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  • · Fachbeitrag · Erbvertrag

    Erbvertrag setzt vertragsmäßige Verfügung voraus

    von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a.D., Vallendar

    | Ein Erbvertrag liegt nur vor, wenn in dem Vertrag zumindest eine vertragsmäßige Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 1 BGB enthalten ist. Bei einem bedingungslosen Änderungsvorbehalt fehlt es an einer vertragsmäßigen Verfügung und damit an einem Erbvertrag. So lautet die Kernaussage einer Entscheidung des OLG Hamm. |

    Sachverhalt

    Die Eheleute hatten in einer notariellen Urkunde neben ehevertraglichen Regelungen Folgendes vereinbart:

     

    • Regelung

    „Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein, sodass der Letztlebende von uns der Alleinerbe des Erstversterbenden sein soll. Jeder von uns ist berechtigt, vorstehende letztwillige Verfügung zu Lebzeiten beider Eheleute allein und ohne dass ein besonderer Grund eingetreten ist, nach Belieben zu ändern.“

     

    Der Erblasser hat später in einem formwirksam errichteten handschriftlichen Testament u. a. die vorgenannte letztwillige Verfügung widerrufen und zu seinem „alleinigen Erben“ eine bereits bestehende Stiftung eingesetzt. Dazu hat er Testamentsvollstreckung angeordnet und einen Testamentsvollstrecker ernannt. Nach dem Tod des Erblassers hat der Testamentsvollstrecker das Amt angenommen und einen Erbschein beantragt, der die Stiftung als Alleinerbin ausweist. Die Witwe des Erblassers beantragte einen Alleinerbschein mit der Begründung, dass es sich bei dem notariellen Vertrag um einen Erbvertrag handele, den der Erblasser nicht wirksam widerrufen habe.

     

    Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Witwe zurückgewiesen und die zur Begründung des gestellten Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Witwe. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Hamm zur Entscheidung vorgelegt. Nacheinem rechtlichen Hinweis hat der Testamentsvollstrecker im Beschwerdeverfahren hilfsweise beantragt, einen Erbschein zu erteilen, der die Stiftung mit einer anderen Bezeichnung als Alleinerbin ausweise, da es keine Stiftung mit der ursprünglich im Antrag genannten Bezeichnung gebe.

    Entscheidungsgründe

    Das OLG Hamm hat den Erbscheinsantrag des Testamentsvollstreckers sowie denjenigen der Witwe des Erblassers zurückgewiesen und auf den hilfsweisen Erbscheinsantrag des Testamentsvollstreckers die Tatsachen, die zur Begründung des hilfsweise gestellten Erbscheinsantrages des Testamentsvollstreckers erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt (OLG Hamm 1.4.20, 15 W 479/19, Abruf-Nr. 223281):

     

    Der Erblasser habe in seiner handschriftlich verfassten letztwilligen Verfügung die gemeinschaftlich im notariellen Vertrag getroffene letztwillige Verfügung der Eheleute wirksam geändert.

     

    Bei den notariell beurkundeten letztwilligen Verfügungen der Eheleute handele es sich nicht um einen Erbvertrag nach §§ 2274 ff. BGB. Zwar hätten die Eheleute in der Einleitung zu ihren Verfügungen erklärt, einen Ehe- und Erbvertrag beurkunden zu wollen. Sie hätten in den entsprechenden Sätzen der notariellen Urkunde allerdings keinen den Anforderungen der §§ 2274 ff. BGB genügenden Erbvertrag geschlossen. Ein Erbvertrag liege nämlich nur vor, wenn in dem Vertrag zumindest eine vertragsmäßige Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 1 BGB enthalten ist (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2278 Rn. 1). Es sei zwar eine als vertragsmäßig mögliche letztwillige Verfügung (gegenseitige Erbeinsetzung) in der notariellen Urkunde enthalten gewesen. Die weiter in der Urkunde enthaltene Erklärung eines bedingungslosen Abänderungsvorbehalts sei mit einer vertragsmäßig getroffenen Verfügung allerdings nicht zu vereinbaren. Damit fehle es an einer vertragsmäßigen Verfügung und somit an einem Erbvertrag.

     

    Es entspreche jedoch dem in der Urkunde zum Ausdruck kommenden Willen der Eheleute, die dort getroffenen letztwilligen Verfügungen als Ehegattentestament nach den §§ 2265 ff. BGB mit einem Abänderungsvorbehalt zu verstehen.

    Relevanz für die Praxis

    Der Entscheidung, ob derartige Verfügungen einseitig oder vertragsmäßiggestaltet sind, kommt aus zwei Gründen Bedeutung zu: Einmal hängt davon ab, ob der Erblasser an die Verfügung gebunden ist; denn eine Bindungbesteht nur hinsichtlich vertragsmäßiger Verfügungen, nicht hinsichtlich einseitiger (vgl. § 2299 Abs. 2 S. 1, § 2253 Abs. 1 BGB). Zum anderen muss ein Erbvertrag seiner Rechtsnatur nach (mindestens) eine vertragsmäßige Verfügung enthalten, weil es sich sonst nicht um einen (Erb-)Vertrag handelt (OLG München FGPrax 15, 88), sondern dann nur ein (gemeinschaftliches) Testament in Betracht kommen kann. Enthält die Urkunde ‒ wie hier wegen der Abänderungsbefugnis ‒ keine bindende Verfügung i. S. d. §§ 2278, 2289 BGB, ist eine Aufrechterhaltung der letztwilligen Verfügung als gemeinschaftliches Testament oder einseitiges Testament möglich, wenn sie den dafür geltendenRegeln entspricht. Nach allgemeiner Auffassung ist eine Umdeutung in ein Testament nicht nur zulässig, wenn es sich um Verfügungen von Ehegatten/Lebenspartnern handelt, sondern auch bei Einzeltestamenten (vgl. MüKo/Musielak, BGB, 8. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 2274 bis 2302, Rn. 5 m. w. N.).

     

    Die Entscheidung zeigt weiter, dass unter Geltung des Verfahrensrechts des FamFG im Beschwerdeverfahren über einen Erbscheinsantrag auch erstmals ein Hilfsantrag gestellt und sachlich beschieden werden kann, wenn dieser auf einen Lebenssachverhalt gestützt wird, der bereits Gegenstand des Verfahrens erster Instanz war und in der Sache der Anpassung des Antrags an Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens, insbesondere der Berücksichtigung eines gerichtlichen Hinweises, dient (vgl. OLG Hamm FamRZ 12, 321). Wäre der Hilfsantrag nicht für zulässig erachtet worden, hätte der (erste) Erbscheinsantrag zurückgewiesen werden müssen.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2021 | Seite 129 | ID 46898254