30.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221448
Finanzgericht Münster: Urteil vom 17.02.2021 – 7 K 3409/20 AO
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
7 K 3409/20 AO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
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Streitig ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen vorzunehmen.
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Der Kläger zu 1. ist Miterbe der am 00.00.2013 verstorbenen Frau C. Zum Nachlass gehörten Investmentanteile an einem Geldmarktfonds (XXX). Der thesaurierende Fonds investiert in kurzfristige festverzinsliche Wertpapiere. Zum Todestag befanden sich 1.045 Anteile im Depot der Erblasserin (Marktkurs = 112,27 EUR; Gesamtwert = 117.322,15 EUR, vgl. Vermögensaufstellung der Bank auf den 20.09.2013 vom 13.03.2014).
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Das Finanzamt xxx setzte Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger zu 1. in Höhe von 289.290 EUR fest und berücksichtigte dabei unter anderem die streitbefangenen Wertpapiere mit einem Wert von 118.472 EUR (Erbschaftsteuerbescheid vom 06.06.2017).
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Der Kläger zu 1. veräußerte am 22.08.2017 1.035 Stück dieser Wertpapiere zu einem Ausführungskurs von 111,66 EUR. Nach der Abrechnung der Sparkasse J vom 24.08.2017 ergaben sich folgende Beträge:
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Kurswert 115.568,10 EUR
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Provision ./. 577,84 EUR
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Kapitalertragsteuer von 25 %
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(Ersatz-BMG = 34.670,43 EUR) ./. 8.667,61 EUR
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Solidaritätszuschlag von 5,5 % ./. 476,71 EUR
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Ausmachender Betrag 105.845,94 EUR
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Die von der Sparkasse J ausgestellte Steuerbescheinigung wies für den Verkauf der vorgenannten Wertpapiere einen Gewinn nach § 20 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 34.670,43 EUR (Ersatz-BMG nach § 43a Abs. 2 Satz 7, 10, 13 und 14 EStG) aus.
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Der Kläger zu 1. erklärte den Gewinn von 34.670 EUR als Einkünfte aus Kapitalvermögen und machte geltend, dieser Betrag sei bereits der Erbschaftsteuer unterworfen worden. Im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung seien die Wertpapiere mit einem Wert von 118.472,27 EUR angesetzt worden. In diesem Betrag seien auch die Stückzinsen in Höhe von 34.670,43 EUR, welche nunmehr der Einkommensteuer unterworfen würden, enthalten. Dass die Stückzinsen von 34.670,43 EUR auf die Zeit vor dem Erbfall entfielen, ergebe sich daraus, dass der Wert der Investmentanteile seit dem Erbfall gefallen sei (Wert am 20.09.2013 = 112,27 EUR; Wert bei Verkauf am 22.08.2017 = 111,66 EUR). Die auf die Stückzinsen entfallende Erbschaftsteuerbelastung betrage 10.401,13 EUR (30 % von 34.670,43 EUR). Zur Vermeidung einer Doppelerfassung sei die auf die Stückzinsen entfallende Einkommensteuer nach Maßgabe des § 35b EStG zu ermäßigen.
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Der Beklagte setzte gegenüber dem Kläger zu 1. und seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau Einkommensteuer fest, ohne die Steuerermäßigung nach § 35b EStG zu gewähren (Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 08.04.2019). Zur Erläuterung führte er aus, dass die Stückzinsen nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG zu Einkünften aus Kapitalvermögen führten und als solche dem gesonderten Steuertarif nach § 32d Abs. 1 EStG unterlegen hätten. § 35b EStG finde nur auf tariflich besteuerte Einkünfte Anwendung.
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Während des sich anschließenden Einspruchsverfahrens verstarb die Ehefrau des Klägers zu 1. Sie wurde beerbt von dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29.10.2019 als unbegründet zurück.
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Im sich anschließenden Klageverfahren (7 K 3455/19 E) wies der Berichterstatter darauf hin, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen, welche der Abgeltungsteuer und damit einem gesonderten Tarif unterliegen, nicht in die „tarifliche Einkommensteuer“ i. S. v. § 35a Abs. 1 EStG eingingen und damit nicht nach § 35a EStG ermäßigt zu besteuern seien (BFH-Beschluss vom 28.04.2020 VI R 54/17, BStBl II 2020, 544). Entsprechendes dürfte für die „tarifliche Einkommensteuer“ i. S. v. § 35b EStG gelten. Die Steuerermäßigung finde nur dann Anwendung, wenn die Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgrund einer Günstigerprüfung (§ 32d Abs. 6 EStG) der tariflichen Einkommensteuer unterworfen würden. Im Streitfall sei die Günstigerprüfung allerdings negativ ausgefallen (vgl. gerichtliche Verfügungen vom 17.09. und 02.10.2020). Die Kläger nahmen daraufhin die Klage gegen die Steuerfestsetzung zurück.
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Anschließend beantragten die Kläger eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen und führten zur Begründung an, dass die Stückzinsen in Höhe von 34.670,43 EUR sowohl der Erbschaftsteuer (30 %) als auch der Kapitalertragsteuer (25 %) unterlegen hätten. Die Steuerbelastung liege damit über dem Spitzensteuersatz. Nach der Rechtsprechung des BFH könne die Erhebung eines Einkommensteueranspruchs sachlich unbillig sein, wenn das Zusammenwirken verschiedener Regelungen zu einer hohen Steuerschuld führe, obgleich dem kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liege (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, da das Erbschaftsteuergesetz spätestens seit Einführung der Abgeltungsteuer nicht hinreichend mit dem Einkommensteuergesetz abgestimmt sei.
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Der Beklagte lehnte den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) mit Bescheid vom 20.10.2020 mit der Begründung ab, dass der Gesetzgeber die Steuerermäßigung nach § 35b EStG eindeutig auf die tarifliche Einkommensteuer beschränkt habe. Zudem stehe es den Steuerpflichtigen frei, einen Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG zu stellen. Falls danach der progressive Steuertarif zur Anwendung komme, sei auch die Steuerermäßigung nach § 35b EStG zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des BVerfG führe die Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer nicht zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2015 1 BvR 1432/10, BFH/NV 2015, 1069). Auch nach der Rechtsprechung des BFH sei eine Doppelbelastungen grundsätzlich unbedenklich (BFH-Urteil vom 17.02.2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641). Das von den Klägern zitierte BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 betreffe einen atypischen Fall und sei auf den Streitfall nicht übertragbar.
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Mit dem dagegen gerichteten Einspruch machten die Kläger geltend, dass sich eine Übermaßbesteuerung daraus ergebe, dass die streitgegenständlichen Kapitalerträge einer Steuerbelastung von insgesamt mehr als 55 % (30 % Erbschaftsteuer + 25 % Abgeltungsteuer + 5,5 % Solidaritätszuschlag) unterlägen. Soweit der Beklagte auf die Möglichkeit einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG verweise, sei zu beachten, dass eine solche Prüfung im Streitfall wegen hoher weiterer Einkünfte negativ ausgefallen sei und daher keine Lösung darstelle. Zudem sei zu beachten, dass die Formulierung in § 35b EStG aus einer Zeit vor Einführung der Abgeltungssteuer stamme.
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Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 20.11.2020).
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Mit der dagegen gerichteten Klage vertiefen die Kläger ihren Vortrag. Die Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer führe zu einem kumulierten Steuersatz von 56,37 %. Auf die Kapitalerträge in Höhe von 34.670,43 EUR entfalle demnach eine Steuer von insgesamt 19.545,45 EUR, während sich bei Anwendung des höchsten Einkommensteuersatzes von 42 % lediglich eine Belastung von 15.361,85 EUR ergebe. In Höhe der Differenz von 4.183,60 EUR ergebe sich eine Übermaßbesteuerung.
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Die Kläger beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 20.10.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.11.2020 zu verpflichten, ihnen Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 4.183,60 EUR zu erlassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte macht ergänzend geltend, dass die Steuerermäßigung nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35b EStG nur auf die tarifliche Einkommensteuer anzuwenden sei. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine Gleichsetzung des tariflichen und des gesonderten Tarifs gewollt habe. Gegen eine sachliche Unbilligkeit spreche auch, dass die der Abgeltungsteuer unterliegenden Einkünfte ohnehin privilegiert seien.
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Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Entscheidungsgründe
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A. Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO).
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B. Die Klage ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid vom 20.10.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.11.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger keinen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen haben (§ 101 Satz 1 FGO). Insbesondere ergibt sich eine sachliche Unbilligkeit nicht daraus, dass die Steuerermäßigung nach § 35b EStG auf Einkünfte aus Kapitalvermögen, welche der Abgeltungsteuer unterliegen, nicht anwendbar ist.
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I. Gemäß § 163 Abs. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
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Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist zwar sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO und der Erlass nach § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Der Begriff „unbillig“ ragt in den Ermessensbereich hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der Ermessensausübung. Da das in §§ 163 und 227 AO verwendete Merkmal „unbillig“ danach ein im gerichtlichen Verfahren überprüfbarer Rechtsbegriff ist, kommt ein dieses Merkmal einschließendes behördliches Ermessen nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 11.07.2018 XI R 33/16, BFHE 262, 114, BStBl II 2019, 258)
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Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (BFH-Urteil vom 02.12.2015 V R 15/14, BFHE 252, 158, BStBl II 2017, 553).
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
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1. Aus der gesetzlichen Systematik ergibt sich zunächst, dass die streitbefangenen Wertpapiere sowohl der Erbschaftsteuer als auch der Einkommensteuer zu unterwerfen waren.
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a) Die zum Nachlass gehörenden Investmentanteile unterliegen im Jahr 2013 der Erbschaftsteuer, ohne dass die darauf zu entrichtende Einkommensteuer abzugsfähig wäre.
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Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) gilt als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Erwerbers. Dabei sind die vom Erblasser herrührenden Schulden als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehören nur solche Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren oder die der Erblasser durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen (BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790).
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Nach diesen Grundsätzen ist die auf den VZ 2017 entfallende Einkommensteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuer abzugsfähig, weil erst die Erben den einkommensteuerrechtlichen Tatbestand durch die Veräußerung der Wertpapiere im Jahr 2017 verwirklicht haben.
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b) Da die Erbschaftsteuer eine Personensteuer i.S.d. § 12 Nr. 3 EStG ist, ist ein Abzug der in 2013 entstandenen Erbschaftsteuer bei der Einkommensteuer ebenfalls nicht möglich (Kulosa in: Schmidt, 39. Auflage 2020, § 35b Rn. 2).
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2. Auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 35b EStG ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine Regelung zur Vermeidung einer Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer für den Streitfall geschaffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Mit der Einfügung des § 35b EStG wollte der Gesetzgeber zwar die Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer innerhalb eines Fünfjahreszeitraums abmildern. Er hat die Regelung aber bewusst an bestimmte ‒ hier nicht vorliegende ‒ Voraussetzungen geknüpft.
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a) § 35b Satz 1 EStG sieht lediglich die Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer vor.
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Nach der zu § 35a EStG ergangenen BFH-Rechtsprechung ist tarifliche Einkommensteuer der Steuerbetrag, der sich aus der Anwendung des Einkommensteuertarifs gemäß § 32a EStG auf das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG ergibt. Kapitalerträge nach § 32d Abs. 1 EStG und § 43 Abs. 5 EStG sind dabei nicht einzubeziehen (§ 2 Abs. 5b EStG). Kapitalerträge, die der Abgeltungsteuer unterliegen, können daher nicht nach § 35a EStG ermäßig werden (BFH-Beschluss vom 28.04.2020 VI R 54/17, BFHE 269, 15, BStBl II 2020, 544).
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Nichts anderes kann für die Ermäßigung nach § 35b Satz 1 EStG gelten, da auch diese Vorschrift auf die „tarifliche Einkommensteuer“ abstellt (ebenso BMF-Schreiben vom 18.01.2016, BStBl. I 2016, 85, Rz. 132; Kulosa in Schmidt, 39. Auflage 2020, § 35b Rn. 6).
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b) Der Senat geht nicht davon aus, dass der Gesetzgeber die Steuerermäßigung lediglich versehentlich nicht auf Kapitalerträge, die der Abgeltungsteuer unterliegen, erstreckt hat.
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Gegen eine unbewusste Regelungslücke spricht bereits, dass bei Einfügung des § 35b Satz 1 EStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 (BGBl. I 2008, 3018) das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, 1912), mit welchem die Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 EStG eingeführt wurde, bereits verabschiedet war.
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Zu beachten ist auch, dass mit § 35b EStG eine Doppelbelastung mit Erbschaft- und Einkommensteuer nur „verringert“ werden sollte (BT-Drs. 16/11107, Seite 25). Eine Verringerung schließt nicht aus, dass es in bestimmten Konstellationen zu einer Doppelbelastung kommt.
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Gegen eine sachliche Unbilligkeit spricht auch, dass der Abgeltungsteuersatz von 25 % häufig unter dem regulären progressiven Tarif liegen wird und damit die Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer weniger stark ins Gewicht fällt als bei anderen Einkünften (vgl. auch Michalowski, ErbStB 2018, 307, 309). Außerdem weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass im Falle einer positiven Günstigerprüfung der progressive Steuertarif und damit zugleich die Steuerermäßigung nach § 35b EStG Anwendung findet (§ 32d Abs. 6 EStG).
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Nichts anderes ergibt sich aus dem von den Klägern zitierten BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297. In dem dortigen Fall kam es zu einer Erhebung einer Einkommensteuerschuld von 102.332 DM, obwohl es bei den Steuerpflichtigen zu keinem Zuwachs an Leistungskraft gekommen war. Dagegen hat der Kläger im Streitfall durch die Veräußerung der Investmentanteile einen Zuwachs an Leistungsfähigkeit erfahren.
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3. Auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen ergibt sich keine sachliche Unbilligkeit.
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Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich aus der Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer nicht zwingend eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2015 1 BvR 1432/10, BFH/NV 2015, 1069). Auch nach der Rechtsprechung des BFH und herrschenden Literatur ist eine Doppelbelastung mit Schenkung-/Erbschaftsteuer und Einkommensteuer grundsätzlich unbedenklich, da es um unterschiedliche steuerauslösende Tatbestände geht (vgl. BFH-Urteile vom 17.02.2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641; vom 07.12.1990 X R 72/89, BStBl. II. 1991, 350; Seer, in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl 2020, § 35b Rn. 1 m. w. N.; Schulz, in Herrmann/Heuer/Raupach, 301. Lieferung Dezember 2020, § 35b Anm. 3 m. w. N.). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Wahl des Steuergegenstandes, also der Steuerquelle, einen weiten Gestaltungsspielraum. Mithin besteht auch kein Verfassungssatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt sein müssten, also etwa keine Lücken entstehen dürften bzw. mehrfache Belastungen vermieden werden müssten (BFH-Urteil vom 18.01.2011 X R 63/08, BFHE 232, 441, BStBl II 2011, 680).
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II. Persönliche Billigkeitsgründe sind weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich.
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III. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf einen Steuererlass nach § 227 AO. Aus den vorstehenden Gründen ist die Erhebung der Einkommensteuer nicht unbillig.
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Die Billigkeitskriterien sind im Regelungsbereich des § 163 AO die gleichen wie im Rahmen des § 227 AO, weil sich diese beiden Erlassvorschriften im Wesentlichen nur in der Rechtsfolgeanordnung, nicht aber in den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen unterscheiden (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.