oder das Pflegepersonal angehört worden wären, zusätzlich zu den Stellungnahmen keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen. Die Beteiligten haben diese Einschätzung geteilt.

     

    Anfechtungserklärungen sind unerheblich

    Die beiden Anfechtungserklärungen beseitigen nicht die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments. Die erste Anfechtungserklärung wurde im Namen des E erklärt. Ein eigenes Anfechtungsrecht des E besteht jedoch nicht (MüKo/Leipold, BGB, 6. Aufl., § 2080 Rn. 2). Da die Erbeinsetzung von N und FN nicht wechselbezüglich war, konnte der E seine eigenen einseitigen Verfügungen nicht anfechten. Denn er konnte sie jederzeit nach §§ 2253 ff., 2299 BGB frei widerrufen (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 74. Aufl., § 2271 Rn. 28).

     

    Der Betreuer kann, auch wenn der Betreute testierunfähig ist, einseitige Verfügungen des überlebenden Ehegatten nicht entsprechend § 2282 Abs. 2 BGB anfechten (so aber Palandt/Weidlich, a.a.O., Rn. 27; Zimmer, NJW 07, 1713). Es gibt keine Gesetzeslücke. Dem Erblasser ist in dieser Konstellation kein Anfechtungsrecht zuzubilligen. Beim Erbvertrag kann der Erblasser durch eine Anfechtung seine Testierfreiheit wiedererlangen. Die Testierfreiheit wurde beim einseitigen Testament oder durch nicht wechselbezügliche Verfügungen von vorneherein nicht eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund wird nur eine teilweise Analogie, ein Anfechtungsrecht für den Fall eingetretener Testierunfähigkeit, gefordert (vgl. zum Streitstand Staudinger/Otte, BGB, 2013, § 2080 Rn. 32). Wie § 2282 Abs. 2 BGB zeigt, der als Ausnahmeregelung konzipiert ist, war dem Gesetzgeber die Problematik des testierunfähig gewordenen Erblassers bewusst. Beim Erbvertrag kann die Anfechtung dazu dienen, frühzeitig die Rechtslage im Interesse des Vertragspartners zu klären (Staudinger/Otte, a.a.O., § 2080 Rn. 33). Ein entsprechendes Bedürfnis besteht bei einseitigen Verfügungen des Erblassers nicht. Es ist daher von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen, die Anfechtung eines Erbvertrags durch einen gesetzlichen Vertreter des testierunfähigen Erblassers zuzulassen, die Möglichkeit der Anfechtung eines Testaments jedoch auf den Kreis der in § 2080 Abs. 1 BGB genannten Anfechtungsberechtigten zu beschränken (MüKo/Leipold, BGB, a.a.O., § 2080 Rn. 2; Staudinger/Otte, a.a.O., § 2080 Rn. 33).

     

    Auch praktische Erwägungen sprechen dagegen, § 2282 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden:

     

    • Es sind Interessenkollisionen zu befürchten. Denn oft ist der Betreuer des Erblassers mit diesem verwandt. Es können daher - wie auch hier - eigene Interessen des Betreuers mitbestimmend sein, wenn er das Anfechtungsrecht ausübt.

    • Es ist - was sich hier ebenfalls zeigt - oft schwierig, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann Testierunfähigkeit eingetreten ist, sodass häufig Rechtsunsicherheit darüber bestehen wird, ob die vom Betreuer abgegebene Anfechtungserklärung wirksam ist.

     

    Die zweite Anfechtungserklärung ist ebenfalls unwirksam. Anfechtungsberechtigt ist gem. § 2080 Abs. 1 BGB nur, wem der Wegfall der angefochtenen letztwilligen Verfügung unmittelbar zustattenkommen würde (MüKo/Leipold, a.a.O., Rn. 4). Aufgrund der Unwirksamkeit der eigenhändigen Testamente träte, wenn das gemeinschaftliche Testament wegfiele, die gesetzliche Erbfolge ein. Ein Verwandtschaftsverhältnis der AT zum E bestand nicht, sodass ein Erbrecht der AT auch im Wege der gesetzlichen Erbfolge nicht entstehen könnte. Sie hätte aus dem Wegfall des angefochtenen gemeinschaftlichen Testaments daher keinen Vorteil. Ihr steht folglich kein Anfechtungsrecht zu.

    Praxishinweis

    Wenn entsprechend der Gegenansicht eine Anfechtung auch einseitiger letztwilliger Verfügungen für möglich gehalten wird, erfolgt dies darüber, dass § 2282 BGB analog angewendet wird. Die Anfechtung bedarf der notariellen Form (§  2282 Abs. 3 BGB). Zudem muss das Betreuungsgericht die Anfechtung genehmigen, § 2282 Abs. 2, HS. 2 BGB.

     

    Weiterführender Hinweis

    • EE 13, 201 zur Testierunfähigkeit bei Demenz vom Alzheimertypus
    Quelle: Ausgabe 10 / 2015 | Seite 166 | ID 43583777