· Fachbeitrag · Schenkungsteuer
Zur Unbestimmtheit von Steuerbescheiden bei mehreren Schenkungsvorgängen
von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, FA Steuerrecht, Magdeburg
| Mehrere Steuerfälle erfordern grundsätzlich entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder ‒ bei Zusammenfassung in einem Schriftstück ‒ die genaue Angabe, welche Besteuerungstatbestände dem Steuerbescheid zugrunde liegen, sowie eine gesonderte Steuerfestsetzung für jeden einzelnen Steuerfall. Dies hat der BFH entschieden. Das Urteil hat über den Entscheidungsfall hinaus grundsätzliche Bedeutung. |
Sachverhalt
Der Kläger A unternahm mit seiner Lebensgefährtin B eine fünfmonatige Weltreise. Sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Reise wurden von A allein getragen. Er erklärte eine Zuwendung an B in Höhe von etwa 10 Prozent der Gesamtkosten und gab an, die Schenkungsteuer (SchenkSt) zu übernehmen. Das Finanzamt (FA) legte der Steuerfestsetzung gegen A einen steuerpflichtigen Erwerb der B in Höhe von rund 50 Prozent der Gesamtkosten zugrunde. Das FG gab der Klage statt. A habe B zwar ein eigenes, aber kein frei verfügbares Forderungsrecht auf Durchführung der Reise verschafft. Die Frage, ob der Bescheid bereits mangels konkreter Bezeichnung des Steuertatbestands nichtig sei, könne dahinstehen. Dieser Begründung folgte der BFH nicht (BFH 16.9.20 II R 24/18, Abruf-Nr. 221542), gleichwohl wies er die Revision des FA zurück.
Entscheidungsgründe
Schriftliche Steuerbescheide müssen inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO), so der BFH. Die mangelnde Bestimmtheit führt zur Nichtigkeit. Mehrere Steuerfälle erfordern eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden. Erfolgt eine Zusammenfassung in einem Schriftstück, bedarf es der genauen Angabe, welche Besteuerungstatbestände dem Bescheidzugrunde liegen, sowie eine gesonderte Steuerfestsetzung für jeden einzelnen Lebenssachverhalt. Eine nicht aufgegliederte Zusammenfassung ist unzulässig (BFH 30.8.17, BStBl II 19, 38, Rn. 17). Allerdings ist die Bezugnahme auf Anlagen oder Unterlagen zulässig, die sich in Händen des Steuerpflichtigen befinden (BFH 17.12.14, BStBl II 15, 619, Rn. 17).
Eine gesonderte Festsetzung der SchenkSt für jeden einzelnen Schenkungsvorgang ist ausnahmsweise verzichtbar, wenn bei nicht aufgegliederterZusammenfassung mehrerer Steuerfälle gleichwohl eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfasst werden. Es genügt dann die Angabe des mutmaßlichen Zuwendungszeitraums und eines einheitlichen (Schätz-)Betrags (BFH 30.8.17, BStBl II 19, 38, Rn. 18). Hiervon ausgehend war der Bescheid mangels konkreter Angabe der einzelnen Zuwendungen wegen Nichtigkeit aufzuheben. Der Bescheid genügt nicht den Bestimmtheitsanforderungen des § 119 Abs. 1 AO, da keine einheitliche Zuwendung vorliegt. Vielmehr handelt es sich bei der Übernahme der Kosten für die Kabine und die anderen Ausgaben jeweils um einzelne und voneinander zu unterscheidende selbstständige Leistungen. Selbst wenn alle Aufwendungen auf einem einheitlichen Schenkungsversprechen beruhen sollten, fehlt es jedenfalls an einem einheitlichen Steuerentstehungszeitpunkt. Die Versprechen wären zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfüllt worden.
Relevanz für die Praxis
Gerade im Bereich der Schenkungen kommt es oft vor, dass keine einheitliche Zuwendung vorliegt. Deshalb muss jede Leistung darauf geprüft werden, ob es sich um einen schenkungsteuerpflichtigen Vorgang handelt. Da die einzelnen Zuwendungen unterschiedliche rechtliche Wege nehmen können (z. B. Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung), muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, welcher einzelne Lebenssachverhalt besteuert wird. Dies gilt auch hinsichtlich des genauen Zuwendungszeitpunkts, da dieser für die Berücksichtigung von Vorschenkungen nach § 14 ErbStG und die Inanspruchnahme der Steuerfreibeträge gem. § 16 ErbStG alle zehn Jahre wichtig ist. Wegen der Nichtigkeit muss die Finanzverwaltung die Schenkungsteuer, falls noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, neu festsetzen.
MERKE | Es ist daher empfehlenswert, insbesondere Schenkungsteuerbescheide unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze auf Nichtigkeitsgründe zu überprüfen. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist nach § 124 Abs. 3 AOunbeachtlich; seine Nichtigkeit kann unbefristet geltend gemacht werden. Ein Rechtsbehelf gegen einen nichtigen Bescheid braucht daher nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist eingelegt zu werden, sondern ist fristlos zulässig. |
Wegen der Nichtigkeit des Steuerbescheids war folgende Frage durch den BFH nicht zu entscheiden: Liegt bei gemeinsamem Konsum von Gütern von demjenigen, der den gemeinsamen Konsum finanziert, an den anderen konsumierenden Partner überhaupt eine Schenkung i. S. d. § 7 Abs. 1 ErbStG vor oder fehlt es bereits an einer schenkungsausschließenden Bereicherung. Diese Abgrenzung hat für die Praxis erhebliche Bedeutung, da der BFH selbst bei Ehegatten oder Lebenspartnern sog. ehebedingte unbenannte Zuwendungen schenkungsteuerrechtlich nicht mehr privilegiert, auch wenn sie den engeren Kern der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft berühren (seit BFH 2.3.94, DStR 94, 615). Selbst wenn bei gemeinsamem Konsum eine eigenständige Verfügungsmöglichkeit/Bereicherung des „finanzierten“ Ehegatten oder Lebenspartners bejaht wird, ist sodann zu prüfen, ob der Erwerb nicht nach § 13 ErbStG steuerfrei bleibt, z. B. weil die Zuwendung als Unterhaltsleistung (§ 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG) oder Gelegenheitsgeschenk (§ 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG) zu bewerten ist. Hierbei ist zu bestimmen, wie die Voraussetzungen der „Angemessenheit“ i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG und der „Üblichkeit“ i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG zu verstehen sind und welche Bedeutung die Lebensverhältnisse der Ehegatten/Lebenspartner/Partner haben. Es wäre begrüßenswert, wenn der BFH Gelegenheit erhält, sich zu diesen Fragestellungen zu äußern.
Weiterführende Hinweise
- Schlünder/Geißler, Schenkungsteuerfreie Zuwendungen zwischen Ehegatten, ZEV 05, 505
- Wefers/Carlé, Freigebige Zuwendungen unter Ehegatten ‒ Gemeinsamer Tisch, gemeinsames Bett, gemeinsames Konto?, ErbStB 13, 48