23.10.2020 · IWW-Abrufnummer 218485
Finanzgericht Münster: Urteil vom 27.08.2020 – 3 K 722/16 Erb
Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Der Schenkungsteuerbescheid vom 14.12.2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2016 wird nach Maßgabe der Entscheidungsgründe geändert. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten, wie der Jahreswert eines Nießbrauchsrechts, das gemäß § 10 Abs. 5 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) nachlassmindernd berücksichtigt wird, zu berechnen ist.
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Durch notariellen Vertrag vom 13.10.2014 übertrug die am 00.00.2014 verstorbene Mutter des Klägers diesem insgesamt 12 Eigentumswohnungen in E und A. Gemäß § 3 des Übertragungsvertrages übernahm der Kläger sämtliche in Abteilung II und III aller Grundbücher eingetragenen Rechte ausschließlich mit dinglicher Wirkung. Ausweislich § 7 Ziffer 2 erhielt die Mutter des Klägers ein lebenslängliches und unentgeltliches Nießbrauchsrecht, wobei sie in Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen auch sämtliche privatrechtlichen Lasten, die zur Zeit der Bestellung des Nießbrauchs auf der Sache ruhen, zu tragen hatte, einschließlich der Tilgung der Hypotheken und Grundschulden. In § 7 Ziffer 3 ist die Einräumung des Nießbrauchsrechts zugunsten des Vaters des Klägers aufschiebend bedingt auf den Tod der Mutter geregelt.
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Zu den Einzelheiten wird auf den Übertragungsvertrag, Blatt 2 bis 12 der Schenkungsteuerakte, Bezug genommen.
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Aufgrund der vom Kläger eingereichten Schenkungsteuererklärung setzte der Beklagte die Schenkungsteuer durch Bescheid vom 14.07.2015 unter erwerbsmindernder Berücksichtigung des der Mutter eingeräumten Nießbrauchsrechts zunächst auf X Euro fest. Zu den Einzelheiten wird auf den Schenkungsteuerbescheid, Blatt 111 bis 115 der Schenkungsteuerakte, hingewiesen.
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Mit dem dagegen am 16.07.2015 erhobenen Einspruch wies der Kläger auf den Tod seiner Mutter am 00.00.2014 hin und vertrat die Auffassung, nunmehr seien die auf dem Grundbesitz lastenden Verbindlichkeiten erwerbsmindernd zu berücksichtigen.
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Der Beklagte folgte dieser Auffassung nicht, sondern war der Ansicht, dass nunmehr das Nießbrauchsrecht zugunsten des Vaters des Klägers abzuziehen sei. Aufgrund des vom Kläger bereitgestellten Zahlenmaterials berechnete er die durchschnittlichen Jahreswerte der auf den einzelnen Grundbesitzungen lastenden Nießbrauchsrechte mit insgesamt X Euro (vgl. Schreiben des Beklagten vom 21.10.2015, Blatt 162/162 R der Schenkungsteuerakte), wobei er die Zins- und Tilgungsleistungen für die den Grundpfandrechten zugrundeliegenden Verbindlichkeiten als Aufwendungen berücksichtigte. Er setzte dementsprechend und unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich festgestellten Grundbesitzwerte die Schenkungsteuer durch Änderungsbescheid vom 14.12.2015 auf X Euro fest.
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Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 12.02.2016 als unbegründet zurück. Eine Berücksichtigung der den Grundpfandrechten zugrunde liegenden Verbindlichkeiten komme nicht in Betracht, da diese wegen des zugunsten des Vaters vereinbarten Nießbrauchs noch nicht auf den Kläger übergegangen seien.
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Mit der dagegen am 08.03.2016 erhobenen Klage begehrt der Kläger nunmehr eine anderweitige Berechnung des Jahreswerts des gemäß § 10 Abs. 5 ErbStG erwerbsmindernd zu berücksichtigenden Nießbrauchsrechts.
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Nachdem das Verfahren im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof anhängige Verfahren II R 4/16 geruht hat, vertritt der Kläger unter der Berücksichtigung des Urteils vom 28.05.2019 II R 4/16 (BFHE 265, 408) weiter die Auffassung, dass weder die Zinszahlungen noch die Tilgungsraten bei der Berechnung des Jahreswerts des abzuziehenden Nießbrauchs zu berücksichtigen seien. Die auf dem Grundbesitz lastenden Darlehn seien Bestandteil des Stammrechts Eigentum und aus der Substanz, nicht aber aus den Erträgen zu bedienen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Schenkungsteuerbescheid vom 14.07.2015 in der Fassung vom 14.12.2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2016 in der Weise zu ändern, dass die von dem Nießbrauchsberechtigten zu zahlenden Zins- und Tilgungsleistungen bei der Ermittlung des Jahreswerts nicht abgezogen werden,
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hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt
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die Klage abzuweisen.
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Die Zinsen seien unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 28.05.2019 II R 4/16 (BFHE 265, 408) zu Recht bei der Berechnung des Jahreswerts des Nießbrauchs einbezogen worden. Dadurch dass die Darlehn durch den Nießbraucher zu tilgen seien, gingen nur entsprechend verringerte Verbindlichkeiten auf den Kläger über. Insoweit sei dieser bereichert.
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Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung ‒ FGO).
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit der Beklagte bei der Ermittlung des Jahreswerts des gemäß § 10 Abs. 5 ErbStG abzuziehenden Nießbrauchs die weiter von der Mutter bzw. nachfolgend vom Vater des Klägers zu erbringenden Zins- und Tilgungsleistungen für die auf dem Grundbesitz abgesicherten Darlehn abgezogen hat.
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Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Schenkungsteuer jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Die notarielle Übertragung der Eigentumswohnungen auf den Kläger vom 13.10.2014 erfüllt diese Voraussetzungen. Denn soweit der mit einem Grundstück unter Vorbehaltsnießbrauch Beschenkte die auf dem Grundbesitz abgesicherten Verbindlichkeiten wie im vorliegenden Fall nur dinglich übernimmt und der Schenker und Vorbehaltsnießbraucher ‒ hier die Mutter und nach deren Tod der Vater des Klägers ‒ für die Dauer des Nießbrauchs verpflichtet ist, Zins und Tilgung zu tragen, liegt in der Übernahme der Verbindlichkeiten keine Gegenleistung; es handelt sich vielmehr um eine reine Schenkung. Die Schuldübernahme durch den Beschenkten steht unter einer aufschiebenden Bedingung und ist daher gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. §§ 8, 6 Abs. 1 BewG bis zum Eintritt der Bedingung nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH, Urteile vom 28.05.2019 II R 4/16, BFHE 265, 408 und vom 17.10.2001 II R 60/99, BStBl. II 2002, 165).
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Als steuerpflichtiger Erwerb gilt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist.
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Bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs sind gemäß § 10 Abs. 5 ErbStG die mit dem Erwerb und seiner Erlangung im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten abzuziehen. Dazu gehört nach der Aufhebung des § 25 ErbStG zum 01.01.2009 durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 auch die aus einem Vorbehaltsnießbrauch erwachsende Belastung des Erwerbers.
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Die Bewertung der den Erwerb des Klägers belastenden Nießbrauchsrechte richtet sich gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes. Der Kapitalwert lebenslänglicher Nutzungen ist nach § 14 Abs. 1 BewG mit dem Vielfachen des Jahreswerts anzusetzen. Bei Nutzungen oder Leistungen, die in ihrem Betrag ungewiss sind oder schwanken, ist als Jahreswert der Betrag zugrunde zu legen, der in Zukunft im Durchschnitt der Jahre voraussichtlich erzielt wird. Die Bewertung erfordert insoweit eine Schätzung, wobei Anhaltspunkt die in den drei dem Schenkungszeitpunkt vorangegangenen Jahren erzielten Einkünfte sein können. Bei der Ermittlung des Werts von Nießbrauchsrechten an Grundstücken ist dabei von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung auszugehen und sind zur Berechnung des Jahreswerts die vom Nießbraucher zu tragenden Aufwendungen abzuziehen. Diesen Rechtsprechungsgrundsätzen zur Ermittlung des Jahreswerts (BFH, Urteil vom 28.05.2019 II R 4/16, BFHE 265, 408 mit weiteren Nachweisen) ist der Beklagte dem Grunde nach zutreffend gefolgt. Der Höhe nach waren jedoch weder Zins- noch Tilgungsleistungen für die mit dem Grundbesitz in Verbindung stehenden Darlehn bei der Ermittlung des Jahreswertes abzuziehen.
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Zwar gehören nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28.05.2019 II R 4/16 (BFHE 265, 408) zu den bei der Berechnung des Jahreswerts des Nießbrauchs zu berücksichtigenden Aufwendungen auch die vom Nießbraucher nach den Regelungen des Nießbrauchs für die Verbindlichkeiten zu entrichtenden Zinsen, wenn sie während des Bestehens des Nießbrauchs aufgrund einer gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtung getragen werden. Die Schuldzinsen, die der Bedachte trotz Übernahme der Verbindlichkeiten nicht zu tragen habe, seien im Hinblick auf das bei einer Schenkung maßgebliche Bereicherungsprinzip bei der Ermittlung des Jahreswerts nicht außer Acht zu lassen. Der Bedachte sei dadurch bereichert, dass er die Zinszahlungen für die übernommenen Verbindlichkeiten nicht zu leisten habe.
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Zur Frage der Einbeziehung von Tilgungsleistungen bei Ermittlung des Jahreswerts musste der Bundesfinanzhof keine Entscheidung treffen.
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Allerdings hat ‒ anders als in dem der Entscheidung des Bundesfinanzhofs zugrunde liegenden Fall, in dem der dortige Beschenkte die mit dem übertragenen Grundbesitz im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten auch persönlich übernommen, jedoch aufgrund der Regelungen des Nießbrauchs für dessen Dauer nicht zu bedienen hatte ‒ im vorliegenden Fall der Kläger die Verbindlichkeiten ausschließlich mit dinglicher Wirkung übernommen. Das bedeutet, dass er nicht persönlich zum Schuldendienst, sondern lediglich zur Duldung einer etwaigen Zwangsvollstreckung verpflichtet war. Daraus und aus den vertraglichen Regelungen des Nießbrauchsrechts ergibt sich, dass der persönliche Schuldübergang auf den Kläger als Beschenkten bis zum Erlöschen des Nießbrauchsrechts aufschiebend bedingt war. Aufgrund dessen war er durch die Verbindlichkeiten und die damit verbundenen Zins- und Tilgungsleistungen im Zeitpunkt der Schenkung des Grundbesitzes weder rechtlich noch tatsächlich belastet und konnte deshalb weder durch die Zins- noch durch die Tilgungsleistungen seitens der Schenkerin bzw. des nachfolgend Nießbrauchsberechtigten bereits zum Zeitpunkt der Grundbesitzübertragung bereichert sein. Bis dahin bedienten die Nießbraucher nämlich ausschließlich eigene Verbindlichkeiten. Eine Bereicherung des Klägers erfolgt erst bei Bedingungseintritt. Erst zu diesem Zeitpunkt ist der Kläger persönlicher Schuldner des um die bis dahin von den Nießbrauchern erbrachten Tilgungsleistungen geminderten Darlehns und selbst zu Zins- und Tilgungsleistungen verpflichtet.
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Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte, § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Berechnung der Steuer obliegt dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
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Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).