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  • · Fachbeitrag · Akteneinsicht

    Pflichtteilsergänzungsansprüche: Miterbe hat Grundbucheinsichtsrecht

    von RA Ernst Sarres, FA Familienrecht und Erbrecht, Düsseldorf

    Können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sein, ergibt sich das berechtigte Interesse an der Einsicht in Grundbuchblätter auch ehemaligen Grundeigentums des Erblassers allein schon zur Klärung, ob solche Ansprüche tatsächlich entstanden sind (OLG München 7.11.12, 34 Wx 360/12, ZErb 13, 8 und 42, Abruf-Nr. 130270).

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligte ist eine gesetzliche Erbin ihres im August 2011 verstorbenen Vaters. Am 25.7.12 beantragte sie die Erteilung von unbeglaubigten Grundbuchauszügen „über eventuelle Grundbesitze“ des verstorbenen Vaters. Diese benötige sie zur Klärung möglicher Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen Personen, an die Grundstücke vor dem Erbfall übertragen wurden.

     

    Auf die ablehnende Entscheidung des Urkundsbeamten legte die Beteiligte „Beschwerde“ ein. Den Rechtsbehelf hat der Rechtspfleger zurückgewiesen, da sich Ergänzungsansprüche nur aus Verträgen ergeben könnten und zudem nicht hinreichend dargelegt sei, dass solche Ansprüche bestehen. Als Miterbin könnten der Beteiligten keine Pflichtteilsergänzungsansprüche zustehen. Der Beschwerde hat das Grundbuchamt nicht abgeholfen. Die Beschwerde zum OLG führt zum Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Beteiligte hat ein berechtigtes Interesse an einer Grundbucheinsicht in dem beantragten Umfang, nämlich auf Erteilung von etwaigen unbeglaubigten Grundbuchauszügen über Grundbesitz des Erblassers, hinreichend dargetan.

     

    Ein berechtigtes Interesse nach § 12 Abs. 1 S. 1 GBO besteht, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts ein verständiges Interesse des Antragstellers dargelegt wird. Auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse kann das Recht auf Grundbucheinsicht begründen (KG NJW 02, 223).

     

    § 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität ab, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Es genügt nicht jedes beliebige Interesse.

     

    Entscheidend ist das Vorbringen sachlicher Gründe, die eine Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen. Nur in Zweifelsfällen ist dabei zu berücksichtigen, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht Betroffene grundsätzlich vor Einsichtsgewährung nicht gehört wird (BVerfG NJW 01, 503) und ihm gegen die Gewährung auch kein Beschwerderecht zusteht (BGHZ 80, 126).

     

    Anerkannt ist, dass ein Pflichtteilsberechtigter nach Eintritt des Erbfalls ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zur Regelung der erbrechtlichen Ansprüche und Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat (KG ZEV 04, 338). Dabei kann sich das Interesse nicht nur auf die Frage erstrecken, in welcher Höhe mögliche Ansprüche gegen Miterben bestehen. Ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in Grundbuchblätter ergibt sich allein zur Klärung bestehender Ansprüche, wenn Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sein können. Ein Einsichtsinteresse bezüglich ehemaligen Grundeigentums des Erblassers reicht aus.

     

    Das Interesse umfasst auch die Einsicht in die Abteilungen II und III. Die Beteiligte hat dargelegt, dass sie gesetzliche Erbin, Miterbin zu einem Viertel, ist. Auch einem gesetzlichen Erben kann ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB zustehen. Hat der Erblasser vor seinem Tod den Nachlass dadurch gemindert, dass er Schenkungen vorgenommen hat, steht einem Pflichtteilsberechtigten auch ein Ergänzungsanspruch zu, wenn er gesetzlicher oder gewillkürter Miterbe ist. Voraussetzung ist allein, dass der Wert des Hinterlassenen geringer ist als der Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils unter Hinzurechnung der verschenkten Gegenstände.

     

    Bereits durch Vorlage des Erbscheins hat die Beteiligte ihr berechtigtes Interesse hinreichend dargelegt. Damit steht fest, dass sie Miterbin ist und ihr mögliche Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche nach § 2325 Abs. 1 BGB zustehen können. Nicht verlangt werden kann dagegen die Darlegung, dass der Wert der Hinterlassenschaft tatsächlich hinter dem Pflichtteilswert zurückbleibt. Nach dem Vortrag der Beteiligten wurde von ihr ein Verzicht auf den Pflichtteil oder den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht erklärt.

     

    Darauf käme es aber auch nicht an, da für die Einsicht die abstrakte Möglichkeit eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs genügt. Anderes könnte nur gelten, wenn sich das Einsichtsbegehren als rechtsmissbräuchlich erweisen würde. Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Auch wenn der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB alle Schenkungen an Ehegatten betrifft, jedoch Schenkungen an Dritte nur, wenn seit der Schenkung keine zehn Jahre verstrichen sind, besteht kein Anlass, die beantragte Einsicht in zeitlicher Hinsicht einzuschränken.

     

    Praxishinweis

    Dieser Beschluss des OLG bestätigt eine Reihe von Entscheidungen, die das Recht auf Einsicht in Grundbuch- und Grundakten durch die gesetzlichen (Mit-) Erben beziehungsweise den Pflichtteilsberechtigten gestattet (KG, a.a.O.). Der Pflichtteilsberechtigte soll die Möglichkeit zur Prüfung erhalten, ob die Geltendmachung von Pflichtteilansprüchen wirtschaftlich und rechtlich sinnvoll erscheint. Die Informationen aus dem Grundbuch präsentieren hierzu häufig wesentliche Entscheidungsgrundlagen.

     

    Die von den meisten OLG anerkannten Einsichtsrechte sind nicht bei sämtlichen Grundbuchämtern bekannt. Daher hat die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die Ablehnung der Akteneinsicht unter Berufung auf gefestigte Rechtsprechung in der Regel gute Aussicht auf Erfolg.

     

    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 74 | ID 38409980