· Fachbeitrag · Vertragsrecht
Nacherbe wird durch Leihvertrag des Vorerben nicht gebunden
von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm
| Wenn ein Vorerbe einen Leihvertrag über Wohn- oder Geschäftsräume abschließt, wird der Nacherbe hieran nicht gebunden. Verträge gehen nur bei zur Erbschaft gehörenden Miet- oder Pachtverträgen über Grundstücke und eingetragene Schiffe aufgrund §§ 2135, 1056, 566 BGB über. Leihverträge gehen nicht über. Der Nacherbe kann die Räume gem. § 985 BGB herausverlangen. Deswegen wird die Erbschaft auch nicht i. S. v. § 2138 Abs. 2 BGB vermindert, wenn der Vorerbe einen langfristigen Leihvertrag abschließt. Der Vorerbe bzw. seine Erben sind ggf. schadenersatzpflichtig. |
Sachverhalt
Die Erblasserin (E) hat zwei Söhne, den Kläger (S1) und den Beklagten S2. S1 begehrt von S2 und dessen Ehefrau (F), die Herausgabe von Wohn- und Geschäftsräumen. Die E war befreite Vorerbin. Nacherben zu gleichen Teilen waren die Söhne. In den Nachlass fiel auch die streitgegenständliche Immobilie, in der sich mehrere Wohnungen sowie Geschäftsräume befinden. Die E verlieh S2 und F für 30 Jahre mehrere Wohnungen. Letztere übernahmen die Räumlichkeiten, nutzten einen Teil der Wohnräume selbst und vereinnahmten im Übrigen Miete. Die Betreuerin der E (B) focht die Gebrauchsüberlassungsvereinbarungen wegen Irrtums und Täuschung an. Sie widerrief ihre Erklärungen und berief sich auf Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit. Vorsorglich erklärte sie die fristgemäße Kündigung unter Berufung auf ein berechtigtes Interesse i. S. d. § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB. Das LG gab der Räumungsklage der E statt. Nachdem die E verstorben war und sie von ihren Söhnen zu gleichen Teilen beerbt wurde, haben S2 und F ihre Berufung gegen den S1 gerichtet. Das OLG hat die Klage abgewiesen. Die Revision ist erfolglos.
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Entscheidungsgründe
Der Rechtsstreit auf der Klägerseite wird nach dem Tod der E allein von S1 fortgeführt. Der beklagte S2 hat seine prozessuale Stellung beibehalten, obwohl er auch Miterbe zur Hälfte nach E ist (BGH EE 14, 92, Abruf-Nr. 140934). Die E, S2 und F haben Leihverträge über die im Hausanwesen befindlichen Räume geschlossen, die S2 und F gegenüber dem Herausgabeverlangen des S1 aus § 985 BGB ein Recht zum Besitz i. S. d. § 986 BGB vermitteln.
Gebrauchsüberlassungsverträge sind Leihverträge
Es handelt sich um Verträge i. S. v. § 598 BGB und nicht um Schenkungen. Denn der unmittelbare Besitz wird nur vorübergehend aus der Hand gegeben. Die Gebrauchsüberlassungsverträge waren auch nicht entsprechend § 518 BGB formbedürftig, da auf einen Leihvertrag schenkungsrechtliche Vorschriften nicht anzuwenden sind (BGHZ 82, 354). Daran ändert die lange Dauer der Verträge nichts. Auch der Ausschluss der Eigenbedarfskündigung gem. § 605 Nr. 1 BGB führt nicht dazu, dass § 518 BGB analog greift (so aber MüKo/Häublein, BGB, 6. Aufl. § 598 Rn. 14). Denn dem Verleiher steht jedenfalls die Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) offen, um sich von dem Vertragsverhältnis zu lösen, wenn es unzumutbar ist, dieses fortzusetzen (BGHZ 82, 354).
Ferner kann es dem Entleiher im Einzelfall gemäß § 242 BGB verwehrt sein, sich auf den vertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss zu berufen. Dies gilt erst recht, wenn die Vertragsparteien nahe verwandt sind (vgl. BGHZ 158, 81 zur Ausübungskontrolle bei Eheverträgen).
Gebrauchsüberlassungsverträge sind auch nicht sittenwidrig
Insbesondere wird § 2113 Abs. 2 BGB, nach dem das Recht des Nacherben vereitelnde oder beeinträchtigende unentgeltliche Verfügungen des Vorerben unwirksam sind, nicht sittenwidrig umgangen. § 2113 BGB bezieht sich allein auf Verfügungen im Rechtssinne, sodass ihm Verpflichtungsgeschäfte nicht unterfallen (MüKo/Grunsky, a.a.O., § 2113 Rn. 8, 24).
Durch den Leihvertrag des Vorerben über Räume wird dem Nachlass für den Nacherben weder das Grundstück noch sonstiges Vermögen entzogen. Der Leihvertrag verpflichtet den Nacherben schuldrechtlich nicht, weil er nicht der Rechtsnachfolger des Vorerben ist. Ein Vertragsübergang findet nur bei zur Erbschaft gehörenden Miet- oder Pachtverträgen über Grundstücke und eingetragene Schiffe nach §§ 2135, 1056, 566 BGB statt. Der Nacherbe kann mit Eintritt des Nacherbfalls vom Entleiher die Herausgabe (§ 985 BGB) verlangen.
Herausgabeanspruch scheitert an Personenidentität
Dieser Herausgabeanspruch scheitert hier daran, dass die Nacherben personenidentisch mit den Erben der Vorerbin und damit deren Rechtsnachfolger sind, weshalb die Entleiher ihnen gegenüber ein Recht zum Besitz haben, § 986 BGB. Als Erbengemeinschaft nach der E sind S1 und S2 in die Stellung als Verleiher gegenüber der F und dem S2 eingerückt. Dass S2 in einem der beiden Vertragsverhältnisse der Entleiher ist, führt dort nicht zur (teilweisen) Konfusion. Denn der Nachlass bildet ein Sondervermögen, sodass die Vereinigungswirkung von Recht und Verbindlichkeit erst eintritt, wenn aus dem Nachlass einzelne Rechte auf Miterben übertragen werden (BGH FamRZ 15, 1023, 1025).
Auch die Kündigungen der E und des S1 haben die Vertragsverhältnisse nicht beendet. Ein Kündigungsrecht der E gem. § 605 Nr. 1 BGB haben die E und S1 nicht hinreichend dargelegt. Dies gilt auch für einen wichtigen Grund i. S. d. § 314 BGB. Auch die von S1 ausgesprochene Kündigung hat nicht dazu geführt, dass der Vertrag beendet ist. Insoweit ist aber nicht entscheidend, ob eine Kündigung bei ordnungsgemäßer Verwaltung i. S. d. § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB des den Nacherben angefallenen Nachlasses erfolgen konnte. Denn die Nacherbengemeinschaft ist allein in die Eigentümerstellung eingerückt. Sie war an den Vertragsverhältnissen nicht beteiligt und konnte diese daher nicht kündigen. Für sie kommen nur aus dem Eigentum folgende Rechte in Betracht.
S1 kann sich nicht auf ein Sonderkündigungsrecht gem. oder analog § 2135, § 1056 Abs. 2 S. 1 BGB stützen, da der Leihvertrag nicht in § 2135 BGB genannt ist und keine planwidrige Regelungslücke besteht. § 2135 BGB stellt aus Gründen des Mieter- und Pächterschutzes sicher, dass der Nacherbe bei bestimmten Miet- und Pachtverhältnissen in die Rechte und Pflichten der vom Vorerben geschlossenen schuldrechtlichen Vereinbarung eintritt, und gewährt dem Nacherben ein Sonderkündigungsrecht. Für Leihverträge besteht kein entsprechendes Regelungsbedürfnis. Der Nacherbe wird aus dem vom Vorerben geschlossenen Vertrag nicht verpflichtet. Mangels Vertrag zwischen Nacherbe und Entleiher bedarf es keines Sonderkündigungsrechts für den Nacherben.
Relevanz für die Praxis
Hätte S1 die Erbschaft ausgeschlagen, hätte der Leihvertrag ihn nicht gebunden. Er hätte als Nacherbe die Herausgabe verlangen können. Denn S2 wäre alleiniger Verleiher. Dem Herausgabeanspruch der Erbengemeinschaft aus § 985 BGB stünde kein Recht zum Besitz von S2 und F gegenüber. Das Vertragsverhältnis mit S2 wäre durch Konfusion untergegangen und der Vertrag zwischen S2 als Verleiher und der F als Entleiherin würde die mit der Verleiherseite nicht personenidentische Nacherbengemeinschaft nicht verpflichten.