26.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133654
Oberlandesgericht München: Beschluss vom 24.10.2013 – 31 Wx 139/13
Die Kombination einer "Schlusserbeneinsetzung" mit Einräumung einer Abänderungsbefugnis zugunsten des überlebenden Ehegatten bei ausdrücklicher Anordnung der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen können Anhaltspunkte dafür sein, dass die Ehegatten die Formulierung "für den Fall gleichzeitigen Versterbens" nicht im Wortsinn verwendet haben, sondern den Fall des zeitlich nacheinander Versterben geregelt haben (im Anschluss an OLG München NJW-RR 2011, 44).
OLG München, 24.10.2013
31 Wx 139/13
In Sachen
xxx,
zuletzt wohnhaft: xxx
verstorben am xxx
- Erblasserin -
Beteiligte:
1. xxx
- Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigter: xxx
2. xxx
- Pfleger für die unbekannten Erben -
wegen Nachlassbeschwerde
erlässt das Oberlandesgericht München - 31. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Stackmann, die Richterin am Oberlandesgericht Förth und den Richter am Oberlandesgericht Gierl am 24.10.2013 folgenden
Beschluss
Tenor:
Der Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 5.4.2013 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Die am 23.12.2012 im Alter von 87 Jahren verstorbene Erblasserin war verheiratet mit F. K., der am 11.1.2009 verstorben ist. Aus der Ehe gingen keine gemeinsamen Kinder hervor. Der Beteiligte zu 1 ist der Sohn des Ehemanns der Erblasserin.
Es liegt ein von der Erblasserin geschriebenes und von ihrem Ehemann unterschriebenes gemeinschaftliches Testament vom 1.2.1990 vor, das folgenden Inhalt hat:
"Gemeinschaftliches Testament.
Ich H. K. geborene S. bin am 13.November 1925 in G. geboren. Ich F. K., bin am 21. Februar 1930 in Z./O. geboren. Wir sind miteinander verheiratet und wohnen in (Adresse).
Aus unserer Ehe sind keine gemeinschaftlichen Kinder hervorgegangen. Wir leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft.
In der freien Verfügung über unser Vermögen sind wir beide in keiner Weise beschränkt weder durch einen Erbvertrag noch durch ein gemeinschaftliches Testament. Vorsorglich wiederrufen wir alle etwa vorhandenen früheren Verfügungen von Todes wegen. Wir setzen uns hiermit gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Erben ein. Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen.
Für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen wir hiermit als unseren Schlusserben: J.K. (= Beteiligter zu 1) geb. am (...) in (...), wohnhaft in (...).
Sämtliche in diesem Testament niedergelegten Verfügungen sind wechselbezüglich. Sie können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden.
Nach dem Tode eines Teils von uns soll aber der überlebende Teil berechtigt sein, einseitig dieses Testament zu ändern.
(Ort und Datum)
(Unterschrift der Erblasserin)
Das vorstehende Testament soll auch als mein Testament gelten (Ort und Datum)
(Unterschrift des Ehemanns der Erblasserin)."
Mit Beschluss vom 16.1.2013 bestellte das Nachlassgericht Rechtsanwalt F. zum Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der Erben. Unter der Darlegung mit Beweisantritt, es sei Wille der Ehegatten gewesen, dass er sie letztendlich beerbe, beantragte der Beteiligte zu 1 am 21.2.2013 einen Erbschein, der bezeuge, dass er Alleinerbe der Erblasserin sei. Das Nachlassgericht erteilte am 8.3.2013 den beantragten Erbschein und hob mit Beschluss vom 28.3.2013 die Nachlasspflegschaft auf.
Unter Bezugnahme auf Äußerungen der Betreuerin der Erblasserin meldete der Nachlasspfleger Zweifel an der Erbberechtigung des Beschwerdeführers an. Demnach habe sich der Beschwerdeführer, als sich der Ehemann im Krankenhaus befunden habe, "sehr schlecht" gegenüber der Erblasserin benommen. Diese habe immer gesagt, der "S. bekommt gar nichts, lieber schenke ich alles der Gemeinde". Nach Angaben der Betreuerin hätten die Ehegatten ihr gemeinsames Testament ändern wollen; der Ehemann der Erblasserin hätte den Beschwerdeführer aus dem Testament streichen wollen, was mehrere namentlich benannte Zeugen bestätigten könnten.
Daraufhin ordnete das Nachlassgericht mit Beschluss vom 5.4.2013 die Einziehung des Erbscheins mit der Begründung an, dass die nachträglich durch den Nachlasspfleger mitgeteilten Tatsachen der vom Gericht vorgenommenen Auslegung des Testaments die Grundlage entzögen. Es stehe damit fest, dass die Angaben des Antragstellers über den Erblasserwillen im wesentlichen unrichtig gewesen seien. Zugleich ordnete das Nachlassgericht erneut Nachlasspflegschaft an und bestellte Rechtsanwalt F. wieder als Nachlasspfleger.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Zu Unrecht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die Einziehung des am 8.3.2013 erteilten Alleinerbscheins zugunsten des Beteiligten zu 1 vorliegen.
1. Die Erbfolge nach der Erblasserin bestimmt sich entgegen der Meinung des Nachlassgerichts (weiterhin) nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 1.2.1990.
a) Das gemeinschaftliche Testament ist insofern auslegungsbedürftig, da die Eheleute keine ausdrückliche Regelung für den Fall getroffen haben, dass die Ehegatten im zeitlichen Abstand versterben. Der Beschwerdeführer sollte nach dem Wortlaut des Testaments im Fall des gleichzeitigen Versterbens "Schlusserbe" sein. Eine solche Erbenstellung ist aber nur dann gegeben, wenn der vorversterbende Ehegatte zunächst durch den anderen beerbt wird und bei dessen Ableben der von den beiden Ehegatten gemeinsam bestimmte Erbe die Rechtsnachfolge des überlebenden Ehegatten antreten soll. Bei der Einsetzung eines Schlusserben soll nach dem gemeinsamen Willen der Ehegatten das beidseitige Vermögen nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten als eine Einheit an einen Dritten fallen (vgl. dazu näher NK-Erbrecht/Gierl 3. Auflage <2010> § 2269 Rn. 11 ff). Insofern ist nicht eindeutig, ob die Ehegatten allein eine Erbeinsetzung bei ihrem zeitgleichen Ableben treffen wollten oder sie damit -auch - den Fall geregelt haben, dass sie nacheinander in erheblichem zeitlichen Abstand versterben.
b) Es ist daher im Wege der (erläuternden) Testamentsauslegung der wirkliche Wille der Ehegatten zu erforschen. Diese soll klären, was ein Erblasser mit seinen Worten sagen wollte und nicht etwa einen von der Erklärung losgelösten Willen ermitteln. Grundsätzlich ist bei nicht eindeutigem und daher auslegungsbedürftigem Testamentswortlaut gemäß §§ 133, 2084 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Vielmehr ist der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergab, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGHZ 86, 45; NJW 1993, 256). Ein Abweichen vom Wortsinn setzt allerdings voraus, dass Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Erklärende mit seinem Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 80, 246; BayObLG FamRZ 1986, 835). Bei gemeinsamen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament ist für jede zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Testierenden mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen entsprochen hat, wobei der übereinstimmende Wille zur Zeit der Testamentserrichtung maßgebend ist (BGHZ 112, 229/233).
c) Die Formulierungen "bei gleichzeitigem Ableben" oder "bei gleichzeitigem Versterbens" werden in der neueren Rechtsprechung über den strengen Wortsinn hinaus - nach dem nur der Fall geregelt wäre, in dem die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde den Tod finden (vgl. BayObLGZ 1996, 243/247) - so ausgelegt, dass sie auch noch Fallgestaltungen betreffen, in denen von einem "gleichzeitigen Tod" nur im weiteren Sinne die Rede sein kann, in denen aber im Hinblick auf den Sinn einer derartigen Regelung praktisch kein Unterschied zum gleichzeitigen Tod der Ehegatten im engeren Sinne besteht.
Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, bezwecken damit, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass er über das Gesamtvermögen - auch von Todes wegen - frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann für den Fall des "gleichzeitigen Todes", in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen - und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten - kommt. Dieser Regelungsbedarf besteht nicht nur für den Fall des in engerem Sinn gleichzeitigen Todes, sondern auch in Fällen, in denen die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander sterben, sei es aufgrund ein und derselben Ursache, z.B. eines Unfalls, sei es aufgrund verschiedener Ursachen, wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten. In diesem Fall des Versterbens kurz nacheinander würde zwar die gegenseitige Erbeinsetzung greifen, doch hinge es vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob -wenn keine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen wurde - den gesetzlichen Erben des Ehemannes oder den gesetzlichen Erben der Ehefrau das gesamte Vermögen beider Eheleute zufließt. Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine zusätzliche Regelung jedenfalls für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist. Auf diese Fallgestaltung wollen Ehegatten mit der Verwendung von Formulierungen wie "bei gleichzeitigem Ableben" die Erbeinsetzung des Drittbedachten regelmäßig beschränken und so dem Überlebenden von ihnen die Bestimmung überlassen, wer ihn beerben soll (vgl. BayObLG FGPrax 2004, 80/81 [BayObLG 18.12.2003 - 1 Z BR 130/02] m.w.N.; Reimann/Bengel/ J.Mayer § 2269 Rn. 20; Palandt/Weidlich BGB 72. Auflage <2013> § 2269 Rn. 9).
Eine für den Fall des "gleichzeitigen Versterbens" getroffene Erbeinsetzung gilt deshalb grundsätzlich nicht für den Fall, dass die Ehegatten nacheinander - in erheblichen zeitlichen Abstand -versterben. Eine Ausnahme hiervon kann nur angenommen werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden den Begriff des "gleichzeitigen Versterbens" bzw. "gleichzeitigen Ablebens" entgegen dem Wortsinn dahin verstanden haben, dass er auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, und wenn sich darüber hinaus eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen findet (vgl. dazu OLG München FamRZ 2008, 921; NJW-RR 2011, 444).
d) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Senat der Auffassung, dass dem gemeinschaftlichen Testament Umstände entnommen werden können, die darauf hindeuten, dass die Ehegatten durch die Formulierung "für den Fall des gleichzeitigen Versterbens" den Fall, dass sie nacheinander - in erheblichen zeitlichen Abstand - versterben, geregelt haben:
Die Ehegatten haben ausdrücklich unmittelbar nach Einsetzen des Beschwerdeführers als "Schlusserbe" die Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen angeordnet, jedoch bei Überleben eines der Ehegatten eine Abänderungsbefugnis zu dessen Gunsten bestimmt. Ein solche Befugnis gibt nur dann Sinn, wenn ein Ehegatte - entgegen dem eigentlichen Sinn der "Gleichzeitigkeitsklausel" (s.o.) - den anderen überlebt und dieser nach der Vorstellung der Ehegatten noch die Möglichkeit hat, in Bezug auf die wechselbezügliche und damit bindende Verfügung zugunsten des "Schlusserben" anders zu verfügen. Bei einer Verwendung der Formulierung "gleichzeitig" im Wortsinn wäre aber für die Anordnung einer Abänderungsbefugnis keine Notwendigkeit gegeben. Zudem haben die Ehegatten in Bezug auf den Bedachten die Formulierung "Schlusserbe" verwendet, die nach ihrem Wortsinn ebenfalls voraussetzt, dass vor Anfall des Nachlasses zugunsten des Bedachten bereits ein Erbgang zugunsten des überlebenden Ehegatten erfolgt ist. Dies wäre bei einem "gleichzeitigen Versterbens" gerade nicht der Fall (s.o.). In der Gesamtschau der von den Ehegatten getroffenen Verfügungen und Formulierung, liegt es daher näher, dass die Ehegatten den Fall eines nacheinander Versterbens in (erheblichem) zeitlichen Abstand geregelt haben.
2. Zu Unrecht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Wille der Ehegatten nicht darauf gerichtet war, den Beschwerdeführer als ihren Schlusserben einzusetzen. Soweit es sich insoweit auf den Vortrag des Nachlasspflegers stützt, dass dessen Erbeinsetzung nicht dem gemeinsamen Willen der Ehegatten zu ihren Lebzeiten bzw. dem der Erblasserin entsprach, verkennt es bereits, dass es für die Auslegung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung ankommt. Die Schilderungen des Nachlasspflegers betreffen aber Äußerungen der Ehegatten (insbesondere der Erblasserin), die zeitlich nach der Testamentserrichtung erfolgt sind. Insofern kommen spätere Willensänderungen der Ehegatten zum Ausdruck. Solche können aber, wenn sie ihnen nicht durch Abänderung ihres Testaments Rechnung getragen haben, im Wege der Auslegung nicht berücksichtigt werden (vgl. Czubayko in: Burandt/Ro- jahn Erbrecht <2011> § 2084 Rn. 5 m.w.N.).
Vorliegend haben die Ehegatten weder zu ihren gemeinsamen Lebzeiten die von ihnen getroffene Verfügung zugunsten des Beschwerdeführers widerrufen (§ 2271 BGB) bzw. aufgehoben (§ 2292 BGB), noch hat die Erblasserin von der ihr im gemeinschaftlichen Testament eingeräumten Abänderungsbefugnis Gebrauch gemacht und die Einsetzung des Beschwerdeführers als Schlusserbe im Wege einer neuen Testierung abgeändert. Demgemäß ergibt sich die Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 aus dem gemeinschaftlichen Testament vom 1.2.1990.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten für die erfolgreiche Beschwerde fallen nicht an. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst; zu einer abweichenden Kostenauferlegung (§ 81 FamFG) sieht der Senat keinen Anlass. Einer Geschäftswertfestsetzung für gerichtliche Zwecke bedarf es nicht.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.