09.12.2003 · IWW-Abrufnummer 032797
Bundesfinanzhof: Urteil vom 24.03.1999 – II R 34/97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben nach Frau A.B. Streitig ist, ob diese als Alleinerbin ihres im Juni 1987 vorverstorbenen Ehemannes dessen Einkommen- und Vermögensteuerschulden der Jahre 1981 bis 1985 als Nachlaßverbindlichkeiten abziehen konnte. Die Eheleute B. waren bis zum Eintritt des Mannes in den Ruhestand im Ausland ansässig und hatten dort die ... Staatsangehörigkeit angenommen. Ihren Ruhestand verbrachten sie ab 197.. in Deutschland. Dabei lebten sie von den Erträgen des im Ausland angelegten Vermögens des Mannes, das aus Kapitalforderungen und Barrengold bestand und bei dessen Tod einen Wert von über ... Mio. DM hatte. Die Erträge beliefen sich in den Jahren 1981 bis 1985 auf Beträge zwischen ... DM und ... DM.
Die Eheleute wurden im Inland steuerlich nicht geführt. Sie unterhielten im Inland keine Konten. Das nach dem Tod des Ehemanns durch das Nachlaßgericht eröffnete Testament enthielt keinen Hinweis auf das Vermögen. Es wurde im Ausland verwaltet. Wenige Tage vor dem Tod des Ehemanns hatten die Eheleute dem im europäischen Ausland ansässigen Repräsentanten des Unternehmens, für das der Ehemann tätig gewesen war, eine Generalvollmacht über den Tod hinaus erteilt.
Der von diesem beauftragte Prozeßbevollmächtigte gab im Oktober 1988 nach mehreren Fristverlängerungsanträgen für A.B. noch zu deren Lebzeiten die Erbschaftsteuererklärung über den Erwerb als Erbin ihres Mannes ab. Zuvor hatte er mit Schreiben vom August 1988 gegenüber der zuständigen Steuerbehörde für die Jahre 1981 bis 1987 das Vermögen und die Einkünfte der Eheleute nacherklärt. Dabei hatte er die Zusammenveranlagung beantragt und geltend gemacht, daß die Steuern für 1981 bis 1985 gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen (StrbEG) --Art. 17 des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I, 1093, BStBl I 1988, 224)-- nicht festzusetzen seien. Gleichwohl seien sie im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung in voller Höhe als Nachlaßverbindlichkeit abzuziehen.
Das Veranlagungsfinanzamt setzte zunächst die Einkommen- und Vermögensteuern für die Jahre 1981 bis 1987 in einer Gesamthöhe von ... DM fest, hob aber später die Einkommensteuerbescheide für 1981 bis 1985 gemäß § 2 Abs. 1 StrbEG wieder auf und setzte die Vermögensteuer herab. Dadurch entfielen Steuern im Gesamtbetrag von ... DM, so daß A.B. letztlich für die Zeit von 1981 bis zum Tod des Ehemanns lediglich Einkommen- und Vermögensteuern von zusammen ... DM zu zahlen hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ bei der Heranziehung der Ehefrau zur Erbschaftsteuer Steuerschulden nur in Höhe der dauerhaft entrichteten Steuern als Nachlaßverbindlichkeiten zum Abzug zu. Auf den Einspruch gegen den geänderten Erbschaftsteuerbescheid vom 27. November 1992, der aus anderen Gründen zu einer geringen Ermäßigung führte, setzte er durch Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 1994 die Erbschaftsteuer bei einem steuerpflichtigen Erwerb von ... DM auf ... DM herab.
Bezüglich des Umfangs, in dem die Steuerschulden zum Abzug zuzulassen sind, blieben der Einspruch und die Klage erfolglos. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1121 veröffentlicht ist, war der Ansicht, soweit gemäß § 2 Abs. 1 StrbEG letztlich von einer Steuerfestsetzung abgesehen worden sei, stellten die beim Tod des Ehemannes bereits vorhandenen Steuerschulden keine wirtschaftliche Belastung dar. Dies ergebe sich nicht etwa aus einer Rückwirkung des § 2 Abs. 1 StrbEG, sondern daraus, daß zunächst der Ehemann und nach dessen Tod A.B. ihre Vermögens- und Einkommensverh ältnisse bewußt und systematisch gegenüber den deutschen Steuerbehörden verdeckt hätten.
Dagegen wenden sich die Kläger mit der Revision. Sie machen einen Verstoß gegen den klaren Akteninhalt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze bei der Tatsachenwürdigung sowie gegen das Recht auf Gehör geltend. Außerdem rügen sie die fehlerhafte Anwendung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 und des § 11 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974. Sie tragen vor, die Frage nach der wirtschaftlichen Belastung durch die Steuerschulden beurteile sich nicht aus der Sicht des Erblassers, sondern aus der der Ehefrau als Erbin. Das Verhalten des Erblassers sei daher unerheblich. Die Ehefrau ihrerseits sei aber aus gesundheitlichen Gründen, auf die in einer Anlage zur Erbschaftsteuererklärung hingewiesen worden sei, zu einem zielgerichteten Handeln und damit zu einer bewußten Steuerverkürzung nicht mehr in der Lage gewesen. Deshalb könne ihr nicht vorgehalten werden, sie habe das Verschleiern des Vermögens und der Einkünfte nach dem Tod des Mannes fortgesetzt. Soweit sich das FG für seine gegenteilige Ansicht auf die Angaben zum Nachlaß berufen habe, die die Ehefrau gegenüber dem Standesamt gemacht habe, habe es das rechtliche Gehör verletzt, weil diese Angaben bis dahin weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren zur Sprache gekommen seien. Die Angaben hätten nicht die ihnen vom FG beigemessene Bedeutung. Auch die Abwicklung der Erbschaftsteuerangelegenheit durch die jetzigen Prozeßbevollmächtigten ergebe keine Anhaltspunkte für ein Verschleppen. Eine Anzeigepflicht habe nicht bestanden, da die Ehefrau erst durch die Testamentseröffnung von dem Erwerb Kenntnis erlangt habe.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Erbschaftsteuerbescheid vom 27. November 1992 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 1994 dahin zu ändern, daß die Steuer auf ... DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Bezüglich der nach § 2 Abs. 1 StrbEG nicht (mehr) festgesetzten Steuern sind keine Steuerschulden als Nachlaßverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Es fehlt an der wirtschaftlichen Belastung zum maßgeblichen Stichtag. Das gilt unabhängig davon, ob der Erblasser die Steuern hinterzogen hat und ggf. A.B. oder eine für diese vertretungsberechtigte Person beim Tod des Ehemannes von der Verkürzung der Einkommen- und Vermögensteuern wußte und sie aufrechterhalten wollte. Auf die Verfahrensrügen braucht daher nicht eingegangen zu werden. Die Vorentscheidung erweist sich aus anderen Gründen als zutreffend (§ 126 Abs. 4 FGO).
1. Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auf den Erben übergegangen sind, als Nachlaßverbindlichkeiten abzuziehen. Dabei ist unerheblich, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht. Der Abzug setzt voraus, daß die Steuerschulden rechtlich bestehen und den Erben wirtschaftlich belasten (so noch zu § 23 Abs. 1 ErbStG 1925 Urteile des Reichsfinanzhofs vom 26. März 1936 IIIe A 12/36, RStBl 1936, 543, und vom 24. November 1938 IIIe 64/38, RStBl 1939, 496, sowie Kipp, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 1927, § 23 Anm. 50, und zu § 23 Abs. 4 ErbStG 1951 Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. November 1963 II 166/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1964, 83; vgl. auch Moench, Deutsches Steuerrecht 1992, 1185, 1186; Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar, § 10 Anm. 129, sowie Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer-Kommentar, § 10 Anm. 69, sowie Meincke, Erbschaftsteuergesetz, 11. Aufl. 1997, § 10 Anm. 32). Insoweit gelten dieselben Grundsätze, wie sie bis zum Steueränderungsgesetz 1992 für den Abzug betrieblicher Schulden und bis Ende 1996 für die Ermittlung des Gesamtvermögens galten (BFH-Urteile vom 5. November 1954 III 9/54 S, BStBl III 1954, 381; vom 3. April 1959 III 353/57 S, BFHE 69, 97, BStBl III 1959, 300; vom 7. Mai 1971 III R 53/70, BFHE 102, 553, BStBl II 1971, 681, sowie vom 8. Dezember 1993 II R 118/89, BFHE 173, 82, BStBl II 1994, 216). An einer wirtschaftlichen Belastung fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, daß der Gläubiger seine Forderung nicht geltend machen wird (BFHE 162, 553, BStBl II 1971, 681, sowie BFH-Urteil vom 12. Dezember 1975 III R 32/74, BFHE 117, 497, BStBl II 1976, 209, sowie Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 118 BewG Anm. 12).
2. Diese Annahme trifft auf die ererbten Steuerschulden der A.B. zu. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Finanzbehörden entstandene Steuern auch festsetzen werden (§ 85 AO 1977); im Streitfall war jedoch am Todestag des Erblassers als dem gemäß § 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 maßgebenden Stichtag eine Steuerfestsetzung nicht ernstlich zu erwarten. Die Finanzbehörden hatten den Erblasser, dessen Vermögen sich im Ausland befand, nicht erfaßt. Deshalb konnten die gesetzlichen Kontrollmittel der Außenprüfung gemäß den §§ 193 ff. AO 1977 nicht greifen. Den Steuerbehörden war damit auch die nur theoretische Möglichkeit genommen, von den Steueransprüchen zu erfahren (vgl. zur Bedeutung der Außenprüfung als Kontrollmittel: BFH-Urteil vom 7. September 1962 III 186/59, HFR 1963, 93).
Diese Umstände bewirkten zu Lebzeiten des Erblassers unabhängig von einem Hinterziehungsvorsatz, daß die Schulden keine wirtschaftliche Belastung darstellten. Daran hat sich durch den Erbfall nichts Entscheidendes geändert. Die mit dem Erwerb von Todes wegen regelmäßig verbundenen Anzeigepflichten Dritter gemäß den §§ 33 und 34 ErbStG 1974 erhöhten den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der eine Steuerfestsetzung zu erwarten war, nicht. Diese Anzeigepflichten gingen nämlich ins Leere, weil das Vermögen im Ausland angelegt war und das Testament keine Angaben zum Vermögen enthielt (vgl. zur Bedeutung der Anzeigepflichten als Erkenntnisquelle: BFH-Urteil vom 28. Juli 1998 VIII R 87/94, BFHE 186, 396, BStBl II 1998, 777). Von sich aus ist A.B. persönlich nicht aufklärend tätig geworden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ihr die Fähigkeit zur eigenen Willensbildung darüber, wie in der Steuerangelegenheit verfahren werden solle, gefehlt hat oder nicht.
Daher wäre am maßgeblichen Stichtag hinsichtlich der wirtschaftlichen Belastung durch die dem für die Einkommen- und Vermögensteuer zuständigen FA unbekannten Steuerschulden des Erblassers allenfalls dann eine Veränderung eingetreten, wenn der ausländische Generalbevollmächtigte die Behörde so zeitnah über diese Steuerangelegenheit unterrichtet hätte, daß sein Handeln noch auf den Stichtag zurückbezogen werden könnte. Als Anhaltspunkt hierfür sieht der Senat die Dreimonatsfrist des § 30 Abs. 1 ErbStG 1974, die der Gesetzgeber bei anderweitiger Kenntniserlangung vom Erbfall selbst engen Verwandten zumutet. Diese zeitliche Spanne ist im Streitfall jedoch erheblich überschritten, denn das Einkommen- und Vermögensteuerfinanzamt ist erst vierzehn Monate nach dem Tod des Erblassers und sechs Monate nach der im Februar 1988 erfolgten Testamentseröffnung unterrichtet worden. Diese späte Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des zu Lebzeiten steuerlich nicht geführten Erblassers gegenüber dem zuständigen FA, dem außer der Erbin und deren Bevollmächtigten keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung standen, ist nicht geeignet, bezogen auf den Stichtag die wirtschaftliche Belastung des Erben durch die Steuerschulden des Erblassers herbeizuführen.
Die Prozeßbevollmächtigten selbst konnten noch keinen Einfluß auf die Verhältnisse zum Stichtag haben, weil sie erst nach Eintritt des Erbfalles den Auftrag zum Tätigwerden erhielten.
Ob die Steuerschulden in dem Umfang, wie sie das FA berücksichtigt hat, zu Recht abgezogen worden sind, bedarf keiner Entscheidung.