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  • 23.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244400

    Oberlandesgericht München: Beschluss vom 23.09.2024 – 33 Wx 325/23 e

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht München 

    Beschluss vom 23.09.2024


    Tenor:
    1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim - Nachlassgericht - vom 01.06.2023 Az. VI 3575/22, aufgehoben.
    2. Das Nachlassgericht wird angewiesen, dem Beschwerdeführer einen Erbschein zu erteilen, der bezeugt, dass der am ... 2022 verstorbene Erblasser ... von [dem Beteiligten zu 2] allein beerbt worden ist.

    Gründe

    I.

    1
    Der in dritter Ehe verheiratete Erblasser ist am ... 2022 verstorben. Er betrieb ein Restaurant der Spitzengastronomie samt Hotel. Aus der Ehe mit seiner ersten Ehefrau gingen der Beteiligte zu 1 und ein weiterer vorverstorbener Sohn hervor, aus der Ehe mit der zweiten Ehefrau der Beteiligte zu 2 (= Beschwerdeführer). Die dritte Ehe des Erblassers blieb kinderlos.

    2
    Der Erblasser errichtete am 19.10.2016 ein mehrseitiges handschriftliches Testament, in dem er den Beteiligten zu 1 und den Beschwerdeführer als Erben zu je 1/2 einsetzte. Auf der letzten Seite dieses Testaments verfügte der Erblasser:

    "Sollte mein Sohn A. [= der Beteiligte zu 1] seine Lebensgefährtin ... [C. L.] heiraten, wird er enterbt."

    3
    Es existieren drei Versionen des auf den 19.10.2016 datierenden handschriftlichen Testaments, die sich insbesondere bezüglich von Verfügungen die dritte Ehefrau des Erblassers betreffend unterscheiden. Hinsichtlich der zitierten Klausel sind die Testamente identisch. Der kinderlose Beteiligte zu 1 heiratete am ... 2018 die im vorstehenden Testament genannte C. L., mit der er seitdem verheiratet ist.

    4
    Am 17.01.2023 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Alleinerbscheins. Er ist der Ansicht, durch die Heirat des Beteiligten zu 1 sei die Bedingung im Testament vom 19.10.2016 eingetreten und der Beteiligte zu 1 enterbt worden. Dem ist der Beteiligte zu 1 entgegengetreten. Er ist der Ansicht, es handele sich insoweit um eine sittenwidrige Bedingung.

    5
    Das Nachlassgericht ist Argumentation des Beteiligten zu 1 gefolgt und hat den Erbscheinsantrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 01.06.2023 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde vom 20.06.2023 hat das Nachlassgericht mündlich verhandelt und den Beteiligten zu 1 angehört. Mit Beschluss vom 27.11.2023, der Geschäftsstelle übergeben am 30.11.2022, hat es der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    II.

    6
    Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Erteilung des vom Beschwerdeführer beantragten Alleinerbscheins liegen vor. Das Nachlassgericht war deshalb anzuweisen (§ 2353 BGB), den beantragten Erbschein zu erteilen.

    7
    1. Der Senat kann sogleich in der Sache entscheiden, obgleich das Abhilfeverfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, da das Erstgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers in dessen Schriftsatz vom 28.11.2023 vor Erlass der Abhilfeentscheidung am 30.11.2023 nicht berücksichtigt und damit dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

    8
    a) Die Nachlassrichterin hat die Abhilfeentscheidung bereits am 27.11.2023 unterschrieben. Die gerichtliche Entscheidungsfindung endet aber erst mit dem Erlass des Beschlusses; erst zu diesem Zeitpunkt wird dieser als Rechtsprechungsakt existent. Bis zum Zeitpunkt des Erlasses befindet sich der Beschluss nur im Entwurfsstadium und kann daher vom Gericht noch abgeändert werden (BGH, Beschluss vom 04.07.2018, XII ZB 240/17, NJW 2018, 3786). Nach § 38 Abs. 3 FamFG ist die nicht verkündete Nichtabhilfeentscheidung (erst) mit der Übergabe des unterzeichneten Beschlusses an die Geschäftsstelle erlassen. Daher sind in Nachlasssachen Schriftsätze, die bis zu diesem Zeitpunkt eingehen, grundsätzlich bei der Nichtabhilfeentscheidung noch zu berücksichtigen. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung im Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes vom Nachlassrichter bereits unterzeichnet, aber noch nicht an die Geschäftsstelle übergeben worden ist. Bleibt schriftsätzliches Vorbringen, das vor Erlass der Entscheidung i. S. v. § 38 Abs. 3 FamFG eingegangen ist, unberücksichtigt, wird der Verfahrensbeteiligte in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch dann verletzt, wenn dem Richter der Schriftsatz nicht mehr rechtzeitig vorgelegt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15.07.2015, XII ZB 525/14, NJW-RR 2015, 1090).

    9
    b) Eine Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung und Rückgabe der Akten an das Nachlassgericht konnte gleichwohl unterbleiben, weil die Sache entscheidungsreif ist und der mit der unterbleibenden Rückgabe der Akten an das Nachlassgericht einhergehende Verlust einer Instanz angesichts der Entscheidungsreife der Sache nicht erheblich ins Gewicht fällt, zumal eine Beweisaufnahme nicht durchzuführen war.

    10
    2. Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag des Beschwerdeführers vom 17.01.2023 zurückgewiesen. Es war daher, da der Senat den beantragten Erbschein selbst nicht erteilen kann, zu seiner Erteilung anzuweisen (§ 2353 BGB).

    11
    Der Senat teilt nicht die Ansicht des Nachlassgerichts, dass die Enterbung des Beteiligten zu 1 sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB und dieser im Ergebnis als Miterbe zu 1/2 berufen ist. Für die Annahme von Sittenwidrigkeit ist im vorliegenden Fall kein Raum (sogleich unter a)). Selbst wenn man aber zu einer Sittenwidrigkeit der konkreten Bedingung käme, wäre der Beteiligte zu 1 in der Folge nicht als Erbe berufen (sogleich unter b)).

    12
    a) Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob die verfahrensgegenständliche Klausel geeignet ist, die durch Art. 6 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit des Beteiligten zu 1 zumindest mittelbar zu beeinflussen, denn die Klausel ist im konkreten Fall unter Berücksichtigung der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Testierfreiheit des Erblassers nicht sittenwidrig.

    13
    aa) Der Senat hat bereits Zweifel, ob in Fällen, in denen spätestens bei Eintritt des Erbfalls feststeht, ob der Bedachte die betreffende Handlung vorgenommen oder unterlassen hat, eine Bedingung im Rechtssinne vorliegt, die am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB zu messen ist. Zur Zeit des Erbfalls (= Eintritt der Rechtsfolgen) fehlt die Bedingungen grundsätzlich immanente Ungewissheit, denn es steht fest, ob die sanktionierte Handlung vorgenommen wurde oder nicht (so auch Staudinger/Otte (2019), BGB, § 2074, Rn. 17).

    14
    bb) Selbst wenn aber von einer entsprechenden Bedingung auszugehen wäre, wäre diese nicht sittenwidrig. Unter welchen Voraussetzungen Bedingungen in Verfügungen von Todes wegen in der hier zur Entscheidung stehenden Konstellation sittenwidrig sind, ist allerdings umstritten.

    15
    (1) Die Rechtsprechung vor Geltung des BGB oder des Grundgesetzes hielt Bedingungen für unwirksam, mittels derer die Erblasser die Entschließungsfreiheit des Bedachten in Fragen beeinflussen wollen, die allein von deren freiem sittlichen Entschluss abhängen und nicht mit Vermögensvorteilen verquickt werden sollten (OLG Rostock, Urteil vom 08.12.1890, BeckRS 1890, 1; RG, Urteil vom 18.09.1913, IV 200/13, BeckRS 1913, 00002).

    16
    Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 22.03.2004, 1 BvR 2248/01, NJW 2004, 2008 "Hohenzollern") sind Bedingungen in Erbverträgen daraufhin zu überprüfen, ob sie geeignet sind, die grundrechtlich geschützte Eheschließungsfreiheit des eingesetzten Abkömmlings (zumindest) mittelbar zu beeinflussen. Das Bundesverfassungsgericht hat in Ebenbürtigkeitsklauseln in Erbverträgen, in denen die Nacherben vor die Wahl gestellt wurden, entweder eine ebenbürtige Ehe im Sinne der Hausverfassung einzugehen, um dadurch das Familienvermögen über Generationen hinweg in der Familie zu halten, oder aber die Stellung als Nacherbe zu verlieren, eine mögliche mittelbare Beeinflussung der Eheschließungsfreiheit erblickt. Wann und unter welchen Voraussetzungen andere Klauseln in Verfügungen von Todes wegen grundsätzlich geeignet sind, eine mittelbare Beeinflussung des Bedachten im Hinblick auf seine Eheschließungsfreiheit auszuüben, hat es nicht entschieden.

    17
    Der Bundesgerichtshof hielt in einer früheren Entscheidung die Bedingung, wonach sich ein Abkömmling von seiner Ehefrau scheiden lassen müsse, um den Erblasser beerben zu können, nicht für sittenwidrig, weil der Erblasser das Verhalten der Schwiegertöchter als schwere Kränkung seiner eigenen Ehre und der seiner Familie angesehen und die Schwiegertöchter nicht für wert gehalten habe, einmal Bäuerinnen auf seinem Hof zu werden (BGH, Urteil vom 28.01.1956, IV ZR 216/55, BeckRS 1956, 31385658).

    18
    Das BayObLG billigte einen Ausschluss von der Erbfolge wegen der nach dem Hausgesetz erforderlichen, im konkreten Fall aber fehlenden Zustimmung des Fürsten zur Eheschließung, weil die getroffene Regelung in besonderem Maße dem Ziel des Erblassers diente, unter den Abkömmlingen denjenigen zum Erben zu berufen, der am besten geeignet erschien, den Nachlass im Sinne des Erblassers zu verwalten (BayObLG, Beschluss vom 04.08.1999, 1Z BR 187/97, juris). Eine Erbeinsetzung unter der Bedingung der Erbringung von lebzeitigen Pflegeleistungen zugunsten des Erblassers hielt es für möglich, ohne die Frage der Sittenwidrigkeit zu thematisieren (BayObLG, Beschluss vom 28.01.1998, 1Z BR 162/97, 1Z BR 176/97, NJW-RR 1998, 729). Das OLG Frankfurt sah die Grenze zur Sittenwidrigkeit in einem privatschriftlichen Testament, in dem der Erblasser die Erbeinsetzung seiner Enkelkinder von regelmäßigen Besuchen bei ihm abhängig machte, als überschritten an (OLG Frankfurt a. M., 20 W 98/18, ZEV 2019, 212), weil die vom Erblasser erhobene Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des bedingten Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setze und durch das Inaussichtstellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden sollten, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetzen (OLG Frankfurt a. M., 20 W 98/18, ZEV 2019, 212 [OLG Frankfurt am Main 05.02.2019 - 20 W 98/18]). Das OLG Naumburg (9 U 110/98, BeckRS 1998, 31024804) hielt eine Erbeinsetzung unter der Bedingung, eine bestimmte Person bis drei Jahre nach dem Tod des Erblassers nicht zu heiraten, für sittenwidrig, weil die Anordnung bei objektiver Betrachtungsweise und unter Beachtung der Größe des Nachlasses einen ungebührlichen und weitreichenden Einfluss auf die Entschließungsfreiheit der Erbin ausgeübt habe. Das OLG Hamm (10 U 58/21, Fachdienst Erbrecht 2023, 458493) hielt ein Besuchsverbot für den Lebensgefährten der Erbin nach dem Tod der Erblasserin für sittenwidrig, weil die nur bedingte Zuwendung im konkreten Fall, in dem die Parteien bis zum Erbfall familiär zusammenlebten, einen unzumutbaren Druck auf die Bedachte ausübe, sich in einem höchstpersönlichen Bereich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten.

    19
    Im Schrifttum wird zu Potestativbedingungen einerseits vertreten, alle Bedingungen, die auf das künftige Verhalten des Bedachten im nicht vermögensbezogenen Bereich abstellen, seien unwirksam (Kipp/Coing, § 16 III 1 b; Keuk, FamRZ 1972, 9). Nach anderer Ansicht liegt grundsätzlich kein Eingriff in Freiheitsrechte, insbesondere in Grundrechte vor, weil es dem Erblasser unbenommen sei, lebzeitig durch finanzielle Verlockungen auf das Verhalten einer Person Einfluss nehmen zu wollen, so dass ihm das auch nach seinem Tode durch Bedingungen möglich sein müsse, weshalb sich hieraus keine Sittenwidrigkeit von Potestativbedingungen herleiten lasse (Muscheler, ZEV 1999, 151). Eine vermittelnde Ansicht stellt darauf ab, dass eine Vermutung zugunsten der Testierfreiheit bestünde und die Annahme der Sittenwidrigkeit nur bei einem klaren Überwiegen der Gegenposition gerechtfertigt erscheine (MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB, § 2074 Rn. 20 unter Berufung auf BGH, Beschluss vom 02.12.1998, IV ZB 19/97, MittRhNotK 1999, 54 (Hohenzollern)).

    20
    (2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die verfahrensgegenständliche Klausel nicht sittenwidrig, sondern im Rahmen der Testierfreiheit des Erblassers hinzunehmen. Dabei kann dahinstehen, welcher der im Schrifttum vertretenen Ansicht zu folgen ist, zumal diesbezüglich oft unklar ist, ob die jeweilige Rechtsfolge auch dann greifen soll, wenn - wie hier - Eintritt oder Ausfall der Bedingung noch zu Lebzeiten des Erblassers feststehen.

    21
    (i) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der durch die Bedingung auf den Beteiligten zu 1 einwirkende - im Folgenden unterstellte - Druck von geringem Gewicht ist, da er nicht aus dem Testament selbst herrührt, sondern der Ankündigung des Erblassers entspringt, ihn für den Fall der Hochzeit mit C. L. zu enterben. Dieses - zunächst rein im Tatsächlichen liegende - Verhalten mag moralisch missbilligt werden, zur testamentarischen Regelung verhält es sich grundsätzlich aber nicht: Hätte der Erblasser keine entsprechende testamentarische Verfügung getroffen, wären seine Äußerungen rechtlich ohne jede Relevanz, insbesondere könnte kein anderer Erbprätendent aus ihnen Rechte herleiten. Hätte der Erblasser hingegen zwar wie geschehen testiert, dies aber dem Beteiligten zu 1 nicht mitgeteilt, wäre ausgeschlossen, dass die Klausel Druck auf diesen im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung ausgeübt hätte, jedenfalls zu Lebzeiten des Erblassers. Anknüpfungspunkt für die Sittenwidrigkeitsprüfung ist mithin eine bloße Äußerung des Erblassers.

    22
    (ii) Hinzu kommt, dass der potentielle Erbe in Fällen der vorliegenden Art in aller Regel weiß, dass er durch "Wohlverhalten" zwar etwas gewinnen kann, aber bei "Zuwiderhandlungen" nichts verliert, hat er doch auf eine über seinen Pflichtteil hinausgehende Beteiligung am Nachlass keinen Anspruch (so im Ergebnis auch Gutmann, NJW 2004, 2347 [BVerfG 22.03.2004 - 1 BvR 2248/01]). Selbst wenn der potentiell Bedachte positive Kenntnis von der Verfügung von Todes wegen hat, z. B. weil sie ihm vom Erblasser gezeigt wird, wird ihm geläufig sein, dass das Vorzeigen eines entsprechenden Testaments für ihn mit keinerlei rechtlicher Sicherheit verbunden ist.

    23
    a. Zwar müssen die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Testaments (Testierwille, Testierfähigkeit und Beachtung der Formvorschriften) im Errichtungszeitpunkt vorliegen, aber die Rechtslage hinsichtlich der zu vererbenden Gegenstände bleibt zu Lebzeiten des Erblassers unverändert und selbst die testamentarische Erbeinsetzung begründet für den Bedachten keinerlei Rechte - auch kein Anwartschaftsrecht - in Bezug auf den Nachlass (Lange, Erbrecht, 3. Auflage 2022, § 13 Rn. 6). Sie kann vom Erblasser vielmehr jederzeit widerrufen werden. Das subjektive Erbrecht entsteht mithin erst im Augenblick des Erbfalls, weil bis dahin ungewiss ist, ob der Bedachte den Erbfall überhaupt erlebt (§ 1923 Abs. 1 BGB; vgl. MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB, § 1922 Rn. 208).

    24
    b. Kann der Erblasser aber ein bereits errichtetes Testament bis zum Eintritt des Erbfalls jederzeit widerrufen, kann der Bedachte keine Gewissheit in Richtung einer Erbeinsetzung haben, auch dann nicht, wenn er sein Verhalten an den Wünschen des Erblassers ausrichtet. Eine solche Bedingung ist deshalb allenfalls in geringem Maße geeignet, auf den Bedachten rechtlich erheblichen Druck, der über denjenigen in alltäglichen Lebenssituationen hinausgeht, auszuüben.

    25
    (iii) Auch der Umstand, dass der Erblasser seine Testierfreiheit nutzt, um durch die Bedingung auf einen grundrechtlich geschützten Lebensbereich des Beteiligten zu 1 einzuwirken, führt aufgrund der in die Abwägung zwischen den Grundrechten einzubeziehenden Lebenssituation des Beteiligten zu 1 im konkreten Fall nicht zur Sittenwidrigkeit der Bedingung.

    26
    a. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Beteiligte zu 1 als Abkömmling des Erblassers pflichtteilsberechtigt ist (§ 2303 Abs. 1 BGB). Die Pflichtteilsansprüche führen zu einer maßgeblichen wirtschaftlichen Beteiligung des Beteiligten zu 1 an dem nicht unerheblichen Erblasservermögen. Dass er pflichtteilsberechtigt ist, wusste der Beteiligte zu 1 bereits zu dem Zeitpunkt, als ihm der Erblasser die Enterbung für den Fall der missbilligten Eheschließung androhte, so dass er diesen Umstand in seine persönliche Abwägung einstellen konnte, auch wenn er nicht wissen konnte, in welcher Höhe tatsächlich Pflichtteilsansprüche bestehen würden. Ein unzumutbarer wirtschaftlicher Druck wurde vor der Eheschließung mithin nicht aufgebaut.

    27
    b. Darüber hinaus hat der Erblasser dem Beteiligten zu 1 nach dessen Bekunden geholfen, eine Ausbildung in der Spitzengastronomie zu erhalten und abzuschließen. Diese Ausbildung war im Jahre 2016 bereits abgeschlossen und der Beteiligte zu 1 verfügte über eine feste Anstellung im Betrieb des Erblassers, die auch nach der Hochzeit nicht beendet wurde. Auch dies spricht dagegen, dass die in Aussicht gestellte Erbenstellung/Enterbung unzumutbaren Druck auf den Beteiligten zu 1 ausübte, kann er doch jederzeit für sich und seine Familie auch in einem fremden Betrieb aus eigener Kraft und Anstrengung aufkommen, zumal er am Erblasservermögen zusätzlich durch seine Pflichtteilsansprüche beteiligt ist.

    28
    c. Schließlich spricht gegen die Annahme der Sittenwidrigkeit im konkreten Einzelfall auch, dass dem Beteiligten zu 1 nicht - wie vom Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Ebenbürtigkeitsklausel gerügt - nahezu jede Eheschließung untersagt war, sondern dass der Erblasser lediglich den Einfluss einer bestimmten Person auf den von ihm aufgebauten Betrieb, in dem der Beteiligte zu 1 tätig war und ist und dies nach dem Willen des Erblassers auch bleiben sollte, verhindern und auf diese Weise sein Lebenswerk sichern wollte. Dass er sich dafür auch des Erbrechts bedient hat, mag menschlich zweifelhaft sein, ist jedoch rechtlich hinzunehmen.

    29
    (iv) Gegen die Sittenwidrigkeit der Bedingung spricht im konkreten Einzelfall ferner, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten das von ihm missbilligte Verhalten des Beteiligten zu 1 durch eine (erneute) Enterbung hätte sanktionieren können.

    30
    a. Der Erblasser hätte, als er von der Hochzeit des Beteiligten zu 1 mit C.L. erfuhr, diesen enterben können. Für die Wirksamkeit einer solchen Verfügung wäre es nach allgemeiner Ansicht unerheblich gewesen, was den Erblasser zu seinem Schritt bewogen hat und ob die Enterbung mit oder ohne Angabe von Gründen oder sogar unter ausdrücklicher Benennung der vom Erblasser missbilligten Eheschließung erfolgt wäre (so auch Bernauer, DNotZ 2019, 782 [OLG Frankfurt am Main 05.02.2019 - 20 W 98/18]). Dies ist Ausdruck der grundgesetzlich garantierten Testierfreiheit, die den Erblasser von Verfassungs wegen nicht zu einer Gleichbehandlung seiner Abkömmlinge zwingt (BVerfG, Beschluss vom 16.10.1984, 1 BvR 513/78, NJW 1985, 1455), sondern vielmehr auch die Freiheit umfasst, die Vermögensnachfolge nicht an den allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder den Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen (BVerfG, Beschluss vom 21.02.2000, 1 BvR 1937/97, NJW 2000, 2495; BayObLG, Beschluss vom 04.08.1999, 1 Z BR 187/97, BeckRS 1999, 7895; OLG München, 31 Wx 248/20, NJW-RR 2021, 138 [OLG München 08.12.2020 - 31 Wx 248/20]). Kann der Erblasser aber noch lebzeitig das von ihm als "Fehlverhalten" empfundene Verhalten durch eine Enterbung "ahnden", hat die im Testament niedergelegte Enterbung für den Fall des "Fehlverhaltens" ein so geringes Gewicht, dass im Zweifel der Testierfreiheit gegenüber anderen Rechten der Vorrang gebührt. Wenn der Erblasser bis zum Zeitpunkt seines Todes eine Person unter Angabe von Gründen, die nicht den allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder den Anschauungen entspricht, enterben kann und dies als Ausfluss seiner Testierfreiheit von der Rechtsordnung hingenommen wird, kann es keinen Unterschied machen, wenn er die Erbeneinsetzung von vornherein bedingt vornimmt.

    31
    b. Aus dem Umstand, dass der Erblasser nach der Hochzeit des Beteiligten zu 1 nicht erneut in diese Richtung testiert hat, lässt sich nicht schließen, dass die Enterbung keinen Bestand haben sollte. Es ist naheliegend, dass der Erblasser als juristischer Laie es als eine Selbstverständlichkeit angesehen hat, dass die von ihm angedrohte Enterbung greift und er insofern nach seiner Vorstellung eine erneute, (nur) klarstellende Testierung nicht für erforderlich gehalten hat (vgl. dazu OLG München, 31 Wx 128/17, NJW-RR 2017, 907 [OLG München 24.04.2017 - 31 Wx 128/17]).

    32
    (3) Damit unterscheiden sich die Fälle, in denen der Eintritt oder der Ausfall der Bedingung vor dem Erbfall bereits feststeht und solche, in denen an ein nach dem Erbfall liegendes Verhalten angeknüpft wird. Nur in den letztgenannten Fällen droht dem Bedachten ein echter Entscheidungskonflikt, denn erst ab dem Erbfall steht er vor der Wahl, sich entweder dem Willen des Erblassers zu beugen und die Erbschaft (bzw. die Zuwendung) zu erhalten oder aber diesen Willen zu ignorieren und die Erbschaft (Zuwendung) zu verlieren. Nur in dieser Konstellation kann er zudem eine verlässliche wirtschaftliche Bewertung vornehmen, denn erst jetzt lässt sich der Wert der Zuwendung bzw. des Nachlasses bestimmen. Zwar mag sich auch in den Fällen, in denen die Bedingung an ein Verhalten vor dem Erbfall anknüpft, die angedrohte Enterbung für den (mutmaßlich) Bedachten unangenehm anfühlen, eine rechtlich relevante Beeinträchtigung stellt sie aber schon deswegen nicht dar, weil der Bedachte grundsätzlich weiß, dass der Erhalt der Zuwendung - über deren Höhe er nur spekulieren kann - auch losgelöst von einem etwaigen Wohlverhalten ungewiss ist, denn es ist einerseits völlig offen, ob der Bedachte den Erbfall überhaupt erlebt und zum anderen, ob der Erblasser "Wort hält" und das "Wohlverhalten" durch eine testamentarische Zuwendung belohnt und diese am Ende auch (wirtschaftlich) werthaltig ist. Deswegen ist es auch angemessen, beide Fallgruppen grundsätzlich unterschiedlich zu behandeln.

    33
    (4) Im Übrigen war die im Testament ausgesprochene Enterbung für den Fall der Eheschließung mit C.L. tatsächlich ungeeignet, das Verhalten des Beteiligten zu 1 zu beeinflussen und auf diesen erheblichen Druck auszuüben, denn dieser ist in Kenntnis der angekündigten Enterbung die Ehe mit C.L. eingegangen.

    34
    b) Selbst wenn man entgegen den bisherigen Ausführungen davon ausginge, dass die vom Erblasser im Testament vom 19.10.2016 aufgestellte Bedingung sittenwidrig und damit nichtig wäre, wäre der Beteiligte zu 1 nicht als Miterbe zu 1/2 neben dem Beschwerdeführer berufen.

    35
    aa) Die Rechtsfolgen sittenwidriger und damit nichtiger Bedingungen in Verfügungen von Todes wegen sind im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt.

    36
    (1) Nach einer Ansicht soll danach unterschieden werden, ob der Erblasser die betreffende Verfügung unter eine aufschiebende oder auflösende Bedingung gestellt hat. § 2085 BGB finde bei Anordnung einer auflösenden, nicht aber bei einer aufschiebenden Bedingung Anwendung. Sofern der Erblasser seine Verfügung mit einer auflösenden Bedingung versehen habe, deute dies nämlich darauf hin, dass sein Wille grundsätzlich auf den Eintritt der Rechtsfolge gerichtet sei. Die Anordnung, dass diese bei Bedingungseintritt wegfällt, könne insofern als abtrennbarer Teil der Verfügung angesehen werden, so dass die Anwendung des § 2085 BGB gerechtfertigt sei. Bei einer aufschiebenden Bedingung läge diese Interessenlage des Erblassers jedoch nicht vor. Hier solle nach dem Willen des Erblassers seine Verfügung von vornherein nur bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen zum Tragen kommen. Dies weise darauf hin, dass bei Unwirksamkeit der Bedingung auch die Verfügung als solche nicht wirksam sein solle (Staudinger/Otte (2019), BGB, § 2085 Rn. 14).

    37
    Nach anderer Ansicht kann die Frage, ob die nichtige Bedingung die Verfügung insgesamt unwirksam macht oder ob die Verfügung unbedingt bestehen bleibt, nicht nach § 139 BGB oder § 2085 BGB beurteilt werden, weil es sich nicht um trennbarere Teile eines Rechtsgeschäfts in dem von diesen Vorschriften gemeinten Sinn handelt (MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB, § 2074 Rn. 28; von Lübtow, I, S. 352), vielmehr unmittelbarer Inhalt der Anordnung des Erblassers ist (BeckOGK/Gierl, 01.06.2024, BGB, § 2085 Rn. 22). Die Rechtsfolgen einer unwirksamen Bedingung sollen sich dann gemäß den allgemeinen Grundsätzen im Wege der erläuternden bzw. ergänzenden Auslegung beurteilen (BeckOK BGB/Litzenburger, 70. Ed. 01.05.2024, BGB, § 2074 Rn. 27; NK-BGB/Selbherr, 6. Aufl. 2022, BGB, § 2074 Rn. 28; BeckOGK/Gierl, 01.06.2024, BGB, § 2085 Rn. 26).

    38
    Soweit das OLG Naumburg (a.a.O.) von einer sittenwidrigen Bedingung ausgegangen ist, verhält sich die Entscheidung nicht zu der Frage, welche Rechtsfolge eine solche Bedingung nach sich zieht. Das OLG Hamm (a.a.O.) scheint stillschweigend davon ausgegangen zu sein, dass durch ergänzende Testamentsauslegung der Wille der Erblasserin festzustellen sei. Das OLG Frankfurt (a.a.O.) ging davon aus, dass dem Schutzzweck entsprechend die Zuwendung ohne die unwirksame Bedingung "ohne Weiteres" aufrechterhalten bleibt, was sich im Übrigen aber auch im Wege der hypothetischen Testamentsauslegung ergebe.

    39
    (2) Die Frage, ob eine sittenwidrige und damit nichtige Bedingung die Verfügung insgesamt unwirksam macht, ist im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung zu klären.

    40
    (i) § 2085 BGB ist schon deswegen nicht anwendbar, weil die Verfügung des Erblassers eine einheitliche ist: Der Erblasser will den Bedachten nur dann bedenken, wenn er ein bestimmtes Verhalten vornimmt oder unterlässt. Diese Zuwendung kann nicht in die Zuwendung einerseits und die Bedingung andererseits aufgespalten werden, vielmehr handelt es sich um eine untrennbare Einheit.

    41
    (ii) Letztlich ist bei der Beurteilung der Rechtsfolgen nichtiger Bedingungen (allein) die Frage zu beantworten, zu wessen Nachteil es gereicht, wenn der Wille des Erblassers in Bezug auf eine Aufrechterhaltung der betreffenden Verfügung auch ohne die unwirksame Bedingung unaufgeklärt bleibt (vgl. BeckOGK/Gierl, 01.06.2024, BGB, § 2085 Rn. 26).

    42
    Käme § 2085 BGB zur Anwendung, hätte dies zur Folge, dass im Zweifel die Verfügung auch ohne die unwirksame Bedingung bestehen bliebe und derjenige, der sich auf einen anderen Willen des Erblassers beruft, insoweit die Feststellungslast trüge. Geht man hingegen von der grundsätzlichen Nichtigkeit von Verfügung und Bedingung aus, trüge im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung derjenige die Feststellungslast, der sich auf die Fortgeltung der Verfügung beruft.

    43
    Lässt sich aber kein Wille des Erblassers in die eine oder andere Richtung feststellen, ist für die Anwendung von § 2085 BGB kein Raum, denn die Vorschrift beruht gerade auf der Annahme, dass der Wille des Erblassers im Zweifel eher dahin geht, die übrigen, von der Unwirksamkeit nicht betroffenen Verfügungen aufrechtzuerhalten, denn durch die Testierung kommt sein grundsätzlicher Wille zum Ausdruck, die gesetzliche Erbfolge abzuändern. Diese Schlussfolgerung kann aber in Fällen, in denen der Erblasser die Erbeinsetzung unter einer Bedingung vornimmt, gerade nicht gezogen werden, denn die gesetzliche Erbfolge soll eben nur für den Fall abgeändert werden, dass der Bedachte die Handlung vornimmt oder unterlässt.

    44
    bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich dem vorliegenden Testament kein Wille des Erblassers entnehmen, an der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 auch dann festzuhalten, wenn dieser die Bedingung - Eheschließung mit C.L. - verwirkt. Im Gegenteil: Der Umstand, dass der Erblasser die bedingte Erbeinsetzung an letzter und damit hervorgehobener Stelle des Testaments anordnet und sie damit der am Anfang vorgenommen Erbeinsetzung entgegensetzt, spricht dafür, dass es ihm auf den Ausschluss des Beteiligten zu 1 von der Erbfolge in besonderem Maße ankam, falls dieser die vom Erblasser missbilligte Ehe eingeht. Die Erbeinsetzung lässt sich mithin auch nicht im Wege ergänzender Testamentsauslegung feststellen.

    III.

    45
    1. Kosten fallen bei der erfolgreichen Beschwerde nicht an. Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten sieht der Senat keine Veranlassung.

    46
    2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

    47
    a) Soweit die Frage der Sittenwidrigkeit zu beurteilen und eine Abwägung der Grundrechte der Testierfreiheit (Art. 14 GG) und der Eheschließungsfreiheit (Art. 6 GG) vorzunehmen ist, handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die die Zulassungskriterien (§ 70 FamFG) nicht erfüllt. Zudem kommt es auf die Frage der Sittenwidrigkeit nicht entscheidungserheblich an, weil auch bei unterstellter Sittenwidrigkeit eine Erbeinsetzung zu verneinen wäre.

    48
    b) Hinsichtlich der weiteren im vorliegenden Fall zu entscheidenden Rechtsfragen ist nicht ersichtlich, dass insoweit das Bedürfnis nach einer rechtsbeschwerdegerichtlichen Leitentscheidung für die Rechtspraxis, nach Leitsätzen für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen, oder zur Ausfüllung von Gesetzeslücken besteht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21.03.2007, XII ZR 136/05, NJW-RR 2007, 1022). Die Frage nach den Rechtsfolgen sittenwidriger Bedingungen in Verfügungen von Todes wegen ist aufgrund der vom Senat im vorliegenden Einzelfall verneinten Sittenwidrigkeit nicht entscheidungserheblich (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19.12.2002, VII ZR 101/02, NJW 2003, 831).

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    3. Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer ebenfalls beantragten Europäischen Nachlasszeugnisses fehlt bislang eine nachlassgerichtliche Entscheidung.