20.07.2012 · IWW-Abrufnummer 123797
Finanzgericht Münster: Urteil vom 14.02.2012 – 1 K 2319/09 F
Leistungen, die als Abfindung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht in Form einer Rente geleistet werden, sind nicht als Versorgungsleistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abzugsfähig.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 14.02.2012 für Recht erkannt:
Tatbestand:
Streitig ist, ob Rentenzahlungen der Klägerin an ihre Stiefmutter (S) als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Einkommensteuergesetz (EStG) abzugsfähig sind.
Die Klägerin wird zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt.
Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 machte sie Rentenzahlungen an S in einer Gesamthöhe von 46.890,00 EUR in Höhe des Ertragsanteils als Sonderausgaben steuermindernd geltend. Dieser der Höhe nach unstreitige Ertragsanteil beträgt 4.328 Euro.
Diese Rentenzahlungen beruhen auf einem notariellen Vertrag vom 02.02.1972 zwischen dem verstorbenen Vater (V) der Klägerin und S. In diesem notariellen Vertrag verzichtete S im Hinblick auf ihre damals bevorstehende Eheschließung auf ihren zukünftigen Pflichtteil. Der Vertrag hat auszugsweise folgenden Inhalt:
…
I. |
Gütertrennungsvertrag |
Wir beabsichtigen die Ehe miteinander einzugehen.
Wir schließen für unsere Ehe den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft aus und vereinbaren Gütertrennung. Wir beantragen die Eintragung der Gütertrennung im Güterrechtsregister. Der Notar soll jedoch den Antrag nur auf eine besondere schriftliche Anweisung wenigstens eines von uns einreichen, unbeschadet seines Rechts auf jederzeitige Einreichung.
Wir schätzen den Wert unseres beiderseitigen Vermögens auf 500.000,– DM.
II. Erbvertrag |
E r b v e r t r a g |
Hierauf erklärte der Erschienene zu 1):
Für den Fall, daß ich nach der Eheschließung mit der Erschienenen zu 2) während Bestehens der Ehe vor ihr versterbe, wende ich der Erschienenen zu 2) zulasten meiner Erben, wer immer sie sein mögen, folgendes Vermächtnis zu:
Die Erschienene zu 2) soll von meinem Tode an auf Lebenszeit eine monatlich im voraus bis spätestens zum 5. eines jeden Monats zu zahlende Rente in Höhe des jeweiligen Tarifgehaltes eines kaufmännischen Angestellten der höchsten Tarifgruppe der Textilindustrie in den Regierungsbezirken Münster und Osnabrück – zur Zeit K VI = 2.007,– DM – erhalten. Vom Tage einer etwaigen Wiederverheiratung der Erschienenen zu 2) ermäßigt sich ihr Rentenanspruch auf die Hälfte.
Die Erschienene zu 2) erklärte hierauf, daß sie die vorstehenden Vermächtniszuwendungen annehme. Das Vermächtnis soll vertragsmäßig sein.
III.
Nunmehr vereinbarten die Erschienenen folgenden
Pflichtteilsverzichtsvertrag |
Die Klägerin als eine von fünf Töchtern ihres im Februar 2005 verstorbenen Vaters ist testamentarisch als Erbin des Familienbesitzes berufen worden. In ihrer Stellung als Erbin kommt sie nach dem Tod ihres Vaters der Zahlungsverpflichtung gegenüber S pflichtgemäß nach.
Im Einkommensteuerbescheid 2007 vom 23.01.2009 berücksichtigte das beklagte Finanzamt J die geltend gemachten Rentenzahlungen in Höhe ihres Ertragsanteils nicht als Sonderausgaben. Zur Begründung führte es aus, die angesetzten Rentenzahlungen könnten nicht berücksichtigt werden, da die gesetzlichen Voraussetzungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG nicht erfüllt seien.
Die Klägerin legte gegen den Einkommensteuerbescheid am 05.02.2009 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 03.06.2009 als unbegründet zurückwies. Wegen der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
Mit der am 02.07.2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Zur Begründung führt sie zusammengefasst aus, bei den monatlichen Zahlungen an S handele es sich um Versorgungsleistungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG. Dies ergebe sich insgesamt gesehen aus dem notariellen Vertrag vom 02.02.1972 mit der Versorgungsrente als Vermächtnis und der testamentarischen Erbeinsetzung der Klägerin als Alleinerbin. Aus der Zusammenschau der insoweit getroffenen Regelungen ergebe sich, dass S aus der Erbmasse nach ihrem Ehemann im Wesentlichen lediglich die angeführte Rente, zusätzlich aber kein existenzsicherndes Vermögen erhalten habe. Der Bundesfinanzhof habe für diesen Fall entschieden (BStBl. 2000, II S. 604), dass eine abzugsfähige Versorgungsrente vorliege, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung einer an sich erbberechtigten Person nur einen Anspruch auf Versorgungsleistungen einräume. Dabei werde vorausgesetzt, dass die Erträge solcher Wirtschaftseinheiten zu Gunsten des Berechtigten vorgehalten würden, die diesem an sich kraft Erbrechts zustehen würden. Das finde seine Rechtfertigung darin, dass auch hier – ebenso wie bei der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen – mit der Abziehbarkeit der Versorgungsleistungen beim Verpflichteten und der Steuerbarkeit beim Bezieher der Rechtsgedanke von Vermögenserträgen, die der Übergeber des Vermögens vorbehalte ähnlich einem Vorbehaltsnießbrauch, „rechtstechnisch” verwirklicht werde. Wegen der Klagebegründung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 11.08.2009 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung die festgesetzte Einkommensteuer i. H. v. 72.621,00 EUR um 4.328,00 EUR auf 68.293,00 EUR herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, in der notariellen Vereinbarung vom 02.02.1972 habe die Mutter der Klägerin die angeführte Rentenzahlung als Gegenleistung für ihren Pflichtteilsverzicht erhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. Urteil vom 31. Juli 2002, X R 39/01 BFH-NV 2002, 1575) sei daher insoweit nicht von abzugsfähigen Sonderausgaben auszugehen.
Gründe:
Die Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2007 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
Zu Recht hat das beklagte Finanzamt die Zahlungen der Klägerin an S nicht als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG i.d.F. für das Streitjahr 2007) steuermindernd berücksichtigt. Es handelt sich nämlich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht um Versorgungsleistungen an die S, sondern um davon zu unterscheidende Zahlungen als Entgelt für den im Vertrag vom 2.2.1972 erklärten Pflichtteilsverzicht. Eine Anerkennung der Zahlungen als Versorgungsleistungen scheidet deshalb aus, weil es an der Übergabe eines Vermögensgegenstandes durch S fehlt.
Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Der Hauptanwendungsfall der Vorschrift ist die Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Dabei unterscheidet man in der für das Streitjahr geltenden Fassung zwischen Renten, bei denen lediglich der Ertragsanteil als Sonderausgaben abziehbar war und dauernden Lasten, die in vollständiger Höhe abziehbar waren. Soweit etwa Vermögen im der Wege der vorweggenommenen Erbfolge von Eltern auf Kinder übertragen wird und sich der Übernehmer im Zusammenhang hiermit zu wiederkehrenden Leistungen an den/die Übergeber verpflichtet, stellen diese Versorgungsleistungen weder Veräußerungsentgelt noch Anschaffungskosten dar. Spezialgesetzlich werden sie den wiederkehrenden Bezügen in § 22 Nr. 1 EStG wie auch § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. zugeordnet (grundlegend: Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 05.07.1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl. II 1990, 847; vom 15.07.1991 GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl. II 1992, 78). Zwingende Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze über die steuerrechtlich privilegierte private Versorgungsrente ist es aber, dass eine ertragbringende existenzsichernde Wirtschaftseinheit vom Übergeber zur Weiterführung durch den Übernehmer überlassen wird (ausführlich BFH – Urteil vom 14.02.1996 X R 106/91, BFHE 180, 87, BStBl. II 1996, 687). Die spezialgesetzliche Zuordnung der wiederkehrenden Leistungen zu den Sonderausgaben und den wiederkehrenden Bezügen (private Versorgungsrente) beruht auf der Vorstellung des Gesetzgebers, dass sich der Vermögensübergeber im „Vermögensübergabevertrag” in Gestalt der Versorgungsleistungen typischerweise zukünftige Erträge vorbehält, die nunmehr vom Übernehmer erwirtschaftet werden müssen (grundlegend Beschlüsse des Großen Senats des BFH in BFHE 161, 317, BStBl. II 1990, 847 und in BFHE 165, 225, BStBl. II 1992, 78; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.1992, I BVR 4/87, Deutsches Steuerrecht – DStR – 1993, 315; seither ständige Rechtsprechung, z. B. Urteil vom 17.06.1998 X R 104/94, BFHE 186, 280; zuletzt BFH Urteil vom 17.03.2010, X R 38/06, BFHE 229, 163, BStBl. II 2011, 622).
Dem Fall der vorweggenommenen Erbfolge ist der Fall gleichgestellt, bei dem im Wege der letztwilligen Verfügung ein erbberechtigter Angehöriger oder der überlebende Ehegatte Versorgungsleistungen anstelle seines Erbteils erhält (BFH-Urteil vom 7.3.2006 X R 12/05, BStBl II 2006, 797). In einem solchen Fall kann auch für dritte Personen eine Versorgungsleistung i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG vorbehalten werden. Allerdings muss diese dritte Person im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge einen eigenen Vermögenswert übertragen (BFH-Urteil vom 7.3.2006 X R 12/05, BStBl II 2006, 797).
Eine solche Übertragung eines Vermögenswertes durch S fehlt im vorliegenden Fall. S erhielt lediglich eine Rente im Vermächtniswege vom verstorbenen Vater der Klägerin zugewandt. Diese stellt, auch wirtschaftlich betrachtet, ausschließlich eine Gegenleistung für den im gleichen Vertrag erklärten Pflichtteilsverzicht dar.
Leistungen, die als Abfindung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht in Form einer Rente durch den Vermögensübergeber oder dessen Erben geleistet werden, sind aber – unabhängig davon, ob sie auf Lebenszeit des Begünstigten oder für eine bestimmte Dauer (vgl. BFH Urteil in BFHE 190, 178, BStBl. II 2000, 82 und II 4) zu zahlen sind, auch gleichgültig, ob die Höhe der Zahlung nach kaufmännischen Gesichtspunkten am Wert des Erb- und/oder Pflichtteils bemessen wurde und § 323 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) anwendbar ist oder nicht – stets als Sonderausgaben bei der Einkommensbesteuerung nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH Urteil vom 31.07.2002, III R 39/01, BFH/NV 2002, 1575; vorhergehend FG Münster, Urteil vom 26.03.2001, 4 K 6429/99 E, EFG 2001, 1034). Einen Erb-/Pflichtteilsverzichts gegen Zusage wiederkehrender Bezüge als „Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen” zu werten, ist mit dem idealtypischen Fall der Hof- und Betriebsübergabe nicht vergleichbar. Vielmehr wird der Verzichtende für seinen Verzicht entschädigt, ohne dass es auf die Erträge bzw. die Weiterbewirtschaftung des übernommenen Vermögens durch die andere Seite erhält.
Ein solcher Verzichtsvertrag wird geprägt durch seine Funktion, dem Verzichtenden ganz oder teilweise einen Ausgleich für die vollständige Aufgabe seiner Beteiligung am Nachlass zu gewähren. Genau wie im Fall der Erbauseinandersetzung zwischen Miterben erfolgt dieser Vorgang durch Ausgleich auf der privaten Vermögensebene. Schon dies schließt aber eine Zuordnung zum Typus einer „Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen”, der durch eine ganz andere Interessenlage bestimmt ist, von vornherein aus (vgl. BFH – Urteil vom 31.08.1994 X R 44/93, BFHE 176, 19, BStBl. II 1996, 676).
Nach diesen Grundsätzen kommt eine Anerkennung der streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin an S als Leibrente nicht in Betracht, denn diese Leistungen hat die Klägerin als Erbin ihres Vaters an ihre Stiefmutter gerade für deren Verzicht auf ihren Pflichtteil erbracht. Mit diesem bereits im Februar des Jahres 1972 erklärten Pflichtteilsverzicht von S als damals zukünftiger Ehefrau des Vaters der Klägerin, ist S auch zu keinem Zeitpunkt als Person Teil des Generationennachfolge-Verbundes geworden, indem insoweit Versorgungsleistungen als dauernde Last oder Leibrente vorstellbar sind. S hat sich mit diesem Verzicht auch ihrer Ansprüche auf das zukünftige Vermögen ihres Ehemannes begeben, durch dessen spätere Hingabe im Generationenverbund Versorgungsleistungen hätten gegründet werden können.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wird die Revision zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.