29.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113195
Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 27.06.2011 – 8 W 212/11
Das auf § 13 Abs. 2 FamFG gestützte Gesuch auf Akteneinsicht in einer Nachlasssache erfordert die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses, das sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen muss, sondern schon dann vorliegt, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Aktenkenntnis beeinflusst sein kann - wie hier bei den Kindern des nichtehelichen Sohnes des Erblassers.
8 W 212/11
In der Nachlasssache
...
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart
unter Mitwirkung
von Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Motzer
Richterin am Oberlandesgericht Tschersich
Richter am Oberlandesgericht Dr. Barth
beschlossen:
Tenor:
1.
Auf die befristeten Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Notariats - Nachlassgericht - Sachsenheim vom 18. Februar 2011, Az. NA 241/2003,
aufgehoben.
2.
Die Sache wird zur weiteren Behandlung des Akteneinsichts- und Auskunftsgesuchs der Antragsteller unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats an das
Notariat - Nachlassgericht - Sachsenheim zurückverwiesen.
3.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Kostenentscheidung im Übrigen ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind die Kinder des nichtehelichen Sohnes des Erblassers. Ihr Vater wurde am 14. Januar 1938 geboren und verstarb im Jahr 1982. Sie begehren Akteneinsicht bzw. Aktenauskunft in der Nachlasssache des am 7. Januar 2004 verstorbenen Erblassers, ihres Großvaters, um Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland vorbereiten zu können wegen des Ausschlusses ihres Vaters von der gesetzlichen Erbfolge nach Art. 12 I § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EGMR vom 28. Mai 2009 (FamRZ 2009, 1293).
Mit Beschluss vom 18. Februar 2011 hat das Nachlassgericht den Antragstellern dahingehend Auskunft erteilt, dass kein Staatserbrecht auf den Tod des Erblassers eingetreten sei. Im Übrigen wurde dem Antrag auf Akteneinsicht bzw. Benennung der Erben nicht stattgegeben.
Gegen die am 23. Februar 2011 zugestellte Entscheidung haben die Antragsteller am 18./21. März 2011 Beschwerde eingelegt - gestützt auf ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 13 Abs. 2 FamFG.
Das Notariat hat nicht abgeholfen und die Akten zunächst dem Landgericht Heilbronn zur Entscheidung vorgelegt, das die Sache unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses vom 30. März 2011 an das Nachlassgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2011 zurückgegeben hat. Dieses hat mit einem erneuten Nichtabhilfe-/Vorlagebeschluss vom 6. Juni 2011 die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die befristete Beschwerde der Antragsteller ist gemäß §§ 58 ff FamFG statthaft und auch im übrigen zulässig, nachdem mit dieser die Ablehnung von Akteneinsicht an Personen, die nicht am Verfahren beteiligt sind (§ 13 Abs. 2 Satz 1 FamFG), angefochten wird (Sternal in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 13 FamFG, Rn. 72, m.w.N.) und die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 58 ff FamFG erfüllt sind.
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht zur weiteren Behandlung des Akteneinsichts- und Auskunftsgesuchs der Antragsteller unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats.
Die Antragsteller stützen ihr Gesuch auf § 13 Abs. 2 FamFG. Nach dieser Vorschrift kann Personen, die an dem Verfahren nicht beteiligt sind, Einsicht nur gestattet werden, soweit sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und schutzwürdige Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten nicht entgegenstehen.
Der Begriff des berechtigten Interesses ist in § 13 FamFG nicht näher bestimmt. Er lässt sich aber daraus ableiten, dass das Gesetz allgemein zwischen subjektiven Rechten (§ 59 Abs. 1 FamFG), rechtlichen Interessen (§§ 357 FamFG, 299 Abs. 2 ZPO, 62 PStG) und berechtigten Interessen (§§ 13 Abs. 2 FamFG, 121 GBO) unterscheidet. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist dabei weiter als der des subjektiven Rechts, aber enger als der des berechtigten Interesses. Ein rechtliches Interesse, das sich auf ein bereits vorhandenes Recht stützen muss, ist dann gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis vom Akteninhalt zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist. Das berechtigte Interesse muss sich dagegen nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen. Es genügt vielmehr jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, das auch wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann. Es ist insbesondere dann gegeben, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Aktenkenntnis beeinflusst sein kann, wobei das Interesse grundsätzlich nicht durch den Verfahrensgegenstand begrenzt wird (Sternal, a.a.O., § 13 FamFG Rn. 29 und 30; Pabst in Münchener Kommentar, ZPO/FamFG, Bd. 4, 3. Aufl. 2010, § 13 FamFG Rn. 9; je m.w.N.).
Zwischenzeitlich wurde zwar am 12. April 2011 das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung verkündet, in dessen Art. 5 das Inkrafttreten dahin geregelt ist, dass Art. 1 Nr. 3 sowie Art. 3 und 4 am Tag nach der Verkündung in Kraft treten und das Gesetz im Übrigen mit Wirkung vom 29. Mai 2009 in Kraft tritt.
Art. 1 Nr. 2 befasst sich mit der Änderung des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder dahingehend, dass Art. 12 § 10 Abs. 2 durch die folgenden Abs. 2 und 3 ersetzt wird:
"(2) Ein vor dem 1. Juli 1949 geborenes nichteheliches Kind, dem vor dem 29. Mai 2009 kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater oder dessen Verwandten zustand, kann vom Bund oder einem Land Ersatz in Höhe des Wertes der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche verlangen, wenn der Bund oder das Land gem. § 1936 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Erbe geworden ist. Der Bund oder das Land hat dem nichtehelichen Kind auf Verlangen Auskunft über den Wert des Nachlasses zu erteilen....
(3) ..."
Insoweit hat das Nachlassgericht den Antragstellern die Auskunft gegeben, dass ein Staatserbrecht auf den Tod des Erblassers nicht eingetreten ist.
Ob aber im Hinblick auf die getroffene Änderung des NEhelG Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland bestehen, auf die die Antragsteller das für ihr Akteneinsichts- und Auskunftsbegehren gemäß § 13 Abs. 2 FamFG notwendige und von ihnen glaubhaft zu machende berechtigte Interesse stützen, ist vorliegend unter Berücksichtigung des zuvor dargelegten Begriffs des berechtigten Interesses nicht zu entscheiden. Denn für dessen Bejahung genügt allein die Beeinflussung des künftigen Verhaltens der Antragsteller durch die Kenntnis vom Akteninhalt - etwa dahingehend, ob sie ebenfalls den Rechtsweg bis zum EGMR einschlagen wollen oder sich der Richtigkeit der Auskunft des Notariats über das nicht bestehende Staatserbrecht vergewissern wollen oder sich - im Zusammenhang mit der Vergütung ihres Verfahrensbevollmächtigten - über den Nachlasswert und die Erbfolge informieren möchten.
Inwieweit das Nachlassgericht eine Glaubhaftmachung des berechtigten Interesses gem. §§ 13 Abs. 2, 31 FamFG in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens für erforderlich hält, bleibt diesem vorbehalten. Dabei bedürfen vermutete, offenkundige oder gerichtsbekannte Tatsachen keiner Glaubhaftmachung und von dieser kann auch abgesehen werden, wenn eine Tatsache unter den Beteiligten unstreitig ist und das Gericht keinen Zweifel an ihrem Vorliegen hegt (Ulrici in Münchener Kommentar, a.a.O., § 31 FamFG Rn. 5; Sternal, a.a.O., § 31 FamFG Rn. 3 ff; je m.w.N.).
Ebenso hat das Nachlassgericht vor der Entscheidung über das Akteneinsichts- und Auskunftsgesuch den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, damit sie gegebenenfalls das Bestehen von schutzwürdigen Interessen, die dem Begehren der Antragsteller entgegen stehen, darlegen können (Pabst, a.a.O., § 13 FamFG Rn. 10, m.w.N.).
Danach hat eine Interessen- und Ermessensabwägung zu erfolgen (Sternal, a.a.O., § 13 FamFG Rn. 33 ff, m.w.N.), die ebenfalls dem Notariat obliegt.
Die Akte war deshalb an das Nachlassgericht zurückzuverweisen zur weiteren Behandlung des Akteneinsichts- und Auskunftsgesuchs der Antragsteller unter Beachtung der zuvor dargelegten Rechtsauffassung des Senats.
Die Gerichtsgebührenfreiheit ergibt sich aus § 131 Abs. 3 KostO. Eine Kostenentscheidung im Übrigen ist nicht veranlasst (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG; Hüßtege in Thomas/Putzo, 32. Aufl. 2011, § 81 FamFG Rn. 2).