11.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140444
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 14.01.2014 – 3 Wx 64/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
I-3 Wx 64/13
Tenor:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, über den Antrag des
Beteiligten zu 1 nach Maßgabe der Gründe dieses Beschlusses
erneut zu entscheiden.
Wert: 200.000,- Euro
G r ü n d e:
I.
Die am 06. März 2011 verstorbene Erblasserin war die Mutter der Beteiligten; sie war mit dem am 30. Juli 1998 vorverstorbenen P. H. M., dem Vater der Beteiligten, verheiratet.
Die Erblasserin schloss gemeinsam mit ihrem Ehemann Erbverträge zu UR.- Nr. 239/1947 des Notars Dr. B. in Rheydt/Odenkirchen vom 27. März 1947 und zu UR.- Nr. 761/1967 des Notars R. in Jüchen vom 30. November 1967 sowie allein ein privatschriftliches Testament vom 12. Mai 2009.
Der Beteiligte zu 1 hat, gestützt auf das handschriftliche Testament vom 12. Mai 2009, beantragt, ihm einen Erbschein auszustellen, der ihn als alleinigen Erben nach der Erblasserin ausweist.
Die Beteiligten zu 2 und 3 haben beantragt, ihnen einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der alle drei Beteiligten zu je 1/3 Anteil als Erben ausweist. Hierzu haben sie sich auf den Erbvertrag vom 30. November 1967 berufen, in dem es heißt:
„Hiermit setzen wir uns gegenseitig zu uneingeschränkten Alleinerben ein derart, dass der Überlebende den zuerst Versterbenden von uns allein beerbt, ohne Rücksicht darauf, dass pflichtteilsberechtigte Erben vorhanden sind oder in Zukunft noch sein werden.
Sollte aber einer unserer Abkömmlinge aus dem Nachlass des Erst-Versterbenden von uns den Pflichtteil verlangen, so soll er nach dem Tode (des (Letztbenden) lies: des Überlebenden von uns ebenfalls nur den Pflichtteil erhalten."
Die Beteiligten zu 2 und zu 3 haben geltend gemacht, in der Pflichtteilsstrafklausel liege eine Schlusserbeneinsetzung der drei Abkömmlinge. Dem gegenüber hat der Beteiligte zu 1 gemeint, in diesem Erbvertrag sei nur eine gegenseitige Erbeinsetzung der Eltern, aber keine Benennung von Schlusserben zu sehen.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 20. Februar 2013 den Antrag des Beteiligten zu 1 vom 27. April 2011 auf Erteilung eines Alleinerbescheins zurückgewiesen, die zur Begründung des Antrages der Beteiligten zu 2 und zu 3 vom 23. März 2011 in Verbindung mit dem Antrag vom 17. Juli 2012 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und die Erteilung des beantragten Erbscheins angekündigt.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erblasserin habe den Beteiligten zu 1 aufgrund ihres alleinigen handschriftlichen Testamentes vom 12. Mai 2009 nicht mehr zum Alleinerben bestimmen können, weil sie in ihrer Testierfreiheit durch den Erbvertrag vom 30. November 1967 beschränkt gewesen sei.
In der Pflichtteilsstrafklausel des angesprochenen Erbvertrages liege zugleich eine Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder, hier der drei Beteiligten. Bereits im ersten Ehe- und Erbvertrag vom 27. März 1947 hätten die Erblasserin und ihr Ehemann deutlich gemacht, dass es ihnen wichtig ist, die Interessen der Kinder zu wahren. Im Erbvertrag von 1967 sei dann insoweit auch von „pflichtteilsberechtigten Erben" die Rede. Im nächsten Satz folge die Formulierung „...einer unserer Abkömmlinge". Damit würden die gemeinsamen Kinder hier als Erben bezeichnet. Von der Wahrung der Interessen der Kinder habe der Erbvertrag von 1967 nicht abweichen sollen. Vielmehr sei dieser Erbvertrag gegenüber dem von 1947 insoweit einschränkender.
Wenn die Ehegatten größeren Wert darauf gelegt haben sollten, dass der überlebende Ehegatte die freie Verfügung über den Nachlass eingeräumt bekommen soll, weil sie sich gegenseitig das Vertrauen entgegen brachten, der Überlebende werde eine gerechte Regelung über die Schlusserbenfolge treffen, hätten sie die Formulierung des Ehevertrages von 1947 wählen können. Dies hätten sie aber gerade nicht getan. Insoweit sprächen die Umstände für den Willen der Eheleute, den Längstlebenden nicht nur vor dem Pflichtteilsverlangen eines der Abkömmlinge zu schützen, sondern gerade ihre Kinder als Schlusserben einzusetzen. Die Pflichtteilsstrafklausel ergebe im Übrigen auch nur dann Sinn, wenn die Kinder, die beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil nicht geltend machen, jedenfalls beim zweiten Todesfall mehr als den Pflichtteil erhalten. Die Strafklausel könne also nur dann Bedeutung haben, wenn es tatsächlich für die Abkömmlinge auch zu einer Schlusserbeneinsetzung komme. Die Formulierung „ohne Rücksicht darauf, dass pflichtteilsberechtigte Erben vorhanden oder in Zukunft noch sein werden..." enthalte nur die Ermächtigung des überlebenden Ehegatten über den Nachlass unter Lebenden nicht aber auch von Todes wegen frei verfügen zu können.
Da die die Erblasserin an die gemäß § 2270 Abs. 2 BGB wechselbezügliche Schlusserbenbestimmung gebunden gewesen sei, erbten die Beteiligten gemäß § 2091 BGB zu gleichen Teilen.
Der Beteiligte zu 1 hat hiergegen Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Antrag auf Erteilung eines ihn als Alleinerben nach der Erblasserin ausweisenden Erbscheins weiter verfolgt.
Er macht geltend, mit der Pflichtteilsstrafklausel habe nur eine unerwünschte Pflichtteilsforderung bereits beim ersten Erbfall verhindert werden sollen. Hieraus folge aber nicht, dass die Abkömmlinge der Erblasserin damit zu Schlusserben nach dem Tode des Letztversterbenden eingesetzt werden sollten und auch nicht die Bindung des überlebenden Ehegatten im Sinne einer Wechselbezüglichkeit in Bezug auf die letztlich zu regelnde Erbfolge. Schließlich hätten die Beteiligten zu 2 und 3 im Jahre 2004 an dem Erlös aus dem Verkauf einer im gemeinsamen Eigentum der Eltern stehenden Immobilie in Belgien beteiligt werden wollen, was als zumindest teilweise Geltendmachung ihres Pflichtteils anzusehen sei und jedenfalls zur Verwirkung ihres etwaigen Erbanspruchs geführt habe.
Mit weiterem Beschluss vom 15. März 2013 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und hat die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.
Die Beteiligten zu 2 und 3 bitten um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Sie verteidigen die Auslegung des Nachlassgerichts und machen geltend, dass ihnen ein Erbschein gemeinsam mit der Beteilen zu 1 zu je 1/ 3Anteil zu erteilen sei, habe auch das Landgericht Mönchengladbach in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2013 (3 O 253/12) festgestellt. Pflichtteilsansprüche hätten sie zu keiner Zeit geltend gemacht; der Nachlass in Belgien sei zudem nach belgischem Recht abzuwickeln gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte sowie der Testamentsakten 6 IV 300 und 389/98 und 126/11 AG Grevenbroich, Bezug genommen.
II.
1.
Die gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2; 352 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
2.a)Das Nachlassgericht hat dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht zu erteilen, § 2353 BGB. Der Erbschein bezeugt demnach das Erbrecht zur Zeit des Erbfalles (Palandt-Weidlich, BGB 72. Auflage 2013, § 2353 Rdz. 2). Der Erbschein ist nur zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, § 2359 BGB.
b)Mit Erfolg wendet sich der Beteiligte zu 1 gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts, seinen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen und die zur Begründung des Antrages der Beteiligten zu 2 und zu 3 vom 23. März 2011 in Verbindung mit dem Antrag vom 17. Juli 2012 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt zu erachten (§ 352 Abs. 1 FamFG).
Das Nachlassgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Beteiligten zu 1, 2 und 3 gemeinschaftliche Erben zu 1/3 Anteil nach der Erblasserin aufgrund einer im Erbvertrag vom 30. November 1967 zu ihren Gunsten enthaltenen bindenden vertraglichen Schlusserbenregelung geworden seien.
aa)(a)
Bei nicht eindeutigem und daher auslegungsbedürftigem Wortlaut der letztwilligen Verfügung ist gemäß § 133 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergegeben hat, was er ausdrücken wollte (vgl. Palandt-Weidlich, BGB 72. Auflage 2013, § 2084 Rdz. 1 m. N.). Diese eigentliche (erläuternde) Auslegung hat festzustellen, welchen Inhalt die Erklärung hat, während die ergänzende Auslegung den Zweck verfolgt, Lücken der rechtsgeschäftlichen Erklärung zu schließen; beides gilt auch für Erbverträge (Palandt- Ellenberger, BGB 72. Auflage 2013 § 157 Rdz. 2 f.)
(b)
Auslegungsprobleme ergeben sich, wenn ein gemeinschaftliches Testament – wie hier - zwar eine Pflichtteilsklausel, aber keine Einsetzung von Schlusserben enthält (Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 2074 BGB Rdn. 51).
Einigkeit besteht darin, dass eine Sanktionsklausel gegen die pflichtteilsberechtigten gemeinschaftlichen Kinder der Ehegatten u. U. als bindende Schlusserbeneinsetzung für den Fall, dass sie nicht den Pflichtteil verlangen, auszulegen sein kann (OLG München, FGPrax 2012, 205f.; OLG Hamm, FGPrax 2005, 74, 76; Frankfurt OLGR 2001, 289; Stürner in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch 14. Auflage 2011 § 2270 Rdn. 3). Andererseits ist der Pflichtteilsklausel allein nicht zwingend eine stillschweigende Schlusserbeneinsetzung zu entnehmen (OLG Hamm NJW-RR 2004, 1520; OLG Karlsruhe ZEV 2006, 409); kann nicht festgestellt werden, dass Eheleute die sich gegenseitig als Erben eingesetzt und im Hinblick auf ihre Kinder eine Pflichtteilsstrafklausel in den Erbvertrag aufgenommen haben, die Kinder als Schlusserben einsetzen wollten, so darf ein solcher Wille nicht unterstellt werden (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O. für das Ehegattentestament). Die Pflichtteilsstrafklausel genügt aber als Anhaltspunkt für eine solche Auslegung, wenn der Gesamtzusammenhang des Erbvertrags oder weitere Umstände (auch außerhalb der letztwilligen Verfügung) dafür sprechen (Leipold, Münchener Kommentar zum BGB 6. Auflage 2013 § 2074 Rn. 51; die stillschweigende Schlusserbeneinsetzung bejahen in diesem Falle z. B. OLG Hamm FGPrax 2005, 74; OLG München ZEV 2006, 411; OLG München FGPrax 2012, 205; OLG Frankfurt DNotZ 2011, 552, 553 [Kanzleiter]). Andererseits wird dann, wenn sich aus der Auslegung der Pflichtteilsstrafklausel und aller anderen Umstände der Testamentserrichtung nicht ergibt, ob eine stillschweigende Schlusserbeneinsetzung oder nur eine „reine“ Pflichtteilsstrafklausel gewollt war, im Zweifel davon auszugehen sein, dass die Erblasser lediglich den Strafcharakter der Pflichtteilsstrafklausel als Inhalt ihrer letztwilligen Verfügung wollten, nicht jedoch eine Schlusserbeneinsetzung ihrer Kinder (Fischer, ZEV 2005, 189, 190 mit Nachweisen).
bb)
Dies vorausgeschickt hat das Nachlassgericht den Erbvertrag zu UR.- Nr. 761/1967 des Notars R. in Jüchen vom 30. November 1967 zu Unrecht dahin ausgelegt, dass die Erblasserin und ihr verstorbener Ehemann in dem Erbvertrag nicht nur einander gegenseitig zu Erben eingesetzt, sondern auch bindend eine Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 bis 3 vereinbart haben.
Der Wortlaut des Erbvertrages vom 30. November 1967 gibt keinen Hinweis auf einen den unmittelbaren Regelungsgehalt einer gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute in Verbindung mit der Sanktion einer Geltendmachung des Pflichtteils beim ersten Erbfall überschreitenden, auf eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder gerichteten Willen. Anknüpfungspunkte in diese Richtung lassen sich auch nicht einer aus dem früheren Erbvertrag zu UR.- Nr. 239/1947 des Notars Dr. B. in Rheydt/Odenkirchen vom 27. März 1947 abgeleiteten Entwicklung des Erblasserwillens entnehmen und sind auch sonst weder aufgezeigt worden noch ersichtlich. Unverständlich erscheint in diesem Zusammenhang die Interpretation des Nachlassgerichts, wonach der Erbvertrag 1967 von der Wahrung der Interessen der Kinder nicht habe abweichen wollen; denn dem Erbvertrag 1947 eine derartige „Interessenwahrung“ der Kinder nicht zu entnehmen ist.
Hiernach mag es sein, dass die Erblasserin und ihr Ehemann über den im Erbvertrag aus dem Jahr 1967 verbalisierten Regelungsgehalt hinaus den Willen einer Schlusserbeneinsetzung gehabt haben; ein solcher lässt sich indes nicht anhand greifbarer Tatsachen feststellen. Deshalb kann hier dahinstehen, wie sich ein solcher Wille dokumentieren müsste, ob es etwa hierzu stets einer Andeutung im Erbvertrag bedürfte (vgl. hierzu Senat, FG-Prax 2012, 22).
cc)Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass sich dem Erbvertrag vom 30. November 1967 eine Bindung der Erblasserin durch eine Schlusserbeneinsetzung nicht entnehmen lässt, mit der Folge, dass die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes hierdurch nicht daran gehindert war, den Beteiligten zu 1 durch die letztwillige Verfügung vom 12. Mai 2009 zum Alleinerben einzusetzen.
Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO.