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  • · Fachbeitrag · Patientenverfügung

    Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ohne betreuungsgerichtliche Genehmigung

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    • 1. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Im Übrigen differenziert § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.
    • 2. Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem „irreversibel tödlichen Verlauf“ ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen kommt es nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung an (§ 1901a Abs. 3 BGB).
    • 3. Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten strenge Beweismaßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter Rechnung zu tragen haben. Dabei ist nicht danach zu differenzieren, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht.
     

    Sachverhalt

    Das Verfahren betrifft die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung der Betreuer in den Abbruch der künstlichen Ernährung einer einwilligungsunfähigen Betroffenen. Diese erlitt 2009 eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms i.S. eines Wachkomas. Sie wird über eine PEG-Magensonde ernährt. Eine Kontaktaufnahme mit ihr ist unmöglich. Das AG bestellte den Ehemann und die Tochter der Betroffenen, die Beteiligten zu 2 und 3 (im Folgenden: Betreuer) im Wege der einstweiligen Anordnung zu deren Betreuern u.a. für die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge und die Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden. Die Betreuung wurde 2010 auch in der Hauptsache angeordnet. Die Betreuer beantragten, ihnen zu genehmigen, in weitere lebenserhaltende ärztliche Maßnahmen nicht mehr einzuwilligen bzw. ihre Einwilligung in die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen zu widerrufen bzw. die Genehmigung zur Einstellung der künstlichen Ernährung zu erteilen. In der Folge beantragten sie hilfsweise, festzustellen, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung gem. § 1904 Abs. 4 BGB nicht genehmigungsbedürftig sei. Mit der Ärztin der Betroffenen bestehe Einvernehmen darüber, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung dem Willen der Betroffenen entspreche. Das AG hat den Antrag und den Hilfsantrag abgelehnt. Das LG hat die Beschwerde der Betreuer zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

     

    Entscheidungsgründe

    Die beabsichtigte Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung der einwilligungsunfähigen Betroffenen bedarf nach § 1904 Abs. 2 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung. Der Widerruf der Einwilligung in die mithilfe einer PEG-Magensonde ermöglichte künstliche Ernährung wird vom Anwendungsbereich des von § 1904 Abs. 2 BGB erfasst. Grundsätzlich bedarf es der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes droht (BGH FamRZ 03, 748, 750). Ausnahmen von der Genehmigungsbedürftigkeit liegen nicht vor.

     

    Keine wirksame Patientenverfügung

    Es liegt keine wirksame (schriftliche) Patientenverfügung gem. § 1901a Abs. 1 BGB vor. Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung i.S. des § 1901a Abs. 1 BGB nur, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die (Nicht-)Einwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn kein Therapieerfolg mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Der Betroffene muss nur umschreibend festlegen, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Es kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann.

     

    In § 1901b BGB findet sich eine klarstellende gesetzliche Regelung des zur Ermittlung des Patientenwillens erforderlichen Gesprächs zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betreuer. Liegt eine schriftliche Patientenverfügung i.S. des § 1901a Abs. 1 BGB vor und besteht Einvernehmen zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt darüber, dass deren Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung entbehrlich. Denn wegen des Fortwirkens der eigenen Entscheidung des Betroffenen bedarf es keiner Nichteinwilligung und keines Widerrufs der Einwilligung in die ärztliche Maßnahme durch den Betreuer (BT-Drucks. 16/8442 S. 11). Für den Fall des Nichtvorliegens einer bindenden Patientenverfügung kommt es auf die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gem. § 1901a Abs. 2 BGB an.

     

    Kein Einvernehmen zwischen den Betreuern und dem Arzt

    Es besteht zwischen den Betreuern und dem behandelnden Arzt kein Einvernehmen darüber, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 BGB festgestellten Willen der Betroffenen entspricht, § 1904 Abs. 4 BGB.

     

    Art und Stadium der Erkrankung sind unerheblich

    Für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell Einwilligungsunfähigen kommt es nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung an. Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem „irreversibel tödlichen Verlauf“ ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, vgl. § 1901a Abs. 3 BGB. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ist bei entsprechendem Willen des Betroffenen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG) und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich zulässig. Der Betroffene darf eine Heilbehandlung auch ablehnen, wenn sie seine ohne Behandlung zum Tod führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes weit hinausschieben könnte (BT-Drucks. 16/8442, S. 9). Aus § 1901 Abs. 3 BGB folgt, dass keine höheren Anforderungen an die Ermittlung und die Annahme von Behandlungswünschen oder des mutmaßlichen Willens zu stellen sind, wenn der Tod des Betroffenen nicht unmittelbar bevorsteht. Die zu stellenden strengen Anforderungen gelten unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht.

     

    Die betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB ist zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht, § 1904 Abs. 3 BGB. § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB differenziert zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.

     

    Auf Behandlungswünsche abstellen

    Behandlungswünsche i.S. des § 1901a Abs. 2 BGB können alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung i.S. des § 1901a Abs. 1 BGB nicht genügen. Das ist z.B der Fall, wenn sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung i.S. des § 1901a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch berücksichtigt werden (Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1901a Rn. 28). Behandlungswünsche sind insbesondere aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen. An die Behandlungswünsche des Betroffenen ist der Betreuer gem. § 1901a Abs. 2 BGB und gem. § 1901 Abs. 3 BGB gebunden. Ein allgemein gehaltener Behandlungswunsch reicht ebenso wie bei einer schriftlichen Patientenverfügung aber nicht.

     

    Abstellen auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen

    Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist abzustellen, wenn sich ein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt. Liegt eine Willensbekundung des Betroffenen vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts den Betreuer. Die Willensbekundung für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen darf vom Betreuer nicht durch einen „Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen korrigiert werden (BGH FamRZ 03, 748, 752).

     

    Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901a Abs. 2 S. 2 und 3). Der Betreuer muss prognostizieren, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte.

     

    Das LG hat nicht hinreichend aufgeklärt, ob die Betroffene in einem Gespräch mit einer Zeugin einen konkreten (vorrangigen) Behandlungswunsch i.S. von § 1901a Abs. 2 S. 1 BGB geäußert hat, mit dem sie Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation getroffen hat, die mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation übereinstimmt.

    Praxishinweis

    Wenn eine bindende Patientenverfügung vorliegt, muss der Betreuer den darin niedergelegten Willen des Betroffenen umsetzen, § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB. Das Genehmigungserfordernis des § 1904 Abs. 2 BGB greift, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 2 BGB vorliegen oder die Patientenverfügung nicht auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Da in diesem Fall der Willensbekundung des Betreuten keine unmittelbare Bindungswirkung zukommt (Palandt/Götz, a.a.O., § 1901a Rn. 17), muss der Betreuer nach § 1901a Abs. 2 BGB die Entscheidung über die (Nicht-)Einwilligung in eine anstehende ärztliche Maßnahme treffen. Dabei muss er den Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen Geltung verschaffen. Entschließt sich der Betreuer, in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen einzuwilligen, muss das Betreuungsgericht dies genehmigen, wenn nicht ein Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt vorliegt, § 1904 Abs. 4 BGB.

     

    Der BGH hat klargestellt, dass durch § 1904 Abs. 4 BGB sichergestellt werden soll, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist. Liegt kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein betreuungsgerichtliches Verfahren belastet werden (vgl. BT-Drucks. 16/8442, S. 19). Das Betreuungsgericht muss das Genehmigungsverfahren nach § 1904 Abs. 2 BGB durchführen, wenn einer der Handelnden Zweifel daran hat, ob das geplante Vorgehen dem Willen des Betroffenen entspricht (MüKo/Schwab, BGB, 6. Aufl. § 1904 Rn. 53).

     

    Im Hinblick auch auf die psychische Belastung der Angehörigen kann ein Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung auch mit dem Ziel eines sog. Negativattests gestellt werden. Auch wenn ein Einvernehmen i.S. von § 1904 Abs. 4 BGB vorliegt, muss das Betreuungsgericht ein Negativattest erteilen, aus dem sich ergibt, dass keine gerichtliche Genehmigung erforderlich ist (MüKo/Schwab, a.a.O., § 1904 Rn. 56; a.A. Palandt/Götz, a.a.O., § 1904 Rn. 22, wonach die Erteilung eines Negativattests nicht angezeigt sei).

     

    Weiterführender Hinweis

    • BGHZ 154, 205 = FamRZ 03, 748, zur Bindungswirkung einer sog. Patientenverfügung eines später einwilligungsunfähigen Patienten für den Betreuer; die vorliegende Entscheidung grenzt sich davon ab
    Quelle: Ausgabe 12 / 2014 | Seite 200 | ID 43038150