· Fachbeitrag · EU-Erbrechtsverordnung
Ausnahme vom gewöhnlichen Aufenthalt
von RAin Frederike Borsdorff, LL.M., Hamburg
| Mit Inkrafttreten der EU-ErbVO zum 1.8.15 wird sich das auf die Erbfolge eines Erblassers anzuwendende Recht grundsätzlich nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes richten. Die Ausnahme bestätigt die Regel - so auch in der neuen EU-ErbVO. Hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat, richtet sich die Erbfolge nach dem Recht dieses Staates. |
1. Grundsatz- und Ausnahmeregelung
Grundsatz- und Ausnahmeregelung sind in Kapitel III Art. 21 Abs. 1 und 2 EU-ErbVO Allgemeine Kollisionsnormen geregelt:
- Sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. (Abs. 1)
- Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach dem Abs. 1 anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses Staates anzuwenden. (Abs. 2)
2. Praxisfall
M hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Er ist als Gesellschafter an dem von seinem Großvater gegründeten Familienunternehmen beteiligt. Stammsitz des Unternehmens ist Hamburg. M ist für den Ausbau der weiteren Europäischen Standorte verantwortlich. Nachdem M in den letzten Jahren zunächst in London die UK Filiale leitete und anschließend mit seiner Familie nach Rom weiterzog, um dort den italienischen Standort aufzubauen, steht nun der Wechsel nach Bukarest an. Die Ehefrau F ist es leid, nach nur wenigen Jahren wieder umzuziehen und die gemeinsamen Kinder in Bukarest auf einer neuen Schule einzugewöhnen. M und F beschließen daher, dass der gemeinsame Familienwohnsitz Hamburg sein soll, wo die Ehefrau mit den Kindern in der Familienvilla wohnen wird.
Die Kinder sollen in Hamburg zur Schule gehen. M wird am Wochenende - so oft es geht - nach Hamburg pendeln. Unter der Woche arbeitet er in Bukarest, wo er zur Miete wohnt. Wie lange er in Bukarest beruflich bleiben wird, ist noch ungewiss. Voraussichtlich steht für ihn in drei Jahren ein weiterer Wechsel in ein anderes europäisches Land an. Seine wesentlichen Vermögenswerte hat M bei einer Hamburger Privatbank angelegt. M verstirbt im September 2015 bei einem Flugzeugunglück kurz nach seinem Umzug nach Bukarest. Ein Testament hat M nicht hinterlassen.
3. Nach welchem Erbstatut richtet sich die Erbfolge des M?
Fraglich ist, welches Recht auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach M zur Anwendung kommt.
3.1 Erbfolge nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts
Der Fall ist nicht eindeutig. Grundsätzlich bestimmt sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen gemäß Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO nach dem Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auf eine Definition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ wird in der EU-ErbVO verzichtet. Eine Anlehnung an den Begriff des „Daseinsmittelpunktesg“ als Schwerpunkt der familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen im Sinne des Haager Übereinkommens liegt nahe (Dörner, ZEV 10, 221, 225). Beruflicher Daseinsmittelpunkt und damit Indiz für den gewöhnlichen Aufenthalt des M zum Zeitpunkt seines Todes war Bukarest, was für die Anwendung des rumänischen Erbrechts spräche.
3.2 Ausnahmetatbestand des Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO
Da M jedoch erst kurz vor seinem tödlichen Unfall nach Bukarest verzogen ist, ein weiterer Wohnortwechsel in den nächsten Jahren ansteht und seine familiären und sozialen Beziehungen zu Deutschland offensichtlich besonders eng waren, kommt hier möglicherweise der Ausnahmetatbestand des Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO zu Anwendung. Die Erbfolge nach M würde sich dann nach deutschem Erbrecht richten.
Bei der Bestimmung des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts kann die mit der Erbsache befasste Behörde in Ausnahmefällen - in denen der Erblasser erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes umgezogen ist und sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass er offensichtlich eine engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte - zu dem Schluss gelangen, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers unterliegt, sondern dem Recht des Staates, zu dem der Erblasser offensichtlich eine engere Verbindung hatte. Die offensichtlich engste Verbindung sollte jedoch nicht als subsidiärer Anknüpfungspunkt gebraucht werden, wenn sich die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes als schwierig erweist (Abs. 24 der Erwägungen des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union zur EU-ErbVO).
PRAXISHINWEIS | Der Fall zeigt die Unsicherheiten bei der Bestimmung des auf die Erbfolge anzuwendenden Erbstatus in Zweifelsfällen. „Mallorca-Rentnern“, Grenzgängern, Diplomaten und Menschen, die sich aus beruflichen Gründen zeitlich begrenzt im Ausland aufhalten oder im Ausland studieren, ist dringend zu empfehlen, durch Verfügung von Todes wegen eine Rechtswahl für ihre Rechtsnachfolge von Todes wegen zu treffen. So können sie das zur Anwendung kommende Erbstatut festlegen und Rechtssicherheit schaffen. |