22.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220692
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 20.01.2021 – I-3 Wx 245/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 4 und 5 vom 27. Sept. 2019 wird der Beschluss des Nachlassgerichts Krefeld vom 23. Aug. 2019 aufgehoben.
Das Nachlassgericht wird angewiesen, der Beteiligten zu 1 den mit Erbscheinsantrag vom 5. April 2019 beantragten Alleinerbschein zu erteilen.
Die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Erbscheinsverfahrens trägt die Beteiligte zu 1.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten zu 4 und 5.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet weder im Erbscheinsverfahren noch im Beschwerdeverfahren statt.
Beschwerdewert: bis 100.000 €
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Gründe
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I.
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Die Beteiligte zu 1 ist die zweite Ehefrau des Erblassers, die Beteiligten zu 2 bis 6 sind Kinder aus der Ehe des Erblassers und seiner vorverstorbenen ersten Ehefrau. Nach deren Geburtsdaten hat eines der Kinder vermutlich eine andere Mutter.
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Am 11. Okt. 1998 hatten der Erblasser und seine erste Ehefrau sich in einem gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testament gegenseitig als alleinige Erben eingesetzt.
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Weiter hatten sie bestimmt:
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„Nach unserer beider Tod soll die gesetzliche Erbfolge in Kraft treten.“
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Nach dem Tode seiner ersten Ehefrau heiratete der Erblasser im Oktober die Beteiligte zu 1. Er errichtete am 4. April 2014 ein notarielles Testament, in dem er verfügte, zu seinen Erben setze er die Beteiligte zu 1 zu ½ Anteil und die Beteiligten zu 2 bis 6 zu je 1/10 Anteil ein. Weiter ordnete er Testamentsvollstreckung zur Abwicklung seines Nachlasses an.
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Die Beteiligte zu 1 beantragte die Erteilung eines diesem notariellen Testament vom 4. April 2014 entsprechenden Erbscheins.
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Einzig die Beteiligte zu 4 ist dem Erbscheinsantrag mit der Begründung entgegengetreten, ihrer Mutter sei es auf die gesetzliche Erbfolge angekommen. Daher sei das Testament vom 4. April 2014 unwirksam und allen Beteiligten ein gemeinsamer Erbschein zu erteilen.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Nachlassgericht die zur Begründung des Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Bei den letztwilligen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament vom 11. Okt. 1998 handele es sich um bindende wechselbezügliche Bestimmungen. Daher sei der Erblasser gehindert gewesen, die dort festgelegte Erbfolge im notariellen Testament vom 4. April 2014 zu ändern. Daher sei gesetzliche Erbfolge nach dem Testament vom 11. Okt. 1998 eingetreten. Das bedeute jedoch auch, dass die zweite Ehefrau des Erblassers Erbin geworden und der Erbschein ‒ wie beantragt (sic!) ‒ zu erteilen sei.
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Die Beteiligten zu 4 und 5 beschweren sich und bitten um Zurückweisung des Erbscheinsantrages.
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Die Lebenserfahrung zeige, dass Ehepartner, die ein Testament wie das vom 11. Okt. 1998 errichteten und langjährig verheiratet und im Alter der Testierenden seien, davon ausgingen, dass eine Wiederverheiratung des Überlebenden nicht stattfinden werde bzw. sie eine solche Möglichkeit nicht ins Kalkül zögen. Vielmehr würden sie davon ausgegangen sein, dass der Überlebende unverheiratet bleibe. Hinzu komme im vorliegenden Fall die tiefe Religiosität der ersten Ehefrau. Diese hätte nicht ‒ wie geschehen ‒ testiert, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass mit der Verwendung des Begriffs „gesetzliche Erbfolge“ eine Wiederverheiratung des Überlebenden dazu führe, dass der neu hinzugekommene Ehegatte ebenfalls einen Erbanspruch erhalte und das Erbe der bereits vorhandenen Kinder durch die Wiederheirat geschmälert werde.
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Auch des Testaments vom 4. April 2014, dessen Inhalt zufällig der gesetzlichen Erbfolge entspreche, hätte es nicht bedurft, wenn diese bereits so im Testament vom 11. Okt. 1998 verfügt worden wäre.
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Die Beteiligte zu 1 hat entgegnet, dem Erblasser sei die korrekte Reglung aller Angelegenheiten wichtig gewesen; deshalb habe er sich beraten lassen und im Vorfeld ausdrücklich kommuniziert, dass er genau dieselbe Regelung wolle, wie er sie mit seiner ersten Frau verfügt habe, nämlich die gesetzliche Erbfolge. Auf notariellen Rat habe er 2014 ein neues Testament errichtet, welches ‒ bis auf die Anordnung der Testamentsvollstreckung ‒ dem ersten entsprochen habe.
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Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27. Nov. 2019 nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Das Testament vom 11. Okt. 1998 sei erkennbar von dem Gedanken getragen, dass der überlebende Ehegatte frei von den Beschränkungen das gemeinsam Erworbene nutzen können solle. Eine Regelung oder Bindung dahingehend, was mit dem Erbe geschehen solle, wenn auch der überlebende Ehegatte versterbe, lasse sich dem Testament vom 11. Okt. 1998 nicht (sic!) entnehmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte verwiesen.
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II.
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Das von den Beteiligten zu 4 und 5 eingelegte Rechtsmittel ist dem Senat infolge der vom Nachlassgericht mit weiterem Beschluss vom 27. Nov. 2019 erklärten Nichtabhilfe zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG. Es ist statthaft und auch im übrigen zulässig.
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Die Beteiligten zu 4 und 5 sind beschwerdeberechtigt, weil sie für sich ein Erbrecht in Anspruch nehmen, das von dem im angefochtenen Beschluss des Nachlassgerichts angegebenen Erbscheinsinhalt abweicht, § 59 Abs. 1 FamFG (vgl. Keidel/Meyer-Holz, § 59 FamFG, Rdnr. 77 und Keidel/Zimmermann, § 352 FamFG, Rdnr. 150).
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In der Sache führt die Beschwerde zu der aus dem Tenor ersichtlich Anweisung an das Nachlassgericht, den beantragten Erbschein ‒ das ist der auf das notarielle Testament vom 4. April 2014 gestützte (!) ‒ zu erteilen.
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Der angefochtene Beschluss kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil das Nachlassgericht an den auf das notarielle Testament vom 4. April 2014 mit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung gestützten Erbscheinsantrag gebunden war (Palandt/Weidlich, § 2353 BGB, Rdnr. 48; Keidel/Zimmermann, § 352 FamFG), diese Bindung missachtet und in dem angefochtenen Beschluss zwar im Tenor die zur Begründung des Erbscheinsantrags der Beteiligten zu 1 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet hat, in den Gründen dieses Beschlusses jedoch ausgeführt hat, die Erbfolge richte sich nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 11. Okt. 1998, das bindende wechselbezügliche Bestimmungen enthalte (obwohl es im Nichtabhilfebeschluss in Widerspruch dazu ausdrücklich bemerkt, eine Bindung lasse sich dem Testament vom 11. Okt. 1998 nicht entnehmen).
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Der auf das notarielle Testament vom 4. April 2014 gestützte Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 5. April 2019 ist begründet. Die Erbfolge nach dem Erblasser richtet sich nach diesem notariellen Testament.
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Der Erblasser war nicht aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 11. Okt. 1998 gehindert, das spätere notarielle Testament zu errichten.
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Die Regelung des gemeinschaftlichen Testaments, „Nach unserer beider Tod soll die gesetzliche Erbfolge in Kraft treten.“ enthält keine bindende wechselbezügliche Verfügung im Sinne von § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB.
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Wechselbezüglich sind (nur) solche Verfügungen, die ein Ehegatte nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen hätte, bei denen also aus dem Zusammenhang des Motivs heraus eine innere Abhängigkeit zwischen den einzelnen Verfügungen derart besteht, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Partner eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat, wenn also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll. Das muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft werden (Palandt/Weidlich, § 2270 BGB, Rdnr. 1 m.N.).
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Beim Berliner Testament ist Wechselbezüglichkeit denkbar im Verhältnis der Verfügungen betreffend die gegenseitige Erbeinsetzung, im Verhältnis der Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur eigenen Erbeinsetzung durch den Erstversterbenden und im Verhältnis der Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur Schlusserbeneinsetzung des Erstversterbenden.
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Letztere ist regelmäßig nicht wechselbezüglich, denn grundsätzlich widerspricht es der Lebenserfahrung, dass Eltern ihre Kinder nur mit Rücksicht auf die Verfügung des anderen einsetzen (Palandt/Weidlich, § 2270, Rdnr. 5).
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Auch die hier in Rede stehende Einsetzung der „gesetzlichen Erben“ als Schlusserben durch den überlebenden Erblasser ist im Verhältnis zu dessen Einsetzung als Alleinerbe der vorverstorbenen Ehefrau nicht wechselbezüglich. Denn es spricht nichts dafür, dass der Erblasser die aus der Ehe mit der vorverstorbenen ersten Ehefrau hervorgegangenen Kinder (nur) deshalb als Erben eingesetzt hat, weil er von seiner damaligen Ehefrau als Alleinerbe eingesetzt worden ist.
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Ist mithin das notarielle Testament vom 4. April 2014 maßgebend, so ergibt sich die Erbfolge ohne weiteres aus der ausdrücklichen Bestimmung der Erben und ihrer jeweiligen Erbquoten.
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Dies würde im Übrigen auch für das gemeinschaftliche Testament vom 11. Okt. 1998 ohne weiteres aus der gesetzlichen Ergänzungsregel des § 2066 BGB folgen. Danach sind dann, wenn der Erblasser seine gesetzlichen Erben bedacht hat, diejenigen bedacht, die zur Zeit des Erbfalls seine gesetzlichen Erben sein würden ‒ und dies im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile. Greifbare Anhaltspunkte für einen abweichenden Willen der testierenden Eheleute sind weder erkennbar, noch von den Beteiligten geltend gemacht.
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Alles in allem bewirkt das notarielle Testament mithin lediglich eine Änderung in Bezug auf die dort angeordnete Testamentsvollstreckung.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Satz 1 FamFG. Danach sind die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu verteilen. In die Ermessensentscheidung sind sämtliche in Betracht kommenden Umstände einzubeziehen (etwa das Maß des Obsiegens und Unterliegens, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die familiäre und persönliche Nähe zwischen Erblasser und Verfahrensbeteiligten, ständige Rechtsprechung des Senats, seit dem Beschluss vom 1. Aug. 2019, 3 Wx 48/18, BeckRS 2019, 27678).
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Danach entspricht es billigem Ermessen, dass die Beteiligte zu 1 die ‒ ohnehin anfallenden ‒ Gerichtskosten des erstinstanzlichen Erbscheinsverfahrens und die Beteiligten zu 4 und 5 diejenigen des Beschwerdeverfahrens tragen.
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Im Hinblick auf das persönliche Näheverhältnis der Beteiligten untereinander und zum Erblasser entspricht es billigem Ermessen, dass die Beteiligten zu 4 und 5 die ihnen entstandenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG liegen nicht vor, da die entscheidungstragenden Erwägungen des Senats einzig auf einer Würdigung des gegebenen Einzelfalles beruhen.
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Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 S. 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG. Der Senat hat seiner Festsetzung nicht die Wertangabe der Beteiligten zu 1, sondern einen Nachlasswert von bis zu 200.000 € zugrunde gelegt und davon ½ für das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführer angesetzt.