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  • · Nachricht · Versammlungsrecht

    Protestveranstaltung auf einem Friedhof

    | Das BVerfG hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einem Bußgeld wegen Verstoßes gegen eine Friedhofssatzung und Belästigung der Allgemeinheit richtet. Der Beschwerdeführer hatte während einer Gedenkveranstaltung auf einem Friedhof ein Transparent enthüllt, um gegen deren Zielrichtung zu protestieren (BVerfG 20.6.14, 1 BvR 980/13). |

     

    Die Stadt Dresden veranstaltete eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Heidefriedhofs zur Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie die Opfer des Alliierten Bombenangriffs auf Dresden am 13.2.45. Die Beteiligung daran stand der gesamten Bevölkerung offen. Der Beschwerdeführer (Bf) erhob - mit weiteren Personen etwa fünfzig Meter vor der Gedenkmauer postiert - entlang des Hauptweges des Gedenkzuges ein Transparent mit dem Schriftzug: „Es gibt nichts zu trauern - nur zu verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft - destroy the spirit of Dresden. Den Deutschen Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion“. Damit wollte der Bf bekunden, dass er mit der Zielrichtung des Gedenkganges nicht einverstanden sei und gegen diesen ein Zeichen setzen. Das Transparent war für den Trauerzug wenige Minuten sichtbar, bevor Polizeibeamte den Bf dazu bewegten, es wieder einzurollen. Die Gedenkveranstaltung konnte anschließend wie geplant durchgeführt werden. Der Bf wendet sich gegen seine Verurteilung zu einer Geldbuße wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Friedhofssatzung und vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit nach § 118 Abs. 1 OWiG. Einen Bußgeldbescheid der Stadt Dresden bestätigte das AG mit Urteil. Die Rechtsbeschwerde des Bf blieb vor dem OLG ohne Erfolg.

     

    Die Zusammenkunft und das Entrollen des Transparents fallen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG. Der Bf hat an einer Versammlung i.S. des Art. 8 Abs. 1 GG teilgenommen. Die Zusammenkunft hatte den Zweck, gegen das Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen. Es handelte sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Auf dem Friedhof war ein kommunikativer Verkehr eröffnet. Der Gedenkzug diente auch dazu „ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen“ und nutzte so den Friedhof zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Daher kann sich der Bf für seine Zusammenkunft auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen, zumal sein Protest konkret auf das Anliegen des Gedenkzuges bezogen ist.

     

    Die Entscheidung des AG verkennt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit; weiter fehlt es an einer verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung in der Sache. Es geht davon aus, dass es an einer Versammlung fehle, weil diese nicht entsprechend der Friedhofssatzung angemeldet worden war. Eine Versammlung i.S. des Art. 8 Abs. 1 GG hängt jedoch nicht von einer Genehmigung oder Anmeldung ab. Selbst wenn man in der Aufforderung durch die Polizisten, das Transparent einzurollen, eine Versammlungsauflösung sehen möchte, knüpft die Verurteilung des Bf doch an sein vorheriges Verhalten an. Der Schutz durch die Versammlungsfreiheit entfällt nur ab dem Zeitpunkt der Auflösung. Es fehlt auch an einer hinreichenden Abwägung, ob die Verurteilung des Bf mit Blick auf die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist. Für den in § 118 Abs. 1 OWiG verwendeten Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des GG zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird. Bei der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes hätte das AG daher die Versammlungsfreiheit des Bf in seine Entscheidungsfindung miteinbeziehen müssen. Es hätte einer Auseinandersetzung damit bedurft, warum die Ausübung des Versammlungsgrundrechts der öffentlichen Ordnung widerspricht, während auf dem Heidefriedhof zur gleichen Zeit eine große Gedenkveranstaltung, zu der öffentlich aufgerufen wurde und die über das Gedenken hinaus ein „Zeichen“ setzen wollte, stattfindet und sich der Bf gezielt im Wege stillen Protests gegen diese wendet.

     

    Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 69/2014 vom 5.8.14

    Quelle: ID 42866885