· Fachbeitrag · EU-Erbrechtsverordnung
Vermutungswirkung und Gutglaubensschutz nach dem europäischen Nachlasszeugnis
von RAin Frederike Borsdorff, LL.M., Hamburg
| Künftig wird neben die nationalen Erbnachweise das europäische Nachlasszeugnis treten. Nach Art. 69 Abs. 2 EU-ErbVO wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und Befugnisse hat und keinen Beschränkungen unterliegt. |
1. Praxisfall
Der Erblasser Eduard E hat die französische Staatsangehörigkeit. Er lebt seit Jahrzehnten mit seiner deutschen Ehefrau Franziska F in Hamburg; sie haben keine Kinder. E hat auch keine Geschwister und seine Eltern sind bereits verstorben. E hat aber eine in Frankreich lebende Patentochter, Sophie S. Als Kind hat sie oft die Sommerferien bei E und F in deren Ferienhaus an der Cote’d Azur verbracht. Das Ferienhaus gehört allein E. E verstirbt im Dezember 2015. F geht zunächst davon aus, dass kein Testament vorhanden ist und beantragt ein europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) für sich als gesetzliche Alleinerbin nach deutschem Recht. Sie beabsichtigt, das Ferienhaus an der Cote’d Azur zu verkaufen. Als F und S gemeinsam in dem Ferienhaus sind, um die Sachen für den Verkauf zu ordnen, finden sie dort ein handschriftliches Testament datierend vom 20.8.10 mit folgendem Inhalt: „Meine Ehefrau F setze ich als Alleinerbin ein. Meine Patentochter S soll als Vermächtnis das Haus an der Cote’d Azur erhalten. Ich wähle für die Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit meines Testaments und die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach meinem Tod französisches Recht.“ Was muss S tun?
2. Lösungsansatz
F beantragt ein ENZ für sich als Alleinerbin. F nimmt an, dass auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach E aufgrund seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltsorts in Deutschland deutsches Erbrecht anzuwenden ist (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO). F möchte einen Erbnachweis beantragen, um den in Deutschland und Frankreich belegenen Nachlass abzuwickeln.
Durch die EU-ErbVO, die ab dem 17.8.15 in Kraft tritt, wird ein ENZ eingeführt, das neben den nationalen Erbnachweisen wie z.B. einem deutschen Erbschein besteht und zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird (Art. 62 EU ErbVO). Das Zeugnis ist ipso iure in allen Mitgliedstaaten als Nachweis der Rechtsstellung von Erben, Vermächtnisnehmern, Testamentsvollstreckern und Nachlassverwaltern anzuerkennen, ohne dass es eines Anerkennungsverfahrens bedarf (Art. 69 Abs. 1 EU-ErbVO). Da F davon ausgeht, dass kein Testament vorliegt, beantragt Sie beim örtlich zuständigen deutschen Gericht nach Art. 64 EU-ErbVO i.V. mit Art. 4 EU-ErbVO die Ausstellung eines ENZ für sich als Alleinerbin nach deutschem Recht. Als Erbin ist F nach Art. 65 Abs. 2a EU-ErbVO antragsberechtigt. Die Ausstellungs
behörde überprüft nach Art. 66 EU-ErbVO die vom Antragsteller übermittelten Angaben, Erklärungen und Schriftstücke. Eigene Nachforschungen nimmt die Ausstellungsbehörde nur vor, soweit ihr eigenes Recht dies vorsieht. Das Original des ENZ verbleibt bei der ausstellenden Stelle, der Antragsteller und jede Person, die ein berechtigtes Interesse hat, erhält eine beglaubigte Abschrift, welche eine beschränkte Gültigkeit von sechs Monaten hat, die jedoch auf Antrag verlängert werden kann (Art. 70 Abs. 3 EuErbVO). Das ENZ enthält unter anderem Angaben über das anzuwendende Recht, Art und Weise der Berufung und die Person des Erben (Art. 68 EuErbVO). Die F wird als gesetzliche Erbin nach deutschem Recht ausgewiesen, ohne dass weitere Beschränkungen vermerkt sind; wie wir wissen ist das Zeugnis aufgrund des erst später gefundenen Testaments mit dem Vermächtnis damit inhaltlich unrichtig. Nach Art. 69 Abs. 2 EU-ErbVO wird jedoch vermutet, dass die im Zeugnis als Erbe genannte Person auch die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und Befugnisse inne hat.
Nachdem das Testament aufgefunden wurde, muss S so schnell wie möglich die Änderung des ENZ beantragen, um zu verhindern, dass F das Ferienhaus an einen gutgläubigen Dritten veräußert. Das Testament sieht die Anwendung französischen Erbrechts vor. Im Testament wird S das Ferienhaus an der Cote’d Azur als Vermächtnis zugewendet. Nach französischem Recht handelt es sich hier um ein Vindikationslegat nach Art. 1010 C.C. (Schmidt, ZEV 14, 389). Anders als nach deutschem Recht geht das Eigentum am Vermächtnisgegenstand bereits mit dem Tod auf den Vermächtnisnehmer über, er bedarf jedoch der délivrance durch den Beschwerten nach Art. 1014 Abs. 2 C.C. (Döbereiner in Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl., S. 643). Als unmittelbar Berechtigte kann S danach als Vermächtnisnehmerin durch das ENZ legitimiert werden. Das ENZ dient auch zum Nachweis gegenüber den Registern.
Art. 69 Abs. 3 EU-ErbVO sieht den Schutz in das Vertrauen auf die Verfügungsberechtigung einer im Zeugnis als berechtigt ausgewiesenen Person vor (Dorsel, ZErb 14, 217). Ein inhaltlich unrichtiges Zeugnis kann nach Art. 71 Abs. 2 EU-ErbVO auf Antrag jedweder Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, durch die Ausstellungsbehörde - d.h. das örtlich zuständige Nachlassgericht in Hamburg - geändert oder widerrufen werden. S könnte auch nach Art. 72 Abs. 1 EU-ErbVO eine gerichtliche Anfechtungsklage gegen die Ausstellungsbehörde führen. Wirksamkeit und Inhalt des Testaments müssten dann ähnlich wie im deutschen Erbscheinsverfahren überprüft werden. Während der Schwebezeit kann die Wirkung des Zeugnisses ausgesetzt werden; alle Personen, denen eine beglaubigte Abschrift ausgestellt wurde, sind unverzüglich zu unterrichten. Würde F dann noch missbräuchlich die Abschrift verwenden und die Immobilie verkaufen, ist sie „bösgläubig“ und macht sich schadenersatzpflichtig.
PRAXISHINWEIS | Der Vermächtnisnehmer eines Damnationslegats, wie es etwa das deutsche Recht kennt, kann sich nicht durch das ENZ legitimieren, denn er hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben. |
Weiterführender Hinweis
- Brüggemann, Der Inhalt der EU-Erbrechtsverordnung im Überblick, ErbBstg 13, 51 ff.