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  • · Fachbeitrag · Vorweggenommene Erbfolge

    Privates Veräußerungsgeschäft trotz teilentgeltlicher Immobilienübertragung ausgeschlossen?

    von Prof. Dr. Gerhard Brüggemann, Münster

    | Die ertragsteuerliche Behandlung der vorweggenommenen Erbfolge basiert bis heute auf einem Beschluss des Großen Senates vom 5.7.90 (BStBl II 90, 847). Danach ist für die teilentgeltliche Übertragung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens ‒ insbesondere Immobilien sowie Anteilen an Kapitalgesellschaften ‒ von der Anwendung der Trennungstheorie auszugehen, die auch bei teilentgeltlichen Rechtsgeschäften zu Veräußerungstatbeständen gemäß § 23 EStG, § 20 Abs. 2 EStG oder § 17 EStG etc. führen kann. Die Trennungstheorie ist allerdings in die Diskussion geraten, seit der BFH bei der Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens die Anwendung der (strengen) Trennungstheorie modifiziert hat. Nun hat das FG Niedersachsen (29.5.24, 3 K 36/24 ) entschieden, dass die teilentgeltliche Übertragung von Immobilien des Privatvermögens im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unterhalb der historischen Anschaffungskosten keine tatbestandliche Veräußerung i. S. d. § 23 EStG darstellt. |

    1. Der praktische Fall

    V hat im Jahr 14 ein bebautes Grundstück für insgesamt 143.950 EUR erworben und erzielte daraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Einen Teil des Erwerbs hatte er durch ein Bankdarlehen finanziert. Anfang März 19 überträgt V diese Immobilie mit Wirkung zum 6.6.19 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seine Tochter T. Das Bankdarlehen valutiert noch mit 115.000 EUR. T übernimmt diese Verpflichtung im Rahmen der Übertragung und finanziert diese anderweitig. Angefallen war noch eine Vorfälligkeitsentschädigung i. H. v. 4.000 EUR, die anteilig auf den entgeltlichen Teil entfiel. Beim Notar geben die Vertragsparteien den aktuellen Verkehrswert der Immobilie ‒ wegen der Notarkosten ‒ mit 210.000 EUR an.

    2. Ertragsteuerliche Beurteilung seitens der Finanzverwaltung

    Dem Beschluss des Großen Senates vom 5.7.90 (BStBl II 90, 847) folgend, geht die Finanzverwaltung von einem nach § 23 EStG steuerpflichtigen „privaten Veräußerungsgeschäft“ aus. Die Übertragung ist entsprechend den Vorgaben in Tz. 14 des BMF-Schreibens vom 13.1.93 zur ertragsteuerlichen Behandlung der vorweggenommenen Erbfolge (BStBl I 93, 80) in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Vorgang aufzuteilen.

     

    Beachten Sie | Maßstab für die Aufteilung ist das Verhältnis des Entgelts (ohne Anschaffungsnebenkosten) zum Verkehrswert des übertragenen Wirtschaftsgutes im Zeitpunkt der Übertragung. Im vorliegenden Fall ist dies das Verhältnis der übernommenen Verbindlichkeiten zum Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt der Übertragung. Somit ergibt sich:

     

    • Wertermittlung

    Verkehrswert 2019 laut Sachverhalt

    210.000 EUR

    100,00 %

    entgeltlicher Teil (übernommene Verbindlichkeit)

    115.000 EUR

    54,76 %

    unentgeltlicher Teil (Schenkung)

    95.000 EUR

    45,24 %

     

    Da zwischen der Anschaffung im Jahr 14 und der teilentgeltlichen Veräußerung im Jahr 19 nicht mehr als zehn Jahre liegen (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG) und nach der Trennungstheorie nur die anteiligen Anschaffungskosten auf den entgeltlichen Teil vom Verkehrswert abgezogen werden, ermittelte sich der Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft aufgrund der nur teilweise schenkweisen Übertragung gemäß Tz. 14 des BMF-Schreibens vom 13.1.93 (a. a. O.) wie folgt:

     

    • Ermittlung des Veräußerungsgewinns

    Veräußerungserlös aus übernommener Verbindlichkeit

    115.000 EUR

    abzgl. Anschaffungskosten 143.950 EUR × 54,76 %

    ‒ 78.828 EUR

    zzgl. AfA 2014 bis 2019 (12.185 EUR × 54,76 %)

    6.672 EUR

    abzgl. Vorfälligkeitsentschädigung (4.000 EUR × 54,76 %)

    ‒ 2.191 EUR

    Veräußerungserlös

    40.653 EUR

     

    3. Argumente des Vaters gegen die Besteuerung

    V ist der Ansicht, dass die Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nicht den Tatbestand einer „Veräußerung“ i. S. d. § 23 EStG erfüllt. Es handelt sich nach seiner Auffassung bei § 23 EStG um eine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift zu kurzfristig (früher zwei Jahre) bzw. mittelfristig (jetzt zehn Jahre) realisierten Gewinnen aus Immobilienspekulationen unterhalb einer gewerblichen Tätigkeit. Es entspricht seiner Ansicht nach auch nicht dem Sinn und Zweck des § 23 EStG, Fälle einer Übertragung im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge im Bereich des Privatvermögens mit Ertragsteuern zu belasten. Durch die schenkweise Übertragung habe sich bei abstrakter Betrachtungsweise sein Vermögen sogar gemindert. Im Übrigen hält V eine höchstrichterliche Entscheidung zu den mittlerweile auch von der Rechtsprechung vertretenen Lösungsansätzen („strenge Trennungstheorie“ versus „modifizierte Trennungstheorie“) bei teilentgeltlichen Übertragungen im Rahmen des § 23 EStG für erforderlich.

    4. Ertragsteuerliche Beurteilung seitens des FG Niedersachsen

    Nach Auffassung des FG Niedersachsen ist die (teilentgeltliche) Übertragung der Immobilie von V auf T im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nicht als „privates Veräußerungsgeschäft“ gemäß §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG steuerbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Teilentgelt unterhalb der historischen Anschaffungskosten bleibt. Zur Begründung verweist das FG zunächst auf die bisherige Rechtsprechung des BFH. Danach erfülle die gänzlich unentgeltliche Übertragung einer Immobilie ‒ also ohne Übernahme von darauf lastenden Verbindlichkeiten ‒ im Wege der vorweggenommenen Erbfolge den Tatbestand des § 23 EStG beim übertragenden Vater selbst dann nicht, wenn die auf diese Weise begünstigten Kinder (Sohn und Tochter) die Immobilie alsbald weiterveräußern (BFH 23.4.21, IX R 8/20, BStBl II 21, 743).

     

    Beachten Sie | Die Weiterveräußerung durch die Kinder unterfällt nach Ansicht des BFH dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG, wonach bei unentgeltlichem Erwerb dem Einzelrechtsnachfolger die Anschaffung des Rechtsvorgängers zuzurechnen ist. Der BFH sieht darin ungeachtet einer zeitlichen Nähe zwischen der Übertragung und einer Weiterveräußerung grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AO.

     

    Das Finanzamt hatte in dem entschiedenen Fall sprichwörtlich auf das falsche Pferd gesetzt. Aufgrund der unentgeltlichen Anschaffung durch die Kinder und deren Weiterveräußerung hätte es einen Veräußerungsgewinn bei den Kindern erfassen müssen, denen für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns aufgrund des unentgeltlichen Erwerbs die Anschaffung des Vaters gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 EStG zuzurechnen gewesen wäre.

     

    Soweit der Große Senat des BFH entschieden hat, dass die Übertragung einer Immobilie mit der Übernahme von Verbindlichkeiten dazu führt, dass der Erwerber hinsichtlich der übernommenen Verbindlichkeiten Anschaffungskosten zu tragen habe (BFH 5.7.90, GrS 4-6/89, BStBl II 1990, 847), sind daraus nach Ansicht des FG nur Folgen für die Ermittlung der AfA-Beträge zu ziehen, indem das Rechtsgeschäft für die AfA-Ermittlung in einen unentgeltlichen und einen entgeltlichen Teil aufgeteilt wird.

     

    Nach Ansicht des FG steht es dem Beschluss des Großen Senates hingegen nicht entgegen, wenn im Wege der teleologischen Reduktion auch die teilentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Tatbestand des § 23 EStG ausscheidet. Maßgeblicher Grund hierfür soll sein, dass Steuergegenstand der Regelung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur realisierte Werterhöhungen oder Wertminderungen aus verhältnismäßig kurzfristigen Umsatzgeschäften von Immobilien im Privatvermögen sein sollen. Zu einem „realisierten Wertzuwachs“ komme es bei Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aber nicht, wenn das Entgelt ‒ wie im Musterfall ‒ unterhalb der historischen Anschaffungskosten bleibt.

     

    Folgende Argumente gegen eine Steuerpflicht sind der äußerst umfangreichen Begründung zu entnehmen:

     

    • Durch die Berechnungsmethode der Finanzverwaltung wird ein fiktiver Ertrag der Ertragsteuer unterworfen. Obwohl ein steuerlicher Gewinn von 40.653 EUR „berechnet“ wird, sind V entsprechende Mittel, die seine Leistungsfähigkeit erhöht hätten, nicht zugeflossen, vielmehr habe er eine Wertminderung erfahren.

     

    • Es entsteht eine tatsächliche Doppelbesteuerung des identischen Sachverhaltes einerseits in der Ertragsteuer nach § 23 EStG als „privates Veräußerungsgeschäft“ und andererseits nach § 7 ErbStG als „gemischte Schenkung“ vom V an T.

     

    • Neben der Doppelbesteuerung bestehe auch ein Wertungswiderspruch zum ErbStG, da ertragsteuerlich beim „Schenker“ ein steuerbarer Wertzuwachs wie auch beim „Beschenkten“ eine steuerbare Zuwendung nach dem ErbStG anzusetzen ist.

     

    • Jedenfalls ist die Betrachtung der Finanzverwaltung, dass bei solchen teilentgeltlichen Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge durch eine formale Berechnungsmethode für den Übertragenden ein privater Veräußerungsgewinn entstehen kann, unzutreffend. Vor allem besteht in solchen Fällen kein Anlass, eine Aufteilung des einheitlichen Übertragungsvertrages im Wege der vorweggenommenen Erbfolge in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil anhand des Verkehrswerts vorzunehmen.

     

    • Im Lichte der ausführlich dargelegten verfassungsrechtlichen Rechtsprechung kommt eine Besteuerung nur fiktiver Einkünfte nach dem Einkommensteuerrecht nicht in Betracht. Es besteht kein Anlass, gerade bei den Einkünften nach § 23 EStG eine vom Gesetzgeber vorgesehene Besteuerung rein fiktiver Einkünfte annehmen zu wollen. Im Tatbestand oder in der Entstehungsgeschichte der Norm finden sich dafür keine Anhaltspunkte.

     

    • Überdies dürfte eine solche Besteuerung sogar dem verfassungsrechtlich geschützten Erbrecht und der Eigentumsgarantie jeweils wegen der darin gewährleisteten Freiheit zur Übertragung von Vermögen innerhalb des Generationenverbandes ‒ und damit grundrechtlich geschützter Freiheiten ‒ widersprechen.

     

    Das FG hat die Revision aus zwei Gründen zugelassen: Zum einen hält es aufgrund der grundsätzlichen und auch verfassungsrechtlichen Zweifel eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Fortbildung des Rechts für erforderlich. Zum anderen ist in der Rechtsprechung des BFH aus Sicht des FG weiterhin ungeklärt, ob bei teilentgeltlichen Übertragungen im Rahmen des § 23 EStG durch die Heranziehung von Verkehrswerten auf den Zeitpunkt der Übertragung lediglich fiktive, aber nicht tatsächlich realisierte Überschüsse i. S. d. sog. strengen Trennungstheorie der Besteuerung unterliegen.

    5. Würdigung der Entscheidung

    Die Finanzverwaltung hat gegen das Urteil Revision eingelegt (Az. BFH: IX R 17/24). Dies war zu erwarten, weil der BFH für im Privatvermögen gehaltene und im Wege einer gemischten Schenkung teilentgeltlich auf den Erwerber übertragene GmbH-Anteile bereits i. S. d. strengen Trennungstheorie entschieden hat und zudem davon ausgeht, dass dies auch für § 20 und § 23 EStG gilt (BFH 12.12.23, IX R 15/23).

     

    Danach ist die Übertragung von GmbH-Anteilen nach dem Verhältnis der tatsächlichen Gegenleistung zum Verkehrswert der übertragenen Anteile in eine entgeltliche (Veräußerung i. S. v. § 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) und eine unentgeltliche Anteilsübertragung (i. S. v. § 17 Abs. 1 S. 4 und Abs. 2 S. 5 EStG) aufzuteilen. Der Veräußerungsgewinn ermittelt sich sodann aus der Differenz zwischen dem Veräußerungspreis und den auf den entgeltlichen Teil entfallenden Anschaffungskosten der Anteile.

     

    Den Veräußerungsgewinn ermittelte das Finanzamt analog zur Berechnung im Musterfall somit wie folgt:

     

    • Aufteilung in entgeltlichen und unentgeltlichen Teil

    Verkehrswert laut Sachverhalt

    275.948 EUR

    100,00 %

    entgeltlicher Teil (übernommene Verbindlichkeit)

    30.000 EUR

    10,87 %

    unentgeltlicher Teil (Schenkung)

    245.948 EUR

    89,13 %

     

    Da nach der strengen Trennungstheorie nur die anteiligen Anschaffungskosten auf den entgeltlichen Teil vom Verkehrswert abgezogen werden, ermittelte sich der Gewinn aus § 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG aufgrund der nur teilweise schenkweisen Übertragung gemäß Tz. 14 des BMF-Schreibens vom 13.1.93 (a. a. O.) wie folgt:

     

    • Ermittlung des Veräußerungsgewinns

    Veräußerungserlös

    30.000 EUR

    abzgl. Anschaffungskosten 25.000 EUR × 10,87 %

    ‒ 2.717 EUR

    Veräußerungserlös

    27.283 EUR

    Stpfl. gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. c, § 3c EStG = 60 %

    16.369 EUR

    Freibetrag (§ 17 Abs. 3 EStG): 9.060 EUR × 10,87 %

    984,82 EUR

    Veräußerungsgewinn

    16.369,00 EUR

    unschädlich 10,87 % von 36.100

    ‒ 3.924,07 EUR

    schädlich

    12.444,93 EUR

    ‒ 12.444,93 EUR

    verbleibender Freibetrag

    0,00 EUR

    0 EUR

    Veräußerungsgewinn

    16.369 EUR

     

    Der BFH betont ausdrücklich, dass die Aufteilung der Anteile in einen voll entgeltlich und einen voll unentgeltlich übertragenen Teil keine Besteuerung eines fiktiven Sachverhalts ist, sondern lediglich ein Hilfsmittel zur Beschreibung der Rechtsfolgen, die das Gesetz an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt knüpft.

     

    Die BFH-Rechtsprechung zur teilentgeltlichen Übertragung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens unter Beteiligung von Mitunternehmerschaften (§ 6 Abs. 5 S. 3 EStG) bietet dem erkennenden Senat keinen Anlass, von der Rechtsprechung zur teilentgeltlichen Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nach § 17 EStG abzuweichen, weil er die Sachverhalte für nicht vergleichbar erachtet.

     

    Aus Sicht des Verfassers spricht vieles dafür, dass der BFH diese Wertungen auch auf § 23 EStG überträgt und die Revision des Finanzamts für begründet erachtet.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2024 | Seite 236 | ID 50135042