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  • 29.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238547

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 12.07.2023 – 11 U 148/22

    Zur Haftung einesNotars, der einen wegen eines Verstoßes gegen § 2347 BGB unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkundet, und zur Frage, wann hieraus dem Erben ein Schaden entsteht, so dass die 10jährige, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist beginnt.


    Oberlandesgericht Hamm


    Tenor:

    Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.09.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster (Az. 202 O 1126/21) abgeändert.

    Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin den Schaden zu ersetzen hat, der daraus folgt, dass der von Seiten der Schwester der Klägerin, der Frau A, B-Straße 01, in C erklärte Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsverzicht, die getätigte Abfindungserklärung hinsichtlich § 12 HöfeO und die Erklärung hinsichtlich § 13 HöfeO aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-Nummer #8/2006 vom 06.02.2006 unwirksam sind.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreck- baren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicher- heit in Höhe 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    1
    Gründe:

    2
    I.

    3
    Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer klägerseits behaupteten notariellen Amtspflichtverletzung des Beklagten, der bis zum 31.03.2022 Notar mit dem Amtssitz in D (Westfalen) war.

    4
    Die Klägerin ist Tochter und aufgrund eines notariellen Testaments vom 14.12.2005 (Bl. 8-10 LG-Akte), vom Beklagten unter der Urk.-Nr. 004/2005 beurkundet, Hofes- und Alleinerbin des am 00.00.1947 geborenen und am 00.00.2020 verstorbenen Landwirts E (im Folgenden: Erblasser). Im Testament wurde durch den Erblasser der Wert des Vermögens für die Kostenberechnung mit 330.000,00 € angegeben.

    5
    Der verwitwete Erblasser war bis zu seinem Tode Eigentümer des im Grundbuch von G 01 eingetragenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes in F, bei dem es sich um einen Hof im Sinne der Höfeordnung handelt.

    6
    Unter der Urkunden Nr. #8/2006 beurkundete der Beklagte am 06.02.2006 eine zwischen dem Erblasser (als Beteiligten zu 1) und dessen Töchtern, der Klägerin (als Erschienene zu 3) und Frau A (als Erschienene zu 2) als Pflichtteilsverzichtsvertrag bezeichnete Vereinbarung (Bl. 14-18 LG-Akte). Diese enthielt (u.a.) folgende Regelungen:

    7
    „§ 1

    8
    Die Erschienene zu 2. verzichtet gegenüber dem Beteiligten zu 1. für sich und ihre Abkömmlinge […] auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht und ihre Pflichtteil- sergänzungsansprüche.

    9
    Der Beteiligte zu 1. nimmt diesen Verzicht an. […]

    10
    § 4

    11
    […] 1.

    12
    Die Erschienene zu 2. erklärt sich hinsichtlich des hier bezeichneten Hofes für abgefunden und verzichtet endgültig und unwiderruflich auf die Geltendma- chung weitergehender Abfindungsansprüche gemäß § 12 der Höfeordnung aus Anlass der notariellen Erbeinsetzung meiner Schwester Marion.

    13
    […] 2.

    14
    Zum Zwecke der Abfindung für die hofes- und hofesfreien Ansprüche verpflich- tet sich die Erschienene zu 3. an die Erschienene zu 2. einen Betrag in Höhe von 30.000,00 EURO -i.W. dreißigtausend EURO- zu zahlen.

    15
    […]

    16
    Ich, die Erschienene zu 2. erkläre mich damit einverstanden, dass dieser Betrag für meinen etwaigen Nachabfindungsanspruch gemäß § 13 HöfeO anzurech- nen ist.

    17
    3.

    18
    Der vorbezeichnete Verzicht erstreckt sich unter der nachfolgenden Maßgabe auch auf Ergänzungsabfindungsansprüche gemäß § 13 Höfeordnung, über dessen Inhalt ich ausführlich belehrt wurde. Sollte der potentielle Hofesüber- nehmer innerhalb der Frist des § 13 Höfeordnung -somit nach Übertragung des Betriebes, sei es durch tatsächlichen Erbfall oder vorweggenommene Erbfolge- Handlungen vornehmen, die Ergänzungsabfindungsansprüche, heute oder zu- künftig, auszulösen imstande sind, insbesondere den Hof oder einzelne Grund- stücke, Liefer-, wie Brennrechte oder Anlieferungsreferenzmengen Milch des Hofes verkaufen oder sonstige Verwertungsmaßnahmen im Sinne von § 13 Hö- feordnung treffen, so verzichte ich auf die Geltendmachung von Abfindungsan- sprüchen gemäß §1 3 Höfeordnung, sofern der hiermit erzielte Erlös innerhalb von fünf Jahren in beliebige Wirtschaftsgüter des landwirtschaftlichen Betriebes reinvestiert wird. Auf einen gleichwertigen Erwerb von Ersatzland kommt es da- bei nicht an; hierdurch soll dem Hofesübemehmer ermöglicht werden, den Hof aus etwaigen Erlösen zu vergrößern. […]

    19
    4.

    20
    Der vorbezeichnete Verzicht richtet sich an die Beteiligten zu 1. und 3. 5.

    21
    Die Beteiligten zu 1. und 3. erklären hiermit jeder für sich die Annahme vorstehender Verzichtserklärung. Der Wert der Urkunde wird mit 30.000 EURO angegeben.

    22
    Der Notar wies darauf hin, dass zur Wirksamkeit des Verzichtsvertrages die notarielle Zustimmung des E erforderlich ist. Solange ist der Pflicht- teilsverzichtsvertrag schwebend unwirksam. […]“

    23
    Zu der Beurkundung erschien der Erblasser nicht persönlich, sondern wurde durch eine Mitarbeiterin des Beklagten vollmachtlos vertreten.

    24
    Mit Erklärung vom 09.02.2006 (Bl. 86.C LG-Akte) genehmigte der Erblasser die von der vollmachtlosen Vertreterin abgegebenen Erklärungen. Die unter dieser Erklärung abgegebene Unterschrift wurde am selben Tage durch den Beklagten notariell beglaubigt (Urk.-Nr. 107/2006).

    25
    Der am 06.02.2006 vereinbarten Betrag von 30.000,00 € wurde im Laufe des Jahres 2006 an die Schwester der Klägerin gezahlt.

    26
    Nach dem Tode des Erblassers trat die Schwester der Klägerin an diese heran und ließ sie mit anwaltlichem Schreiben vom 27.04.2021 (Bl. 19 f. LG-Akte) ‒ unter Hinweis auf eine Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrages ‒ auffordern, ein Nachlass- verzeichnis zu erstellen.

    27
    Die Klägerin forderte daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.05.2021 (Bl. 21 f. LG-Akte) den Beklagten unter Hinweis darauf, dass die Schwester nunmehr Pflicht- teilsansprüche geltend mache, auf zu erklären, dass er sie von sämtlichen Pflichtteils- ansprüchen der Schwester freistellen werde.

    28
    Der Beklagte lehnte dies ab und erhebt gegen die geltend gemachten Ansprüche insbesondere die Einrede der Verjährung.

    29
    Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der erstin- stanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angegriffene Urteil des Landgerichts Münster (Az. 202 O 1126/21) Bezug genommen.

    30
    Das Landgericht hat die dem Beklagten im Dezember 2021 zugestellte Klage mit dem am 16.09.2022 verkündetem Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch der Klägerin spätestens seit dem 10.02.2016 verjährt sei. Der streitgegenständliche Anspruch sei mit Abschluss des we- gen des Verstoßes gegen § 2347 Abs. 2 BGB unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertra- ges vom 06.02.2006, spätestens jedoch mit der Abgabe der Genehmigungserklärung des Erblassers vom 09.02.2006 entstanden. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei es zu

    31
    einer Vermögensverschlechterung bei der Klägerin gekommen. Durch die Pflichtver- letzung des Beklagten sei die Erwerbsaussicht der Klägerin als zuvor testamentarisch eingesetzter Erbin geschädigt worden. Ihre Stellung als künftige Erbin sei dadurch, dass der Pflichtteilsverzicht unwirksam gewesen sei, mit Pflichtteilsansprüchen ihrer Schwester belastet worden. Die bloße Möglichkeit, dass der Erblasser jemand ande- ren als Erben habe einsetzen können, rechtfertige keine andere Beurteilung. Zum einen stelle sich diese Annahme in höchstem Maße als unwahrscheinlich dar, zum an- deren stelle dies einen bloß hypothetischen Kausalverlauf dar, welcher für die Beurtei- lung der Frage, ob die Pflichtverletzung zu einem Vermögensschaden geführt habe, außer Betracht zu bleiben habe.

    32
    Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit welcher sie ihr ursprüngliches Klagebegehren weiterverfolgt und hilfsweise ‒ für den Fall der Unzulässigkeit der Feststellungsklage ‒ diese teil- weise auf eine Leistungsklage umstellt.

    33
    Unter ergänzender Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens rügt sie, dass das Landgericht zu Unrecht einen Verjährungsbeginn im Jahr 2006 angenommen habe. Ein Schaden habe frühestens mit dem Tod des Erblassers eintreten können; gegebenenfalls auch erst mit der Geltendmachung des Schadens durch die pflichtteilsberechtigte Schwester. Bis zum Tod des Erblassers habe sie, die Klägerin, noch keine gesicherte Rechtsposition als testamentarische Erbin innegehabt. Sie habe insoweit nicht geschädigt werden können.

    34
    Zur Begründung des hilfsweise geltend gemachten Zahlungsantrags führt sie aus, dass sich der Nachlasswert des hoffreien Vermögens auf 432.890,12 € belaufe. Wegen der genauen Zusammensetzung des behaupteten Nachlasses wird auf die Auf- stellung auf Bl. 5 OLG-Akte verwiesen. Daraus ergebe sich ein Pflichtteilsanspruch ihrer Schwester i. H. v. 108.222,53 €, auf welchen sie, die Klägerin, bereits einen Ab- schlag in Höhe von 100.000,00 € geleistet habe. Der konkrete Wert des Nachlasses sei zwischen ihr und ihrer Schwester umstritten.

    35
    Die Klägerin beantragt,

    36
    unter Abänderung des angefochtenen Urteils

    37
    1.   festzustellen, dass der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht, dass der von Seiten ihrer Schwester, der Frau A, B - Str. 01, in C, erklärte Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsverzicht aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-Nummer #8/2006 vom 06.02.2006 unwirksam ist,

    38
    hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, sie, die Klägerin, von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen in Höhe von 108.222,53 € und einer auf diesen Betrag zu zahlenden Zinsverpflichtung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2021 freizustellen,

    39
    2.   festzustellen, dass der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht, dass die von Seiten ihrer Schwester, der Frau A, B-Str. 01, C , getätigte Abfindungserklärung hinsichtlich § 12 Höfeordnung aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-Num- mer #8/2006 06.02.2006 unwirksam ist,

    40
    3.   festzustellen, dass der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht, dass die von Seiten ihrer Schwester, der Frau A, B -Str. 01, C , getätigte Erklärung hinsichtlich § 13 Höfeordnung aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-Nummer #8/2006 06.02.2006 unwirksam ist,

    41
    4.   festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den zu ersetzenden Schaden aus den Klageanträgen 1 ‒ 3 in Geld zu verzinsen mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.06.2021.

    42
    Der Beklagte beantragt,

    43
    die Berufung zurückzuweisen.

    44
    Er verteidigt das angefochtene Urteil mit weiteren Ausführungen und meint, die Fest- stellungsklage sei bereits in der ersten Instanz unzulässig gewesen . Sie könne in der Berufungsinstanz auch nicht mehr auf eine Leistungsklage umgestellt werden.

    45
    Er bestreitet die vorgetragenen Nachlasswerte und dass die Schwester ‒ bis auf das Schreiben vom 27.04.2021 ‒ weitere Anstrengungen unternommen habe, um ihren Pflichtteilsanspruch durchzusetzen. Von einem etwaigen Pflichtteilsanspruch der Schwester sei jedenfalls der bereits gezahlte Betrag i. H. v. 30.000 € abzuziehen.

    46
    Die Verjährung habe das Landgericht, so der Beklagte, zu Recht angenommen. Ein Schaden sei der Klägerin bereits dadurch entstanden, dass sie für den Pflichtteilsver-

    47
    zicht ein Betrag i. H. v. 30.000 € gezahlt habe. Zudem sei der Erbanspruch der Kläge- rin durch eine Unwirksamkeit der Verzichtserklärung weiterhin mit einem Pflichtteilsanspruch ihrer Schwester belastet gewesen, auch daraus folge ein Schadenseintritt zum Zeitpunkt der Beurkundung.

    48
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Parteien sind im Senatstermin vom 21.06.2023 angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk vom 23.06.2023 zum Senatstermin verwie- sen (Bl. 259f OLG-Akte).

    49
    II.

    50
    Die zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.

    51
    A.   Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.

    52
    Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens erhoben werden, wenn die klagende Partei ein rechtliches Interesse daran hat [b)], dass ein Rechtsverhältnis [a)] durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Die Feststellungsklage dient dabei allgemein dem Zweck, Rechtsgewissheit dort zu erlangen, wo eine Durchsetzung subjektiver Rechte durch Leistungsurteil oder eine Rechtsänderung durch Gestaltungsurteil nicht möglich ist [c)] (Greger in: Zöller, Zivil- prozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 256 Feststellungsklage, Rn. 1). Diese Vorausset- zungen sind vorliegend erfüllt.

    53
    a)   Die vorliegende Klage ist auf die Feststellung des Bestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 ZPO gerichtet.

    54
    Unter einem Rechtsverhältnis ist die Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache zu verstehen, die ein (mit materieller Rechtskraftwirkung feststellbares) subjektives Recht enthält oder aus der solche Rechte entspringen können (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 3). Gegenstand einer Fest- stellungsklage können auch einzelne aus einem Rechtsverhältnis sich ergebende Rechte und Pflichten sein, nicht aber bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, reine Tatsachen oder etwa die Wirksamkeit von Willenserklärungen

    55
    oder die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober 2007 ‒ I-23 U 199/06 ‒, Rn. 59, juris m. w. Nachw.)

    56
    Diese Voraussetzung ist bei sämtlichen Klageanträgen der Klägerin - welche auch in einem Antrag hätten zusammengefasst werden können - erfüllt, da diese die Feststel- lung zum Gegenstand haben, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schäden aufgrund einer konkret benannten notariellen Amtspflichtverletzung zu ersetzen. Eine derartige Schadensersatzpflicht, deren Feststellung begehrt wird, ist als Rechtsver- hältnis im Sinne des § 256 ZPO anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1991 ‒ VII ZR 245/90 ‒, Rn. 10, juris; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 4).

    57
    b)   Die Klägerin hat auch ein Interesse an einer alsbaldigen Feststellung.

    58
    Ein solches Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO besteht dann, wenn dem subjektiven Recht der klagenden Partei eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Feststellungsurteil infolge seiner Rechtskraft dazu ge- eignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 ‒ VIII ZR 351/08 ‒, Rn. 12, juris). Eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht z. B. dann, wenn dass die beklagte Partei das behauptete subjektive Rechts des Klägers ernstlich bestreitet. Ist ein absolutes Recht des Klägers verletzt worden, genügt es für das Fest- stellungsinteresse, dass künftige Schäden möglich sind, wobei ausreichend ist, dass aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen ist (BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 ‒ VI ZR 381/99 ‒, juris). Dieser Grundsatz gilt aber nicht, wenn, wie hier, reine Vermögensschäden, die nicht auf eine Verletzung eines absoluten Rechts zurückzuführen sind, Gegenstand der Feststel- lungsklage sind. Bei  reinen  Vermögensschäden  hängt  bereits  die  Zulässigkeit  der Feststellungsklage von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab (BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 ‒ XI ZR 384/03 ‒, BGHZ 166, 84-117, Rn. 27, juris). Damit soll ausgeschlossen werden, dass dem möglichen Schädiger ein Rechtsstreit über gedachte Fragen aufgezwungen wird, von denen ungewiss ist, ob sie jemals praktische Bedeutung erlangen können (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober 2007 ‒ I-23 U 199/06 ‒, Rn. 62, juris).

    59
    Diese Voraussetzungen sind vorliegend unzweifelhaft gegeben. Dem klägerseits gel- tend gemachten Recht droht bereits dadurch eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicher- heit, weil der Beklagte diesbezüglich die Auffassung vertritt, dass dieses ‒ weil verjährt - ihm gegenüber nicht durchsetzbar ist.

    60
    Die Klägerin hat zudem die von ihr darzulegende (vgl. dazu: Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 9 m. w. Nachw.) Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts hinreichend dargetan. Diese ergibt sich daraus, dass ihre Schwester ihr gegenüber Ansprüche unter Berufung auf die Unwirksamkeit des durch den Be- klagten beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrages angemeldet, die Klägerin darauf- hin u.a. ein Nachlassverzeichnis über das hoffreie Vermögen mit Nachlasswerten von über 430.000,00 € erstellt und zudem ihrer Schwester einen weiteren Abschlag in Höhe von 100.000,00 € gezahlt hat. Die von der Klägerin dargelegten Nachlasswerte zeigen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, dass der Schwester der Klägerin Pflicht- teilsansprüche zustehen können, welche die aufgrund der Vereinbarung aus dem Jahre 2006 in dem Jahr bereits gezahlten 30.000,00 € deutlich übersteigen, und dass diese Ansprüche von der Schwester ernsthaft verfolgt werden, so dass ihr die Klägerin, wie sie bei ihrer Anhörung durch den Senat glaubhaft dargelegt hat, nach dem Erbfall bereits einen Abschlag von 100.000,00 € zahlte. Diese Zahlung wäre nicht veranlasst gewesen, wenn die Schwester durch einen wirksamen Pflichtteilsverzicht mit den im Jahre 2006 gezahlten 30.000,00 € vollständig abgefunden wäre.

    61
    c)    Ein Feststellungsinteresse fehlt der Klägerin auch nicht deswegen, weil ihr eine Klage auf Leistung möglich wäre. Eine auf Feststellung gerichtete Klage ist nur dann unzulässig, wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist und sie das Rechtsschutzziel erschöpft (BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 ‒ XI ZR 467/15 ‒, Rn. 14, juris; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststel- lungsklage, Rn. 7a m. w. Nachw.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. In Schadensfällen kommt es bei der Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Erhebung einer Leis- tungsklage entscheidend darauf an, ob der Kläger die Schadenshöhe bereits endgültig beziffern kann. Diese Voraussetzung ist dabei nicht nur bei sich noch entwickelnden Schäden nicht erfüllt, sondern auch dann, wenn die Schädigung bereits abgeschlos- sen ist, jedoch noch nicht geklärt ist, auf welche Weise und mit welchen Kosten der Schaden behoben werden kann (Becker-Eberhardt, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 256, Rn. 54; BGH, Urteil vom 15.01.2008 ‒ VI ZR 53/07 ‒, NJW-RR 2008, 1520, Rn. 6). Eine umfängliche Begutachtung zur Schadensberechnung ist dem Geschädigten zur Erhebung einer bezifferten Klage nicht abzuverlangen (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.2000 ‒ V ZR 387/98 -, NJW 2000, 1256; Greger in: Zöller, Zivilpro- zessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 7a).

    62
    Dies zugrunde gelegt war der Klägerin die Erhebung einer Leistungsklage im Dezember 2021 bereits deswegen nicht möglich, weil die Bezifferung des ihr entstandenen

    63
    Schadens die Bestimmung des Nachlasswertes erfordert. Dieser setzt sich im hoffreien Vermögen zu einem Großteil aus dem Wert der in den Nachlass fallenden Immobilien zusammen, deren Wert ohne Verkehrswertgutachten regelmäßig nicht hin- reichend sicher bestimmt werden kann. Diese Verkehrswertgutachten lagen zum Zeit- punkt der Klageerhebung noch nicht vor. Deren Erstellung wurde erst im laufenden Rechtsstreit veranlasst. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass das Feststel- lungsinteresse nachträglich wegfallen würde. Ist dem Kläger die Bezifferung eines Schadens bei Erhebung der Klage nicht möglich, so ist er nicht gezwungen, zu einer bezifferten Leistungsklage überzugehen, wenn diese nachträglich möglich wird (BGH, Urteil vom 4. November 1998 ‒ VIII ZR 248/97 ‒, Rn. 15, juris).

    64
    Zudem ist die Schadensentwicklung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht abgeschlossen und es besteht Ungewissheit hinsichtlich der Schadenshöhe, so dass auch deswegen der Klägerin die Erhebung einer bezifferten Leistungsklage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht möglich war (vgl. dazu: BGH, Urteil vom 15. Januar 2008 ‒ VI ZR 53/07 ‒, Rn. 6, juris). Gegenstand der Feststellungsklage ist auch die behauptete Unwirksamkeit der Modifizierung des § 13 HöfeO. Nach dieser Norm stehen den nach § 12 HöfeO Berechtigten ‒ also den Mit- erben, die nicht Hoferben geworden sind ‒ unter bestimmten Voraussetzungen An- sprüche auf Ergänzung der Abfindung wegen Wegfalls des höferechtlichen Zwecks zu. Bei tatsächlicher Unwirksamkeit der Modifizierung könnten der Schwester der Klä- gerin höhere Ansprüche gegen diese zustehen, als bei deren Wirksamkeit. Die Diffe- renz kann einen von dem Beklagten zu erstattenden Schaden darstellen, welcher je- doch frühestens bei Eintritt der Voraussetzungen des § 13 HöfeO ‒ welche noch in der Zukunft eintreten können - bezifferbar wäre.

    65
    Auch diese Unsicherheit hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe künftig mit Schäden zu rechnen ist, führt zur Zulässigkeit der Feststellungsklage. Etwaige Ansprüche we- gen einer Unwirksamkeit der Modifizierung des § 13 HöfeO stellen vorliegend nämlich keinen eigenen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Beklagten dar, sondern le- diglich eine von mehreren möglichen Schadenspositionen, die aus einer Pflichtverlet- zung des Beklagten resultieren könnte. Ist jedoch die Entwicklung des Schadens nur hinsichtlich einer Schadensposition nicht abgeschlossen, stellt sich die Feststellungs- klage insgesamt und nicht etwa nur wegen dieser einen Schadensposition als zulässig dar (BGH, Urteil vom 15. Januar 2008 ‒ VI ZR 53/07 ‒, Rn. 6, juris).

    66
    B. Die Feststellungsklage ist begründet.

    67
    Der Klägerin steht gegenüber dem beklagten, ehemaligen Notar ein durchsetzbarer [5.] Schadensersatzanspruch aus § 19 Abs. 1 BNotO deswegen zu, weil die von ihm am 06.02.2006 errichtete Urkunde sowohl hinsichtlich des Pflichtteilsverzichts [1. a)], als auch wegen der Vereinbarung in Bezug auf die Ansprüche aus der Höfeordnung [1. b)] unwirksam ist und der Klägerin dadurch wahrscheinlich ein Schaden entstanden ist [3.], den sie nicht von Dritten ersetzt verlangen kann [4.].

    68
    1.    Der Beklagte ist sowohl bei der Beurkundung des Pflichtteilsverzichtsvertrages als auch bei der Beurkundung der Genehmigungserklärung als Notar tätig geworden, so dass der Anwendungsbereich des § 19 BNotO eröffnet ist. Dabei hat der Beklage ge- genüber der Klägerin die sich aus § 17 Abs. 1 BeurkG ergebenden Amtspflichten ver- letzt.

    69
    a)    Aus § 17 Abs. 1 BeurkG folgt die Pflicht des Notars, den Willen der Beteiligten zu erforschen, den Sachverhalt zu klären, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren und ihre Erklärungen klar und unzweideutig in der Nieder- schrift wiedergeben. Die Vorschrift soll dabei insbesondere auch gewährleisten, dass der Notar eine rechtswirksame Urkunde über den wahren Willen der Beteiligten errich- tet (BGH, Urteil vom 11. Februar 1988 ‒ IX ZR 77/87 ‒, Rn. 17, juris).

    70
    Diese ihm obliegende Amtspflicht hat der Beklagte dadurch verletzt, dass er bei der Beurkundung die Vorschrift des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. - ab dem 01.01.2023 § 2347 S. 1 BGB (nach dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungs- rechts vom 12.05.2021, BGBl. I, 2021, Nr. 21, S. 882-937) - übersah und eine Beur- kundung unter Beteiligung eines vollmachtlosen Vertreters vornahm. Dadurch genügte der beurkundete Verzicht nicht der Form des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 ‒ IX ZR 242/94 ‒, Rn. 20, juris).

    71
    Bei dem in § 1 der notariellen Urkunde vom 06.02.2006 vereinbarten Pflichtteilsver- zicht handelt es sich um einen Vertrag nach § 2346 BGB. Einen solchen konnte der Erblasser ‒ jedenfalls in Bezug auf das erbrechtliche Verfügungsgeschäft - gem. § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. nur höchstpersönlich schließen. Eine Ausnahme bestand nach § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. nur für den ‒ hier nicht vorliegenden - Fall der gesetzlichen Vertretung bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers. Eine rechtsge- schäftliche („gewillkürte“) Stellvertretung war somit auf Erblasserseite nicht möglich (vgl. auch Everts, in: beckOGK, Stand: 01.06.2023, § 2347, Rn. 22). Ein Verstoß gegen die vorgeschriebene Form lässt zwar (unter bestimmten Voraussetzungen) das dem

    72
    Verfügungsgeschäft zugrundeliegende Kausalgeschäft unberührt, führt jedoch in je- dem Falle zur Nichtigkeit des erbrechtlichen Verfügungsgeschäfts nach § 125 S. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 ‒ V ZR 14/61 ‒, BGHZ 37, 319-331, Rn. 28,

    73
    juris).

    74
    b)  Der Beklagte hat seine sich aus § 17 BeurkG folgenden Amtspflichten zur Errichtung einer formwirksamen Urkunde auch deswegen verletzt, weil die Verzichtsvereinbarung in § 4 Nr. 1 und Nr. 3 des Vertrages vom 06.02.2006 hinsichtlich der Ansprüche aus der Höfeordnung ebenfalls unwirksam sind. Dabei konnte der Senat offenlassen, ob eine solche Unwirksamkeit bereits aus §§ 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F., 125 S. 1 BGB folgt. Nach wohl überwiegend in der Literatur vertretener Auffassung stellt der Verzicht auf Ansprüche aus der Höfeordnung zu Lebzeiten des Erblassers ebenfalls einen Erb- vertrag im Sinne des § 2346 BGB dar (so wohl: Ridder in: Münchener Anwaltshand- buch Erbrecht, 5. Aufl., § 43, Rn. 23; IVO, Der Verzicht auf Abfindungs- und Nachab- findungsansprüche gemäß §§ 12, 13 HöfeO, ZEV 2004, 316; Roemer in: Lüdtke-Hand- jery/von Jeinsen, Höfeordnung: HöfeO, 11. Aufl., § 17, Rn. 110; Raude in: Beck´sches Formularbuch Erbrecht, 5. Aufl., 5. Erbverzicht der weichenden Erben bzgl. des Hofes (HöfeO), Haarstrich in: Lüdtke-Handjery / von Jeinsen, Höfeordnung: HöfeO, § 12, Rn. 11), so dass ein wirksamer lebzeitiger Verzicht auf die in §§ 12 und 13 HöfeO bezeichneten Rechte nur in der Form des § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. möglich gewesen wäre und ein Verstoß dagegen zur Nichtigkeit der Verzichtserklärung führt (§ 125 S. 1 BGB).

    75
    Selbst wenn man jedoch annehmen sollte, dass der Verzicht auf Ansprüche aus der Höfeordnung nicht der Formvorschrift des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. entsprechen musste, würde sich die Vereinbarung auch diesbezüglich aufgrund der unter a) darge- stellten Pflichtverletzung des Beklagten als nichtig darstellen. Eine solche Nichtigkeit der dinglichen Verzichtserklärungen folgt jedenfalls aus § 139 BGB. Nach dieser Vor- schrift stellt sich bei teilweiser Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsge- schäft als nichtig dar, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Letzteres ist vorliegend gerade nicht anzunehmen. Die zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung lässt sich bereits nicht sinnvoll in eine Vereinbarung über den Verzicht auf den Pflichtteil bezogen auf das hoffreie Ver- mögen und in eine Vereinbarung bezogen auf einen (teilweisen) Verzicht auf die aus

    76
    §§ 12, 13 HöfeO folgenden Rechte aufteilen. Sowohl die Erklärungen bezüglich des hoffreien wie auch bezüglich des hoffesten Vermögens werden durch die (insgesamt) vereinbarte Abfindungserklärung derart miteinander verbunden, dass sich bereits nicht

    77
    bestimmen lässt, welcher Teil der Abfindung auf welchen Teil des Vermögens entfallen soll. Zudem wird aus der getroffenen Vereinbarung deutlich, dass die Beteiligten bestrebt waren, die erbrechtlichen Ansprüche der Schwester der Klägerin nach dem Tode des Erblassers - bis auf eine Einschränkung bei den Ansprüchen gem. § 13 HöfeO - umfassend und endgültig zu klären, so dass ausgeschlossen werden kann, dass die Beteiligten bei Kenntnis der Unwirksamkeit der Erklärung bezogen auf das hoffreie Vermögen die Erklärungen bezogen auf das hoffeste Vermögen dennoch so wie be- urkundet abgegeben hätten.

    78
    c)   Die Nichtigkeit des erbrechtlichen Verfügungsgeschäfts ist auch nicht etwa dadurch entfallen, dass der Erblasser die durch die vollmachtlose Vertreterin abgegebenen Erklärungen am 09.02.2006 genehmigt hat, weswegen durch den Senat nicht entschie- den werden musste, ob eine Heilung des Formmangels die Kausalität der Pflichtver- letzung oder den Schaden entfallen lässt. Denn die von dem Erblasser am 09.02.2006 abgegebene Erklärung genügte jedenfalls nicht der durch § 2348 BGB vorgeschriebe- nen Form der notariellen Beurkundung, welche bei Abschluss eines Erbvertrages nach

    79
    § 2346 BGB eingehalten werden muss. Eine notarielle Beurkundung setzt voraus, dass eine Niederschrift über die Verhandlung aufgenommen wurde. Die Niederschrift muss dabei gemäß § 9 BeurkG die Bezeichnung des Notars und der Beteiligten sowie die Erklärung der Beteiligten enthalten. Sie muss gemäß § 13 BeurkG in Gegenwart des Notars den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und eigenhändig unter- schrieben werden. Ebenfalls muss der Notar die Niederschrift eigenhändig unterschreiben (Einsele in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 128, Rn. 5). Diesen Anforderungen genügt die Genehmigungserklärung des Erblassers vom 09.02.2006 ersichtlich nicht. Es handelt sich lediglich um eine Unterschriftsbeglaubigung gemäß § 39 BeurkG, welche auch nicht in eine Niederschrift umgedeutet werden kann (vgl. dazu auch: OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Juli 2001 ‒ 7 U 205/00 ‒, Rn. 10, juris).

    80
    Darüber hinaus wäre die am 09.02.2006 durch den Erblasser abgegebene Erklärung selbst bei Einhaltung der vorgeschriebenen notariellen Form nicht geeignet, eine wirk- same Vereinbarung zwischen dem Erblasser und der Schwester der Klägerin herbei- zuführen. Bei den durch die Schwester in der Urkunden vom 06.02.2006 abgegebenen Erklärungen handelte es sich um solche, die unter Anwesenden abgegeben wurden und sich - neben der Klägerin - an die vollmachtlose Vertreterin des Erblassers richteten. Ein solches Angebot kann gemäß § 147 Abs. 1. S. 1 BGB (nur) sofort angenommen werden und wurde aus weislich des Inhalts der Urkunde vom 06.02.2006 durch die vollmachtlose Vertreterin des Erblassers ja auch sofort angenommen.

    81
    Hält man die Annahmeerklärung der vollmachtlosen Vertreterin nicht für maßgeblich, kann allerdings in der vom Erblasser am 09.02.2006 erklärten Genehmigung keine

    82
    „sofortige“ Annahme gesehen werden. „Sofort“ bedeutet im Unterschied zum weniger strengen „unverzüglich“ i.S.v. § 121 BGB, dass jedes Hinauszögern, auch ein schuld- loses, zum Erlöschen des Antrags führt. Auf der anderen Seite muss dem Antrags- empfänger zwar die Möglichkeit gegeben sein, den Inhalt des Antrags und die Folgen der Annahme zu erfassen. Daher muss die Antwort nicht ohne jedes Zögern erfolgen. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere die Komplexität des Antrags (Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 147 Rn. 33). Eine Annahme ihres Verzichtsangebots mehrere Tage nach dem Beurkundungstermin stellte sich aus Sicht der Schwester der Klägerin als der maßgeblichen Erklärungs- empfängerin aber nicht mehr als sofort im Sinne des § 147 BGB dar. Die Schwester der Klägerin, der offenbar ebenso wie allen an der Urkundenverhandlung Beteiligten die Regelung des § 2347 Abs. 2 BGB a. F. seinerzeit nicht bekannt war, ging vielmehr davon aus, dass die Willenserklärungen, welche zum Zustandekommen des Vertrages erforderlich waren, bereits im Beurkundungstermin abgegeben wurden (zu dieser Kon- stellation auch: BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 ‒ IX ZR 242/94 ‒, Rn. 29, juris). Die Schwester musste daher nach Annahme der Verzichtserklärung durch die voll- machtlose Vertreterin nicht mehr damit rechnen, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine andere/weitere Erklärung abgegeben wird, welche für das Zustandekommen der Vereinbarung erforderlich sein sollte.

    83
    d)   Die Klägerin gehört zum Kreis der durch die notariellen Amtspflichten geschützten Personen. Zu diesen gehören die materiell an dem beurkundeten Rechtsgeschäft Be- teiligten, da diese mit ihrem Ansuchen in eigener Sache die Notartätigkeit veranlassen (Schramm, in BeckOK BNotO, 7. Ed., § 19 BNotO, Rn. 24). Die Pflicht, eine formwirk- same Urkunde zu erstellen, bestand daher auch ihr gegenüber, da sich die Klägerin zum einen durch das Amtsgeschäft verpflichtet hat, ihre Schwester abzufinden, zum anderen ihre künftige Erbenstellung durch das Amtsgeschäft unmittelbar betroffen war. Beurkundet ein Notar einen wegen eines Formfehlers unwirksamen Erb- und Pflicht- teilsverzichtsvertrag, so liegt eine Amtspflichtverletzung auch gegenüber demjenigen vor, dem der Ausschluss des Verzichtenden als gesetzlicher Erbe und Pflichtteilsbe- rechtigter zugutegekommen wäre (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 ‒ IX ZR 242/94 ‒, Rn. 20, juris). Dies gilt erst recht, wenn der durch den Verzicht Begünstigte auch Beteiligter des Beurkundungsverfahrens ist.

    84
    2.    Dem Beklagten ist hinsichtlich der Pflichtverletzung auch Fahrlässigkeit ‒ für die Annahme eines auch nur bedingten Vorsatzes fehlen jegliche Anhaltspunkte ‒ zur Last zu legen. Nach dem Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 Abs. 2 BGB ist objektivierend von einem pflichtbewussten, erfahrenen und gewissenhaften Durchschnittsnotar auszuge- hen; gefordert wird von dem Notar insoweit insbesondere die vollständige Beachtung aller Gesetze (Hogl, Beck´sches Notarhandbuch, 7. Aufl., § 35 Rn. 23). Diesem An- spruch ist der Beklagte vorliegend nicht gerecht geworden, indem er die Regelung des

    85
    § 2347 Abs. 2 BGB a. F. bei der Beurkundung am 06.02.2006 nicht beachtet hat.

    86
    3.    Die Klägerin hat hinreichend dargetan, dass ihr aufgrund der durch den Beklagten begangenen Pflichtverletzung ein kausaler Vermögensschaden entstanden ist. Eine auf diesen bezogene Feststellungsklage ist begründet, wenn die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 ‒ VI ZR 381/99 ‒, Rn. 8, juris). und wenn aufgrund der dargelegten Tat- sachen mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass ein Schaden entstanden ist (BGH, Urteil vom 19. November 1971 ‒ I ZR 72/70 ‒, Rn. 33, juris). Die - summa- risch zu prüfende - Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gehört zur Begründetheit der Klage (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 ‒ IX ZR 43/92 ‒, Rn. 77, juris).

    87
    Diese Voraussetzungen sind erfüllt, weil mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Klägerin durch die Pflichtverletzung des Beklagten ein Vermögensschaden entstanden ist.

    88
    a)   Zur Bestimmung des durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens ist neben dem tatsächlichen Geschehensablauf zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflicht- gemäßem Verhalten des Notars genommen hätten und wie die Vermögenslage des Betroffenen sein würde, wenn der Notar die Pflichtverletzung nicht begangen hätte, sondern pflichtgemäß gehandelt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2008 ‒ III ZR 292/07 ‒, Rn. 14 m. w. Nachw.). Hätte der Notar die Beteiligten vorliegend darauf hin- gewiesen, dass zum Abschluss des Erbverzichtsvertrages die persönliche Mitwirkung des Erblassers erforderlich ist, so hätten diese sich zu einem anderen Zeitpunkt zu- sammengefunden, um die Vereinbarung formwirksam abzuschließen. Wäre eine solche Zusammenkunft zu einem anderen Zeitpunkt nicht möglich gewesen, hätte der Notar zunächst ein Angebot der Schwester der Klägerin und zu einem anderen Zeit- punkt die Annahme durch den Erblasser und die Klägerin (formwirksam) beurkunden können (§ 128 BGB). Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligten bei einem Hinweis auf

    89
    die erforderliche Anwesenheit des Erblassers insgesamt von der Beurkundung des beabsichtigten Pflichtteilsverzichtsvertrages Abstand genommen hätten, liegen dagegen nicht vor. Vielmehr erscheint diese Annahme auch nach dem Ergebnis der Anhö- rung der Parteien im Senatstermin als sehr fernliegend.

    90
    b)   Dies zugrunde gelegt besteht der Schaden der Klägerin jedoch nicht darin, dass an deren Schwester eine Zahlung in Höhe von 30.000,00 € geleistet worden ist. Diese Zahlung wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Beklagten geleistet worden, wenn der Pflichtsteilverzichtsvertrag wirksam beurkundet worden wäre. Der Schaden der Klägerin besteht vielmehr darin, dass sie aufgrund der Unwirksamkeit der Verzichtser- klärungen nach dem Tod des Erblassers Pflichtteilsansprüchen und Ansprüchen aus der Höfeordnung ihrer Schwester ausgesetzt ist. Der geleistete Betrag von 30.000,00

    91
    € stellt dabei lediglich eine Rechnungsposition bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzanspruchs dar. Die Schwester wird sich diese Zahlung bei der Gel- tendmachung ihrer Ansprüche ggf. anrechnen lassen müssen (vgl. § 12 Abs. 4 HöfeO,

    92
    § 2315 Abs. 1 BGB) bzw. - wenn nicht - stünde der Klägerin diesbezüglich ein Rück- forderungsrecht zu, mit dem sie aufrechnen könnte.

    93
    Die Klägerin hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass die der Schwes- ter zustehenden Ansprüche die bereits gezahlten 30.000,00 € bei weitem übersteigen und ihr danach ein Schaden entstanden ist. Dass allein die Pflichtteilsansprüche der Schwester die gezahlten 30.000,00 € erheblich übersteigen, ergibt sich aus der klä- gerseits eingereichten Berechnung des (hoffreien) Nachlasswertes, welche mit einer Summe in Höhe von 432.890,12 € endet und demnach einen Pflichtteilsanspruch der Schwester der Klägerin in Höhe von 108.222,53 € begründet. Sofern der Beklagte ein- zelne Positionen dieser Aufstellung - insbesondere im Hinblick auf den hilfsweise ge- stellten Zahlungsantrag der Klägerin - der Höhe nach bestreitet, ist dieses Bestreiten nicht geeignet, um bei der durchzuführenden summarischen Prüfung die Wahrschein- lichkeit eines Schadens in Frage zu stellen. Zum Nachlass gehörten unstreitig ein Ba- rvermögen in Höhe von 187.508,39 € sowie drei Pflegeappartements, deren Verkehrs- wert durch Gutachten des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in den Städten Dorsten, Gladbeck und Marl mit insgesamt 396.000,00€ bewertet worden ist. Auch wenn der Beklagte dieser Bewertung (pauschal) entgegengetreten ist, ist nicht anzu- nehmen, dass die Einschätzung des Verkehrswertes derart fehlerhaft erfolgt ist, dass insgesamt ein Nachlasswert anzunehmen wäre, welcher Pflichtteilsansprüche der Schwester von weniger als 30.000,00 € rechtfertigen würde. Dies gilt auch, soweit der

    94
    Beklagte die Bewertung des Wohnrechts als Abzugsposten, die Belastung der Grundstücke und die angefallenen Beerdigungskosten bestreitet.

    95
    Dabei bietet auch die Angabe des Erblassers im notariellen Testament vom 14.12.2005 zum Nachlasswert ein Indiz dafür, dass Pflichtteilsansprüche der Schwes- ter über den bereits gezahlten 30.000,00 € liegen dürften. Der Erblasser hat den Nach- lasswert zur Kostenberechnung mit 330.000,00 beziffert. Es erscheint naheliegend, dass Angaben, welche zur Berechnung von Gebühren herangezogen werden, nicht großzügig bemessen werden, sondern sich eher im unteren Bereich des Vertretbaren bewegen. Selbst wenn man einen Hofwert von 102.769,67 € von diesem Wert aus- nehmen würde, verbliebe ein Wert im hoffreien Vermögen, welcher einen Pflichtteil- sanspruch der Schwerster in Höhe von über 30.000,00 € rechtfertigen würde.

    96
    Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens ergibt sich ferner daraus, dass der Schwester der Klägerin aufgrund der Pflichtverletzung des Beklagten über den Pflichtteilsan- spruch in Bezug auf das hoffreie Vermögen hinaus ein Abfindungsanspruch aus § 12 HöfeO zusteht. Dieser bemisst sich gem. § 12 Abs. 2 HöfeO nach dem Hofwert im Zeitpunkt des Erbfalls. Als Hofwert gilt das Eineinhalbfache des zuletzt festgesetzten Einheitswertes im Sinne des § 48 des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Be- kanntmachung vom 26. September 1974 (Bundesgesetzblatt I S. 2369), geändert durch Artikel 15 des Zuständigkeitslockerungsgesetzes vom 10. März 1975 (Bundes- gesetzblatt I S. 685). Ausweislich der Urkunde des Beklagten vom 06.02.2006 betrug der Einheitswert des Hofes zum Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde 68.513,11 €, woraus sich ein Hofwert im Sinne des § 12 Satz 2 HöfeO in Höhe von 102.769,67 € ergibt. Wären von diesem Wert keine Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen, würde der Schwester allein aus § 12 Abs. 10 HöfeO ein Abfindungsanspruch in Höhe von 25.692,42 € zustehen.

    97
    Danach ist mehr als deutlich, dass die bereits gezahlten 30.000,00 € nicht ausgereicht haben, um die Ansprüche der Schwester der Klägerin, welche aufgrund der Unwirk- samkeit der Vereinbarung weiterhin Bestand haben, insgesamt abzufinden.

    98
    Schließlich würden der Schwester der Klägerin bei Veräußerung des Hofes innerhalb der Frist des § 13 HöfeO ggf. höhere Ausgleichsansprüche zustehen als im Pflichtteil- verzichtsvertrag vom 06.02.2006 vorgesehen. Dabei kann derzeit zwar nicht mit Ge- wissheit vorausgesagt werden, ob und in welcher Höhe der Klägerin insoweit künftig ein Schaden entstehen könnte, da dies auch davon abhängt, welche wirtschaftlichen Entscheidungen die Klägerin in der Zukunft in Bezug auf den Hof trifft. Bei der Fest-

    99
    stellung der Wahrscheinlichkeit eines Schades ist dieser Gesichtspunkt indiziell zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen.

    100
    c)   Der Schaden der Klägerin entfällt auch nicht etwa deswegen, weil diese gegen ihre Schwester einen schuldrechtlichen Anspruch darauf hätte, auf die Geltendmachung ihrer erbrechtlichen Ansprüche zu verzichten.

    101
    Ein Anspruch auf Abgabe einer solchen Verzichtserklärung folgt vorliegend insbesondere nicht (mehr) aus dem Kausalgeschäft zum Verzicht auf die erbrechtlichen Ansprüche der Schwester der Klägerin, welches zwischen den Beteiligten des Urkunden- verfahrens am 06.02.2006 wirksam abgeschlossen wurde (wobei die Wirksamkeit des Kausalgeschäfts an dieser Stelle offen bleiben kann und hier deswegen nicht weiter zu begründen ist). Sofern das Kausalgeschäft einen solchen Anspruch bei seinem Abschluss im Jahre 2006 wirksam begründet hat, wäre seine Erfüllung mit dem Tod des Erblassers unmöglich geworden und der Anspruch deswegen gem. § 275 Abs. 1 BGB erloschen.

    102
    Bei dem abstrakten Erbverzicht als solchen handelt es sich um ein erbrechtliches Verfügungsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall, das als solches selbstständig ist und nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zu einem anderen Geschäft, bei- spielsweise einer Abfindungsvereinbarung steht (vgl. Riedel, in: Uricher, Erbrecht, 5. Aufl., § 8, Rn. 135). Ebenso wie der abstrakte Erbverzicht selbst bedarf auch dieser Verpflichtungsvertrag der notariellen Beurkundung gemäß § 2348 BGB. Anders als bei dem abstrakten Erbverzicht kann sich der Erblasser jedoch beim Vertragsschluss des Kausalgeschäfts vertreten lassen (Staudinger/Schotten (2022) BGB § 2347, Rn. 7 m.

    103
    w. Nachw.). Vor diesem Hintergrund ist ein unter Verstoß gegen § 2347 Abs. 2 a.F. BGB geschlossener, im Übrigen jedoch formal ordnungsgemäß zustande gekomme- ner Erbverzichtsvertrag unter Umständen als wirksames Verpflichtungsgeschäft anzu- sehen, durch das sich die Parteien zum Abschluss eines formwirksamen Erbvertrags wirksam verpflichtet haben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 ‒ V ZR 14/61 ‒, BGHZ 37, 319-331, Rn. 28, juris; Riedel, in: Uricher, Erbrecht, 5. Aufl., § 8, Rn. 137). Der vom Beklagten am 06.02.2006 beurkundete Vertrag genügt der Form der notariellen Beur- kundung. Die vom Erblasser am 09.02.2006 erklärte Genehmigung musste hierzu nicht auch notariell beurkundet werden, sie konnte gem. § 182 Abs. 2 BGB formlos erklärt werden.

    104
    Auf der Grundlage eines wirksamen Verpflichtungsvertrags kann in einem solchen Falle jede der Vertragsparteien Klage auf Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen erheben, dies jedoch nur bis zum Tod des Erblassers. Durch dessen Tod vor Abschluss des abstrakten Verzichtsvertrags wird die seitens des Verzichtsschuldners zu erbringende Leistung unmöglich und er somit gemäß § 275 BGB von seiner Leistungs- pflicht frei. Sofern die Abfindung bereits geleistet wurde, steht den bzw. dem Erben des Erblassers ggf. ein Rückforderungsanspruch nach § 326 Abs. 4 BGB zu (Riedel in: Uricher, Erbrecht, 5. Aufl., § 8, Rn. 138). Die Unmöglichkeit ergibt sich dabei weni- ger aus dem rechtskonstruktiven Grunde, dass ein Erbverzicht begrifflich einen Vertrag mit dem Erblasser zu seinen Lebzeiten voraussetzt. Maßgebend ist vielmehr, dass auf Gläubigerseite nur zu Lebzeiten des Erblassers in seiner eigenen Person ein sinnvol- les und daher schutzwürdiges Interesse an einer Änderung hinsichtlich der Personen besteht: der Erbverzichtsvertrag greift als höchstpersönliche Regelung in die Erbfolge nach dem Erblasser ein; die beim Tod des Erblassers an seine Stelle tretende Erben- gemeinschaft, zu der die Verzichtspflichtigen zunächst selbst gehören, kann dagegen als solche ein derartiges Interesse nicht haben (BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 ‒ V ZR 14/61 ‒, BGHZ 37, 319-331, Rn. 29, juris).

    105
    4.   Die Klägerin vermag hinsichtlich des Schadens auch nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen, so dass ein Anspruch gegen den Beklagten nicht wegen der Regelung in

    106
    § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO ausgeschlossen ist. Die anderweitige Ersatzmöglichkeit setzt voraus, dass sie ihre Grundlage in demselben Tatsachenkreis findet, der für das Entstehen des Amtshaftungsanspruchs maßgebend ist. Darüber hinaus muss die an- derweitige Ersatzmöglichkeit rechtlich und wirtschaftlich begründete Aussicht auf Er- folg bieten. Weitläufige, unsichere und im Ergebnis zweifelhafte Wege braucht der Ge- schädigte nicht einzuschlagen. Dem Vorliegen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit steht es gleich, wenn der Geschädigte eine früher bestehende Möglichkeit, Ersatz sei- nes Schadens von einem Dritten zu erlangen, schuldhaft versäumt hat (BGH, Urteil vom 11. November 2004 ‒ III ZR 101/03 ‒, Rn. 12, juris).

    107
    a)    An dieser Stelle kann vorliegend dahinstehen, ob die Klägerin zu Lebzeiten des Erblassers einen Abschluss des Verzichtsvertrages aufgrund des wirksamen Kausal- geschäfts hätte durchsetzen können. Jedenfalls hat sie diese Möglichkeit nicht schuld- haft versäumt. Sie durfte ohne Verschulden, bis zur Kenntnis dagegensprechender Tatsachen, davon ausgehen, dass der beklagte Notar eine formwirksame Urkunde erstellt hat. Erst als die Schwester unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Erklärung Forderungen an die Klägerin stellte, hatte die Klägerin Anlass dazu, Zweifel an der

    108
    Wirksamkeit der Urkunde zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie jedoch keine Möglichkeit mehr, auf die Errichtung eines formwirksamen Verzichtsvertrages hinzuwirken.

    109
    b)   Schadensersatzansprüche gegen die Schwester sind vorliegend ebenfalls nicht er- sichtlich. Selbst wenn man insoweit ein wirksam abgeschlossenes Kausalgeschäft zugrunde legt, ist nicht ersichtlich, dass die Schwester die Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts oder die Nichterfüllung des Kausalgeschäfts zu Lebzeiten des Erblassers zu vertreten hätte.

    110
    c)   Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit folgt vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass der Klägerin gegenüber ihrer Schwester wegen der aus § 275 BGB folgenden Leistungsfreiheit ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Abfindung nach §§ 326 Abs. 4, 346 BGB zustehen könnte (vgl. dazu Weidlich in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 2346 Rn. 8). Der insoweit zurück zu gewährende Betrag ist ein auf die Forde- rung der Schwester der Klägerin anzurechnender Abzugsposten und nicht geeignet, den darüber hinausgehenden, weiteren Schaden der Klägerin, dessen Wahrschein- lichkeit die vorliegende Feststellungsklage rechtfertigt, auszugleichen.

    111
    5.   Der der Klägerin entstandene Schadensersatzanspruch ist gegenüber dem Beklagten auch durchsetzbar. Die Einrede der Verjährung greift nicht durch.

    112
    Der Anspruch aus § 19 BNotO verjährt ebenso wie der Amtshaftungsanspruch nach Maßgabe der §§ 194 ff. BGB, was aus dem Verweis in § 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO auf die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches folgt (vgl. BeckOK BNotO/Schramm, 7. Ed. 1.3.2023, BNotO § 19 Rn. 152)

    113
    Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 195 BGB) und beginnt gemäß

    114
    § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.

    115
    Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob Fahrlässige Unkenntnis verjährt der An- spruch in zehn Jahren von seiner Entstehung an (§ 199 Abs. 3 BGB).

    116
    Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die kenntnisabhängige, drei- jährige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB nicht vollendet ist, weil eine Kenntnis der Klägerin von der haftungsbegründenden Pflichtverletzung des Beklagten erst mit

    117
    dem anwaltlichen Schreiben ihrer Schwester vom 27.04.2021 eingetreten ist und die noch im Dezember 2021 zugestellte Klage den Lauf der Verjährungsfrist hemmt. An- haltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits zuvor auf die Pflichtverletzung des Beklagten aufmerksam wurde oder sich ihrer Kenntnis grobfahrlässig verschloss, sind vom Beklagten nicht vorgetragen worden.

    118
    Entgegen der Auffassung des Landgerichts war auch die kenntnisunabhängige zehn- jährige Verjährungsfrist im vorliegenden Fall nicht abgelaufen, als die Klägerin ihre Klage erhob. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist nicht vor dem Tode des Erblassers entstanden, weil die Klägerin zuvor keinen Schaden erlitten hat.

    119
    Ein Schadensersatzanspruch entsteht, wenn das von der jeweiligen Norm geschützte Rechtsgut tatsächlich beeinträchtigt worden ist. Ist auch das Vermögen geschützt, ist daher der Eintritt eines realen Vermögensschadens im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB erforderlich. Das bedeutet nach der Differenzhypothese, dass sich die Vermögenslage des Betroffenen infolge der schädigenden Handlung im Vergleich zu der hypotheti- schen Lage ohne diese Handlung verschlechtert hat (BGH Urteil vom 14. Juni 2012 ‒ IX ZR 145/11 -, NJW 2012, 3165, Rn. 42); ob der Schaden jedenfalls zum Teil bereits beziffert werden kann und dauerhaft bestehen bleibt, ist dagegen nicht entscheidend; das bloße Risiko eines Vermögensnachteils reicht nicht aus (BGH, Urteil vom 17. Fe- bruar 2000 ‒ IX ZR 436/98 ‒, Rn. 25, juris). Nicht entscheidend ist ferner, wenn noch nicht feststeht, ob der Nachteil auf Dauer bestehen bleibt und damit endgültig wird (BGH, Urteil vom 9. Juli 1992 ‒ IX ZR 50/91 ‒, Rn. 7, juris). Ist dagegen noch offen, ob ein pflichtwidriges, ein Risiko begründendes Verhalten zu einem Schaden führt, ist ein Ersatzanspruch noch nicht entstanden (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 ‒ IX ZR 43/92 ‒, Rn. 34, juris). Bei der Beurkundung eines nichtigen Vertrages nimmt der Bun- desgerichtshof dabei die Entstehung eines Schadens dann an, wenn eine Partei zur Erfüllung ihrer vermeintlichen Vertragspflichten Leistungen an die andere Vertragspar- tei erbracht hat (BGH, Urteil vom 3. März 2005 ‒ III ZR 353/04 ‒, Rn. 16, juris; BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 ‒ IX ZR 434/98 ‒, Rn. 38, juris).

    120
    Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Klägerin ein Schaden frühestens mit dem Ableben des Erblassers entstanden (so wohl auch: BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 ‒ IX ZR 242/94 ‒, Rn. 13f, juris, der im Zeitraum vor dem Ableben lediglich eine Beeinträchtigung, nicht jedoch einen Schaden sieht). Der Umstand, dass die Nichtigkeit des Pflichtteilverzichtsvertrages vom 06.02.2006 bereits grundsätzlich dazu geeig- net war, die Vermögensposition der Klägerin in der Zukunft nachteilig zu beeinflussen,

    121
    vermag die Entstehung eines Schadens bereits im Jahre 2006 nicht zu begründen. Denn jedenfalls bis zum Ableben des Erblassers war noch nicht klar, ob sich die Nich- tigkeit überhaupt nachteilig auswirken konnte. Der Erblasser war bis zu seinem Able- ben nicht in seiner Testierfreiheit beschränkt. Er hätte eine andere Person, etwa die Schwester der Klägerin als Hof- und/oder Alleinerbin einsetzen können. In diesem Falle hätte die Nichtigkeit der von dem Beklagten am 06.02.2006 beurkundeten Verzichtsvereinbarung das Vermögen der Klägerin nicht nachteilig beeinflusst. Ein Scha- den wäre ihr hierdurch nicht entstanden. Vielmehr war bis zum Ableben des Erblassers offen, ob das pflichtwidrige, ein Risiko begründende Verhalten des Beklagten in Zu- kunft zu einem Schaden der Klägerin führen würde. In einem solchen Fall ist ein Scha- den noch nicht entstanden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 ‒ IX ZR 43/92 ‒, juris Rn. 34).

    122
    Eine frühere Schadensentstehung folgt vorliegend auch nicht daraus, dass die Schwester vor dem Ableben des Erblassers im Jahre 2006 bereits eine Zahlung in Höhe von 30.000,00 € erhalten hat. Unabhängig davon, dass diese Zahlung nicht den durch die Klägerin erlittenen Schaden darstellt, weil sie auch bei pflichtgemäßem Ver- halten des Beklagten geleistet worden wäre, erfolgte die Zahlung nicht auf einen nich- tigen Vertrag, so dass die vorliegende Konstellation nicht mit derjenigen vergleichbar ist, die den zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 03.03.2005 (Az. III ZR 353/04) und 20.06.2000 (Az. IX ZR 434/98) zugrunde lag. Die Zahlung erfolgte zwar aus Anlass eines unwirksamen Verfügungsgeschäfts, aber zur Erfüllung eines im Jahre 2006 wirksam vereinbarten Kausalgeschäfts. Die dem (nichtigen) erbrechtliche Verfügungsgeschäft zugrunde liegende schuldrechtliche Abfindungsvereinbarung ge- nügte der notariellen Form (§ 2348 BGB), für ihren Abschluss war die persönliche An- wesenheit des Erblassers nicht erforderlich, so dass er sich vertreten lassen konnte (BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 ‒ V ZR 14/61 ‒, BGHZ 37, 319-331, Rn. 28, juris).

    123
    Die Nichtigkeit des Kausalgeschäfts folgt vorliegend auch nicht aus der Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts. Unabhängig davon, dass Verfügungs- und Verpflichtungsge- schäft in ihrem rechtlichen Bestand unabhängig voneinander sind (Schotten, Das Kau- salgeschäft zum Erbverzicht, DNotZ 1998, 163; Schotten in: Staudinger (2016) BGB,

    124
    § 2346, Rn. 117), ist im vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass die Beteiligten bei Kenntnis der Nichtigkeit des Verfügungsgeschäftes auch das Kausalgeschäft nicht gewollt hätten. Eine derartige Abhängigkeit der beiden Geschäfte ergibt sich nicht aus der Vertragsgestaltung, nach der die Wirksamkeit des Verzichts auf die erbrechtlichen Ansprüche der Schwester nicht zur Bedingung für die Wirksamkeit der schuldrechtlichen Abfindung erhoben wurde. Vielmehr hätten die Beteiligten, wenn ihnen die Regelung des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. bekannt gewesen wäre, das Verfügungsgeschäft formwirksam vereinbaren können und auch tatsächlich vereinbart. Erkennbar war ihnen wichtig, dem Erblasser die Möglichkeit zu verschaffen, unter Abfindung erbrechlicher Ansprüche der Schwester der Klägerin die von ihm seinerzeit gewünschte testa- mentarische Regelung zugunsten der Klägerin abzusichern. Bei dieser Interessenlage ist davon auszugehen, dass die Urkundenbeteiligten das schuldrechtliche Kausalge- schäft nicht davon abhängig machen wollten, dass zeitgleich das Verfügungsgeschäft formwirksam zustande kommt. Damit erfolgte die im Jahre 2006 geleistete Zahlung der 30.000,00 € an die Schwester der Klägerin demnach nicht rechtsgrundlos. Sie ist deswegen nicht geeignet, vor dem Ableben des Erblassers, mit dem die Erfüllung des Kausalgeschäfts unmöglich wurde, einen Schadenseintritt bei der Klägerin nicht zu begründen.

    125
    Zuletzt ist ein Schaden vorliegend auch nicht darin zu sehen, dass die Klägerin eine ungewollte Verpflichtung eingegangen ist. Vielmehr entsprach die eingegangene Vereinbarung den Vorstellungen der Klägerin und der weiteren Beteiligten. Dass deren dingliche Umsetzung daran scheiterte, begründet nicht die Annahme, dass die Kläge- rin eine ungewollte Verbindlichkeit eingegangen wäre. Dies wäre nämlich nur dann anzunehmen, wenn die Klägerin bei Kenntnis der Voraussetzungen für das Zustande- kommen eines wirksamen Vertrages von diesem Abstand genommen hätte, wofür vor- liegend keine Anhaltspunkte gegeben sind.

    126
    6.    Sofern die Klägerin mit dem angekündigten Klageantrag zu Ziff. 4 einen Zinsanspruch geltend gemacht hat, hat sie im Senatstermin klargestellt, dass insoweit die Feststellung eines Zinsschadens begehrt wird, welcher von der Schwester der Kläge- rin ihr gegenüber geltend gemacht werden könnte. Ein eigener Zinsschaden der Klä- gerin sollte gerade nicht geltend gemacht werden. Ein solcher etwaiger Zinsschaden der Schwester wird jedoch von dem geltend gemachten Feststellungsbegehren um- fasst, welches der Senat im Tenor zusammengefasst hat. Einer gesonderten, auf ei- nen etwaigen Zinsschaden bezogenen Feststellung bedarf es nicht.

    127
    C.     Mangels Eintritts der innerprozessualen Bedingung bedurfte es keiner Entscheidung über den hilfsweise gestellten bezifferten Zahlungsantrag.

    128
    III.

    129
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11 S. 1, 711 ZPO.

    130
    IV.

    131
    Die Revision war zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Fortbildung des Rechts durch eine Revisionsentscheidung ist erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Ver- fahrensrechts aufzuzeigen oder Gesetzeslücken zu schließen (Heßler in: Zöller, Zivil- prozessordnung, § 543 Zulassungsrevision, Rn. 12). Dies ist vorliegend deswegen der Fall, weil eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung der kenntnisun- abhängigen Verjährung in Bezug auf eine Schadensentstehung bei nichtigem Verfügungs- und wirksamen Kausalgeschäft im Bereich der Notarhaftung nicht vorliegt.

    RechtsgebieteBNotO, BGB, BeurkG, ZPO, HöfeOVorschriften§ 19 BNotO, § 2347 BGB, § 17 BeurkG, § 256 ZPO, §§ 12, 13 HöfeO