26.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130968
Finanzgericht Münster: Urteil vom 31.01.2013 – 3 K 1321/11 Erb
1) Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG n.F. kommt nur zur Anwendung, wenn der Erwerber die Immobilie von Anfang an zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt hat. Eine Ausnahme hiervon aus zwingenden Gründen ist nicht vorgesehen.
2) Berufliche Gründe sind kein zwingender Grund i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG.
FG Münster v. 31.01.2013
3 K 1321 / 11 Erb
Tatbestand
Streitig ist, ob die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c des Erbschaftsteuergesetzes 2009 (ErbStG) zu gewähren ist.
Der Kläger ist aufgrund gemeinschaftlichen Testaments seiner Eltern vom 28.10.1993 alleiniger Nacherbe nach dem Tod seines Vaters (Erblasser) am 02.12.2009, nachdem die Mutter des Klägers bereits am 10.12.2005 vorverstorben war. Im Nachlass befand sich unter anderem das Grundstück A-Straße 1 in D. Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus (Baujahr: 1962, Wohnfläche: 157 m²) bebaut, welches der Kläger nach dem Erbfall renovierte und ab August 2010 vermietete.
Zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers war der Kläger aufgrund seiner Ernennung vom 27.03.2006 mit Wirkung zum 01.04.2006 als Universitätsprofessor in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität U beschäftigt. Dieser Beschäftigung lag die Berufungsvereinbarung vom 14.02.2006 zugrunde, der zufolge der Kläger sich verpflichtet hatte, seinen Wohnsitz an den künftigen Dienstort U oder in dessen nähere Umgebung zu verlegen (Ziff. 4 Abs. 1 der Berufungsvereinbarung vom 14.02.2006).
Mit der Erbschaftsteuererklärung vom 14.12.2010 begehrte der Kläger die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Er gab an, dass es sich bei dem Grundstück in D um ein Familienheim im Sinne der Vorschrift handele, dass aber eine Selbstnutzung aus objektiv zwingenden Gründen nicht möglich sei. Seit dem 01.04.2006 sei er Universitätsprofessor in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit und aufgrund der Berufungsvereinbarung vom 14.02.2006 verpflichtet, seinen Wohnsitz an den Dienstort in U oder dessen näherer Umgebung zu verlegen. Der Umzug nach U sei zunächst bereits zum 01.08.2009 geplant gewesen, habe dann aber aufgrund einer gescheiterten Versetzung seiner Ehefrau, die als Oberstudienrätin tätig sei, verschoben werden müssen. Mit notariellem Kaufvertrag vom 16.09.2010 habe er mit seiner Frau schließlich in E, 18 Kilometern von U entfernt, ein Haus erworben. Da die berufliche Weichenstellung bereits seit 2006 klar gewesen sei, sei er aus zwingenden beruflichen Gründen gehindert gewesen, nach dem Tod seines Vaters dessen Haus zu beziehen.
Der Beklagte setzte mit Erbschaftsteuerbescheid vom 31.01.2011 die Erbschaftsteuer auf 369.022 Euro unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO –) fest, ohne die Steuerbefreiung für das Einfamilienhaus in D gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu gewähren. Die angeführten beruflichen Gründe für die Nichtnutzung des Hauses seien keine objektiv zwingenden Gründe, wie sie die Befreiungsvorschrift voraussetze.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 14.02.2011 wegen der Steuerbefreiung Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass ein Umzug in das geerbte Haus nahe gelegen hätte, wenn er nicht zuvor die Professur in U angetreten hätte. Zwar sei das Haus nach vierjährigem Leerstand und einem Wasserschaden zum Zeitpunkt des Todes des Vaters nicht bewohnbar gewesen. Allerdings liege es landschaftlich schön und verkehrstechnisch günstig. Es sei zudem mit Kindheitserinnerungen verbunden. Ein Bezug sei allerdings faktisch nicht in Betracht gekommen. Denn eine Versetzung nach D oder zumindest in den Umkreis sei nicht möglich gewesen. Auch eine vergleichbare Stelle wäre nur nach langwierigen Berufungsverfahren vergeben worden. Hinzu komme, dass die Fächerkombination „Kirchenordnung und Neuere Kirchengeschichte” an keiner anderen Hochschule existiere.
Die Residenzpflicht habe vorgesehen, dass er sich im Umkreis von 30 Kilometern von U niederlasse. Seine Ehefrau sei Lehrerin und nach einem ersten vergeblichen Versuch im Jahr 2009 schließlich im Jahr 2010 von der Schule in Nordrhein-Westfalen an eine baden-württembergische Schule versetzt worden. Daher habe man schließlich auch das Grundstück in E erworben.
Selbst wenn er die Professur nicht angenommen hätte, hätte er als Pfarrer bei seiner vorherigen Tätigkeit in der Gemeinde in O der Residenzpflicht unterlegen und hätte nicht nach D ziehen können.
Sollte ihm die Steuerbefreiung für das Familienheim verwehrt bleiben, so läge eine Benachteiligung gegenüber Erben vor, die in der Nähe des Familienheimes beruflich tätig seien. Somit sei auch ein beruflicher Grund ein objektiv zwingender Grund, der eine Eigennutzung verhindere.
Mit Einspruchsentscheidung vom 17.03.2011 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Objektiv zwingende Gründe lägen nach dem Erlass zum ErbStG bei einer beruflichen Versetzung nicht vor. Denn es dürfe dem Erwerber nicht möglich sein, überhaupt einen Hausstand zu führen. Vorliegend habe der Kläger aber einen Hausstand in H unterhalten. Da er auch nie in Erwägung gezogen habe, das Haus seines Vaters selbst zu nutzen, fehle es an einer Bestimmung zur Selbstnutzung.
Mit der am 14.04.2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Den Sachverhalt ergänzt und vertieft der Kläger wie folgt: Vor Antritt der Professur sei er seit 1999 als Pfarrer einer Gemeinde in O tätig gewesen. In dieser Zeit habe er mit seiner Familie anfangs in dem Einfamilienhaus in H gewohnt. Nach dem Bau eines Pfarrhauses im Jahre 2003 habe ihn dann eine Residenzpflicht getroffen und er sei mit seiner Familie nach O umgezogen. Das Einfamilienhaus in H sei während dieser Zeit durch die Familie aber weiterhin genutzt worden, da sich dort die Bibliothek des Klägers befunden habe.
Mit der Aufnahme der Tätigkeit in U habe er dort dann zunächst in einem Stift gewohnt. Zum 01.08.2006 habe er eine 21 m² große Einzimmerwohnung in U angemietet. Diese habe er vorerst allein bewohnt, da seine Ehefrau und die beiden Kinder in dieser Zeit wieder in H gewohnt hätten. Er selbst habe in dieser Zeit abwechselnd sowohl in U als auch in H gewohnt. Gleichwohl habe sich sein Lebensmittelpunkt bereits seit dieser Zeit in U befunden. Mit dem Antritt ihrer neuen Stelle in Baden-Württemberg sei seine Ehefrau dann zum 01.08.2010 zu ihm in die Einzimmerwohnung gezogen. Auch sie habe damit ihren Lebensmittelpunkt nach U verlegt. Das Haus in H habe man weiterhin genutzt, da die Bibliothek des Klägers sich in der Einzimmerwohnung in U nicht habe unterbringen lassen. Auch die Kinder, die in 2008 in N bzw. in 2009 in S mit dem Studium begonnen hätten, seien regelmäßig an den Wochenenden nach H zurückgekehrt, um Freundschaften zu pflegen.
Die ursprünglich bereits zum 01.08.2009 geplante Versetzung seiner Ehefrau aufgrund ihres Versetzungsantrags vom 28.10.2008 in die Gegend von U und der damit verbundene Umzug nach U habe nicht stattgefunden, da ihr lediglich eine weiter von U entfernte Stelle im Schuldienst von Baden-Württemberg angeboten worden sei und noch rechtliche Fragen ungeklärt geblieben seien.
Die Versetzung im Jahr 2010 sei dann aufgrund eines zweiten Versetzungsantrages vom 14.09.2009 erfolgt. Bereits im Januar 2010 habe die Versetzung der Ehefrau an ein Gymnasium im Bereich des Regierungspräsidiums U festgestanden. Sie sei telefonisch über die Versetzung zu alternativen Schulstandorten informiert worden und habe dem zugestimmt; die schriftliche Mitteilung des Regierungspräsidiums sei zum 19.04.2010 erfolgt.
Am 27.01.2010 sei dem Kläger das eröffnete Testament bekannt gegeben worden, wodurch er Kenntnis von der Erbschaft, einschließlich des Hauses in D erhalten habe. Im Februar 2010 sei dann damit begonnen worden, den Haushalt in D aufzulösen, was aufgrund der dienstlichen Verpflichtungen des Klägers nur am Wochenende möglich gewesen sei. Im März 2010 hätten dann die umfangreichen Renovierungsarbeiten zur Herstellung eines vermietbaren Zustandes begonnen. Diese seien im August 2010 abgeschlossen worden, sodass die Vermietung am 01.09.2010 habe beginnen können. Im April 2010 habe der Kläger mit seiner Ehefrau Grunderwerbsverhandlungen mit einem Makler über das Grundstück B-Straße 2 in E aufgenommen. Mit Kaufvertrag vom 16.09.2010 sei das Grundstück schließlich erworben und mit einem neuen Einfamilienhaus bebaut worden. Der Umzug in dieses Haus sei Mitte Februar 2012 erfolgt. Das Einfamilienhaus in H werde allerdings weiterhin von der gesamten Familie genutzt. So habe sich bis Mai 2012 noch etwa ein Viertel der Bibliothek in H befunden, während drei Viertel bereits nach E überführt worden seien.
In Bezug auf die Auslegung von § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG f ührt der Kläger wiederholend und vertiefend aus, dass die Erlasslage den Gesetzestext unzulässig verschärfe, wenn „zwingende Gründe” als „objektiv zwingende Gründe” angesehen würden und hierunter nur Pflegebedürftigkeit und Tod verstanden würden. In der Gesetzesbegründung seien diese Ausnahmen nur beispielhaft aufgeführt, um die Einzelfallentscheidung den Gerichten zu übertragen.
Der Kläger weist nochmals daraufhin, dass er bereits im Zeitpunkt des Todes des Vaters aufgrund seiner Residenzpflicht an einem Wohnsitzwechsel gehindert gewesen sei. Es sei daher keine freiwillige Entscheidung des Klägers gewesen, den Wohnsitz aus beruflichen Gründen wegzuverlegen. Es sei ihm sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen aufgrund der Berufungsvereinbarung unmöglich gewesen, das geerbte Haus selbst zu nutzen. Auch aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit als Pfarrer in O wäre er aufgrund einer Residenzpflicht gehindert gewesen, das Familienheim in D zu beziehen. Auch für den Übergangszeitraum von Ende Januar 2010 bis zum 01.08.2010 könne dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er nicht in das Haus in D eingezogen sei, da er zu dieser Zeit seinen Lebensmittelpunkt bereits in U gehabt habe und das Haus aufgrund der Renovierungsarbeiten auch gar nicht zur Verfügung gestanden habe.
Aufgrund des Gesetzeszwecks werde auch in der Literatur vielfach vertreten, dass berufliche Gründe als zwingende Gründe anzuerkennen seien. Sähe man dies anders, läge zudem ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) vor, da ganze Berufsgruppen aufgrund ihrer Residenzpflicht von der Befreiung ausgenommen seien. Zudem habe er diese Disposition lange vor Inkrafttreten des Erbschaftsteuergesetzes getroffen, ohne absehen zu können, dass ihm dadurch die Steuerbefreiung entgehen könnte.
Im Klageverfahren hat der Beklagte einen Feststellungsbescheid über einen abweichenden Grundbesitzwert ausgewertet und den angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid mit Bescheid vom 28.08.2012 geändert. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 04.01.2013 hat der Beklagte unter Aufrechterhaltung des Vorbehaltes der Nachprüfung die Festsetzung der Erbschaftsteuer gem. § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG für vorläufig erklärt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.03.2011 den Erbschaftsteuerbescheid vom 04.01.2013 dahingehend abzuändern, dass die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für das Familienheim A-Straße 1 in D gewährt und die festzusetzende Erbschaftsteuer insoweit um 29.575 Euro gemindert wird,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung.
Der seinerzeitige Berichterstatter, Richter am Finanzgericht Lutter, hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 30.05.2012 erörtert. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird Bezug genommen (vgl. Blatt 98 ff. der Gerichtsakte).
Der Senat hat in der Sache am 31.01.2013 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Erbschaftsteuerbescheid vom 04.01.2013 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17.03.2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG liegen nicht vor, da es bereits im Ausgangspunkt an einem Familienheim im Sinne der Vorschrift fehlt. Eine Ausnahme aus zwingenden Gründen ist nicht zugelassen. Derartige Gründe liegen im Streitfall darüber hinaus aber auch nicht vor.
Gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG bleibt der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 Quadratmeter nicht übersteigt. Die Steuerbefreiung fällt nach Satz 5 der Norm mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.
1.
Für die Anwendung der Begünstigungsvorschrift fehlt es im vorliegenden Fall an der unverzüglichen Bestimmung des erworbenen Hauses zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken. Der Senat ist der Auffassung, dass eine Ausnahme hiervon aus zwingenden Gründen nicht zugelassen ist.
Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG setzt ein Familienheim im Sinne der gesetzlichen Begriffsbestimmung voraus. Dies erfordert aufseiten des Erwerbers die Bestimmung zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken. Zwar wird im Schrifttum bezweifelt, ob der Gesetzgeber, der in § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG das Familienheim bei Zuwendungen unter Lebenden enger (Wohnung zu eigenen Wohnzwecken) beschrieben hat, unterschiedliche Definitionen des Familienheims in einer Vorschrift vornehmen wollte (so Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2634 f.). Dies kann vorliegend indes offenbleiben, da im vorliegenden Fall keine der Voraussetzungen auf Erwerberseite erfüllt ist.
Eine Ausnahme von der unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken ist in der Begriffsbestimmung nicht vorgesehen und lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung hineinlesen. Eine derartige Ausnahme aus zwingenden Gründen sieht das Gesetz bei der Beschreibung des Familienheims allein aufseiten des Erblassers vor, während aufseiten des Erwerbers die Bestimmung zur Selbstnutzung alternativlos aufgeführt ist. Nichts anderes ergibt sich unter Hinzuziehung des Wortlautes von Satz 5, dem zufolge die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit wegfällt, wenn die Selbstnutzung aufgegeben wird und keine zwingenden Gründe für die Aufgabe der Selbstnutzung vorliegen. Der Nachversteuerungstatbestand setzt indes nach Auffassung des Senates voraus, dass die erworbene Immobilie zunächst überhaupt „Familienheim” im Sinne des Satzes 1 geworden ist. Ein Wegfall der Steuerbefreiung kann begrifflich nur nach ihrer vorherigen Gewährung eintreten. Eine Gewährung der Steuerbefreiung wiederum ist, wie dargelegt, nur im Fall einer Widmung zum Familienheim möglich.
Hätte der Gesetzgeber hiervon eine Ausnahme, also ein Familienheim gänzlich ohne Selbstnutzung, anerkennen wollen, hätte er dies nach Auffassung des Senates bereits im Rahmen der Begriffsbestimmung zum Ausdruck gebracht – wie aufseiten des Erblassers geschehen. Dem lässt sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, dass es sich hierbei um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers gehandelt habe. Denn die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gemachten Ausführungen zu dieser Vorschrift bekräftigen das Ergebnis der Wortlausauslegung ebenso wie eine teleologische Auslegung der Vorschrift. Die Zielsetzung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG liegt maßgeblich darin, das Familienheim als sog. „Familiengebrauchsvermögen” zu schützen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/11107, Bericht des Finanzausschusses (BT-Drs. 16/11107), S. 9). Im Bericht des Finanzausschusses wird dazu auf in Hausgemeinschaft mit den Eltern lebende Kinder oder solche, die das Familienheim unverzüglich nach dem Erwerb selbst zu Wohnzwecken nutzen, abgestellt. Beides spricht dafür, dass der Charakter als Familienheim auch in der Hand des Erwerbers zunächst begründet werden muss. Noch deutlicher wird dieser Aspekt, wenn ausgesprochen wird, dass der „Schutz des familiären Lebensraums” es gebiete, „die Steuerbefreiung davon abhängig zu machen, dass das Kind das Familienheim auch tats ächlich zu eigenen Wohnzwecken nutzt”. Erst wenn „diese Nutzung” innerhalb von zehn Jahren aufgegeben werde, sei ein Schutz „nicht mehr” geboten (BT-Drs. 16/11107, S. 9 (li. Sp. a. E.)).
Diese im Gesetzgebungsverfahren formulierte Teleologie der Steuerbefreiung erfordert nach Auffassung des Senates zwingend – und daher auch ausnahmslos –, dass das erworbene Grundstück im Ausgangspunkt zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt worden ist, da ansonsten kein schutzwürdiger gemeinsamer familiärer Lebensraum vorliegt. Sofern die Kinder das Haus ihrer Eltern zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr (mit) bewohnen, entfällt aus der Sicht des Senates mit dem Tod des letztversterbenden Elternteils zunächst der Charakter als Familiengebrauchsvermögen mit seinen familiären Bindungen. Das Grundstück ist damit anderem, etwa vermietetem Grundvermögen der Erbmasse gleichgestellt. Allein die unverzügliche Widmung zur Selbstnutzung kann diesen Charakter aufrechterhalten bzw. zeitnah wiederherstellen. Die familiäre Bindung des Familiengebrauchsvermögens macht nach Sinn und Zweck der Vorschrift die Begünstigungswürdigkeit des Grundstücks aus. Vor diesem Hintergrund ist eine Ausnahme von der unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung nicht zuzulassen, wenn die familiäre Bindung nicht zunächst reaktiviert wurde.
Nach diesen Rechtsgrundsätzen kann der Kläger die Steuerbefreiung nicht beanspruchen, da er das Haus in D nicht zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt hat und es sich somit nicht um ein Familienheim im Sinne des Gesetzes handelt. Dies ist in tatsächlicher Hinsicht unstreitig, wie in der mündlichen Verhandlung noch einmal zum Ausdruck gekommen ist.
Der Kläger selbst hat im Laufe des Verfahrens deutlich gemacht, dass ein Bezug des Hauses zu keinem Zeitpunkt in Betracht gekommen sei. Er selbst habe zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits der Residenzpflicht in U unterlegen und jedenfalls teilweise dort gewohnt. Seine Frau habe ebenfalls bereits Versuche unternommen, eine Versetzung in die Nähe von U zu erwirken. Es sei bereits zu dieser Zeit geplant gewesen, dass die Familie dauerhaft nach U verziehen werde. Die Nachricht, dass dies zum 01.08.2010 geschehen würde, erreichte den Kläger und sein Frau nach eigenem Vortrag im Januar 2010 noch bevor er überhaupt am 27.01.2010 vom Erwerb des Hauses erfuhr. Daher seien auch die Renovierungsarbeiten im Hinblick auf eine Vermietung vorgenommen worden, die sich dann ab dem 01.09.2010 auch unmittelbar angeschlossen habe.
Da die Steuerbegünstigung aus der Sicht des Senates im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, kann die Frage, ob § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG selbst im Einklang mit dem Grundgesetz steht, offen bleiben.
2.
Der Kläger könnte die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG aber auch dann nicht für sich beanspruchen, wenn man – mit seiner Rechtsauffassung – davon ausginge, dass von der unverzüglichen Widmung zu eigenen Wohnzwecken eine Ausnahme aus zwingenden Gründen zuzulassen ist, da nach Auffassung des Senates berufliche Gründe, wie die beim Kläger bestehende Residenzpflicht, nicht als zwingende Gründe anzuerkennen sind.
Das Tatbestandsmerkmal „zwingende Gründe” (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG) ist gesetzlich nicht definiert. Im Schrifttum gehen die Auffassungen zur Auslegung in Bezug auf die Anerkennung auseinander. Insbesondere berufliche als zwingende Gründe anzuerkennen wird verschiedentlich – zumeist ohne weitere Begründung – befürwortet (vgl. nur Geck in Kapp/Ebling, ErbStG, § 13, Rn. 39.5; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13, Rn. 71; H.-U. Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 13, Rn. 75). Dem schließt sich der Senat nicht an.
Die Auslegung hat am dargelegten Gesetzeszweck, das Familiengebrauchsvermögen mit Rücksicht auf die familiären Bindungen zu schützen, anzusetzen. Der Schutz des familiären Lebensraumes und der familiären Bindungen wird zwangsläufig verfehlt, wenn die Nutzung durch den letztlebenden Elternteil endet und eine sofortige Bestimmung zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken unterbleibt. Denn damit endet zugleich der Charakter als Familiengebrauchsvermögen und der Begünstigungsgrund entfällt. Es ist vor diesem Hintergrund nach Auffassung des Senates geboten, Ausnahmen eng zu begrenzen.
Anhaltspunkte für eine Grenzziehung ergeben sich aus den im Gesetzgebungsverfahren dokumentierten Beispielen für zwingende Ausnahmegründe: Pflegebedürftigkeit und Tod (BT-Drs. 16/11107, S. 9). Diese legen es nach Auffassung des Senates nahe, Umstände zu fordern, die eine Haushaltsführung im Familienheim unmöglich machen. Soweit dort ausgeführt wird, dass das „selbstständige Führen eines Haushaltes” in dem erworbenen Familienheim unmöglich sei, ist dies nach Auffassung des Senates nicht dahin zu verstehen, dass das Führen des Haushaltes im Familienheim nicht möglich sei, sondern bezieht sich auf das Führen eines eigenen Haushaltes schlechthin und muss damit in der Person des Erwerbers begründet liegen. Vor diesem Hintergrund scheiden berufliche Gründe jedenfalls dann als zwingende Gründe aus, wenn ihnen eine Entscheidung des Erwerbers zugrunde liegt, die bei in der Person des Erwerbers liegenden Gründen gerade nicht möglich ist. Soweit der Steuerpflichtige im Rahmen einer solchen Entscheidung berufliche „Zwänge” über die familiäre Bindung des Familienheims stellt, entfällt zudem die am Gesetzeszweck orientierte Begünstigungswürdigkeit. Dieser Aspekt wird auch an den Ausführungen zu Berufspendlern mit mehreren Wohnsitzen im Gesetzgebungsverfahren deutlich (BT-Drs. 16/11107, S. 9): Ein zusätzlicher Wohnsitz am Beschäftigungsort ist für die Steuerbefreiung solange unschädlich, wie das Familienheim noch den Lebensmittelpunkt darstellt. In diesen Fällen bleiben die familiäre Verbindung und damit die Begünstigungswürdigkeit erhalten.
Der Senat folgt der Auslegung der vom Beklagten zitierten Richtlinien zum ErbStG zu § 13 (R E 13.4 Abs. 2 Sätze 2 und 3) jedenfalls insoweit, als zwar eine Pflegebedürftigkeit, die die Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr zulasse, nicht dagegen z. B. eine beruflichen Versetzung, zwingende Hinderungsgründe begründen können. Ob darüber hinaus – wie der Kläger rügt – in der Formulierung „objektiv zwingende Gründe” eine gesetzeswidrige Einschränkung zu sehen ist, kann offenbleiben. Soweit sich der Kläger auf die Gesetzesbegründung beruft und darauf hinweist, dass nur „zwingende, objektive Gründe” erforderlich seien, stimmt der Senat dem zwar im Ausgangspunkt zu, weist aber auf seine dargelegte Auffassung hin, dass diese in der Person des Erwerbers begründet liegen müssen.
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze sind die vom Kläger vorgetragenen Gründe nicht als zwingende Gründe anzuerkennen, die eine Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken entbehrlich machen könnten. Die berufliche Situation des Klägers, namentlich seine Residenzpflicht zunächst in O und ab 01.04.2006 in U, mag zwar von diesem als zwingend empfunden worden sein, liegt aber nicht dergestalt in seiner Person begründet, dass ihm eine Nutzung als Familienheim nicht möglich war. Vielmehr hat sich der Kläger dazu entschlossen, seiner beruflichen Situation den Vorrang gegenüber dem Bezug des Hauses in D einzuräumen. Dies ist als bewusste Entscheidung gegen die Aufrechterhaltung des Familienheims aufzufassen und offenbart zugleich, dass er die der Vorschrift zugrunde liegende Bindung an den früheren gemeinsamen familiären Lebensraum aufgegeben hat.
Darüber hinaus drängen sich dem Senat aber auch Zweifel auf, ob die vorgetragenen beruflichen Gründe – nach den Maßstäben des Klägers – als zwingend anzusehen sind. Denn der tatsächliche Geschehensablauf zeigt, dass es dem Kläger zum Zeitpunkt des Todes des Vaters – trotz Residenzpflicht – immerhin möglich war, sowohl in U als auch in H, in der Nähe des Hauses in D, zu wohnen. In H wohnte zu dieser Zeit noch seine Frau und auch seine Kinder kehrten noch in regelmäßigen Abständen dorthin zurück, sodass fraglich erscheint, ob der Kläger tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt bereits in U hatte. Einer abschließenden Beurteilung des tatsächlichen Geschehensablaufs durch den Senat bedarf es jedoch nicht.
3.
Einen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere Art. 3 Abs.1 GG, vermag der Senat in einer derartigen Auslegung, mit der die Handhabung des Beklagten in diesem Fall übereinstimmt, nicht zu erkennen.
Der in der Gesetzesbegründung angegebene Grund, namentlich die Verschonung von Familiengebrauchsvermögen und der Schutz der familiären Bindung, ist im Ausgangspunkt als sachlicher Grund zur Differenzierung anzuerkennen. Bei der Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist – wie der Kläger verkennt – zu beachten, dass es sich gerade bei der Gewährung der Steuerbefreiung um eine Ausnahme von der gleichmäßigen Besteuerung handelt, sodass die vom Senat vorgenommene enge und am Gesetzeszweck orientierte Auslegung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Besteuerung in besonderer Weise Rechnung trägt.
Den vom Kläger angedeuteten Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes vermag der Senat keine verfassungsrechtliche Bedeutung zu entnehmen.
4.
Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG braucht der Senat nicht einzugehen, da der Erbschaftsteuerbescheid insoweit vorläufig (§ 165 Abs. 1 AO) ist und der Kläger sein Klagebegehren nicht dahingehend erweitert hat.
II.
Die Kosten des Verfahrens waren dem Kläger gem. § 135 Abs. 1 FGO aufzuerlegen.
Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO. Zur Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist hinsichtlich der hier betroffenen Fragen bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen.