· Fachbeitrag · Internationales
Wichtige Änderungen durch die EU-ErbVO
von Prof. Dr. Ludwig Kroiß, Vizepräsident LG, Traunstein
| Die VO über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses trat am 16.8.12 in Kraft und wird ab dem 17.8.15 gelten. Sie wird auf alle Erbfälle, die ab diesem Tag eintreten, anzuwenden sein, Art. 83, 84 EU-ErbVO. Die EU-ErbVO wird die Bearbeitung von Fällen mit Auslandsbezug erleichtern, aber nicht sämtliche Probleme lösen können. |
1. Die gravierendsten Änderungen
Die EU-ErbVO enthält folgende wichtige Neuerungen:
- Universelle Anwendung („loi uniforme“): die Kollisionsregeln sollen auch im Verhältnis zu Drittstaaten gelten, Art. 20 EU-ErbVO;
- Nachlasseinheit, Art. 21 EU-ErbVO: es soll künftig keine Differenzierung in beweglicher oder unbeweglicher Nachlass vorgenommen werden;
- Aufgabe des Staatsangehörigkeitsprinzips: die Anknüpfung erfolgt an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, Art. 21 EU-ErbVO;
- beschränkte Rechtswahlmöglichkeit, Art. 22 EU-ErbVO: der Testator kann in Form einer letztwilligen Verfügung sein Heimatrecht wählen;
- Gleichlauf: die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht werden abgestimmt, Art. 4, 5 EU-ErbVO sowie
- neu: geschaffen wird ein Europäisches Nachlasszeugnis.
Hinweis | Der Text der EU-ErbVO ist über www.iww.de/sl328 abrufbar.
2. Anwendungsbereich und Begriffsbestimmung
Die VO gilt für die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“, Art. 1 EU-ErbVO. Dazu zählt auch die Testierfähigkeit, Art. 26 Abs. 1a EU-ErbVO. Nicht dazu zählen u.a.:
- Steuer-, Zoll- und Verwaltungsangelegenheiten (Art. 1 Abs. 1 S. 2 EU-ErbVO);
- die Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen, Art. 1 Abs. 2b EU-ErbVO;
- das Ehegüterrecht, Art. 1 Abs. 2d EU-ErbVO. Fraglich ist, wie § 1371 BGB einzuordnen ist. Die h.M. qualifiziert diese Vorschrift güterrechtlich (OLG Schleswig EE 13, 199, Abruf-Nr. 133519; OLG München ZErb 12, 220). Folglich kann sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten auch um 1/4 erhöhen, wenn die Erbfolge ausländischem Recht unterliegt (a.A. OLG Stuttgart NJW 05, 2164; andere nehmen eine Doppelqualifikation an (OLG Köln ZEV 12, 205).
- Hinweis | Die EU-ErbVO klärt diese Frage nicht.
- Die EU-ErbVO regelt auch nicht die Anknüpfung von Vorfragen, wie z.B. familienrechtliche Beziehungen (Ehe, Abstammung, Adoption, Güterstand und Scheidung) oder die Zugehörigkeit von Vermögensgegenständen zum Nachlass.
- Hinweis | Damit bleibt auch das Problem der selbstständigen oder unselbstständigen Anknüpfung ungelöst. Bei der selbstständigen Anknüpfung greift das IPR der lex fori (Ort des angerufenen Gerichts). Bei einer unselbstständigen Anknüpfung greifen die Kollisionsnormen nach dem IPR der lex causae, also des auf die Hauptfrage anwendbaren Rechts.
Der territoriale Geltungsbereich umfasst die EU-Staaten, mit Ausnahme Dänemark, Großbritannien und Irland (Janzen, DNotZ 12, 484).
3. Zuständigkeit der Gerichte (Kapitel II der EU-ErbVO)
I.d.R. bestimmt sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, Art. 4 EU-ErbVO. Damit kommt es regelmäßig zum Gleichlauf zwischen dem anwendbaren Verfahrensrecht (lex fori) und dem anwendbaren materiellen Recht (lex causae).
Hat der Erblasser als Erbstatut das Recht eines Mitgliedstaats gemäß Art. 22 EU-ErbVO gewählt, können die Parteien vereinbaren, dass ein Gericht dieses Mitgliedstaates zuständig sein soll, Art. 5 Abs. 1 EU-ErbVO.
Hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, gleichwohl für die Nachlassabwicklung zuständig (Art. 10 EU-ErbVO):
- Der Erblasser muss im Zeitpunkt seines Todes die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besessen haben (Art. 10 Abs. 1a EU-ErbVO) oder, wenn dies nicht der Fall ist,
- muss der Erblasser seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat gehabt haben, sofern die Änderung dieses gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts nicht länger als fünf Jahre zurückliegt (Art. 10 Abs. 1b EU-ErbVO).
Ist kein Gericht in einem Mitgliedstaat nach Abs. 1 zuständig, sind dennoch die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich das Nachlassvermögen befindet, für die Entscheidungen über dieses Nachlassvermögen zuständig, Art. 10 Abs. 2 EU-ErbVO.
Hinweis | Probleme ergeben sich hinsichtlich der Belegenheit von Forderungen und wenn sich mehrere Erben in verschiedenen Mitgliedstaaten aufhalten.
4. Anwendbares Recht
Änderungen für das deutsche internationale Erbrecht ergeben sich daraus, dass die VO die Anknüpfung des Erbstatuts an die Staatsangehörigkeit des Erblassers (Art. 25 Abs. 1 EGBGB) beseitigt. Statt dessen verweist sie auf das am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers geltende Recht, Art. 21 EU-ErbVO. Die VO enthält keine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts. Probleme ergeben sich bei Grenzgängern, bei zeitlich begrenztem Auslandsaufenthalt, bei „Mallorca-Rentner“ und beim Gefängnisaufenthalt.
MERKE | Die mit der neuen Regelanknüpfung verbundene Abkehr vom Staatsangehörigkeitsprinzip soll auch die grenzüberschreitende Mobilität der Unionsbürger fördern (Lange, ZErb 12, 162). |
Zudem enthält Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO eine „Ausweichklausel“. Danach ist ausnahmsweise das Rechts des Staates, zu dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung hatte, anzuwenden. Voraussetzung dafür ist, dass sich dies aus der Gesamtheit der Umstände ergibt. Dies soll z.B. der Fall sein, wenn der Erblasser erst kurz vor seinem Tod den gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt und weiterhin engere Verbindungen zum vorigen Aufenthaltsstaat beibehalten hatte (Erwägungen zur EU-ErbVO (Erw.) Nr. 25).
Beachte | Sonderregeln gelten für Erbverträge, Art. 25 EU-ErbVO, gleichzeitig Versterbende (Kommorienten), Art. 32 EU-ErbVO und erbenlose Nachlässe, Art. 33 EU-ErbVO.
5. Rechtswahl
Mit der Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt ergibt sich das Problem der Wandelbarkeit des anzuwendenden Erbrechts. Das Erbrecht kann im Leben des Erblassers mehrfach wechseln, ohne dass es für die Beteiligten erkennbar ist (Süß, ZErb 09, 344). Damit ergibt sich künftig für die Erbfolge nach einem deutschen Staatsangehörigen, dass dieser nach ausländischen Recht beerbt wird, wenn er mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb Deutschlands verstirbt.
PRAXISHINWEIS | Der Erblasser kann aber durch eine Verfügung von Todes wegen die gesamte Erbfolge dem Recht des Staates unterstellen, dem er angehört, Art. 22 EU-ErbVO (Heimatrecht zur Zeit der Rechtswahl; Dörner, ZEV 10, 226.). |
Ein Ausländer wird künftig nach deutschem Recht beerbt werden, wenn er mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland verstirbt.
Beachte | Eine auf deutsches unbewegliches Vermögen beschränkte Rechtswahl, Art. 25 Abs. 2 EGBGB, wird nach Inkrafttreten der VO nicht mehr anerkannt werden.
Intertemporal wird sich die EU-ErbVO auf alle Erbfälle erstrecken, die nach Inkrafttreten eingetreten sind. Eine vor Inkrafttreten getroffene Rechtswahl bleibt wirksam, soweit sie gem. Art. 22 EU-ErbVO zulässig ist. Aus Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO ergibt sich, dass der Erblasser für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen kann,
- dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder
- im Todeszeitpunkt angehört.
Beachte | Die Rechtswahl
- kann auch isoliert für gesetzliche Erbfolge erklärt werden,
- ist auch schon „vorbeugend“ möglich, Art. 83 Abs. 2 EU-ErbVO und
- ihre materiell-rechtliche Wirksamkeit bemisst sich nach dem gewähltem Recht, Art. 22 Abs. 3 EU-ErbVO.
6. Umfang des Erbstatuts
Dem Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts bzw. dem gewählten Erbrecht unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen, Art. 23 EU-ErbVO:
Übersicht / Umfang des Erbstatuts |
Rechtsnachfolge von Todeswegen umfasst nach Art. 23 Abs. 2 EU-ErbVO insbesondere:
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Insoweit gilt nun der Grundsatz der Nachlasseinheit. Gleichwohl sind noch Fälle der Nachlassspaltung denkbar, da Rück- und Weiterverweisungen unter den Voraussetzungen des Art. 34 EU-ErbVO zugelassen werden.
7. Ordre public-Vorbehalt, Art. 35 EU-ErbVO
Der ordre public-Vorbehalt kommt in Betracht, wenn bei einer Rechtswahl nach Art. 22 EU-ErbVO auf das Heimatrecht verwiesen wird. Danach wird fremdes Recht insoweit nicht angewandt, als es gegen den inländischen ordre puplic verstoßen würde.
8. Formwirksamkeit letztwilliger Verfügungen
Die Formgültigkeit einer schriftlichen Verfügung von Todes wegen bestimmt sich nach Art. 27 EU-ErbVO. Diese Regelung ist weitgehend dem Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anwendbare Recht vom 5.10.61 nachgebildet. Für Mitgliedstaaten, die wie Deutschland bereits dem Haager Übereinkommen beigetreten sind, ist dies nach wie vor vorrangig anzuwenden, Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO (Janzen, DNotZ 12, 484, 488). Da das Haager Testamentsübereinkommen nicht für Erbverträge gilt, bemisst sich deren Formwirksamkeit bei Mitgliedstaaten nach Art. 27 EU-ErbVO.
9. Materielle Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen
Die materielle Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen außer Erbverträgen richtet sich nach dem hypothetischen Erbstatut, Art 24 Abs. 1 und 3 EU-ErbVO. D.h. nach dem Recht, das nach der EU-ErbVO anzuwenden wäre, wenn die Person, die die Verfügung errichtet hat, zu diesem Zeitpunkt verstorben wäre. Was die materielle Wirksamkeit von Erbverträgen anbelangt, können die Parteien diesen dem Recht eines Staates unterstellen, das zumindest einer der Beteiligten hätte wählen können, Art. 25 EU-ErbVO. Zur materiellen Wirksamkeit i.S. der Art. 24 und 25 EU-ErbVO zählt nach Art. 26 EU-ErbVO:
- die Testierfähigkeit der Person, die die Verfügung von Todes wegen errichtet (Art. 26 Abs. 1a EU-ErbVO);
- die besonderen Gründe, aufgrund deren die Person, die die Verfügung errichtet, nicht zugunsten bestimmter Personen verfügen darf oder aufgrund deren eine Person kein Nachlassvermögen vom Erblasser erhalten darf (Art. 26 Abs. 1b EU-ErbVO);
- die Zulässigkeit der Stellvertretung bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen (Art. 26 Abs. 1c EU-ErbVO);
- die Auslegung der Verfügung (Art. 26 Abs. 1d EU-ErbVO);
- Täuschung, Nötigung, Irrtum und alle sonstigen Fragen in Bezug auf Willensmängel oder Testierwillen der Person, die die Verfügung errichtet (Art. 26 Abs. 1e EU-ErbVO).
Hat eine Person nach dem nach Art. 24 oder 25 EU-ErbVO anzuwendenden Recht die Testierfähigkeit erlangt, beeinträchtigt ein späterer Wechsel des anzuwendenden Rechts nicht ihre Fähigkeit, die Verfügung zu ändern oder zu widerrufen, Art. 26 Abs. 2 EU-ErbVO.
10. Europäisches Nachlasszeugnis
Das Europäische Nachlasszeugnis soll Erben und Testamentsvollstreckern bei grenzüberschreitenden Sachverhalten erleichtern, ihre Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedsstaat nachzuweisen, Art. 63 Abs. 1 EU-ErbVO. Dieser Zweck ist dem Nachlassgericht gegenüber nachzuweisen, Art. 65 Abs. 3f EU-ErbVO.
Übersicht / Europäisches Nachlasszeugnis |
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Weiterführende Hinweise
- Gottwald, Die europäische Erbrechtsverordnung 2012, EE Sonderausgabe, 2013
- Lange, Das geplante Europäische Nachlasszeugnis, DNotZ 12, 168
- Remde, Die Europäische Erbrechtsverordnung nach dem Vorschlag der Kommission vom 14.10.09, RNotZ 12, 65
- Vollmer, Die neue europäische Erbrechtsverordnung - ein Überblick, ZErb 12, 227