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  • 23.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244403

    Oberlandesgericht München: Beschluss vom 19.09.2024 – 33 W 1507/24 e

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht München 

    Beschluss vom 19.09.2024


    Tenor:
    1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.08.2024, Az. 23 O 1097/24 Erb, wird zurückgewiesen.
    2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
    3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
    4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    1
    Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch hinsichtlich eines Miteigentumsanteils an einer Immobilie in M.

    2
    Der unverheiratete Erblasser J. N. M., zuletzt wohnhaft in K., ist am ...2023 verstorben. Bei der Antragstellerin handelt es sich um die ehemalige Lebensgefährtin des Erblassers, mit welcher dieser von 1982 bis 2009 eine nichteheliche Lebensgemeinschaft geführt hatte. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um die im Jahr 2008 gezeugte einzige Tochter des Erblassers.

    3
    Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.07.2024 (Anlage K 2) wurde die Antragsgegnerin von der Antragstellerin zur Vermächtniserfüllung hinsichtlich zweier Eigentumswohnungen in M. bis zum 20.08.2024 durch Erklärung der Auflassung, Abgabe der Eintragungsbewilligung und Herausgabe des Grundbesitzes aufgefordert. Ferner verlangte die Antragstellerin zur Sicherung des Anspruchs die unverzügliche Zustimmung zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch. Mit Schreiben vom 24.07.2024 (Anlage K 3) erklärte der Antragsgegnervertreter die Anfechtung des handschriftlichen Testaments vom 07.12.1994, eröffnet durch die Rechtspflegerin beim AG Kempten (Allgäu) - Nachlassgericht - am 27.11.2023, insbesondere der in diesem Testament enthaltenen Vermächtnisverfügungen zugunsten der Antragstellerin.

    4
    Die Antragstellerin trägt vor, der Erblasser habe am 07.12.1994 handschriftlich ein Testament (Anlage K 1) verfasst, im Rahmen dessen er ihr vermächtnisweise das Alleineigentum an einer Eigentumswohnung, namentlich einem 26,47/1000 Miteigentumsanteil an dem im Antrag näher bezeichneten Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an Wohnung und Keller Nr. 22 zugewandt habe. Die beiden Eigentumswohnungen in der S. Str. 119 habe der Erblasser während der Lebensgemeinschaft mit der Antragstellerin erworben, diese habe sich um diese Wohnungen gekümmert und im Namen des Erblassers möbliert vermietet. Die Antragstellerin und der Erblasser hätten miteinander gewirtschaftet und sich gegenseitig unterstützt. Im Jahr 2008 habe der Erblasser ein Verhältnis mit der Mutter der Antragsgegnerin in der Karibik unterhalten, aus welchem die Antragsgegnerin hervorgegangen sei. Die im Jahr 2009 erfolgte Trennung der Antragstellerin und des Erblassers habe hiermit jedoch nichts zu tun gehabt.

    5
    Mit Schriftsatz vom 03.08.2024 (Bl. 1/4 d.e-A.) beantragte die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung die Beantragung und Bewilligung der Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs der Antragstellerin auf Auflassung des im Grundbuch von M. Sch., Band 864, Blatt Nr. ..., Flurstück Nr. ..., S. Str. 119, eingetragenen 26,47/1000 Miteigentumsanteil an dem verzeichneten Grundstück verbunden mit Sondereigentum an Wohnung und Keller Nr. 22 durch die Antragsgegnerin. Mit Schriftsatz vom selben Tag wurde seitens der Antragstellerin Klage auf Erfüllung des Vermächtnisses beim Landgericht Kempten erhoben.

    6
    Mit Beschluss vom 05.08.2024 (Bl. 9/13 d.e-A.), der Antragstellerin zugestellt am 19.08.2024, wies das Landgericht den Antrag zurück mit der Begründung, dass ein Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 02.09.2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, im Rahmen derer sich die Antragstellerin darauf beruft, dass eine Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten nicht vorliege, nachdem die Antragsgegnerin ein erhebliches Vermögen erbe, und im Übrigen anzunehmen sei, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Vermächtnisanordnung getroffen haben würde. Der Erblasser habe aufgrund der bis zu seinem Tode andauernden persönlichen Verbundenheit mit der Antragstellerin auf jeden Fall gewollt, dass diese die Eigentumswohnung(en) in der S. Straße 119 nach seinem Ableben erhalte, unabhängig davon, ob er noch ein Kind bzw. Pflichtteilsberechtigte haben sollte.

    7
    Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 03.09.2024 (Bl. 18/22 d.e-A.) nicht abgeholfen und die Akten mit Verfügung vom selben Tag dem zuständigen Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    8
    Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 09.09.2024 (Bl. 24/25 d.e-A.) nochmals ausdrücklich die Anfechtung des Testaments vom 07.12.1994 aufgrund Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2079 S. 1 BGB erklärt.

    II.

    9
    Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen, da ein Verfügungsanspruch seitens der darlegungs- und beweisbelasteten Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht worden ist. Der Senat nimmt insoweit auf die ausführliche Begründung des Landgerichts in seinen Beschlüssen vom 05.08.2024 und 03.09.2024 Bezug und macht sich dessen Ausführungen zu eigen. Zu ergänzen ist lediglich Folgendes:

    10
    Ein Anspruch der Antragstellerin gem. § 2174 Abs. 1 BGB gegen die Anspruchsgegnerin auf Übertragung eines vermächtnisweise zugewandten Miteigentumsanteils in Höhe von ... am Flurstück Nr. ..., S. Str. 119, M., und damit auf Rechtsänderung iSv. §§ 883 Abs. 1, 885 Abs. 1 BGB, auf der Grundlage des handschriftlichen Testaments des Erblassers vom 07.12.1994 wurde nicht glaubhaft gemacht, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist angesichts ihrer eigenen Ausführungen eine wirksame Anfechtung des Testaments durch die Antragsgegnerin zum aktuellen Zeitpunkt jedenfalls nicht auszuschließen, so dass eine Vormerkungseintragung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ausscheidet.

    11
    1. Die Antragsgegnerin hat ausweislich Anlage K 3 und darüber hinaus erneut mit Schriftsatz vom 09.09.2024 binnen Jahresfrist (§ 2082 Abs. 1 BGB) wirksam gegenüber der Antragstellerin als Vermächtnisnehmerin (§ 143 Abs. 1 BGB) das handschriftliche Testament des Erblassers vom 07.12.1994 angefochten. Eine wirksame Anfechtungserklärung erfordert dabei nicht die Angabe eines (konkreten) Anfechtungsgrundes, wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat. Dessen ungeachtet hat die Antragsgegnerin ihre Anfechtung zwischenzeitlich - innerhalb der noch laufenden Anfechtungsfrist - aber auch ausdrücklich auf § 2079 S. 1 BGB gestützt (vgl. Bl. 24 d.e-A.).

    12
    2. Der Antragstellerin ist es angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht gezeugt war, nicht gelungen, durch die von ihr vorgelegten Unterlagen den Ausschluss eines Anfechtungsgrundes iSd. § 2079 BGB wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten überwiegend wahrscheinlich zu machen.

    13
    a) Gemäß § 2079 S. 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist.

    14
    aa) Die spätere Geburt eines Abkömmlings des Erblassers nach Errichtung des Testaments (Alt. 2) - wie vorliegend - stellt einen der klassischen Fälle des § 2079 BGB dar (BayObLG, Beschluss vom 11.12.1984, BReg. 1 Z 83, 84/84, FamRZ 1985, 534). Die Anfechtung nach § 2079 S. 1 BGB wegen Übergehens einer Person aus dem engen Kreis der Pflichtteilsberechtigten hat seinen Sinn in den typischerweise bestehenden engen familiären Bindungen des Erblassers zu seinen Abkömmlingen und Ehepartnern/eingetragenen Lebenspartnern, evtl. noch seinen Eltern, als ihm besonders nahestehende Personen. Hat der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Kenntnis über die spätere Existenz eines Abkömmlings, so hat er im Zweifel nur für die bereits vorhandenen Abkömmlinge bzw. den Ehepartner oder zugunsten seiner Eltern testiert. Maßgebendes Kriterium ist hier die Existenz eines neuen Menschen, der zu dem engen Kreis der dem Erblasser nahestehenden Personen als Pflichtteilsberechtigter gehört und dem Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht bekannt sein konnte (Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2079 Rn. 11).

    15
    bb) Ein Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Erblasser ihn nicht bedacht hat, aber auch nicht von der Erbfolge ausschließen wollte. Ein ungewolltes Ausschließen setzt dabei voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte weder enterbt noch als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht wurde (BayObLG, Beschluss vom 09.03.1995, 1 Z BR 19/95, FamRZ 1995, 1174; BayObLG, Beschluss vom 21.12.1993, 1 Z BR 49/93, NJW-RR 1994, 590). Der Erblasser muss den Pflichtteilsberechtigten unbewusst nicht bedacht haben. Der Ausschluss von der Erbschaft darf kein Resultat bewusster Willensbildung sein (BGH, Urteil vom 10.01.1983, VIII ZR 231/81, NJW 1983, 2247 ff., 2249). Ein bewusster Ausschluss von der Erbfolge liegt auch nicht bereits dann vor, wenn der später Pflichtteilsberechtigte allein deshalb nach dem Testament nichts erhält, weil andere darin bedacht sind. Vielmehr muss die Absicht des Erblassers bereits bei Testamentserrichtung irgendwie zum Ausdruck gekommen sein, dem später Pflichtteilsberechtigten nichts zuwenden zu wollen (BGH aaO; RG, RGZ 59, 60 ff., 62). Dementsprechend ist auch ohne Bedeutung, welches Vermögen der Pflichtteilsberechtigte - trotz seines Übergehens - letztlich erhält.

    16
    cc) Beim Vorliegen der genannten Voraussetzungen berechtigt gem. § 2079 S. 1 BGB bereits die bloße Unkenntnis des Erblassers von der Existenz eines Pflichtteilsberechtigten zur Anfechtung, ohne dass es auf die Kausalität zwischen Unkenntnis und letztwilliger Verfügung ankommt (Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 20). Danach wird im Gegensatz zur Testamentsanfechtung wegen Irrtums gem. § 2078 BGB von Gesetzes wegen als Regelfall vermutet, dass der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage den Pflichtteilsberechtigten nicht übergangen hätte (BayObLG, Beschluss vom 26.03.2004, 1 Z BR 114/03, NJW-RR 2005, 91 ff., 93; BayObLG, Beschluss vom 20.12.2000, 1 Z BR 133/00, ZEV 2001, 314 ff., 315).

    17
    Diese Vermutung entfällt jedoch gem. § 2079 S. 2 BGB, wenn und soweit ein entgegenstehender Erblasserwille festgestellt werden kann. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 2079 S. 2 BGB vorliegen, kommt es auf den zu ermittelnden hypothetischen Erblasserwillen im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung an (BGH, Urteil vom 13.05.1981, IVa ZR 171/80, NJW 1981, 1735 ff., 1736). Die Prüfung ist darauf zu richten, wie der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung verfügt haben würde, wenn er zwar hinsichtlich der Person des Pflichtteilsberechtigten die später eingetretene Sachlage richtig überblickt hätte, im Übrigen aber diejenigen Umstände auf sich hätte wirken lassen, die ihn zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung dazu bewogen haben (BGH aaO; BayObLG aaO). So kann zur Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens auch der Umstand herangezogen werden, dass der Erblasser das Testament "geflissentlich", also absichtlich hat weiter bestehen lassen, nach Kenntnis von dem Erbrecht des Pflichtteilsberechtigten (OLG Düsseldorf, 7 U 42/98, FamRZ 1999, 1024). Für die Annahme eines "geflissentlich Bestehenlassens" reicht allerdings die bloße Untätigkeit des Erblassers nicht aus, weil diese sich auch aus anderen Umständen, wie zB Vergessen oder körperliche Hinfälligkeit des Erblassers, ergeben kann (OLG Hamburg, 5 U 130/89, FamRZ 1990, 910 ff., 912).

    18
    b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass die Antragstellerin selbst sämtliche Voraussetzungen für einen Anfechtungsgrund der unstreitig erst weit nach Testamentserrichtung gezeugten Antragsgegnerin vorgetragen hat.

    19
    aa) Der Antragsgegnerin ist es insbesondere nicht - auch nicht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - gelungen, die Vermutung des § 2079 S. 1 BGB durch Glaubhaftmachung solcher Umstände, die nahe legen, dass der Erblasser die Verfügung auch bei Kenntnis der Sachlage getroffen haben würde, zu widerlegen. Denn die Antragstellerin hat insoweit lediglich ausgeführt, dass weder das Verhältnis mit der Mutter der Antragsgegnerin noch deren Zeugung und Geburt der Grund für ihre Trennung im Jahr 2009 gewesen seien. Vielmehr seien die Antragstellerin und der Erblasser auch über die folgenden Jahre bis zum Tod des Erblassers weiterhin freundschaftlich miteinander verbunden gewesen und hätten weiterhin guten Kontakt und ein enges Vertrauensverhältnis zueinander gehabt.

    20
    bb) Diesen Ausführungen kann nicht hinreichend entnommen werden, dass der Erblasser das gegenständliche Testament, welches er während der zu diesem Zeitpunkt gut zehn Jahre andauernden und noch intakten nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der Antragstellerin verfasst hatte, trotz der zwischenzeitlichen Beendigung dieser Lebensgemeinschaft und Geburt seiner - einzigen - Tochter, welche die gesetzliche Erbfolge maßgeblich veränderte, genau so getroffen haben würde. Die Ausführungen der Antragstellerin schließen gerade nicht aus, dass der Erblasser das Testament in der Folge lediglich vergessen oder dessen Widerruf/Vernichtung beabsichtigt, aber dessen Umsetzung hinausgeschoben hatte. Somit liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Erblasser das Testament "geflissentlich", also absichtlich hat weiter bestehen lassen.

    III.

    21
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO (vgl. Feskorn in: Zöller, ZPO, § 572 ZPO Rn. 22).

    22
    Der Wert des mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend gemachten Verfügungsanspruchs ist gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen.

    23
    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 574 Abs. 2 ZPO.