24.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120632
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 02.11.2011 – 4 K 2263/11 Erb
Die auf den Erben übergegangenen, vom Erblasser herrührenden persönlichen Einkommensteuerschulden, die aufgrund der Verwirklichung des Steuertatbestands durch den Erblasser selbst an seinem Todestag rechtlich bestehen, sind als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen.
Dass nach § 36 Abs. 1 EStG die Einkommensteuer erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht, ist in erbschaftsteuerrechtlicher Hinsicht ohne Bedeutung.
Dagegen kann die auf den Abfindungsanspruch, der dem Erben aufgrund des todesfallbedingten Ausscheidens des Erblassers aus einer KG zusteht, entfallende Ertragsteuer nicht bereicherungsmindernd berücksichtigt werden, da sie nach § 24 Nr. 2 EStG in der Person des Rechtsnachfolgers entsteht.
Tatbestand
Der Kläger ist der Sohn des Erblassers A. Der Erblasser war u.a. Kommanditist der H & A GmbH & Co. KG (H KG).
Der Erblasser verstarb am .... April 2008. Er wurde ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts X vom .... Mai 2008 vom Kläger allein beerbt.
Am .... Dezember 2008 trafen die Gesellschafter der H KG mit dem Kläger eine Vereinbarung über den ihm zustehenden Abfindungsanspruch auf Grund des Ausscheidens des Erblassers aus der Gesellschaft. Danach sollte dem Kläger ein Abfindungsguthaben von 817.000 EUR zustehen, das in Teilbeträgen von jeweils 408.500 EUR bis spätestens zum 31. Dezember 2008 und zum 31. Dezember 2009 zu zahlen war.
Das beklagte Finanzamt setzte gegen den Kläger erstmals mit Bescheid vom 16. Juni 2009 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Erbschaftsteuer fest.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein.
Das beklagte Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer gegen den Kläger mit Bescheid vom 7. September 2009 auf 173.850 EUR neu fest. Dabei ging es von einem Wert seines Erwerbs von Todes wegen von insgesamt 1.172.010 EUR aus. Den dem Kläger zustehenden Abfindungsanspruch erfasste es mit 817.000 EUR als Erwerb von Todes wegen.
Der Kläger gab am 14. September 2009 eine Erbschaftsteuererklärung ab, mit der er u.a. Einkommensteuerschulden für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2008 in Höhe von insgesamt 688.754 EUR erwerbsmindernd geltend machte.
Das Finanzamt X setzte gegen den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers mit Bescheid vom 28. April 2011 für den Veranlagungszeitraum 2008 501.571 EUR Einkommensteuer, 50.959,71 EUR Kirchensteuer und 27.456,54 EUR Solidaritätszuschlag fest. Dabei berücksichtigte es Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit insgesamt 1.312.703 EUR. Hierin sind 504.472 EUR Einkünfte aus Beteiligungen und 808.231 EUR Einkünfte aus Veräußerungsgewinnen enthalten.
Das beklagte Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer gegen den Kläger mit Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2011 auf 179.550 EUR neu fest. Dabei ging es von einem Wert seines Erwerbs von Todes wegen von insgesamt 1.189.739 EUR aus. Steuerschulden des Erblassers berücksichtigte es nur bis zum Veranlagungszeitraum 2007. Die Steuerschulden aus dem Veranlagungszeitraum, in dem der Erblasser verstorben sei, seien nicht abzugsfähig, weil sie erst nach dessen Todestag entstanden seien.
Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Die im Jahr 2008 entstandenen Steuerschulden des Erblassers seien als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Andernfalls werde bei vor dem Todestag geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletzt. Die Einkommensteuerschuld des Erblassers sei im Zeitpunkt seines Todes entstanden, weil damit seine persönliche Steuerpflicht ende. Wenn der Abfindungsanspruch des Klägers als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterliege, müsse auch die darauf entfallende Einkommensteuer bereicherungsmindernd berücksichtigt werden.
Der Kläger beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 7. September 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2011 dergestalt zu ändern, dass für den Veranlagungszeitraum 2008 entstandene Einkommensteuer von 501.571 EUR, Kirchensteuer von 50.959,71 EUR und Solidaritätszuschlag von 27.456,54 EUR erwerbsmindernd berücksichtigt werden.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
Der Senat hat neben der Erbschaftsteuerakte des beklagten Finanzamts die Einkommensteuerakte des Finanzamts X für den Erblasser beigezogen.
Gründe
Die Klage ist zu einem Teil begründet. Der Erbschaftsteuerbescheid vom 7. September 2009, der gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden ist, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit das beklagte Finanzamt den Abzug von für den Veranlagungszeitraum 2008 entstandenen weiteren insgesamt 146.837,75 EUR Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer versagt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Im Übrigen ist der Erbschaftsteuerbescheid vom 7. September 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2011 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der dem Kläger auf Grund des Ausscheidens des Erblassers aus der H KG zustehende Abfindungsanspruch unterliegt nach den §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) der Erbschaftsteuer (vgl. hierzu etwa Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG § 3 Randnr. 138; Wälzholz in Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl., § 3 Randnr. 84). Der Abfindungsanspruch ist als Surrogat an die Stelle des Kommanditanteils des Erblassers getreten.
Die in der Person des Erblassers bis zum .... April 2008 entstandenen Steuerschulden (Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) sind als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig.
Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 AO auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Der Abzug von Steuerschulden setzt voraus, dass sie am Todestag des Erblassers als dem gemäß § 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG maßgebenden Stichtag rechtlich bestehen und den Erben wirtschaftlich belasten (BFH, Urteil vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641).
Wie das beklagte Finanzamt nicht in Abrede stellt, belasten die Steuerschulden des Erblassers den Kläger. Das Finanzamt X hat die Einkommensteuer, die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag gegen den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers mit Bescheid vom 28. April 2011 festgesetzt.
Anders als das beklagte Finanzamt meint, sind die Steuerschulden bis zum Todestag des Erblassers am ..... April 2008 rechtlich entstanden.
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Nach § 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entsteht die Einkommensteuer zwar grundsätzlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, d.h. des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG). Entsprechendes gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen für die Kirchensteuer und nach § 51a Abs. 1 EStG für den Solidaritätszuschlag. Der erkennende Senat misst § 36 Abs. 1 EStG indes nur Bedeutung für die Veranlagung zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag bei. Wie die Überschrift zum VI. Abschnitt des EStG („Erhebung der Einkommensteuer”) verdeutlicht, regelt § 36 Abs. 1 EStG nur die Frage, wann die Einkommensteuer grundsätzlich ertragsteuerrechtlich mit der Folge entsteht ist, dass sie erhoben werden darf. § 36 Abs. 1 EStG regelt allerdings nicht die Frage, wann in erbschaftsteuerrechtlicher Hinsicht von einer Entstehung der Steuer auszugehen ist. Insoweit kommt es darauf an, dass der Erblasser selbst noch den Tatbestand verwirklicht hat, an den das Einkommensteuergesetz die Leistungspflicht knüpft. Da die Einkommensteuerpflicht mit dem Tod des Steuerpflichtigen erlischt, ist die Veranlagung bis zu seinem Todestag durchzuführen (Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl., § 10 Randnr. 67). Die bis zum Todestag des Erblassers entstandene Einkommensteuer ist am Bewertungsstichtag rechtlich entstanden und daher als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl., § 10 Randnr. 67 f.; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG § 10 Randnr. 140; Kämper/Milatz, ZEV 2011, 70). Eine Versagung des Abzugs der noch in der Person des Erblassers entstandenen Einkommensteuer und der Zuschlagsteuern (§ 51a Abs. 1 EStG) würde dem in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG verankerten Bereicherungsprinzip widersprechen (vgl. BFH, Urteil vom 17. März 2004 II R 3/01, BFHE 204, 311, BStBl II 2004, 429). Dieses Prinzip erfordert bei der Ermittlung der Bereicherung des Erwerbers die Berücksichtigung der den Erben als Gesamtrechtsnachfolger treffenden Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG).
Anderes gilt nur für nach dem Bewertungsstichtag verwirklichte Tatbestände, wie z.B. die Entnahme eines Grundstücks (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 2010 II R 29/09, BFH/NV 2011, 603) oder der Zufluss von Zinsen nach dem Todestag des Erblassers (vgl. BFH-Urteil in BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641).
Im Streitfall scheidet mithin ein Abzug der für den Veranlagungszeitraum 2008 festgesetzten Steuern aus, soweit sie nicht mehr in der Person des Erblassers, sondern in der Person des Klägers als dessen Rechtsnachfolger (§ 24 Nr. 2 EStG) entstanden sind. Dies betrifft die Steuern, die auf das Abfindungsguthaben entfallen, das dem Kläger auf Grund des Ausscheidens des Erblassers aus der H KG zustand. Die auf den Abfindungsanspruch entfallende latente Ertragsteuerbelastung kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht bereicherungsmindernd berücksichtigt werden (vgl. BFH, Urteile vom 10. März 2005 II R 49/03, BFH/NV 2005, 1566 sowie vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641).
Die bis zum Todestag des Erblassers entstandenen Steuern sind um die vom Erblasser geleisteten Vorauszahlungen zu vermindern. Diese belaufen sich auf 14.133 EUR Einkommensteuer, 1.799 EUR Kirchensteuer und 777 EUR Solidaritätszuschlag (Bl. 42, 49 der Gerichtsakte). Die ohne Berücksichtigung des Abfindungsanspruchs festzusetzende Einkommensteuer, Kirchensteuer und der festzusetzende Solidaritätszuschlag von insgesamt 163.546,75 EUR (Bl. 39 der Gerichtsakte) sind daher um 16.709 EUR zu vermindern, so dass letztlich 146.837,75 EUR an weiteren bis zum Todestag des Erblassers entstandenen Steuerschulden abzugsfähig sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil der Senat u.a. von dem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23. Februar 2011 3 K 332/10 (EFG 2011, 1342; Revisionsverfahren II R 15/11) abweicht.