10.10.2023 · IWW-Abrufnummer 237728
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 12.07.2023 – 3 K 14/23
Nur die Grundfläche des mit dem Familienheim bebauten Flurstücks oder bei größeren Flurstücken eine angemessene Zubehörfläche unterfällt dem verfassungsrechtlichen Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums und ist erbschaftsteuerlich begünstigt.
Finanzgericht Niedersachsen
Tatbestand
Der Kläger ist Erbe nach seinem im August 2020 verstorbenen Vater.
Zum Nachlass gehörten u.a. Grundstücke in der Innenstadt des Wohnortes. Dazu gehörten drei Grundstücke an einer Wohnstraße (unten links) mit dem Wohnhaus des Erblassers (218/5), einem östlich gelegenen Nachbargrundstück (199/3), das als unbebautes Gartengrundstück mitbenutzt wird, und einem L-förmigen Wegegrundstück (202/04) sowie unmittelbar angrenzend drei weitere Grundstücke (unten rechts), die den Verlauf des früheren Stadtgrabens entsprechen.
[Zeichnungen der Flurstücke]
Im Grundbuch sind die Flurstücke 218/5, 199/3, 267/7, 267/10 und 267/15, jeweils der Flur 9, gemäß § 890 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu einem Grundstück vereinigt, weil der Eigentümer sie als ein Grundstück in das Grundbuch hat eintragen lassen (Grundbuch von A, Blatt 13843). Das sechste Flurstück (Flur 9, Flurstück 202/4) ist im Grundbuch als eigenes Grundstück eingetragen (Grundbuch von A, Blatt 7888).
Das Belegenheitsfinanzamt erließ zwei getrennte Feststellungsbescheide über die gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte. Für die drei Grundstücke des "Stadtgrabens" einen Bescheid (Aktenzeichen ...) und die anderen drei Grundstücke einen gesonderten Bescheid (Aktenzeichen ...). Streitig sind nur die erbschaftsteuerlichen Konsequenzen aus der Zusammenfassung der Grundstücke mit dem einen bebauten Grundstück, auf dem das Wohnhaus steht.
In diesem Feststellungsbescheid (zuletzt vom 19. Februar 2022) ermittelte das FA den Bodenwert nach der Bebaubarkeit der Flächen. Dabei fasste das FA die Teilflächen der Flurstücke 218/5 und 199/3 - ohne die Flurstücke zu benennen und dies zu erläutern - offenbar nur wegen der gleichartigen Bebaubarkeit zu einer Fläche von 2.129 qm zusammen und bewertete diese Flächen mit 550 Euro/qm. Die restliche Teilfläche (202/04) - abermals ohne das Flurstück zu benennen - mit 162 qm bewertete es mit 350 Euro/qm. Es wies die Werte der beiden Teilflächen und den Gesamtbetrag der Bodenwerte aus (1.227.650 €). Daneben bewertete das FA den Gebäudesachwert des einzigen Gebäudes und der dazugehörigen Garage mit zusammen 152.315 €. Insgesamt ergab das einen Grundbesitzwert von der wirtschaftlichen Einheit von 1.379.965 €. In den Erläuterungen zu dem Feststellungsbescheid wies das FA die Brutto-Grundflächen des Wohnhauses mit insgesamt 517,14 qm aus. In den "Nachrichtlichen Angaben" teilte es die Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes mit 235 qm und die Wohnfläche einer bisher vom Rechtsvorgänger selbst genutzten Wohnung mit 235 qm mit und ergänzte:
"Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4B ErbStG ist ggf. nur für das Familienheim auf dem Grundstück Gemarkung A Flur 9 Flurstück 218/5 zur Größe von 837 m2 zu gewähren (Bodenrichtwert 550 Euro/m2) - siehe auch meine beigefügten Unterlagen."
Das FA ermittelte den Betrag der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG wie folgt:
Hausgrundstück (837 qm x 550 €) 460.350 €
Gebäudesachwert 152.315 €
Summe 612.665 €
davon 200/235 (begünstigte Fläche) 521.417 €
Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG müsse auf die gesamte wirtschaftliche Einheit, die vom Belegenheitsfinanzamt der gesonderten Grundstücksbewertung unterworfen worden sei - also alle drei Grundstücke -, berechnet werden und beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23. Februar 2021 II R 29/19, BFHE 272, 497, BStBl II 2023, 191, BFH/NV 2021, 1222). Das FA sei an den Grundlagenbescheid des Belegenheitsfinanzamtes gebunden. Daher seien 200/235 des festgestellten Grundbesitzwertes für alle drei Grundstücke (1.379.965 €) im Erbschaftsteuerbescheid als begünstigt zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 25. Mai 2021 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 11. August 2022 und vom 12. Januar 2023 und des Einspruchsbescheides vom 30. Januar 2023 dahingehend zu ändern, dass die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG um 653.021 € auf 1.174.438 € erhöht wird und die festgesetzte Erbschaftsteuer von 148.675 € um 134.430 € auf 14.245 € ermäßigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist darauf, dass in dem Gesetzeswortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nicht näher bestimmt sei, in welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung teilhat. Nach dem Willen des Gesetzgebers diene die Vorschrift dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums und der krisenfesten Erhaltung des Familiengebrauchsvermögens (BT-Drucksache 16/11107). Deshalb sei der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG restriktiv zu beurteilen, denn Steuerbegünstigungen seien grundsätzlich unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks (s.o.) auszulegen. Allein das Flurstück 218/5 zur Größe von 837 m2 sei lt. nachrichtlicher Angaben des Belegenheitsfinanzamts das Grundstück, auf dem sich das Familienheim befindet. Deshalb könne auch nur dieses Grundstück nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG begünstigt sein. Nicht begünstigt sei demnach das angrenzende unbebaute Gartengrundstück - auch wenn aufgrund seiner Nutzung eine wirtschaftliche Einheit mit dem Familienheim-Grundstück vorliege.
Eine Bindung des Feststellungsbescheides für den Erbschaftsteuerbescheid ergebe sich insoweit nicht, denn über die Steuerbefreiung entscheide die zuständige Erbschaft- und Schenkungsteuerstelle und nicht die für die Bewertung zuständige Grundbesitzstelle. Fielen diese übergroßen Grundstücke gänzlich unter die Befreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, wären sie zu 100 % begünstigt, könnten aber jederzeit geteilt, teilweise veräußert oder anderweitig bebaut werden, ohne dass es eine Auswirkung auf die Befreiung hätte, denn schädlich sei lediglich, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutze. Bei einem Verkauf von Teilflächen käme es nicht zu einer Nachversteuerung. Die Intention des Gesetzgebers für die Steuerbefreiung, lediglich das Familiengebrauchsvermögen erhalten und schützen zu wollen, ginge hinsichtlich dieser Grundstücksteile ins Leere, denn insoweit handele es sich gar nicht um das schützenswerte Familiengebrauchsvermögen.
Entscheidungsgründe
1. Die Steuerbegünstigung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist wegen der primären Anknüpfung des Erbschaftsteuerrechts an das Zivilrecht im Streitfall nur für das mit dem Familienheim bebaute Hausgrundstück zu gewähren.
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 Quadratmeter nicht übersteigt, steuerfrei. Durch den Verweis auf § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG werden von der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke, Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke erfasst.
Eine nähere Bestimmung, so der BFH in seinem Urteil vom 23. Februar 2021 (aaO.), in welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung teilhat, enthält die Vorschrift nicht. In Betracht kommt einerseits das Grundstück im zivilrechtlichen Sinne, d.h. ein vermessener, im Liegenschaftskataster bezeichneter Teil der Erdoberfläche (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2005 - V ZR 139/04, Deutsche Notar-Zeitschrift 2005, 670) oder andererseits die wirtschaftliche Einheit i.S. des § 2 Abs. 1 BewG.
In dem entschiedenen Fall hatte das Belegenheitsfinanzamt die nebeneinander liegenden Grundstücke mit dem Wohnhaus einerseits und dem Gartengrundstück andererseits in getrennten Feststellungsbescheiden die Grundbesitzwerte festgestellt. Für diese Konstellation der fehlenden bewertungsrechtlichen Verbindung sollen, so der BFH, die Feststellungsbescheide des Belegenheitsfinanzamts nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit Grundlagenbescheide für den Erbschaftsteuerbescheid bindend sein (aaO., Rn.16). Zugleich hat der BFH ausdrücklich offen gelassen, ob im Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen sei. In dieser Entscheidung hat sich der BFH von folgenden Überlegungen leiten lassen:
Für die Bestimmung des Grundstücksbegriffs des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG nach zivilrechtlichen Grundsätzen spräche die bürgerlich-rechtliche Prägung des Erbschaftsteuerrechts (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26.11.1986 - II R 190/81, BFHE 148, 324, BStBl II 1987, 175). Als (Rechts-) Verkehrsteuer knüpft die Erbschaftsteuer grundsätzlich an bürgerlich-rechtliche Vorgänge an. Andererseits verweist § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG auf bebaute Grundstücke i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG und gerade nicht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Nach § 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG seien für Zwecke der Erbschaftsteuer für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen (§ 179 der Abgabenordnung (AO)). Die Feststellungen träfen die zuständigen Belegenheitsfinanzämter (§ 152 Nr. 1 BewG). Diese seien zwar nicht zur Entscheidung darüber befugt, ob eine Steuerbefreiung, z.B. nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, zu gewähren ist. Ihnen obliege neben der Wertfeststellung aber auch die verbindliche Feststellung über die "wirtschaftlichen Einheiten" des Grundvermögens (§ 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG). Diese Entscheidung könne gemäß § 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO nur durch Anfechtung des Wertfeststellungsbescheids angegriffen werden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG im damaligen Streitfall nur für das Grundstück 1, auf dem sich das Familienheim befindet, zu gewähren, da dieser als eigene wirtschaftliche Einheit bewertet worden sei. Sei nach zivilrechtlichen Maßstäben abzugrenzen, folge dies aus der katastermäßigen Selbständigkeit des Grundstücks 1. Sei bewertungsrechtlich abzugrenzen, folgt dies aus den beiden getrennten Feststellungsbescheiden des Belegenheitsfinanzamts für die beiden Grundstücke, die im vorliegenden Verfahren auch hinsichtlich der Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bindend seien. Für diese Fallgestaltung seien die Feststellungsbescheide nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit als Grundlagenbescheide für die Erbschaftsteuerbescheide. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen sei.
Der BFH hatte bisher für eine Gemengelage mit mehreren benachbarten Flurstücken nicht zu entscheiden, welche Flächen dem Grundstücksbegriff des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zuzuordnen sind. Das könnten (a) die einzelnen Flurstücke, wie sie von der Katasterbehörde gebildet worden sind, (b) das Grundstück, wie es im Grundbuch eingetragen ist, auch wenn es auf Antrag des Eigentümers - wie im Streitfall - aus zahlreichen einzelnen benachbarten Flurstücken besteht, (c) die wirtschaftliche Einheit im Sinne der §§ 2, 181 des Bewertungsgesetzes (BewG), die nach den Anschauungen des Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit, der tatsächlichen Übung, der Zweckbestimmung oder der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit gebildet wird, oder schließlich (d) das speziell erbrechtlich zu begünstigende Grundstück sein.
Die Varianten (a) und (b) bergen das Risiko in sich, dass der Grundstückseigentümer den Umfang des nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG begünstigten Immobilienvermögens durch Gestaltung über den gebotenen Schutz des Familienwohnheims hinaus zu erweitern sucht, denn sowohl die Größe und der Umfang der Flurstücke (a) als auch Grundstücke (b) unterliegen ausschließlich der Gestaltungsfreiheit der Eigentümer. So können benachbarte Flurstücke im Sinne des Katasterrechts "verschmolzen" werden. So hätten hier alle Grundstücke vom Eigentümer durch einfache Erklärung gegenüber dem Katasteramt zu einem Flurstück mit einer neuen Flurstücksbezeichnung verschmolzen werden können. Auch das BGB lässt es relativ leicht zu, Flurstücke durch Erklärung in einem Grundbuchblatt "zu vereinigen". Solche Gestaltungen entsprächen nicht dem Zweck der streitigen Steuerbegünstigung. Aber auch die §§ 2, 181 BewG (c) bieten mitunter keine angemessene Lösung. Nach den Anschauungen des Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit (§ 2 BewG) bildeten die drei Flurstücke 218/5, 199/3 und 202/04 tatsächlich bewertungsrechtlich eine wirtschaftliche Einheit, ohne dass damit das zu begünstigende Familienheim im Sinne des § 13 ErbStG zutreffend erfasst wäre, denn es würde wohl das einheitlich genutzte Gartengrundstück (Flurstück 199/3) bewertungsrechtlich dazugehören, obwohl es sich dabei um ein baurechtlich selbständig bebaubares Grundstück handelt. Für dieses Grundstück hat die Gemeinde sogar bereits in der Erwartung einer späteren Bebauung eine Hausnummer reserviert ("B-Str. 5").
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG bei einer zu weiten Auslegung im Hinblick auf die Doppelbegünstigung der nahen Familienmitglieder durch hohe Freibeträge gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG und die Freibeträge nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG, die nicht miteinander verrechnet werden, verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen (vgl. etwa Meßbacher-Hönsch, ZEV 2015, 382), was es rechtfertigt, die Rechtsnormen eng auszulegen (BFH-Beschluss vom 27. September 2012 II R 9/11, BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 150; BFH-Urteile vom 3. Juni 2014 II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806 und vom 5. Oktober 2016 II R 32/15, BFHE 256, 359, BStBl II 2017, 130 [BFH 15.06.2016 - II R 24/15]). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vorschrift nach der Gesetzesbegründung ausschließlich dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums dienen soll (BT-Drucksache 16/11107, 107). Ein selbständig parzelliertes unbebautes Grundstück, wie hier das Flurstück 199/3, dient indes diesem Zweck nicht, sondern ist selbständig verkehrsfähig und könnte von dem Erben umgehend veräußert werden. Bei der gebotenen verfassungskonformen restriktiven Auslegung der Befreiungsnorm des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist deshalb nicht auf die bewertungsrechtliche wirtschaftliche Einheit, sondern die kleinere kastastermäßige Grundstücksfläche, wenn eine solche existiert, abzustellen. Ansonsten wäre eine Teilfläche zu bestimmen gewesen.
Wenn aber damit die Varianten (a), (b) und (c) keine den verfassungsrechtlichen Grundlagen entsprechende Lösung zur Verfügung stellen können, muss die Begünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG von dem für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständigen FA selbständig bestimmt werden. Zugleich muss es dem zuständigen FA und nachgehend dem Gericht aus Gründen der Belastungsgleichheit möglich sein, selbst bei katasterrechtlich verschmolzenen Flurstücken nur einen Teil der Grundstücksfläche dem Familiengebrauchsvermögen zuzuordnen. Nur so lässt sich vermeiden, dass - wie hier - eine angrenzende grundsätzlich selbständig bebaubare Fläche (Flurstück 199/3, "B-Str. 5", 1.292 qm à 550 €/qm = 710.600 €) in die Begünstigung einbezogen werden muss. Letztlich wird man aus verfassungsrechtlichen Gründen, selbst wenn keine katastermäßig angemessene selbständige Teilfläche einem Wohnhaus zugeordnet ist, in Anlehnung an die Regelungen zur steuerfreien Entnahme einer Wohnung mit dazugehörigen Grund und Boden bei Landwirten gemäß § 52 Abs. 15 Satz 8 Nr. 1 EStG 1987 nur die für die künftige private Nutzung erforderlichen Zubehörflächen als umfasst ansehen können (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 1996 IV R 43/95, BFHE 181, 333, BStBl II 1997, 50).
Deshalb erscheint es sachgerecht, wenn - wie im jetzigen Streitfall - das Belegenheitsfinanzamt die katastermäßig selbständigen Flächen zwar zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenfasst bzw. zusammenfassen muss, zugleich aber unter den "Nachrichtlichen Angaben" deutlich macht, dass eine Differenzierung im Hinblick auf die Zuordnung als Familienheim in Betracht kommt. Damit hat das Belegenheitsfinanzamt zugleich im Ergebnis zutreffend dokumentiert, dass die Flurstücke im Übrigen hinsichtlich der Steuerbefreiung abweichend vom Begriff der wirtschaftlichen Einheit im bewertungsrechtlichen Sinne zu berücksichtigen seien.
Für diese Fallgestaltung muss der zivilrechtlichen Trennung der Grundstücke unter Berücksichtigung der gewollten steuerlichen Freistellung im Sinne einer krisenfesten Erhaltung des Familiengebrauchsvermögens gefolgt werden. Nur das tatsächlich bebaute Grundstück oder die bebaute Teilfläche kann in die Begünstigung einfließen. Diese Prüfung obliegt, wenn - wie hier - das Belegenheitsfinanzamt die Differenzierung hinsichtlich einzelner Grundstück selbst angesprochen hat, dem beklagten Finanzamt, zumal das beklagte Finanzamt, das materiell zur Prüfung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung berufen ist, nicht einmal die Möglichkeit hätte, die evtl. unbedachte Zusammenfassung der drei Grundstücke allein wegen ihrer theoretischen Bebaubarkeit zu einer wirtschaftlichen Einheit zu verhindern.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen, weil dieses Verfahren im Anschluss an das BFH-Urteil vom 23. Februar 2021 (aaO.) nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung dazu erfordert, welche Flächen neben dem Gebäude im Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG als begünstigtes Vermögen zu berücksichtigen sind.
Urteil vom 12.07.2023
Tatbestand
Streitig ist, welche Grundstücke konkret in die Steuerbefreiung für Hausgrundstücke nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) einzubeziehen sind.
Der Kläger ist Erbe nach seinem im August 2020 verstorbenen Vater.
Zum Nachlass gehörten u.a. Grundstücke in der Innenstadt des Wohnortes. Dazu gehörten drei Grundstücke an einer Wohnstraße (unten links) mit dem Wohnhaus des Erblassers (218/5), einem östlich gelegenen Nachbargrundstück (199/3), das als unbebautes Gartengrundstück mitbenutzt wird, und einem L-förmigen Wegegrundstück (202/04) sowie unmittelbar angrenzend drei weitere Grundstücke (unten rechts), die den Verlauf des früheren Stadtgrabens entsprechen.
[Zeichnungen der Flurstücke]
Im Grundbuch sind die Flurstücke 218/5, 199/3, 267/7, 267/10 und 267/15, jeweils der Flur 9, gemäß § 890 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu einem Grundstück vereinigt, weil der Eigentümer sie als ein Grundstück in das Grundbuch hat eintragen lassen (Grundbuch von A, Blatt 13843). Das sechste Flurstück (Flur 9, Flurstück 202/4) ist im Grundbuch als eigenes Grundstück eingetragen (Grundbuch von A, Blatt 7888).
Das Belegenheitsfinanzamt erließ zwei getrennte Feststellungsbescheide über die gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte. Für die drei Grundstücke des "Stadtgrabens" einen Bescheid (Aktenzeichen ...) und die anderen drei Grundstücke einen gesonderten Bescheid (Aktenzeichen ...). Streitig sind nur die erbschaftsteuerlichen Konsequenzen aus der Zusammenfassung der Grundstücke mit dem einen bebauten Grundstück, auf dem das Wohnhaus steht.
In diesem Feststellungsbescheid (zuletzt vom 19. Februar 2022) ermittelte das FA den Bodenwert nach der Bebaubarkeit der Flächen. Dabei fasste das FA die Teilflächen der Flurstücke 218/5 und 199/3 - ohne die Flurstücke zu benennen und dies zu erläutern - offenbar nur wegen der gleichartigen Bebaubarkeit zu einer Fläche von 2.129 qm zusammen und bewertete diese Flächen mit 550 Euro/qm. Die restliche Teilfläche (202/04) - abermals ohne das Flurstück zu benennen - mit 162 qm bewertete es mit 350 Euro/qm. Es wies die Werte der beiden Teilflächen und den Gesamtbetrag der Bodenwerte aus (1.227.650 €). Daneben bewertete das FA den Gebäudesachwert des einzigen Gebäudes und der dazugehörigen Garage mit zusammen 152.315 €. Insgesamt ergab das einen Grundbesitzwert von der wirtschaftlichen Einheit von 1.379.965 €. In den Erläuterungen zu dem Feststellungsbescheid wies das FA die Brutto-Grundflächen des Wohnhauses mit insgesamt 517,14 qm aus. In den "Nachrichtlichen Angaben" teilte es die Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes mit 235 qm und die Wohnfläche einer bisher vom Rechtsvorgänger selbst genutzten Wohnung mit 235 qm mit und ergänzte:
"Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4B ErbStG ist ggf. nur für das Familienheim auf dem Grundstück Gemarkung A Flur 9 Flurstück 218/5 zur Größe von 837 m2 zu gewähren (Bodenrichtwert 550 Euro/m2) - siehe auch meine beigefügten Unterlagen."
Das FA ermittelte den Betrag der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG wie folgt:
Hausgrundstück (837 qm x 550 €) 460.350 €
Gebäudesachwert 152.315 €
Summe 612.665 €
davon 200/235 (begünstigte Fläche) 521.417 €
Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG müsse auf die gesamte wirtschaftliche Einheit, die vom Belegenheitsfinanzamt der gesonderten Grundstücksbewertung unterworfen worden sei - also alle drei Grundstücke -, berechnet werden und beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23. Februar 2021 II R 29/19, BFHE 272, 497, BStBl II 2023, 191, BFH/NV 2021, 1222). Das FA sei an den Grundlagenbescheid des Belegenheitsfinanzamtes gebunden. Daher seien 200/235 des festgestellten Grundbesitzwertes für alle drei Grundstücke (1.379.965 €) im Erbschaftsteuerbescheid als begünstigt zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 25. Mai 2021 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 11. August 2022 und vom 12. Januar 2023 und des Einspruchsbescheides vom 30. Januar 2023 dahingehend zu ändern, dass die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG um 653.021 € auf 1.174.438 € erhöht wird und die festgesetzte Erbschaftsteuer von 148.675 € um 134.430 € auf 14.245 € ermäßigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist darauf, dass in dem Gesetzeswortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nicht näher bestimmt sei, in welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung teilhat. Nach dem Willen des Gesetzgebers diene die Vorschrift dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums und der krisenfesten Erhaltung des Familiengebrauchsvermögens (BT-Drucksache 16/11107). Deshalb sei der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG restriktiv zu beurteilen, denn Steuerbegünstigungen seien grundsätzlich unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks (s.o.) auszulegen. Allein das Flurstück 218/5 zur Größe von 837 m2 sei lt. nachrichtlicher Angaben des Belegenheitsfinanzamts das Grundstück, auf dem sich das Familienheim befindet. Deshalb könne auch nur dieses Grundstück nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG begünstigt sein. Nicht begünstigt sei demnach das angrenzende unbebaute Gartengrundstück - auch wenn aufgrund seiner Nutzung eine wirtschaftliche Einheit mit dem Familienheim-Grundstück vorliege.
Eine Bindung des Feststellungsbescheides für den Erbschaftsteuerbescheid ergebe sich insoweit nicht, denn über die Steuerbefreiung entscheide die zuständige Erbschaft- und Schenkungsteuerstelle und nicht die für die Bewertung zuständige Grundbesitzstelle. Fielen diese übergroßen Grundstücke gänzlich unter die Befreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, wären sie zu 100 % begünstigt, könnten aber jederzeit geteilt, teilweise veräußert oder anderweitig bebaut werden, ohne dass es eine Auswirkung auf die Befreiung hätte, denn schädlich sei lediglich, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutze. Bei einem Verkauf von Teilflächen käme es nicht zu einer Nachversteuerung. Die Intention des Gesetzgebers für die Steuerbefreiung, lediglich das Familiengebrauchsvermögen erhalten und schützen zu wollen, ginge hinsichtlich dieser Grundstücksteile ins Leere, denn insoweit handele es sich gar nicht um das schützenswerte Familiengebrauchsvermögen.
Entscheidungsgründe
Die Klage wird abgewiesen.
1. Die Steuerbegünstigung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist wegen der primären Anknüpfung des Erbschaftsteuerrechts an das Zivilrecht im Streitfall nur für das mit dem Familienheim bebaute Hausgrundstück zu gewähren.
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 Quadratmeter nicht übersteigt, steuerfrei. Durch den Verweis auf § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG werden von der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke, Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke erfasst.
Eine nähere Bestimmung, so der BFH in seinem Urteil vom 23. Februar 2021 (aaO.), in welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung teilhat, enthält die Vorschrift nicht. In Betracht kommt einerseits das Grundstück im zivilrechtlichen Sinne, d.h. ein vermessener, im Liegenschaftskataster bezeichneter Teil der Erdoberfläche (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2005 - V ZR 139/04, Deutsche Notar-Zeitschrift 2005, 670) oder andererseits die wirtschaftliche Einheit i.S. des § 2 Abs. 1 BewG.
In dem entschiedenen Fall hatte das Belegenheitsfinanzamt die nebeneinander liegenden Grundstücke mit dem Wohnhaus einerseits und dem Gartengrundstück andererseits in getrennten Feststellungsbescheiden die Grundbesitzwerte festgestellt. Für diese Konstellation der fehlenden bewertungsrechtlichen Verbindung sollen, so der BFH, die Feststellungsbescheide des Belegenheitsfinanzamts nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit Grundlagenbescheide für den Erbschaftsteuerbescheid bindend sein (aaO., Rn.16). Zugleich hat der BFH ausdrücklich offen gelassen, ob im Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen sei. In dieser Entscheidung hat sich der BFH von folgenden Überlegungen leiten lassen:
Für die Bestimmung des Grundstücksbegriffs des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG nach zivilrechtlichen Grundsätzen spräche die bürgerlich-rechtliche Prägung des Erbschaftsteuerrechts (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26.11.1986 - II R 190/81, BFHE 148, 324, BStBl II 1987, 175). Als (Rechts-) Verkehrsteuer knüpft die Erbschaftsteuer grundsätzlich an bürgerlich-rechtliche Vorgänge an. Andererseits verweist § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG auf bebaute Grundstücke i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG und gerade nicht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Nach § 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG seien für Zwecke der Erbschaftsteuer für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen (§ 179 der Abgabenordnung (AO)). Die Feststellungen träfen die zuständigen Belegenheitsfinanzämter (§ 152 Nr. 1 BewG). Diese seien zwar nicht zur Entscheidung darüber befugt, ob eine Steuerbefreiung, z.B. nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, zu gewähren ist. Ihnen obliege neben der Wertfeststellung aber auch die verbindliche Feststellung über die "wirtschaftlichen Einheiten" des Grundvermögens (§ 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG). Diese Entscheidung könne gemäß § 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO nur durch Anfechtung des Wertfeststellungsbescheids angegriffen werden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG im damaligen Streitfall nur für das Grundstück 1, auf dem sich das Familienheim befindet, zu gewähren, da dieser als eigene wirtschaftliche Einheit bewertet worden sei. Sei nach zivilrechtlichen Maßstäben abzugrenzen, folge dies aus der katastermäßigen Selbständigkeit des Grundstücks 1. Sei bewertungsrechtlich abzugrenzen, folgt dies aus den beiden getrennten Feststellungsbescheiden des Belegenheitsfinanzamts für die beiden Grundstücke, die im vorliegenden Verfahren auch hinsichtlich der Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bindend seien. Für diese Fallgestaltung seien die Feststellungsbescheide nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit als Grundlagenbescheide für die Erbschaftsteuerbescheide. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen sei.
Der BFH hatte bisher für eine Gemengelage mit mehreren benachbarten Flurstücken nicht zu entscheiden, welche Flächen dem Grundstücksbegriff des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zuzuordnen sind. Das könnten (a) die einzelnen Flurstücke, wie sie von der Katasterbehörde gebildet worden sind, (b) das Grundstück, wie es im Grundbuch eingetragen ist, auch wenn es auf Antrag des Eigentümers - wie im Streitfall - aus zahlreichen einzelnen benachbarten Flurstücken besteht, (c) die wirtschaftliche Einheit im Sinne der §§ 2, 181 des Bewertungsgesetzes (BewG), die nach den Anschauungen des Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit, der tatsächlichen Übung, der Zweckbestimmung oder der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit gebildet wird, oder schließlich (d) das speziell erbrechtlich zu begünstigende Grundstück sein.
Die Varianten (a) und (b) bergen das Risiko in sich, dass der Grundstückseigentümer den Umfang des nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG begünstigten Immobilienvermögens durch Gestaltung über den gebotenen Schutz des Familienwohnheims hinaus zu erweitern sucht, denn sowohl die Größe und der Umfang der Flurstücke (a) als auch Grundstücke (b) unterliegen ausschließlich der Gestaltungsfreiheit der Eigentümer. So können benachbarte Flurstücke im Sinne des Katasterrechts "verschmolzen" werden. So hätten hier alle Grundstücke vom Eigentümer durch einfache Erklärung gegenüber dem Katasteramt zu einem Flurstück mit einer neuen Flurstücksbezeichnung verschmolzen werden können. Auch das BGB lässt es relativ leicht zu, Flurstücke durch Erklärung in einem Grundbuchblatt "zu vereinigen". Solche Gestaltungen entsprächen nicht dem Zweck der streitigen Steuerbegünstigung. Aber auch die §§ 2, 181 BewG (c) bieten mitunter keine angemessene Lösung. Nach den Anschauungen des Verkehrs und der örtlichen Gewohnheit (§ 2 BewG) bildeten die drei Flurstücke 218/5, 199/3 und 202/04 tatsächlich bewertungsrechtlich eine wirtschaftliche Einheit, ohne dass damit das zu begünstigende Familienheim im Sinne des § 13 ErbStG zutreffend erfasst wäre, denn es würde wohl das einheitlich genutzte Gartengrundstück (Flurstück 199/3) bewertungsrechtlich dazugehören, obwohl es sich dabei um ein baurechtlich selbständig bebaubares Grundstück handelt. Für dieses Grundstück hat die Gemeinde sogar bereits in der Erwartung einer späteren Bebauung eine Hausnummer reserviert ("B-Str. 5").
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG bei einer zu weiten Auslegung im Hinblick auf die Doppelbegünstigung der nahen Familienmitglieder durch hohe Freibeträge gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG und die Freibeträge nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 a) bis c) ErbStG, die nicht miteinander verrechnet werden, verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnen (vgl. etwa Meßbacher-Hönsch, ZEV 2015, 382), was es rechtfertigt, die Rechtsnormen eng auszulegen (BFH-Beschluss vom 27. September 2012 II R 9/11, BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 150; BFH-Urteile vom 3. Juni 2014 II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806 und vom 5. Oktober 2016 II R 32/15, BFHE 256, 359, BStBl II 2017, 130 [BFH 15.06.2016 - II R 24/15]). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vorschrift nach der Gesetzesbegründung ausschließlich dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums dienen soll (BT-Drucksache 16/11107, 107). Ein selbständig parzelliertes unbebautes Grundstück, wie hier das Flurstück 199/3, dient indes diesem Zweck nicht, sondern ist selbständig verkehrsfähig und könnte von dem Erben umgehend veräußert werden. Bei der gebotenen verfassungskonformen restriktiven Auslegung der Befreiungsnorm des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist deshalb nicht auf die bewertungsrechtliche wirtschaftliche Einheit, sondern die kleinere kastastermäßige Grundstücksfläche, wenn eine solche existiert, abzustellen. Ansonsten wäre eine Teilfläche zu bestimmen gewesen.
Wenn aber damit die Varianten (a), (b) und (c) keine den verfassungsrechtlichen Grundlagen entsprechende Lösung zur Verfügung stellen können, muss die Begünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG von dem für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständigen FA selbständig bestimmt werden. Zugleich muss es dem zuständigen FA und nachgehend dem Gericht aus Gründen der Belastungsgleichheit möglich sein, selbst bei katasterrechtlich verschmolzenen Flurstücken nur einen Teil der Grundstücksfläche dem Familiengebrauchsvermögen zuzuordnen. Nur so lässt sich vermeiden, dass - wie hier - eine angrenzende grundsätzlich selbständig bebaubare Fläche (Flurstück 199/3, "B-Str. 5", 1.292 qm à 550 €/qm = 710.600 €) in die Begünstigung einbezogen werden muss. Letztlich wird man aus verfassungsrechtlichen Gründen, selbst wenn keine katastermäßig angemessene selbständige Teilfläche einem Wohnhaus zugeordnet ist, in Anlehnung an die Regelungen zur steuerfreien Entnahme einer Wohnung mit dazugehörigen Grund und Boden bei Landwirten gemäß § 52 Abs. 15 Satz 8 Nr. 1 EStG 1987 nur die für die künftige private Nutzung erforderlichen Zubehörflächen als umfasst ansehen können (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 1996 IV R 43/95, BFHE 181, 333, BStBl II 1997, 50).
Deshalb erscheint es sachgerecht, wenn - wie im jetzigen Streitfall - das Belegenheitsfinanzamt die katastermäßig selbständigen Flächen zwar zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenfasst bzw. zusammenfassen muss, zugleich aber unter den "Nachrichtlichen Angaben" deutlich macht, dass eine Differenzierung im Hinblick auf die Zuordnung als Familienheim in Betracht kommt. Damit hat das Belegenheitsfinanzamt zugleich im Ergebnis zutreffend dokumentiert, dass die Flurstücke im Übrigen hinsichtlich der Steuerbefreiung abweichend vom Begriff der wirtschaftlichen Einheit im bewertungsrechtlichen Sinne zu berücksichtigen seien.
Für diese Fallgestaltung muss der zivilrechtlichen Trennung der Grundstücke unter Berücksichtigung der gewollten steuerlichen Freistellung im Sinne einer krisenfesten Erhaltung des Familiengebrauchsvermögens gefolgt werden. Nur das tatsächlich bebaute Grundstück oder die bebaute Teilfläche kann in die Begünstigung einfließen. Diese Prüfung obliegt, wenn - wie hier - das Belegenheitsfinanzamt die Differenzierung hinsichtlich einzelner Grundstück selbst angesprochen hat, dem beklagten Finanzamt, zumal das beklagte Finanzamt, das materiell zur Prüfung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung berufen ist, nicht einmal die Möglichkeit hätte, die evtl. unbedachte Zusammenfassung der drei Grundstücke allein wegen ihrer theoretischen Bebaubarkeit zu einer wirtschaftlichen Einheit zu verhindern.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen, weil dieses Verfahren im Anschluss an das BFH-Urteil vom 23. Februar 2021 (aaO.) nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung dazu erfordert, welche Flächen neben dem Gebäude im Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG als begünstigtes Vermögen zu berücksichtigen sind.
RechtsgebieteBewG, ErbStG, EStGVorschriftenBewG § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, BewG § 157 Abs. 1, BewG § 157 Abs. 3 Satz 1, BewG § 181, BewG § 2, ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4, ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a, ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b, ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst c, ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4a
ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4b, ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4c
EStG 1987 § 52 Abs. 15 Satz 8 Nr. 1