27.02.2019 · IWW-Abrufnummer 207472
Bundesfinanzhof: Urteil vom 14.11.2018 – II R 8/16
Liegt keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten und keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG vor, kann der vermeintliche Steuerschuldner die Aufhebung einer mit der Abgabe der strafbefreienden Erkl ärung bewirkten Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG beantragen.
Tenor:
Das Urteil des Finanzgerichts München vom 19. August 2015 4 K 1647/13 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. November 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2013 verpflichtet, die sich aus der strafbefreienden Erklärung vom 3. Mai 2004 ergebende Festsetzung der pauschalen Steuer aufzuheben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist zur Hälfte Miterbin nach ihrer im September 2000 verstorbenen Mutter (K). Weitere Miterbin war die Tochter der K aus zweiter Ehe (M). M ist im März 2006 verstorben und wurde von der Beigeladenen, ihrer Tochter, allein beerbt. Die Erbeinsetzung der Klägerin und der M war in einem notariell beurkundeten Erbvertrag vorgenommen worden, den K 1969 mit ihrem Ehemann geschlossen hatte. K hatte zudem durch ein notariell beurkundetes Testament im Hinblick auf den Erbteil der M bis zum 31. März 2008 Testamentsvollstreckung angeordnet.
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Im Juli 2000 ließ K eine Familienstiftung nach liechtensteinischem Recht mit Sitz in Liechtenstein errichten, die sie mit einem Stiftungskapital von 30.000 CHF (umgerechnet 37.783 DM) aus ihrem Vermögen ausstattete. Noch im selben Monat übertrug sie weiteres Kapitalvermögen in Höhe von 1.962.217 DM aus eigenen Mitteln auf die Stiftung. Nach den Beistatuten der Stiftung war K bis zu ihrem Lebensende alleinige wirtschaftlich Begünstigte des Stiftungsvermögens und von dessen Erträgen. Für die Zeit nach dem Tod der K war in den Beistatuten vorgesehen, dass der Stiftungsgenuss der Beigeladenen in Höhe von 1.000.000 DM abzüglich der zur Sicherstellung ihres Unterhalts und ihrer Ausbildung vorweg ausbezahlten Beträge und im Übrigen der Klägerin zustehen sollte.
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Die für den Erbteil der M bestellte Testamentsvollstreckerin gab am 3. Mai 2004 gegenüber dem damals zuständigen Finanzamt in der Annahme, die Vermögensübertragung der K auf die Stiftung unterliege der Schenkungsteuer, eine "strafbefreiende Erklärung" nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) ab und entrichtete den nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 StraBEG berechneten Betrag in Höhe von 50.873,50 € zeitnah an das Finanzamt.
4
Im Juni 2008 beantragte die Klägerin beim Finanzamt die anteilige Rückerstattung des von der Testamentsvollstreckerin aufgrund der "strafbefreienden Erklärung" bezahlten Betrags. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das inzwischen zuständig gewordene Finanzamt —FA—) lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Festsetzung lägen nicht vor. Die von K im Juli 2000 veranlasste Vermögensübertragung auf die Stiftung sei keine Schenkung gewesen, da die Stiftung über das Vermögen im Verhältnis zu K nicht habe tatsächlich und rechtlich frei verfügen können. Die anteilige Auszahlung des Stiftungsvermögens an die Klägerin habe daher keine Herausgabe eines Geschenks wegen eines Rückforderungsrechts i.S. des § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) dargestellt. Im Übrigen hätte die Klägerin einen Antrag auf Änderung der Festsetzung nur gemeinsam mit der Beigeladenen stellen können. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1824 veröffentlicht.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Darüber hinaus macht sie geltend, dass eine strafbefreiende Erklärung, die mangels Steuerstraftat unwirksam sei, keine wirksame Steuerfestsetzung erzeugen könne. Im Übrigen habe sie, die Klägerin, die strafbefreiende Erklärung nicht unterschrieben; die Testamentsvollstreckerin habe ohne ihr Wissen und ohne Vertretungsmacht gehandelt. Die Vorinstanz habe zudem die Änderungsvorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG übersehen.
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Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. November 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2013 die sich aus der strafbefreienden Erklärung vom 3. Mai 2004 ergebende Festsetzung der pauschalen Schenkungsteuer aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
9
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
II.
10
Die Revision ist begründet. Das FA ist verpflichtet, die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die Klägerin kann ihr Aufhebungsbegehren auf § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG stützen.
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1. Liegt keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten und keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG vor, kann der vermeintliche Steuerschuldner die Aufhebung der mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkten Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG beantragen.
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a) Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG ist die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG) aufzuheben oder zu ändern, soweit nach dem StraBEG keine Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt. § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG stellt eine eigenständige Änderungsvorschrift dar (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 1. Oktober 2014 II R 6/13, BFHE 247, 115, BStBl II 2015, 164, Rz 15). Sind deren Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Anspruch auf Aufhebung oder Änderung der mit der strafbefreienden Erklärung bewirkten Festsetzung.
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b) Straf- oder Bußgeldfreiheit i.S. des § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG tritt u.a. dann nicht ein, wenn es an einer der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten oder an einer Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG fehlt. Wurde dennoch eine strafbefreiende Erklärung abgegeben, ist die dadurch erzeugte Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 2011 VIII R 31/08, BFH/NV 2011, 1477, Rz 14, und in BFHE 247, 115, BStBl II 2015, 164, Rz 10, 13, 14).
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c) Eine strafbefreiende Erklärung, der keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten und keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG zugrunde liegt, ist unwirksam (BFH-Urteile vom 4. Dezember 2012 VIII R 50/10, BFHE 239, 495, BStBl II 2014, 222, und in BFHE 247, 115, BStBl II 2015, 164, Rz 11). Ob in einem solchen Fall auch die auf der Erklärung beruhende Steuerfestsetzung unwirksam ist, hat der BFH noch nicht ausdrücklich entschieden und kann im Streitfall auf sich beruhen. Denn ist die Steuerfestsetzung wirksam, ist sie nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG aufzuheben, soweit der Steuerpflichtige keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten und auch keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG begangen hat. Ist sie unwirksam, dient ihre Aufhebung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG der Beseitigung eines Rechtsscheins (BFH-Urteil in BFHE 247, 115, BStBl II 2015, 164, Rz 16).
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d) Befugt, einen Antrag auf Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG zu stellen, ist in erster Linie der Inhaltsadressat jener Festsetzung. Als Inhaltsadressaten kommen mehrere Personen in Frage, zum einen der Erklärende, d.h. die Person, die die strafbefreiende Erklärung abgegeben hat, und zum anderen der Schuldner der Steuer, auf die sich die in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG genannten Taten und die Steuerordnungswidrigkeiten i.S. des § 6 StraBEG beziehen (vgl. z.B. § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 1 Satz 2, § 9 StraBEG). Erklärender und Steuerschuldner können identisch, aber auch verschiedene Personen sein (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 4 StraBEG).
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e) Im Streitfall kann dahinstehen, wer Adressat der Festsetzung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG ist. Denn das Recht, den Antrag nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG zu stellen, steht auch dem (vermeintlichen) Steuerschuldner zu. Dies folgt aus dem Umstand, dass die strafbefreiende Erklärung nicht nur strafbefreiende (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG) und steuerfestsetzende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG) Wirkung hat. Vielmehr erlöschen, soweit Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt, mit Entrichtung der pauschalen Abgabe auch die gegen den Steuerschuldner bestehenden Steueransprüche (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StraBEG). Die strafbefreiende Erklärung hat mithin auch rechtsgestaltende Wirkung für und gegen den Steuerschuldner. Diese Wirkung rechtfertigt es, dem (vermeintlichen) Steuerschuldner die Befugnis zur Antragstellung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG unabhängig davon zuzubilligen, ob er Inhaltsadressat der Steuerfestsetzung i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG ist.
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2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die durch die strafbefreiende Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung ist jedenfalls zur Beseitigung des Rechtsscheins ihrer Wirksamkeit aufzuheben.
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a) Eine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten oder eine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG liegt nicht vor. Das FG hat mit für den BFH bindender Wirkung (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die liechtensteinische Stiftung über das Stiftungsvermögen im Verhältnis zu K nicht habe tatsächlich und rechtlich frei verfügen können. Durch die Vermögensübertragung auf die Stiftung ist daher keine Schenkungsteuer entstanden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2007 II R 21/05, BFHE 217, 254, BStBl II 2007, 669).
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b) Als vermeintliche Schuldnerin der Schenkungsteuer war die Klägerin befugt, den Antrag gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG zu stellen. Sie konnte das Antragsrecht auch alleine —ohne die Beigeladene— ausüben. Denn selbst wenn der Anspruch auf Aufhebung der Festsetzung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG zum Nachlass der K gehören sollte, wäre die Klägerin berechtigt, ihn unabhängig von weiteren Miterben im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. April 2018 X B 144, 145/17, BFH/NV 2018, 966, Rz 21, m.w.N.).
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c) Der Eintritt der Festsetzungsverjährung steht der Aufhebung nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG war bei der Stellung des Aufhebungsantrags im Juni 2008 noch nicht abgelaufen. Sie betrug nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und begann mit Ablauf des Jahres 2004, in dem die Testamentsvollstreckerin die strafbefreiende Erklärung abgegeben hat (vgl. Levedag, Finanz-Rundschau 2006, 491, 493 f., m.w.N.). Die Frist endete mit Ablauf des Jahres 2008.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 4 FGO. Der Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt hat (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juni 2016 II R 24/15, BFHE 254, 60, BStBl II 2017, 128, Rz 21). Etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht aus Billigkeitsgründen zu erstatten. Denn diese hat keine Sachanträge gestellt oder anderweitig das Verfahren wesentlich gefördert.