13.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123801
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 07.09.2012 – I-3 Wx 141/12
Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser testierunfähig war (hier: demenzielles Syndrom), so wird das bei Gefährdung des Nachlassbestandes bestehende Fürsorgebedürfnis für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft im Dienste der endg ültigen Erben nicht durch eine im Testament bestimmte Testamentsvollstreckung ausgeräumt, wenn der Erblasser dem Testamentsvollstrecker weitgehende Befugnisse zugestanden hat, die die Wirksamkeit der Anordnung der Testamentsvollstreckung voraussetzen (hier: Auszahlung des weit überdurchschnittlich werthaltigen Nachlasses an den Erben).
OLG Düsseldorf, 07.09.2012
I-3 Wx 141/12
In der Nachlasssache
betreffend den Nachlass des verstorbenen J. G. B. N.,
1. Rechtsanwalt C. S., in Düsseldorf,
Beschwerdeführer,
2. Rechtsanwalt F. T., in Düsseldorf,
Nachlasspfleger,
3. C. H., in Düsseldorf,
testamentarische Erbin,
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Beschlüsse des Nachlassgerichts - Rechtspflegerin - Düsseldorf vom 01. Juni 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht G. sowie der Richter am Oberlandesgericht D. und v. W.
beschlossen:
Tenor:
Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Geschäftswert. 200.000,- Euro
Gründe
I.
Der am 16. April 2012 verstorbene Erblasser, der nach der Wertangabe im Antrag auf Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses über ein Vermögen im Bereich von 2.000.000.- Euro verfügte, errichtete zu Urk.-R.- Nr. xxx des Notars Dr. O. vom 25. Januar 2012 ein Testament, indem er die Beteiligte zu 3, die im sozialpsychiatrischen Dienst tätig war, ihn im Rahmen einer angemeldeten Nebentätigkeit zeitweise betreute und begleitete und zu der er ein Vertrauensverhältnis entwickelt hatte, zu seiner Alleinerbin einsetzte. Zugleich berief er den Beteiligten zu 1 zum Testamentsvollstrecker, u. a. mit der Aufgabe, den Nachlass an die Erbin herauszugeben.
In der Urkunde heißt es u. A.
"Der Notar überzeugte sich im Laufe der Verhandlung von der uneingeschränkten Testierfähigkeit des Erschienenen.
Herr N. war zunächst sehr müde. Er hat dann aber offene Frage, namentlich nach der Person des Erben, eigenständig beantwortet. Den Inhalt hat er nochmals bestätigt. Auch andere Fragen, z.B. zum beabsichtigten Kauf eines Hauses, beantwortete er (sowohl die Fragen z. T. bejahend und z. T. verneinend)."
Unter dem 31. Mai 2012 teilte das Nachlassgericht mit, dass es mit Blick auf ein im Betreuungsverfahren (96 XVII N 707 AG Düsseldorf) erstelltes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. A. vom 31. Januar 2011, der zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der Erblasser nicht mehr geschäfts- und testierfähig sei, von einer ungewissen Erbfolge bei unbekannten gesetzlichen Erben ausgehe.
Unter dem 01. Juni 2012 hat das Amtsgericht die Nachlasspflegschaft nach dem Erblasser angeordnet und den Beteiligten zu 2 mit weiterem Beschluss vom selben Tage zum Nachlasspfleger bestellt.
"Gegen die Bestellung des Nachlasspflegers" richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1 vom 06. Juni 2012, mit der er geltend macht, er habe den Erblasser persönlich gekannt; zwar sei sein Gesundheitszustand schlecht gewesen; an der Testierfähigkeit habe er aber keinen Zweifel gehabt; der Erblasser habe mehrfach erklärt, die Beteiligte zu 3, die ihn partiell betreut habe und der er emotional sehr verbunden gewesen sei, als Alleinerbin einsetzen zu wollen; der Erblasser habe die Beteiligte zu 3 heiraten wollen; er habe ihm gegenüber mehrfach den Wunsch ausgesprochen, den Nachlass zu regeln.
Eine Nachlasspflegschaft komme hiernach nicht in Betracht, weil der Erbe mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannt sei. Es bestehe mit Rücksicht auf die Testamentsvollstreckung kein Fürsorgebedürfnis. Die Nachlasspflegschaft verursache unnötigerweise Kosten von etwa 50.000,- Euro. Wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Anordnung und drohenden wirtschaftlichen Schadens bedürfe es der einstweiligen Anordnung.
Das Amtsgericht hat am 15. Juni 2012 der Beschwerde "gegen die Beschlüsse vom 01.06.2012" nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, am Tage der Testamentseröffnung habe die Rechtspflegerin der Betreuungsabteilung darauf hingewiesen, dass der Erblasser nach ihrer Kenntnis wahrscheinlich nicht mehr testierfähig gewesen sei. Bezüglich des Antrages auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses habe der zuständige Abteilungsrichter am 31. Mai 2012 vermerkt:
"Die Erbfolge ist aus den folgenden Gründen ungewiss: Ausweislich des Auszuges aus der Betreuungsakte in dem Betreuungsverfahren Amtsgericht Düsseldorf, Az. 96 XVIIN 707 wurde der Gesundheitszustand des Erblassers am 31.01.2011 durch Dr. A. im Auftrag des Amtsgerichts Düsseldorf begutachtet Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass der Erblasser an einer leichten bis mittleren Demenz leidet und er im Rahmen seiner fluktuierenden Orientierung, die scheinbar intaktes autonomes Verhalten als Fassade vortäuscht, umfassend nicht mehr geschäfts- oder testierfähig ist (Seite 57 des Gutachtens). Mit einer wesentlichen Besserung des Krankheitsverlaufs sei angesichts des demenziellen Syndroms nicht mehr zu rechnen.
Ca. ein Jahr später fand ein Notartermin statt, in dem die vom Gericht eingesetzte Betreuerin zur Erbin eingesetzt worden ist. Angesichts des o .g. Gutachtens bestehen erhebliche Zweifel an der Testierfähigkeit, die auch nicht durch die Ausf ührungen des Notars Dr. O. in der Testamentsurkunde vom 25.01.2012 ohne weiteres ausgeräumt werden. Die gesetzlichen Erben sind zudem unbekannt.
Der Erblasser war Eigentümer mehrerer Immobilien, es besteht bei dem Nachlass mit einem Wert von ca. 2 Millionen € ein Sicherungsbedürfnis. Die Ausstellung des zusätzlich beantragten Annahmezeugnisses sollte zunächst zurückgestellt werden."
Daraufhin sei am 01. Juni 2012 die Nachlasspflegschaft eingeleitet worden. Aus dem in der Betreuungsakte befindlichen Gutachten sei ersichtlich, dass der Erblasser nicht mehr testierfähig gewesen sei; sowohl das Testament als auch die Anordnung der Testamentsvollstreckung dürften somit unwirksam sein. Daraus folge, dass die Erben unbekannt seien (gesetzliche Erben seien zur Zeit nicht bekannt); die Stieftochter sei nicht gesetzliche Erbin; ein sicherungsbedürftiger Nachlass sei vorhanden.
Am 04. Juli 2012 hat das Amtsgericht den Wirkungskreis der Nachlasspflegschaft mit "Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie Ermittlung der Erben" bestimmt.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1.
a)
Der Senat geht mit Blick auf die Begründung des Rechtsmittels davon aus, dass sich der Testamentsvollstrecker- entgegen seiner ausdrücklichen Erklärung - nicht allein und nicht zuerst "gegen die Bestellung des Nachlasspflegers", sondern vornehmlich gegen die Anordnung der Nachlasspflegschaft wendet. Mit dieser Maßgabe ist das Rechtsmittel des Beteiligten zu 1 - Testamentsvollstreckers - zulässig, §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG; (vgl. Keidel/Meyer-Holz, a.a.O. § 59 Rdz. 83) und dem Senat nach § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG zur Entscheidung angefallen.
2.
In der Sache hat es jedoch keinen Erfolg.
a)
Die Nachlasspflegschaft (§ 1960 BGB) dient der Wahrung der Interessen der noch nicht oder nicht sicher bekannten Erben (OLG München NJW 2010, 2364 [OLG München 26.02.2010 - 31 Wx 16/10]; Palandt/Weidlich, BGB, 70. Auflage 2011, § 1960 Rdz. 11).
Voraussetzung bzw. Anlass für die Anordnung der Nachlasspflegschaft ist zunächst, dass der Erbe unbekannt oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat (§ 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ungewissheit über die Person des Erben kann bestehen bei konkreten Zweifeln an der Gültigkeit einer Verfügung von Todes wegen (BayObLG NJW-RR 2004, 939, 941 [BayObLG 10.12.2003 - 1 Z BR 71/03]) oder ernstlichen Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers (OLG Karlsruhe FGPrax 2003, 229 [OLG Karlsruhe 02.05.2003 - 14 Wx 3/03]; Siemann/Höger in Bamberger/Roth BeckOK BGB § 1960 Rn 4 Stand: 01.09.2009).
Ferner hat das Nachlassgericht bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht (§ 1960 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Vorliegen von Umständen, die einen Sicherungsanlass bedeuten, reicht für das Ergreifen einer Maßnahme zur Nachlasssicherung allein nicht aus. Neben der Unklarheit über den endgültigen Erben muss ein Bedürfnis für die gerichtliche Fürsorge bestehen.
Ein Sicherungs- bzw. Fürsorgebedürfnis ist gegeben bei Gefährdung des Nachlasswertes (OLG Karlsruhe FGPrax 2003, 229 [OLG Karlsruhe 02.05.2003 - 14 Wx 3/03]; OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 895), wenn also ohne Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre (Senat ZEV 2001, 366; FamRZ 1998, 583). Über das Bestehen eines solchen Bedürfnisses entscheidet das Nachlassgericht nach pflichtgemäßem Ermessen (OLG Frankfurt OLGR 2005, 442; BayObLG Rpfleger 2004, 218 [BayObLG 20.11.2003 - 1 Z BR 92/03]; Siemann/Höger, a.a.O. Rn. 3).
Maßgeblich ist das Interesse des endgültigen Erben an der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, aber auch der Erblasserwille (OLG Köln NJW-RR 1989, 454 [OLG Köln 04.01.1989 - 2 Wx 39/88]; LG Stuttgart ZEV 2009, 396 [LG Stuttgart 17.07.2009 - 1 T 61/09]; Siemann/Höger, a.a.O.; Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2010 Rn 18). Das Bedürfnis fehlt, soweit der vorläufige Erbe, ein Miterbe oder Erbprätendent, Ehegatte, Eltern oder Abkömmlinge des Erblassers vorhanden sind und den Nachlass zuverlässig verwalten. Gleiches gilt, wenn dringliche Nachlassangelegenheiten bereits von einer sonstigen bevollmächtigten Person zuverlässig erledigt werden (Leipold, a.a.O. Rn 19).
b)
aa)
Dies vorausgeschickt, hat das Amtsgericht den in der - gegenwärtigen - Unklarheit über den endgültigen Erben begründeten Sicherungsanlass zutreffend und kaum ergänzungsbedürftig unter Darstellung des Vermerks des Abteilungsrichters vom 31. Mai 2012 herausgearbeitet.
Nach dem Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. A. vom 31. Januar 2011 bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser seit dem Untersuchungszeitpunkt einer von einem demenziellen Syndrom geprägten, nicht maßgeblich besserungsfähigen, geistigen Entwicklung unterlag, die ihn auch unter Berücksichtigung des Notarvermerks zur Zeit der Testamentserrichtung testierunfähig machte. Hiernach bestehen nach gegenwärtigem Stand ernstliche Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers, die eine Ungewissheit über die Person des Erben begründen.
bb)
(a)
Die weitere Voraussetzung eines Bedürfnisses für die gerichtliche Fürsorge (Fürsorgebedürfnis), insbesondere in Gestalt einer Gefährdung des Nachlasswertes (vgl. Senat, FGPrax 2010, 77 [OLG Düsseldorf 10.12.2009 - I-3 Wx 218/09]; FamRZ 1995, 895) - maßgeblich ist das Interesse des endgültigen Erben (Siemann/Höger, a.a.O., Rn. 3) - wird hier durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht ausgeräumt, sondern ergibt sich nicht zuletzt aus der im Testament angeordneten Aufgabenzuweisung an den Testamentsvollstrecker, nämlich nach Treffen vorbereitender Maßnahmen den im Bereich von 2 Millionen Euro liegenden und damit weit überdurchschnittlich werthaltigen Nachlass an die Erbin herauszugeben. Damit werden dem Testamentsvollstrecker weitgehende Befugnisse eingeräumt, die die Wirksamkeit der (Anordnung der) Testamentsvollstreckung erfordern. Mit Blick hierauf könnte eine den Belangen der noch unbekannten Erben gerecht werdende Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker nicht als gewährleistet angesehen werden.
(b)
Zwar ist die angefochtene Entscheidung des Nachlassgerichts insoweit zu beanstanden, als sie eine Ermessensausübung in Bezug auf die Auswahl des Sicherungsmittels nicht erkennen lässt. Nach dem vom Senat als Tatsachengericht selbst ausgeübten Ermessen bewegt sich die Wahl des Sicherungsmittels indes mit der Anordnung der - gesetzlich vorgesehen (§ 1960 Abs. 2 BGB) - Nachlasspflegschaft innerhalb der Grenzen des pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts.
cc)
Ob und inwieweit die Anordnung einer Nachlasspflegschaft unter Unständen vermieden werden könnte, wenn Maßnahmen getroffen werden, die die Tätigkeit des Testamentsvollstreckers auf die unbedingt notwendige Verwaltung beschränken, insbesondere die Herausgabe des Nachlasses an die im Testament bestimmte Erbin bis zu endgültigen Klärung der Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung sperren, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn weder die Antragstellung noch die Beschwerdebegründung des Beteiligten zu 1 lassen einen Anhalt dafür erkennen, dass der Testamentsvollstrecker eine dahin gehende Einschränkung seiner ihm vom Erblasser im Testament eingeräumten Befugnisse zum Zwecke der Vermeidung der Anordnung einer Nachlasspflegschaft hinzunehmen bereit ist.
3.
Der Antrag des Beteiligten zu 1 auf Aussetzung der Vollziehung ist nach der Entscheidung über die Beschwerde überholt (§ 64 Abs. 3 FamFG).
4.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.