27.11.2018 · IWW-Abrufnummer 205790
Oberlandesgericht München: Beschluss vom 10.10.2018 – 34 Wx 293/18
Zur Darlegung eines berechtigten Interesses an der Grundbucheinsicht durch einen Pflichtteilsberechtigten, wenn seit Erbfall und Kenntnis vom Pflichtteilsrecht 28 Jahre verstrichen sind und als Einsichtsinteresse anfänglich geltend gemacht wird, sich mit Blick auf eine künftige Erben- oder Pflichtteilsstellung nach dem inzwischen in zweiter Ehe verheirateten Elternteil Kenntnis über die Eigentumsverhältnisse am Grundstück verschaffen zu wollen.
Oberlandesgericht München
Beschl. v. 10.10.2018
Az.: 34 Wx 293/18
In der Grundbuchsache
Beteiligte:
XXX- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigte:
XXX
wegen Grundbucheinsicht
erlässt das Oberlandesgericht München - 34. Zivilsenat - durch die Richterin am Oberlandesgericht Paintner, den Richter am Oberlandesgericht Kramer und die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Schwegler am 10.10.2018 folgenden
Beschluss
Tenor:
I.
Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München - Grundbuchamt - vom 11. Juli 2018 wird zurückgewiesen.
II.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
Die Mutter des Beteiligten wurde im Jahr 1973 aufgrund eines notariellen Überlassungsvertrags als Alleineigentümerin von Grundbesitz im Grundbuch eingetragen. Sie verstarb am 17.5.1990 und wurde gemäß notariellem Erbvertrag vom 24.3.1976 vom Vater des Beteiligten alleine beerbt.
Mit Anwaltschreiben vom 20.6.2018 beantragte der Beteiligte beim Grundbuchamt, ihm einen beglaubigten Grundbuchauszug zu erteilen. Zur Begründung gab er an, er habe im Hinblick auf sein zukünftiges Erb- oder Pflichtteilsrecht ein Interesse daran, zu erfahren, ob sein inzwischen in zweiter Ehe verheirateter Vater noch Alleineigentümer des Anwesens sei oder den Grundbesitz ganz oder teilweise rechtsgeschäftlich auf die zweite Ehefrau übertragen habe. Dem Beteiligten sei lediglich der Inhalt des Erbvertrags bekannt. Außerdem habe er erfahren, dass die Mutter im Jahr 1976 eine weitere notarielle Regelung getroffen habe, deren Inhalt er aber nicht kenne. Weiter bat er darum, den bzw. die Eigentümer(in) um des Familienfriedens willen nicht über das Auskunftsverlangen zu informieren.
Gegen die Mitteilung der Urkundsbeamtin vom 25.6.2018, dass nach § 12 GBO Auskunft aus dem Grundbuch nur bei berechtigtem Interesse zulässig sei, ein solches allerdings nicht aus einem lediglich zukünftigen Erbrecht resultiere, wandte sich der Beteiligte mit dem Hinweis, er sei Pflichtteilsberechtigter nach seiner Mutter.
Mit Beschluss vom 11.7.2018 hat das Grundbuchamt die Grundbucheinsicht durch Erteilung eines Grundbuchausdrucks abgelehnt. Künftige Pflichtteilsansprüche würden ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht nicht begründen. Auf Pflichtteilsansprüche nach seiner Mutter könne sich der Beteiligte wegen Verjährung nicht berufen.
Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde verfolgt der Beteiligte seinen Antrag auf Übersendung eines Grundbuchauszugs weiter. In bestimmten Fällen gelte eine 30jährige Verjährungsfrist. Es gebe deshalb noch eine Chance, die nach dem Gesetz unter die 30jährige Verjährung fallenden Ansprüche geltend zu machen, zumal erst kürzlich bekannt geworden sei, dass die Mutter nach dem Jahr 1976 weitere Verfügungen getroffen habe. Nach Zeugenangaben habe die Mutter jedenfalls notariell verfügt, dass der Vater das Anwesen nicht ohne Zustimmung des Beteiligten verkaufen könne. Diese Eintragung müsse sich als Verkaufsbeschränkung im Grundbuch befinden.
Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Gegen die Versagung von Grundbucheinsicht durch den Rechtspfleger (§ 3 Nr. 1 Buchst. h RPflG) ist die - hier formgerecht nach § 73 GBO mit § 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG eingelegte - Beschwerde statthaft (§ 11 Abs. 1 RPflG mit § 71 Abs. 1 GBO; § 12c Abs. 4 Satz 2 GBO).
Eine Beschwerdeberechtigung des Beteiligten ist zu bejahen. Zwar begründet die Zurückweisung des Antrags allein keine Beschwerdeberechtigung; eine formelle Beschwer reicht also nicht aus (Demharter GBO 31. Aufl. § 71 Rn. 59 m. w. N.). Allerdings genügt im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach vorherrschender Ansicht, dass der Beteiligte geltend machen kann, durch die angefochtene Entscheidung in seiner Rechtsstellung unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt zu sein, sofern die gerichtliche Entscheidung in der behaupteten Weise unrichtig ist, und daher ein rechtliches Interesse an ihrer Beseitigung zu haben (BGHZ 80, 126/127; Budde in Bauer/Schaub GBO 4. Aufl. § 71 Rn. 61a m. w. N.). Dem genügt das Vorbringen des Beteiligten.
2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.
a) Gemäß § 12 Abs. 1 GBO ist jedem die Einsicht in das Grundbuch zu gestatten, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Dies bedeutet zugleich eine gesetzliche Beschränkung des Einsichtsrechts in der Weise, dass nur demjenigen Einsicht gewährt werden kann, der ein berechtigtes Interesse darlegt.
aa) Ein "berechtigtes Interesse" an der Einsicht (und zwar auch in Form der Gewährung eines Grundbuchauszugs) ist gegeben, wenn zur Überzeugung des Entscheidungsorgans ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargetan wird (vgl. BGH FGPrax 2014, 48/49; Meikel/Böttcher GBO 11. Aufl. § 12 Rn. 6 mit umfangreichen Nachw.). Dieses muss sich im Unterschied zum rechtlichen Interesse zwar nicht auf ein bereits bestehendes Recht am Grundstück oder ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem Eingetragenen und dem die Einsicht Begehrenden stützen, sondern kann auch mit einem (beispielsweise) wirtschaftlichen Interesse begründet werden (OLG Oldenburg ZEV 2014, 611 [OLG Oldenburg 30.09.2013 - 12 W 261/13 (GB)]). Dabei genügt allerdings nicht jedes beliebige Interesse; erforderlich ist vielmehr - soweit nicht die Besonderheiten des presserechtlichen Einsichtsrechts im Raum stehen - ein sachlicher Bezug des Interesses zu der dem Grundbuch zugewiesenen Aufgabe.
Das Grundbuch soll über die das Grundstück betreffenden privaten dinglichen Rechtsverhältnisse zuverlässig Auskunft geben. Die mit der Grundbucheintragung verbundenen materiellrechtlichen Vermutungs- und Gutglaubensschutzwirkungen gemäß §§ 891, 892, 893 BGB machen es erforderlich, die Einsicht in das Grundbuch in weitgehendem Maße den am Rechtsverkehr Teilnehmenden zu gestatten. In dieser Weise ist das Einsichtsrecht gemäß § 12 GBO mit dem materiellen Publizitätsgrundsatz des Grundbuchs verklammert (BGHZ 80, 126/128; Senat vom 26.7.2018, 34 Wx 239/18 = BeckRS 2018, 16487); die Prüfung, ob das vorgetragene Interesse als berechtigtes Interesse im Sinne des Gesetzes anzuerkennen ist, erfolgt daher nicht losgelöst von diesem Bezug. Vielmehr muss die Kenntnis vom Grundbuchstand bei verständiger Würdigung des Einzelfalls und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge für das Handeln des Antragstellers und seine Entschließungen aus sachlichen Gründen erheblich erscheinen (vgl. BayObLG NJW 1993, 1142/1143; OLG Oldenburg ZEV 2014, 611 [OLG Oldenburg 30.09.2013 - 12 W 261/13 (GB)]). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die eingetragenen Berechtigten in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen (BVerfG NJW 2001, 503/505; BGH NJW-RR 2011, 1651 [BGH 17.08.2011 - V ZB 47/11]), aber am Verfahren nach § 12 GBO nicht beteiligt werden. Weder werden sie vor der Gewährung von Grundbucheinsicht angehört noch steht ihnen ein Beschwerderecht gegen die Gewährung von Einsicht zu (BGHZ 80, 126/128 f).
bb) "Darlegen" erfordert einen nachvollziehbaren Vortrag von Tatsachen in der Weise, dass dem Grundbuchamt daraus ein überzeugender Anhalt für die Berechtigung des geltend gemachten Interesses verschafft wird, denn es hat in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme schutzwürdige Interessen der Eingetragenen oder ihrer Rechtsnachfolger verletzt werden können, und darf Unbefugten keinen Einblick in deren Rechts- und Vermögensverhältnisse gewähren (BayObLG Rpfleger 1999, 216/217; Senat vom 30.11.2016, 34 Wx 439/16 = NJW-RR 2017, 266 [OLG München 20.01.2017 - 34 Wx 413/16]; Hügel/Wilsch GBO 3. Aufl. § 12 Rn. 7; Meikel/Böttcher § 12 Rn. 10).
b) Nach diesen Grundsätzen ist ein berechtigtes Interesse des Beteiligten daran, durch Erteilung eines Grundbuchauszugs Einsicht in die Eigentumsverhältnisse und dinglichen Belastungen am Grundstück zu nehmen, nicht dargetan.
aa) Ein möglicher zukünftiger Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch und die mögliche künftige Stellung als gesetzlicher Erbe geben kein Recht auf Einsicht des Grundbuchs.
Diese künftigen Rechtspositionen begründen vor dem Erbfall keine sicherbaren oder verwertbaren Ansprüche. Vor Eintritt des Erbfalls sind rechtliche Schritte mit Blick auf die künftige Stellung als Pflichtteilsberechtigter oder als potentieller gesetzlicher Erbe weder möglich noch erforderlich. Unter diesem Aspekt ist deshalb die Kenntnis vom Grundbuchinhalt bei verständiger Würdigung für das Handeln des Antragstellers nicht aus sachlichen Gründen erheblich (BayObLG FGPrax 1998, 90 [BVerfG 27.02.1997 - 1 BvR 1526/96]; Senat vom 17.7.2013, 34 Wx 282/13 = Rpfleger 2014, 15; KEHE/Keller GBO 7. Aufl. § 12 Rn. 9 Stichworte "Erbe und erbrechtlicher Anspruchsinhaber", "Verwandte" und "zukünftige Ansprüche").
bb) Die Stellung als Pflichtteilsberechtigter kann zwar ein berechtigtes Einsichtsinteresse begründen, weil zur Prüfung und Verfolgung erbrechtlicher Ansprüche die Kenntnis vom Grundbuchinhalt erforderlich sein kann (Senat vom 7.11.2012, 34 Wx 360/12 = FamRZ 2013, 1070; OLG Düsseldorf FGPrax 2014, 151).
Soweit sich der Antragsteller auf seine Stellung als Pflichtteilsberechtigter nach dem Tod der Mutter beruft, fehlt allerdings eine Darlegung seines Interesses. Es ist nicht dargetan, dass er Pflichtteilsansprüche gegen seinen Vater als vertraglichen Alleinerben geltend macht oder solches erwägt. Darüber hinaus ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, wofür er in diesem Zusammenhang auf die Kenntnis vom Grundbuchinhalt angewiesen sei. Dem Beteiligten ist bekannt, dass der Vater nach dem Tod der Mutter aufgrund seiner Erbenstellung als Alleineigentümer eingetragen wurde. Diesbezüglich bringt die Grundbucheinsicht keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn (vgl. Senat vom 13.1.2011, 34 Wx 132/10 = ZEV 2011, 388).
Unbehelflich ist der pauschale Hinweis auf die Höchstfrist von 30 Jahren gemäß § 199 Abs. 3a BGB, in der kenntnisunabhängig alle Ansprüche verjähren, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt. Dasselbe gilt für den Verweis auf § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Es fehlt bereits an nachvollziehbarem Vortrag von Tatsachen, aus denen sich ein überzeugender Anhalt dafür ergeben könnte, dass der Antragsteller zur Verfolgung oder wenigstens Prüfung von Ansprüchen Kenntnis von den im Grundbuch verlautbarten dinglichen Rechtsverhältnissen benötige. Da das Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller als Pflichtteilsberechtigtem und dessen Vater als Alleinerben seit 28 Jahren besteht, genügt es zur Darlegung eines berechtigen Interesses an der beantragten Einsicht nicht mehr ohne weiteres, allein auf die Stellung als Pflichtteilsberechtigter hinzuweisen, ohne Tatsachen darzutun, aus denen sich nachvollziehbar die Relevanz der Kenntnis vom Grundbuchinhalt für anstehende Entschließungen oder künftiges Handeln des Pflichtteilsberechtigten ergibt (vgl. auch Senat vom 13.1.2011, 34 Wx 132/10 = ZEV 2011, 388; KG Rpfleger 2004, 346 [KG Berlin 20.01.2004 - 1 W 294/03]). Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das wahre Interesse an der Kenntnis nach eigenem Vorbringen ein anderes ist, aber zur Begründung eines "berechtigten Interesses" im Sinne des Gesetzes nicht ausreicht.
Auf die zweitrangige Frage der Verjährung kommt es nicht mehr an.
cc) Auch aus dem Vorbringen zu einer angeblichen, im Einzelnen nicht bekannten notariellen Verfügung der Erblasserin ergibt sich kein berechtigtes Einsichtsinteresse.
(1) Dem Beteiligten ist aus dem Nachlassverfahren der Erbvertrag bekannt. Er weiß daher, dass er nicht als Nacherbe eingesetzt ist und seine Erwerbsaussichten nicht durch die gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen nach §§ 2112 ff. BGB geschützt sind. Auch sonstige gesetzliche Verfügungsbeschränkungen stehen nach seinem Vorbringen nicht im Raum.
(2) Selbst wenn die Mutter des Beteiligten eine notarielle Regelung dahingehend getroffen haben sollte, dass der Vater das Anwesen nicht ohne Zustimmung des Beteiligten verkaufen könne, würde das Grundbuch hierüber keine Auskunft geben.
Rechtsgeschäftlich kann die Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht - dazu gehört das Eigentum, auch das Eigentum an Grundstücken - weder ausgeschlossen noch beschränkt werden, § 137 Satz 1 BGB (vgl. Staudinger/Rieble BGB [2017] § 137 Rn. 23). Nach § 137 Satz 2 BGB ist lediglich die schuldrechtliche Verpflichtung zulässig, über ein solches Recht nicht oder nur mit Zustimmung eines Dritten zu verfügen. Eine vertraglich begründete Verpflichtung, über das Eigentum nur mit Zustimmung eines Dritten zu verfügen, hat allerdings keine dingliche Wirkung und kann im Grundbuch nicht eingetragen werden. Wäre es dennoch im Grundbuch eingetragen, müsste es sogar als gegenstandslos gelöscht werden (vgl. Staudinger/Rieble § 137 Rn. 39 a. E. und Rn. 53).
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Gesetz, § 22 Abs. 1 GNotKG. Eine Kostenentscheidung ist daneben nicht erforderlich.
Den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens (§ 61 Abs. 1, § 79 Abs. 1 GNotKG) bestimmt der Senat mangels hinreichender Anhaltspunkte für den Wert der vom Antragsteller durch die Einsichtnahme erhofften Informationen nach dem Auffangwert des § 36 Abs. 3 GNotKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) liegen nicht vor.