05.08.2011 | Vorweggenommene Erbfolge
Ausgleichung und Anrechnung bei vorweggenommener Erbfolge
von RA StB Dr. Claudia Klümpen-Neusel, PwC AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt a.M.
Schenkungen an einzelne Abkömmlinge im Wege vorweggenommener Erbfolge können später - im Erbfall - verrechnet werden, wenn insgesamt alle Abkömmlinge gleich behandelt werden sollen.
1. Einleitung
Das BGB bietet verschiedene Wege an, um dieses Ziel zu erreichen: Es kennt die Erbausgleichung (§ 2050 BGB) und die Pflichtteilsanrechnung (§ 2315 BGB) sowie eine Kombination beider Rechtsinstitute (§ 2316 BGB). Der folgende Beitrag stellt die verschiedenen Möglichkeiten vor und geht dabei auch auf ein Urteil des BGH vom 27.1.10 (IV ZR 91/09, NJW 10, 3023) ein. Der BGH hatte sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche inhaltliche Bedeutung dem Begriff der vorweggenommenen Erbfolge in Übergabeverträgen im Zusammenhang mit Ausgleichs- und Anrechnungspflichten beizumessen ist.
2. Erbausgleichung
§ 2050 BGB normiert im Wesentlichen zwei verschiedene Ausgleichspflichten. Gemäß § 2050 Abs. 1 BGB haben Abkömmlinge, die als gesetzliche Erben zur Erbfolge berufen sind, dasjenige bei der Erbauseinandersetzung untereinander auszugleichen, was sie zu Lebzeiten vom Erblasser als Ausstattung erhalten haben. Die Ausgleichspflicht besteht jedoch nur insoweit, als der Erblasser bei der Zuwendung im Schenkungsvertrag nicht etwas anderes angeordnet hat.
- § 2050 Abs. 1 BGB bestimmt für Ausstattungen damit als Regel die Ausgleichspflicht, als Ausnahme die Befreiung von der Ausgleichspflicht.
- § 2050 Abs. 3 BGB legt für „andere Zuwendungen“ unter Lebenden fest, dass diese nur zur Ausgleichung zu bringen sind, wenn der Erblasser dies bei der Zuwendung anordnet. Als Regel gilt für „andere Zuwendungen“, die keine Ausstattung sind, folglich keine Ausgleichung, während die Ausgleichspflicht nur die Ausnahme darstellt.
Praxishinweis |
Da Ausstattungen heutzutage eher selten anzutreffen sind, darf verallgemeinernd festgehalten werden: Lebzeitige Schenkungen werden im Erbfall nicht ausgeglichen (Regel), es sei denn, der Erblasser hat bei der Zuwendung die Ausgleichung angeordnet (Ausnahme). |
Das Gesetz sieht eine Ausgleichspflicht nur unter Abkömmlingen vor. Andere Erben müssen grundsätzlich weder ihre Schenkung ausgleichen, noch steht ihnen selbst ein Ausgleichsanspruch gegen miterbende Abkömmlinge des Erblassers zu.
Praxishinweis |
Will der Erblasser erreichen, dass über die gesetzliche Grundregel hinaus auch Nicht-Abkömmlinge als spätere Erben eine Ausgleichungs- oder Anrechnungspflicht trifft, muss er zwingend eine entsprechende Anordnung in sein Testament aufnehmen. Die Anordnung einer Ausgleichungs- oder Anrechnungspflicht allein im Schenkungsvertrag wäre hier nicht ausreichend, da der Erblasser mit dieser Anordnung Vorgaben für die Auseinandersetzung seines Nachlasses macht. Für letztwillige Verfügungen sieht das Gesetz ausschließlich die Form eines Testamentes oder Erbvertrags vor, nicht hingegen die Form eines Schenkungsvertrags. |
Die Ausgleichungspflicht gilt bei gesetzlicher Erbfolge über § 2052 BGB aber auch dann, wenn der Erblasser die Abkömmlinge per letztwilliger Verfügung auf ihren gesetzlichen Erbteil oder die Abkömmlinge untereinander im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile als Erben eingesetzt hat. Um die Höhe des Erbanspruchs nach Ausgleichung zu berechnen, muss der Nachlass um den Wert der ausgleichspflichtigen Schenkung erhöht und auf die Erben aufgeteilt werden. Beim Erwerber der lebzeitigen Zuwendung ist dann der Vorausempfang abzuziehen.
Beispiel 1 |
Mutter M schenkt ihrer Tochter T zu Lebzeiten einen Geldbetrag von 300.000 EUR. Sie verfügt im Schenkungsvertrag, dass T die Zuwendung im Verhältnis zu ihrem Bruder ausgleichen muss. M verstirbt und hat ihre beiden Kinder T und S zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Der Wert des Nachlasses beläuft sich auf 1,4 Mio. EUR.
Lösung: Der Wert des Nachlasses zuzüglich des ausgleichungspflichtigen Vorausempfangs beträgt (1,4 Mio. EUR + 300.000 EUR =) 1,7 Mio. EUR. Hiervon erben T und S jeweils 50 %, also 850.000 EUR. T hat sich auf ihre 850.000 EUR jedoch den Vorausempfang von 300.000 EUR anrechnen zu lassen. Mithin erhält T aus dem Nachlass nur ((1/2 x 1,7 Mio. EUR) ./. 300.000 EUR =) 550.000 EUR. |
Hätte M die T enterbt und hätte T dementsprechend ein Pflichtteilsanspruch gegen S zugestanden, wäre auch bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der ausgleichspflichtige Vorempfang zu berücksichtigen gewesen. Der Pflichtteil der T hätte sich dann nämlich nur auf der Basis des um die Ausgleichung gekürzten Erbteils der T berechnet (§ 2316 Abs. 1 BGB). Der T hätten somit nur 1/2 x 550.000 EUR = 275.000 EUR zugestanden. Bei hohen lebzeitigen Zuwendungen kann der Empfänger im Erbfall aufgrund der Ausgleichung sogar leer ausgehen.
Beispiel 2 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mutter M schenkt ihrer Tochter T zu Lebzeiten einen Geldbetrag von 1 Mio. EUR. Sie verfügt im Schenkungsvertrag, dass T die Zuwendung im Verhältnis zu ihren beiden Brüdern S1 und S2 auszugleichen hat. Auch S1 erhält eine Zuwendung mit Ausgleichsverpflichtung von 200.000 EUR. S2 erhält nichts. M verstirbt und hat ihre Kinder T, S1 und S2 zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Der Wert des Nachlasses beträgt 1,2 Mio. EUR. Der Erbanspruch der Kinder müsste sich nun eigentlich wie folgt berechnen:
T hat 200.000 EUR zu viel erhalten und müsste daher eigentlich 200.000 EUR in den Nachlass zurückzahlen. Ein solches Ergebnis wird jedoch durch § 2056 BGB verhindert. Nach dieser Vorschrift scheidet ein Abkömmling bei der Berechnung aus, wenn er zu Lebzeiten mehr erhalten hat, als ihm aufgrund seines Auseinandersetzungsguthabens zustünde. Eine Rückzahlungspflicht besteht nicht! Eine Ausgleichung erfolgt dann nur noch unter den verbleibenden Abkömmlingen. In Beispiel 2 wird der Erbanspruch daher ohne Berücksichtigung der T berechnet:
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Obwohl T aus dem Nachlass nichts mehr erhält, bleibt sie rechtlich Miterbin, wird als solche im Erbschein ausgewiesen und haftet zusammen mit den anderen Miterben für die Nachlassverbindlichkeiten.
3. Pflichtteilsanrechnung
Während Vorempfänge einzelner Miterben gegebenenfalls unter diesen auszugleichen sind, werden Vorempfänge eines pflichtteilsberechtigten Nichterben auf dessen Pflichtteil angerechnet. Ähnlich wie die Ausgleichung „anderer Zuwendungen“ erfolgt die Anrechnung eines Vorempfangs auf den Pflichtteil nur, wenn und soweit es der Erblasser bei der Zuwendung angeordnet hat (§ 2315 Abs. 1 BGB).
Praxishinweis |
Die Anordnung der Pflichtteilsanrechnung muss wie die Anordnung der Erbausgleichung vor oder mit der Zuwendung erfolgen. Sie kann - sofern der spätere Erblasser sich das Recht nicht im Übergabevertrag vorbehalten hat - nicht nachträglich nachgeholt werden. Der Zuwendungsempfänger soll im Zeitpunkt der Schenkung die Konsequenzen kennen, die sich aus der Zuwendung für einen späteren Erbfall ergeben können, und die Möglichkeit haben, die Zuwendung nicht anzunehmen.
Will der Erblasser nachträglich eine Erbausgleichung herbeiführen, kann er dies nur über entsprechende wertmäßige Vorausvermächtnisse zugunsten der anderen Miterben. Da der Pflichtteil im Gegensatz zum Erbteil grundsätzlich unentziehbar ist, reicht hier eine einseitige Verfügung des Erblassers nicht aus. Vielmehr erfordert eine nachträgliche Pflichtteilsanrechnung die Einwilligung des Pflichtteilsberechtigten sowie - als beschränkter Pflichtteilsverzicht - eine notarielle Beurkundung (§ 2346 Abs. 2 BGB, § 2348 BGB). |
Ähnlich wie bei der Erbausgleichung wird auch bei der Pflichtteilsanrechnung der Wert der Zuwendung dem Nachlass hinzugerechnet, aus der sich daraus ergebenden Summe der fiktive Pflichtteilsanspruch ermittelt und dieser schließlich um den anrechnungspflichtigen Vorempfang gekürzt.
Beispiel 3 |
Mutter M schenkt ihrer Tochter T zu Lebzeiten einen Geldbetrag von 300.000 EUR. Sie verfügt im Schenkungsvertrag, dass sich T die Zuwendung auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen muss. M verstirbt und wird von ihrem Sohn S als Alleinerben beerbt. Der Wert des Nachlasses beträgt 1,4 Mio. EUR.
Lösung: Der Wert des Nachlasses zuzüglich der Vorausempfänge beläuft sich auf (1,4 Mio. EUR + 300.000 EUR =) 1,7 Mio. EUR. Der Pflichtteil der T beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, also (1/2 x 1/2 x 1,7 Mio. EUR = 1/4 x 1,7 Mio. EUR =) 425.000 EUR. Nach Abzug (Anrechnung) der 300.000 EUR Vorausempfang verbleiben 125.000 EUR, die T jetzt noch als Pflichtteilsanspruch zustehen. |
Sind mehrere anrechnungspflichtige Pflichtteilsberechtigte vorhanden, findet für jeden einzelnen Pflichtteilsberechtigten eine gesonderte Berechnung des Auszahlungsanspruchs statt. Bei unterschiedlich hohen Vorausempfängen können folglich unterschiedlich hohe Ausgangswerte für den jeweiligen anzusetzenden Nachlass zu berücksichtigen sein.
4. Zusammentreffen von Ausgleichs- und Anrechnungspflicht
Neben der reinen Ausgleichung oder der reinen Anrechnung kann ein Vorempfang aber auch beides, nämlich sowohl ausgleichs- als auch anrechnungspflichtig sein.
Beispiel 4 |
Mutter M schenkt ihrer Tochter T zu Lebzeiten einen Geldbetrag von 300.000 EUR. Sie verfügt im Schenkungsvertrag, dass T im Erbfall die Zuwendung im Verhältnis zu ihrem Bruder auszugleichen hat und dass sich T die Zuwendung auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen muss. M verstirbt und wird von ihrem Sohn S als Alleinerben beerbt. Der Wert des Nachlasses beträgt 1,4 Mio. EUR.
Lösung: Wie in einem solchen Fall der verbleibende Pflichtteilsanspruch der T zu berechnen ist, regelt § 2316 Abs. 1 i.V. mit Abs. 4 BGB. Demnach ist nun zunächst der fiktive Erbanspruch der T nach Ausgleichung zu ermitteln. Auf der Basis dieses reduzierten Erbteils ist dann der fiktive Pflichtteilsanspruch zu berechnen, der schließlich um den Wert des Vorempfangs gekürzt wird.
Schritt 1: Erbteil der T nach Ausgleichung Die gesetzliche Erbquote der T beträgt 1/2. Der Wert des Nachlasses zzgl. der ausgleichspflichtigen Schenkung beläuft sich auf (1,4 Mio. EUR + 300.000 EUR =) 1,7 Mio. EUR. Dementsprechend errechnet sich ein fiktiver Erbteil der T nach Berücksichtigung des Vorempfangs von ((1/2 x 1,7 Mio. EUR) ./. 300.000 EUR =) 550.000 EUR. Als Pflichtteil nach Ausgleichung sind damit anzusetzen: (1/2 x 550.000 EUR =) 275.000 EUR.
Schritt 2: Anrechnung der Zuwendung auf Pflichtteil Nach § 2316 Abs. 4 BGB sind (1/2 x 300.000 EUR =) 150.000 EUR auf den Pflichtteil anzurechnen. Der konkrete Pflichtteilsanspruch der T nach Ausgleichung und Anrechnung beträgt (275.000 EUR ./. 150.000 EUR =) 125.000 EUR. |
5. Das Urteil des BGH zur „vorweggenommenen Erbfolge“
Ausgleichung oder Anrechnung einer Zuwendung auf den Erb- oder Pflichtteil finden nur statt, wenn der Erblasser dies vor oder während der Zuwendung anordnet. Aus Beweisgründen bietet es sich daher immer an, die Anordnung unmittelbar in den Schenkungsvertrag aufzunehmen.
Praxishinweis |
Um erst gar keine Zweifel am Willen des Schenkers aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich umgekehrt auch in den Schenkungsvertrag aufzunehmen, dass eine Ausgleichung und/oder eine Anrechnung nicht gewünscht sind. |
In dem Fall, der dem Urteil des BGH vom 27.1.10 (IV ZR 91/09, NJW 10, 3023) zugrunde lag, hatte die Mutter zu Lebzeiten einen Betrieb auf ihren Sohn übertragen. Gemäß dem Schenkungsvertrag geschah dies „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich“. Als die Mutter verstarb, wurde sie von ihrer Tochter und deren Kindern beerbt. Der Sohn war im Testament der Mutter nicht mehr bedacht worden. Ihm stand daher lediglich ein Pflichtteilsanspruch gegen die Erbengemeinschaft zu. Wie aber war dieser Pflichtteilsanspruch nun zu berechnen? Hatte die Mutter mit der Verfügung im Schenkungsvertrag, die Zuwendung erfolge „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ eine Ausgleichspflicht, eine Anrechnungspflicht, eine Kombination beider Möglichkeiten oder nichts dergleichen gemeint?
Wie die Berechnungen in den Beispielen zeigen, wirkt sich die Beantwortung dieser Fragen zum Teil erheblich auf die Höhe des dem Sohn noch zustehenden Anspruchs aus. Bei gleichem Zahlenmaterial in den genannten Beispielen ergeben sich Pflichtteilsansprüche in unterschiedlicher Höhe.
Höhe des Pflichtteilsanspruchs | ||||||||
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Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass die Bestimmung, eine Zuwendung erfolge „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ nicht zwingend nur eine Ausgleichs- oder nur eine Anrechnungspflicht beinhalte. Grundsätzlich sei der Begriff auslegungsbedürftig, da der Schenker damit sowohl das eine als auch das andere gemeint haben könnte. Alleine der Begriff „vorweggenommene Erbfolge“ spricht nicht ohne Zweifel für oder gegen eine Ausgleichung oder eine Anrechnung.
Der spätere Erblasser ist damit gut beraten, im Schenkungsvertrag ausdrücklich die entsprechenden Pflichten zu bestimmen. Hierfür bietet sich folgende Formulierung an:
Musterformulierung |
Der Erwerber hat den Wert der Zuwendung im Verhältnis zu den übrigen Abkömmlingen des Schenkers (nicht) auszugleichen. Er muss sich den Wert der Zuwendung auf seinen Pflichtteil nach dem Schenker (nicht) anrechnen lassen. |