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  • · Fachbeitrag · Erbscheinsverfahren

    Nachlassgericht ist an ein das Erbrecht feststellendes zivilgerichtliches Urteil gebunden

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | In einem zivilrechtlichen Feststellungsverfahren von Erbprätendenten wird in den Grenzen der Rechtskraft über alle Einwände gegen die Wirksamkeit eines Testaments entschieden. Das Nachlassgericht ist an das Feststellungsurteil gebunden. Dazu eine Entscheidung des OLG München. |

     

    Sachverhalt

    Die Erblasserin (E) setzte im handschriftlichen Testament ihren Enkel (EN, Sohn ihrer vorverstorbenen Tochter T) als Alleinerben ein. Später errichtete sie ein notarielles Testament, in dem sie ihren Sohn (S) als Alleinerben bedachte. EN beantragte einen Alleinerbschein. Das Verfahren wurde ausgesetzt, da EN vor dem LG mit dem S als Beklagten über das Erbrecht stritt. Das LG holte ein Sachverständigengutachten ein. Es ging auf dieser Grundlage davon aus, dass die E testierunfähig war, als sie das notarielle Testament errichtete. Es stellte fest, dass EN Alleinerbe geworden sei. Die dagegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Nachlassgericht stellte fest, dass die Voraussetzungen vorliegen, um dem EN den Erbschein zu erteilen. S legte erfolglos dagegen Beschwerde ein.

     

     

    • 1. Das zivilgerichtliche Feststellungsurteil entfaltet präjudizielle Rechtskraft für das Erbscheinsverfahren in den Grenzen seiner subjektiven und objektiven Rechtskraft und bindet das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung.
    • 2. Alle Einwände gegen die Wirksamkeit des Testaments, die vor Eintritt der formellen Rechtskraft erhoben hätten werden können, bleiben im Erbscheinsverfahren unberücksichtigt, es sei denn, dass das zivilgerichtliche Urteil im Restitutionsverfahren aufgehoben wurde.

    (Abruf-Nr. 185531)

     

    Entscheidungsgründe

    Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des LG steht zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens fest, dass EN Erbe ist. Das das Erbrecht feststellende Urteil bindet in den Grenzen der subjektiven Rechtskraft das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung über den Erbschein (BayObLG FamRZ 99, 334, 335; Überblick zum Meinungsstand bei Staudinger/Herzog, BGB, 2010, § 2359 Rn. 21). Das (positive) Feststellungsurteil stellt zwischen den Parteien des Rechtsstreits (§ 325 ZPO) rechtskräftig das Erbrecht fest. Für den Umfang der Rechtskraft ist dabei einerseits maßgeblich, dass die Entscheidung über die begehrte Rechtsfolge, nicht über einzelne Ansprüche ergeht. Andererseits wird über alle denkbaren Einwendungen befunden. Der Umfang der Rechtskraft wird nicht dadurch eingeschränkt, dass Teile des vorgetragenen Sachverhalts übersehen werden (MüKo/Gottwald, ZPO, 4. Aufl., § 322 ZPO Rn. 120).

     

    Diese im Zivilprozess entschiedene Frage ist Vorfrage für das Erbscheinsverfahren. Gem. § 2353 BGB i.V.m. §§ 2358, 2359 BGB a.F., i.V.m. Art. 229, § 36 EGBGB erteilt das Nachlassgericht einen Erbschein. Die im Ausgangsprozess festgestellte Rechtsfolge (Erbrecht) entfaltet für das Folgeverfahren (Erbscheinsverfahren) präjudizielle Wirkung. So liegt es hier. Es steht zwischen den Beteiligten fest, dass EN Erbe geworden ist. Aufgrund der Rechtskraft dieser Feststellung sind weitere Einwände, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Zivilverfahren vorgelegen haben, erledigt (BGH NJW 89, 105). Auch wenn die Parteien und das Gericht Umstände nicht ge- oder erkannt, berücksichtigt oder erwogen haben und die Entscheidung dadurch falsch sein sollte, ist der Streit entschieden. S ist mit dem erstmals erhobenen Einwand, das handschriftliche Testament sei gefälscht worden, nicht mehr zu hören.

     

    Möglich ist nur, die formelle Rechtskraft zu beseitigen. Es kann vor dem Zivilgericht ggf. eine Restitutionsklage (§ 580 ZPO) erhoben werden. Die Bindungswirkung des Feststellungsurteils besteht solange fort, wie dessen formelle Rechtskraft andauert. Wäre das Testament gefälscht, was das Nachlassgericht ebenso wenig wie das Beschwerdegericht prüfen muss, kann vor dem Zivilgericht eine Restitutionsklage erhoben werden. Diese ist aber nur unter eingeschränkten Umständen möglich, vgl. § 580 Nr. 2 ZPO, § 581 ZPO.

     

    Nur unter engen Voraussetzungen kann die Rechtskraft gem. § 826 BGB überwunden werden. Es muss mit dem Gerechtigkeitsgedanken unvereinbar sein, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zulasten des Schuldners ausnutzt (BGH NJW 87, 3256). Dies kann z. B. der Fall sein, wenn nach Eintritt der Rechtskraft ein abweichendes jüngeres Testament auftaucht. Der Einwand kann aber nicht auf das gleiche Vorbringen und auf die gleichen Beweismittel gestützt werden, die schon im Vorprozess vorlagen oder hätten vorgebracht werden können (BGH NJW 64, 349 = BGHZ 40, 130).

     

    Relevanz für die Praxis

    Das Nachlassgericht ist nicht an ein rechtskräftiges Feststellungsurteil gebunden, wenn neben den Parteien des Feststellungsprozesses noch andere als Erbprätendenten in Betracht kommen, deren schutzwürdige Belange es berücksichtigen muss (KG FamRZ 96, 1572; Zimmermann, ZEV 10, 457, 461).

    Quelle: Ausgabe 07 / 2016 | Seite 114 | ID 44080815