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  • 22.11.2024 · IWW-Abrufnummer 245016

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 01.10.2024 – 14 U 144/23

    1. Kann im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen der Wille des Erblassers in Hinblick auf die etwaige Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft (hier: in Abgrenzung zu einem Nießbrauchsvermächtnis) nicht zweifelsfrei festgestellt werden und greifen die Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB nicht ein, so geht dies zulasten dessen, der für sich die Rechte eines Nacherben in Anspruch nimmt.

    2. Bleibt bei der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen zweifelhaft, ob der wirkliche Wille des Erblassers auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge oder eines Nießbrauchsvermächtnisses gerichtet war, so spricht bei der Ermittlung seines mutmaßlichen Willens der Umstand für die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses, dass hierdurch der wiederholte Anfall von Erbschaftssteuer vermieden wird (im Anschluss an Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 01.04.1960 - BReg 1 Z 81/59, nicht amtlicher Leitsatz, juris).

    3. Konnte die zum Zeitpunkt der Testamtentserstellung verwitwete und kinderlose Erblasserin ihren - unterstellten - Willen, ihr Vermögen dauerhaft in der leiblichen Familie zu halten, sowohl durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft als auch Zuwendung eines Nießbrauchsvermächtnisses an ihren neuen Lebenspartner erreichen, weil zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre, so spricht die Jahre später erfolgte Eheschließung mit diesem Lebenspartner nicht ohne Weiteres für die Annahme einer Vor- und Nacherbschaft im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung. Ein hierauf - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung - gerichteter hypothetischer Wille ist für den Fall nicht zu ermitteln, dass die Erblasserin zunächst nicht mit einer Eheschließung rechnete und ihr später - zum Zeitpunkt der Eheschließung - bekannt war, dass damit ein gesetzliches Ehegattenerbrecht verbunden wäre.


    Oberlandesgericht Karlsruhe 

    Urteil vom 01.10.2024


    In dem Rechtsstreit
    B. ...,
    - Klägerin und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte
    gegen
    B. ...,
    - Beklagter und Berufungsbeklagter -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwältin

    wegen Feststellung

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 14. Zivilsenat - durch ... am 01.10.2024 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2024 für Recht erkannt:

    Tenor:
    1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 18.07.2023, Az. 5 O 168/22, wird zurückgewiesen.
    2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
    3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Freiburg sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
    4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.


    Gründe

    I.

    Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Vor- und Nacherbschaft.

    Der Beklagte ist der Witwer der am ... 1938 geborenen, am ... 2020 kinderlos verstorbenen Z. (im Folgenden: Erblasserin). Die Klägerin ist die Nichte der Erblasserin; ihre Mutter, die einzige Schwester der Erblasserin, ist im Jahr 2017 verstorben. Die Klägerin hat zwei Geschwister, R. und S.

    Der Beklagte und die Erblasserin heirateten am ... 2019 im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Zuvor hatten sie 27 Jahre eine nichteheliche Lebensgemeinschaft geführt. Davor war die Erblasserin in erster Ehe mit dem bereits 1989 verstorbenen Z. verheiratet, der ein Baugeschäft innehatte, dessen Büro und Buchhaltung die Erblasserin führte. Seit dem Tod ihres ersten Ehemanns und dem darauffolgenden Verkauf des Baugeschäfts lebte die Erblasserin von einer Witwenrente sowie ihrem eigenen Vermögen, welches sie - unter Zuhilfenahme steuerrechtlicher Beratung - selbst verwaltete. Zu diesem Vermögen gehören insbesondere zwei Wohnhäuser sowie landwirtschaftliche Flächen.

    Die Erblasserin, verfasste ein auf den 29.03.2011 datiertes, handschriftliches Testament mit dem folgenden Wortlaut:

    "Testament!

    Ich Z. geb. N. geb. am ... 38 vermache im Falle meines Todes meinem Lebensgefährten B. geb. am ... 42 solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen.

    R., den 29.03.11 Z."

    Der Erblasserin kam es hierbei darauf an, den Beklagten zu versorgen, damit dieser - wie sie einmal äußerte - "nicht unter der Brücke sitzen" müsse. Die sehr gläubige Erblasserin bewahrte das Testament bis zu ihrem Tod in ihrer Bibel auf.

    Außerdem erstellte die Erblasserin im Jahr 2011 eine Patientenverfügung, in die sie als entscheidungsbefugte Personen neben dem Beklagten auch die Klägerin aufnahm, zu welcher sie zu der Zeit ein enges Verhältnis pflegte.

    Anfang 2019 ließen sich die Erblasserin und der Beklagte bei dessen jetziger Prozessbevollmächtigten wegen einer Vorsorgevollmacht und einer Patientenverfügung sowie erbrechtlicher Fragen beraten. Daraufhin erstellte die Erblasserin eine neue Vorsorgevollmacht, in der der Beklagte und dessen Tochter S. als neue Bezugspersonen benannt wurden, während die Klägerin als Auskunftsperson geführt wurde. Darüber hinaus empfahl die Prozessbevollmächtigte des Beklagten ihren Mandanten die Heirat, die dann am ... 2019 erfolgte.

    In einem anlässlich Weihnachten verfassten Brief mit Datum 08.12.2019 (Anlage I B 4) äußerte die Klägerin ihren Schmerz darüber, keinen Platz mehr im Leben der Erblasserin zu haben. Gleichwohl fanden vor dem Tod der Erblasserin noch zumindest zwei Gespräche zwischen der Klägerin und der Erblasserin statt. Die Erblasserin verstarb am ... 2020.

    Der Beklagte beantragte beim Amtsgericht - Nachlassgericht - Lörrach zunächst den Erlass eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben der Erblasserin ausweisen sollte. Nach einem Hinweis des Nachlassgerichts, wonach die Verfügung der Erblasserin vom 29.03.2011 als Nießbrauchsvermächtnis zugunsten des Beklagten auszulegen sei, änderte der Beklagte seinen Erbscheinsantrag dahingehend, dass er selbst als Erbe mit einer Quote von 3/4 und die Klägerin sowie ihre beiden Geschwister mit einer Quote von je 1/12 als Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge auszuweisen seien. Mit Beschluss vom 12.03.2021 (Anlage I K 1) stellte das Nachlassgericht die für die Erteilung des Erbscheins gemäß dem geänderten Antrag des Beklagten erforderlichen Tatsachen fest.

    Die Beschwerde der Klägerin und ihrer Geschwister gegen diese Entscheidung wurde vom Senat mit Beschluss vom 06.07.2021 (14 Wx 87/21, Anlage I K 3) zurückgewiesen. Die Klägerin erhob hiergegen Anhörungsrüge, die der Senat mit weiterem Beschluss vom 08.03.2022 (Anlage I K 5) ebenfalls zurückwies. Am 05.05.2022 erteilte das Amtsgericht Lörrach den vom Beklagten beantragten Erbschein gemäß den genannten Erbquoten.

    Die Klägerin vertritt weiterhin die Ansicht, die Erblasserin habe im Testament vom 29.03.2011 Vor- und Nacherbschaft angeordnet und hat Klage auf Feststellung erhoben. Erstinstanzlich hat sie vorgetragen, das Testament der Erblasserin sei neben dem unstreitigen Willen, den Beklagten zu versorgen, von der Zielsetzung getragen gewesen, dass dieser sich nicht mit den Erben auseinandersetzen müsse. Vor allem aber sei es ein Kernanliegen der Erblasserin gewesen, dass die Landwirtschaft, die Immobilien und die Liegenschaften in ihrer leiblichen Familie verbleiben würden. Die Erblasserin habe dies in den letzten Jahren vor ihrem Tod immer wieder bekräftigt. So habe sie vor der Umschreibung eines Brennrechts auf den Sohn der Klägerin diesem gegenüber geäußert, dass er die Pacht mit der Klägerin klären solle, da diese die betreffende Fläche ohnehin erhalten werde. Darüber hinaus habe sie erklärt, dass ihr Haus einmal ihm gehören werde. Bei einem Gespräch mit der Klägerin im Juli 2019 über die bevorstehende Hochzeit habe die Erblasserin auf den Vorhalt der Klägerin, ob es der Familie des Beklagten nicht nur ums Geld gehe, wörtlich erklärt: "Da brauchst du keine Angst haben. E. soll nur versorgt sein. Das Vermögen soll in der Familie bleiben. Ich will nicht, dass das alles mal nach F. [dem Wohnsitz der Tochter des Beklagten] geht." Sowohl die Hochzeit als auch die neue Patientenverfügung aus dem Jahr 2019, deren Inhalt der Erblasserin gar nicht bewusst gewesen sei, seien nur auf Druck des Beklagten bzw. dessen Tochter erfolgt. Die Erblasserin sei auch nach der Heirat davon ausgegangen, dass dem Beklagten lediglich die Nutznießung an ihrem Vermögen zufallen solle und ihr Vermögen nach dessen Tod nicht in dessen Familie abwandern solle. Dementsprechend habe sie auch mehrfach geäußert, dass sich die erbrechtliche Situation des Beklagten durch die Heirat nicht geändert habe und das Vermögen nicht dessen Abkömmlingen zufallen solle. So habe die Erblasserin bei einem Besuch der Klägerin nach der Heirat mit ihr das Hochzeitsalbum durchgeblättert und dabei geäußert, dass "ihr meine Familie bleibt" und sie sowieso einmal alles bekommen würden. Ähnlich habe sich die Erblasserin in einem Gespräch mit der Tochter der Klägerin Weihnachten 2019 sowie mit der Klägerin selbst kurz nach Neujahr 2020 geäußert. Erstinstanzlich hat die Klägerin weiter die Ansicht vorgetragen, die Erblasserin habe vor diesem Hintergrund den Beklagten mit dem Testament vom 29.03.2011 als Alleinerben und nicht befreiten Vorerben vor den gesetzlichen Erben der Erblasserin als Nacherben eingesetzt. Dies ergebe die (ergänzende) Auslegung des - nach seinem Wortlaut offenen - Testaments.

    Der Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, die Klägerin habe die angeblichen Aussagen und Motive der Erblasserin sämtlich erfunden. Richtig sei lediglich, dass es der Erblasserin damals um die Versorgung des Beklagten gegangen sei. Der Erblasserin seien die erbrechtlichen Konsequenzen ihrer Heirat bewusst gewesen; sie habe diese auch gewollt. Das Verhältnis zur Klägerin, welche die Hochzeit aus Angst um ihr Erbe abgelehnt habe, sei zu diesem Zeitpunkt zerrüttet gewesen. Die Erblasserin und der Beklagte hätten nach ihrer Hochzeit eine erbrechtliche Regelung nach Maßgabe eines Berliner Testaments geplant. Zur Abfassung des Testaments auf Grundlage eines Entwurfs der Prozessbevollmächtigten des Beklagten sei es vor dem Tod der Erblasserin nicht mehr gekommen.

    Das Landgericht hat die auf Feststellung gerichtete Klage, der Beklagte sei Allein- und Vorerbe der Erblasserin, wobei Nacherbfolge zugunsten der gesetzlichen Erben der Erblasserin angeordnet worden sei, als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Erbrecht der Klägerin bestimme sich gemäß dem zutreffenden Erbschein des Amtsgerichts Lörrach vom 05.05.2022 nach der gesetzlichen Erbfolge, weil die Erblasserin keine hiervon abweichende Verfügung getroffen habe. Mit dem Testament vom 29.03.2011 habe die Erblasserin den Beklagten nicht zum (nicht befreiten) Vorerben bestimmt, sondern ihm ein Nießbrauchsvermächtnis an ihrem gesamten Vermögen gemäß § 1089 BGB eingeräumt. Dies ergebe die gebotene Auslegung des Testaments gemäß § 133 BGB. Dass der Beklagte nicht habe Vorerbe sein sollen, ergebe der im Testament verwendete Begriff "Nutzungsrecht". Damit sei gerade keine dingliche Vermögensinhaberschaft des Beklagten beabsichtigt gewesen. Auch fehle es an einer Regelung zur Nacherbfolge. Ein hiervon abweichender Wille der Erblasserin sei nicht feststellbar. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung habe kein Anlass für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft bestanden, weil im Erbfall die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre, was zum damaligen Zeitpunkt bis zur Heirat die Nichten und der Neffe der Erblasserin gewesen wären. Eine Regelung dazu, wem der Nachlass der Erblasserin nach dem Tod des Beklagten zufallen solle, sei im Testament nicht getroffen. Es habe auch keine Änderung des Testaments nach beziehungsweise im Zusammenhang mit der Heirat gegeben, obwohl die Erblasserin um die erbrechtlichen Folgen der Heirat gewusst habe. Ob die Erblasserin in den Jahren 2017 bis 2020 gegenüber ihren Verwandten tatsächlich wiederholt geäußert habe, dass ihr Vermögen in ihrer (leiblichen) Familie bleiben und nicht der Familie des Beklagten zufallen solle, könne dahinstehen. Die Erblasserin habe dies testamentarisch nicht umgesetzt. Möglicherweise habe sie sich gegenüber verschiedenen Beteiligten auch widersprüchlich geäußert, um Konflikten zu entgehen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

    Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese weiterhin die Feststellung begehrt, der Beklagte sei Allein- und Vorerbe, die gesetzlichen Erben der Erblasserin seien Nacherben. Zur Begründung ihrer Berufung führt sie im Wesentlichen aus, die angefochtene Entscheidung des Landgerichts basiere auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung der Grundsätze der Testamentsauslegung. Zudem sei der Sachvortrag der Klägerin nur unzureichend gewürdigt, entscheidungserhebliche Beweisangebote der Klägerin übergangen und Beweislastfragen fehlerhaft bewertet worden. Der Wortlaut des Testaments lasse sowohl ein Nießbrauchsvermächtnis als auch die Annahme einer Vor- und Nacherbschaft zu. Maßgeblich sei der Wille der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 29.03.2011. Dieser sei darauf gerichtet gewesen, dem Beklagten lediglich ein auf seine Lebenszeit beschränktes Nutzungsrecht an ihrem Vermögen beziehungsweise ihrem Nachlass einzuräumen, so dass die Vermögenssubstanz nach dem Tod des Beklagten in der leiblichen Familie der Erblasserin bleiben sollte. Zudem habe die Erblasserin dem Beklagten die mit der Einsetzung als (nicht befreiten) Vorerben gegenüber dem Nießbrauch stärkere - dingliche - Stellung verschaffen wollen, um diesem etwaige Auseinandersetzungen mit ihrer Familie zu ersparen. Die Eheschließung habe zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht im Raum gestanden. Die Erblasserin habe ihren ursprünglichen Willen, den Beklagten lediglich zu Lebzeiten versorgt zu wissen, auch nicht geändert, so dass sie weiterhin von dem - aus ihrer Sicht bereits im Testament vom 29.03.2011 geregelten - Übergang der Vermögenssubstanz an ihre leibliche Familie ausgegangen sei. Dafür sprächen auch ihre Äußerungen bis kurz vor ihrem Tod sowie der Umstand, dass sie das genannte Testament in ihrer Bibel aufbewahrte. Darüber hinaus sei der Beklagte in keiner Weise an der Entstehung des Nachlassvermögens beteiligt gewesen und selbst gut situiert. Die Erblasserin habe - entgegen der fehlerhaften Würdigung des Landgerichts - bis zu ihrem Tod ein vertrauensvolles Verhältnis zur Klägerin gehabt.

    Die Klägerin beantragt:

    Das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 18.07.2023 (Az.: 5 O 168/22) wird aufgehoben.

    Es wird festgestellt, dass die am ... 1938 geborene Erblasserin Z., geb. N., verstorben am ... 2020 (zuletzt wohnhaft: ...) beerbt wurde von Herrn B., ... als Alleinerbe.

    Es ist Nacherbfolge angeordnet. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben B. ein. Nacherben sind diejenigen Personen, welche zum Zeitpunkt des Todes des Vorerben B. die gesetzlichen Erben der Erblasserin Z. (verstorben ... 2020) sein würden.

    Der Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Beklagte trägt vor, dass die Erblasserin vorgehabt habe, mit dem Beklagten ein gemeinsames Testament zu errichten. Dies ergebe sich aus dem an beide gerichteten anwaltlichen Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 17.06.2019, welches in der Berufung erstmals vorgelegt wird (Anlage II B 4). Im Übrigen verteidigt der Beklagte das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und teilweiser Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.

    Der Senat hat die Klägerin und die Tochter des Beklagten als dessen Vertreterin in der mündlichen Verhandlung am 02.07.2024 persönlich angehört. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird verwiesen.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt beider Instanzen ergänzend Bezug genommen.

    II.

    Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

    Der Klägerin steht die begehrte Feststellung nicht zu. Nach der maßgeblichen gesetzlichen Erbfolge ist gemäß §§ 1925, 1931 Abs. 1, 1371 BGB der Beklagte Erbe zu 3/4, die Klägerin - neben weiteren am Rechtsstreit nicht beteiligten Personen - Erbin zu 1/12 geworden. Dass die Erblasserin in ihrem Testament vom 29.03.2011 demgegenüber die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft getroffen hätte, hat die Klägerin nicht bewiesen.

    1. Bei der Auslegung eines jeden Testaments ist gemäß § 133 BGB der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Zur Ermittlung des wirklichen Willens ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Umstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 07.10.1992 - IV ZR 160/91, Rn. 10, juris).

    Der Wortlaut der Verfügung von Todes wegen ist relevant als erster Ansatzpunkt für die Auslegung, wenn dieser auch - mit Blick auf das maßgebliche Ziel der Feststellung des wirklichen Willens - nicht die Grenze der Auslegung bildet (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 05.02.1997 - 1Z BR 180/95, Rn. 39, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.11.2020 - 8 W 359/20, Rn. 18, juris; MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, § 2084 Rn. 11; BeckOGK/Küpper, BGB, Stand: 01.07.2024, § 2100 Rn. 67). Entscheidend ist im Ergebnis nicht der Sinn der Worte im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern die Bedeutung, die der Erblasser ihnen zumisst (BGH, Urteil vom 07.10.1992 - IV ZR 160/91, Rn. 10, juris; MüKoBGB/Leipold, a. a. O., § 2084 Rn. 12). Dabei ist insbesondere bei der Auslegung juristisch (scheinbar) eindeutiger Begriffe Vorsicht geboten. Soweit diese von Laien verwendet werden, können sie eine andere Bedeutung aufweisen als ihr juristischer Sinngehalt (MüKoBGB/Leipold, a. a. O., § 2084 Rn. 41).

    In zeitlicher Hinsicht können die zu berücksichtigenden Umstände vor und nach der Testamentserrichtung liegen. Maßgeblich ist aber immer der Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Deshalb können spätere Umstände nur insoweit berücksichtigt werden, als sie Aufschluss über den Willen zum - früheren - Zeitpunkt der Testamentserrichtung geben (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 23.05.1995 - 1 Z BR 128/94, Rn. 20, juris; Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Aufl. 2024, § 2084 Rn. 2). Erst dann, wenn trotz Auswertung aller Umstände die Bildung der Überzeugung von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht möglich ist, hat das Gericht zu ermitteln, was dem Erblasserwillen - wiederum zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserstellung - mutmaßlich am ehesten entspricht, das heißt was der Erblasser vernünftigerweise gewollt haben kann (BGH, Urteil vom 07.10.1992 - IV ZR 160/91, Rn. 11, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 25.06.2015 - 1 U 663/14, Rn. 15, juris; Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2084 Rn. 2). Sollte danach feststehen, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung einen für seine Testierung an sich maßgeblichen Umstand nicht berücksichtigt oder dessen Entwicklung nicht vorhergesehen hat und dadurch eine (Regelungs-)Lücke in der Testierung besteht, ist im Rahmen der ergänzenden Auslegung der hypothetische Wille des Erblassers zu ermitteln und die Lücke unter Berücksichtigung dieses hypothetischen Willens zu schließen (BeckOGK/Gierl, BGB, Stand: 01.09.2024, § 2084 Rn. 90 ff.).

    In Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Nießbrauch und Vorerbschaft enthält das Gesetz keine Auslegungs- oder Vorrangsregelung (BeckOGK/Küpper, BGB, Stand: 01.07.2024, § 2100 Rn. 84). Die Abgrenzung kann nicht allein anhand der vom Erblasser verwandten Terminologie vorgenommen werden; die Begriffe Vor- und Nacherbe müssen, um die entsprechenden Rechtsfolgen herbeizuführen, nicht gebraucht werden (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 09.08.2001 - 1 Z BR 29/01, Rn. 32, juris; MüKoBGB/Leipold, a. a. O., § 2084, Rn. 42). Die Wendung beispielsweise "gehört Dir, solange Du lebst" als Zusatz zu einer Zuwendung braucht nicht als Anordnung der Vor- und Nacherbschaft auszulegen zu sein, wenn damit das Ziel der wirtschaftlichen Absicherung zum Ausdruck gebracht werden sollte und die Verfügungsbeschränkungen eines Vorerben nicht gewollt waren (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25.03.1999 - 1 Z BR 102/98, Rn. 30, juris; MüKoBGB/Leipold, a. a. O., § 2084 Rn. 42). Jedoch müssen bei einer bestimmten Wortwahl zusätzliche Umstände vorliegen, die auf ein abweichendes Verständnis von verwendeten Rechtsbegriffen schließen lassen (MüKoBGB/Lieder, a. a. O., § 2100 Rn. 21). Von dem Nießbrauch ist die Stellung als Vorerbe grundsätzlich danach abzugrenzen, inwieweit der Bedachte sogleich dinglicher Vermögensinhaber und "Herr" des Nachlasses mit einer Verfügungsbefugnis sein soll, weil dem Nießbraucher eine solche kraft Gesetzes nicht zukommt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.03.2021, I-3 Wx 197/20, Rn. 16, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 07.11.1980, 1 Z 64/80, Rn. 42, juris; BeckOGK/Küpper, a. a. O., § 2100 Rn. 85 mit Nachweisen zur hierzu ergangenen älteren Rechtsprechung). Entscheidend ist zudem, ob der Erblasser einen zweimaligen Anfall der Erbschaft gewollt hat (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 09.08.2001 - 1 Z BR 29/01, Rn. 32, juris).

    Die Auslegung eines Testaments selbst ist Rechtsanwendung, nicht jedoch die Feststellung der ihr zugrunde zu legenden Tatsachen. Für diese Tatsachenfeststellung gelten die allgemeinen Beweisregeln. Im Zivilprozess trägt die Beweislast derjenige, der aus einer behaupteten Tatsache in Verbindung mit einer bestimmten Auslegung Rechte für sich herleitet (BeckOK/Litzenburger, BGB, Stand: 01.08.2024, § 2084 Rn. 55). Kann der Wille des Erblassers in Hinblick auf die etwaige Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nicht zweifelsfrei festgestellt werden und greifen die Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB nicht ein, so geht dies zulasten dessen, der für sich die Rechte eines Nacherben in Anspruch nimmt (BeckOGK/Küpper, BGB, Stand: 01.07.2024, § 2100 Rn. 67).

    2. Nach den genannten rechtlichen Maßstäben hat die beweisbelastete Klägerin nicht bewiesen, dass die Erblasserin mit der letztwilligen Verfügung vom 29.03.2011 Vor- und Nacherbschaft anordnen wollte.

    a) Der von der Erblasserin gewählte Wortlaut lässt beide Auslegungen zu, das heißt die Erblasserin kann damit sowohl die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses als auch die Einsetzung des Beklagten als Vorerben gemeint haben.

    Die im Testament verwendete Formulierung "vermache ich" deutet nach der juristischen Terminologie auf ein Vermächtnis (als Substantiv des Verbs vermachen) hin. Allerdings kann bei der Erblasserin als juristischer Laiin nicht vorausgesetzt werden, dass sie dem Wort "vermachen" nur die Bedeutung des Vermächtnisses und nicht dem Vererben beigemessen hat.

    Die Formulierung "solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen" spricht gemessen an juristischer Fachterminologie für ein Nießbrauchsvermächtnis. Das Recht zur Nutzungsziehung ist nach der in § 1030 BGB enthaltenen Legaldefinition gerade das Wesen eines Nießbrauchs. Andererseits dürfte ein Laie damit keine eindeutige Abgrenzung zur Einsetzung eines (nicht befreiten) Vorerben gemeint haben, sofern nicht weitere Anhaltspunkte für eine solche Abgrenzung sprechen. Der nicht befreite Vorerbe ist in seiner Verfügungsmacht stark eingeschränkt und in seiner Stellung dem Nießbrauchsberechtigten angenähert (MüKoBGB/Lieder, a. a. O. § 2100 Rn. 6). Die fehlende Benennung von Nacherben im Testament vom 29.03.2011 steht der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft ebenso wenig entgegen; Nacherben wären gemäß § 2104 Satz 1 BGB in diesem Fall die gesetzlichen Erben der Erblasserin.

    b) Die - sicher feststellbaren - Umstände außerhalb des Testaments geben ebenfalls keinen Aufschluss auf einen entsprechenden Willen der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, den Beklagten als Vorerbe einzusetzen.

    aa) Dies gilt zunächst in Hinblick auf die unstreitige Zielsetzung der Erblasserin, wonach der Beklagte zu Lebzeiten versorgt sein sollte. Diese Zielrichtung lässt sich mit dem Nießbrauchsvermächtnis ebenso verwirklichen wie mit der Anordnung einer (verfügungsbeschränkten) Vorerbschaft.

    bb) Was die - streitige - Zielsetzung der Erblasserin, das Vermögen in ihrer leiblichen Familie zu halten, angeht, kann diese - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung - unterstellt werden. Genau dieses Ziel wird mit der bloßen Einräumung eines Nießbrauchsvermächtnisses erreicht. Denn zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung kamen lediglich Mitglieder der leiblichen Familie der Erblasserin als gesetzliche Erben in Betracht. Eine Erbeinsetzung - auch mit Vorerbschaft - war insofern nicht erforderlich.

    cc) Ein Wille der Erblasserin und daraus folgend eine entsprechende Anordnung im Testament, der Beklagte solle eine stärkere Rechtsposition als ein durch Nießbrauchsvermächtnis vermitteltes Nutzungsrecht erhalten, lässt sich nicht feststellen. Die Stellung des Vorerben ist gegenüber dem mittels Nießbrauchs Nutzungsberechtigten insofern stärker, als der Vorerbe sogleich die Verfügungsgewalt über das Vermögen - wenn auch mit den Beschränkungen des nicht befreiten Vorerben - erhält. Dass aber die Erblasserin tatsächlich das Bedürfnis und den Willen hatte, den Beklagten gegenüber den erbenden Familienmitgliedern mit einer solch stärkeren Rechtsposition zu versehen, hat die Klägerin nicht bewiesen.

    Die von der Klägerin hierfür vorgebrachte Äußerung des Beklagten in der Anhörung des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Lörrach - vom 03.02.2021 (vgl. dort AS 154) ist kein Indiz hierfür. Der Beklagte hat im Rahmen dieser Anhörung in Bezug auf Gespräche mit der Erblasserin berichtet, ihr Wunsch sei es gewesen, dass er (der Beklagte) nicht eines Tages unter der Brücke sitzen müsse. Die Erblasserin habe nur gesagt, es sei ein Testament vorhanden; über dessen Inhalt habe sie jedoch nicht gesprochen. Bei dem von der Klägerin bemühten Zitat des Beklagten im Rahmen der persönlichen Anhörung "er könne das Vermögen verwalten, er sei damit versorgt, er habe wenigstens etwas in der Hand. Er habe gedacht, er müsse sonst niemanden fragen" handelt es sich um die eigenen Gedanken des Beklagten zu dem Zeitpunkt, als dieser das Testament - nach Eintritt des Erbfalls und damit circa neun Jahre nach dessen Erstellung - aufgefunden und erstmals gelesen hat. Den protokollierten Angaben des Beklagten zufolge handelt es sich um sein eigenes Verständnis der Verfügung der Erblasserin. Der Schluss, dieses Verständnis sei nur durch die Kundgabe eines entsprechenden Willens der Erblasserin erklärbar, ist nicht zwingend. Es kann sich um eine Einschätzung handeln, die der Beklagte persönlich und ohne Einfluss der Erblasserin getroffen hatte. Ebenso ist möglich und sogar lebensnah, dass sich die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments lediglich vorstellte, der Beklagte solle ihr Vermögen lebzeitig nutzen dürfen und sich über die technische Umsetzung (Einräumung eines Nießbrauchs durch Bestellung seitens der Erben oder Stellung als Vorerbe) keine Gedanken machte. Gerade der Gesichtspunkt, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments ihr Vermögen im Ergebnis, sei es im Wege der gesetzlichen Erbfolge, sei es - der Vorstellung der Klägerin folgend - durch Bestimmung von Nacherben, ihren leiblichen Verwandten vererbte, spricht für ihr grundsätzliches Vertrauen in diese. Umgekehrt liegt ein Misstrauen der Erblasserin dahingehend fern, der Anspruch des Beklagten auf Vermögensnutzung müsse mit Blick auf die leibliche Familie der Erblasserin besonders gesichert werden. Befürchtete Streitigkeiten zwischen der leiblichen Familie und dem Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen herrscht bis heute kein Streit darüber, dass dem Beklagten die Nutzung des Vermögens zustehen solle - diesen Willen der Erblasserin akzeptiert die Klägerin durchgängig bis heute. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb die Erblasserin ein dahingehendes Bedürfnis gesehen, einen entsprechenden Willen gehabt und infolgedessen eine Verfügung dahingehend getroffen haben sollte, den Beklagten durch Einräumung der formal stärkeren Position des Vorerben gegenüber ihrer leiblichen Familie absichern zu müssen.

    c) Der mutmaßliche Wille der Erblasserin spricht gegen die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft. Bleibt bei der Auslegung des Testaments zweifelhaft, ob der wirkliche Wille auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge oder eines Nießbrauchsvermächtnisses gerichtet war, so spricht bei der Ermittlung seines mutmaßlichen Willens der Umstand für die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses, dass hierdurch der wiederholte Anfall von Erbschaftssteuer vermieden wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 01.04.1960 - BReg 1 Z 81/59, nicht amtlicher Leitsatz, juris; MüKoBGB/Lieder, a. a. O., § 2100 Rn. 21 f.; Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2100 Rn. 6; Staudinger/Avenarius, BGB, 2019, § 2100 Rn. 23). Im Fall angeordneter Vor- und Nacherbschaft wird der gesamte Nachlass zweimal besteuert, nämlich einmal zum Zeitpunkt des Eintritts des Vorerbfalls und ein zweites Mal beim Eintritt des Nacherbfalls. Nach § 6 Abs. 1 ErbStG gilt der Vorerbe als Erbe; nach Abs. 2 haben bei Eintritt der Nacherbfolge diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Besteuerung des Vorerben erfolgt unabhängig von den Beschränkungen durch das Nacherbenrecht; auferlegte Beschränkungen können steuerrechtlich nicht als Last abgezogen werden und rechtfertigen keine niedrigere Bewertung (BFH, Beschluss vom 28.06.2023 - II B 79/22, Rn. 14, juris; BeckOK ErbStG/Hinkers, Stand: 01.04.2024, § 6 Rn. 42 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserstellung hätte der Beklagte den Nachlass als Vorerbe voll zu versteuern gehabt, zudem - als unverheirateter Lebenspartner der Erblasserin - mit der erbschaftssteuerrechtlich ungünstigsten Steuerklasse sowie dem steuerrechtlich geringsten Freibetrag. Der Nachlass wäre somit bereits zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin (Vorerbfall) ganz erheblich durch Steuerlast dezimiert worden, um dann zum Zeitpunkt des Versterbens des Beklagten (Nacherbfall) durch weiteren Anfall der Steuer ein weiteres Mal verringert zu werden. Eine steuerlich günstige Konstellation wird - jedenfalls bei dem hier vorliegenden sehr werthaltigen Nachlass - durch Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses ermöglicht. Der Wert des Nießbrauchsvermächtnisses ist hier deutlich geringer als der des gesamten Nachlasses; mithin auch die Steuerlast. Dann liegt es aber nahe, dass die Erblasserin - die lange Jahre im Baugeschäft ihres verstorbenen ersten Ehemanns mit der Buchhaltung betraut war, mithin eine aktive Rolle im Wirtschaftsleben innehatte und danach eigenverantwortlich ein beträchtliches Vermögen verwaltete - vernünftigerweise die - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserstellung - steuerlich günstigere Gestaltung gewählt hätte. Etwas anderes gilt nicht bei der Annahme, die steuerehrliche Erblasserin habe stets Steuern bezahlt, da sich dies bei lebensnaher Betrachtung auf die notwendig zu entrichtenden Abgaben bezogen haben dürfte.

    3. Eine ergänzende Testamentsauslegung kommt unter der Annahme in Betracht, dass die Erblasserin zur Zeit der Abfassung des Testaments im Jahr 2011 die Heirat im Jahr 2019 nicht bedacht und - im Falle des Bedenkens dieses Umstands - nicht die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses ohne Erbfolgeregelung mit der Konsequenz der gesetzlichen Erbfolge, sondern eine Verfügung im Sinne der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft getroffen hätte. Ein solches Auslegungsergebnis ist jedoch mangels Feststellung eines entsprechenden hypothetischen Willens nicht anzunehmen. Ein hypothetischer Wille dahingehend, dass auch im Falle der Heirat des Beklagten allein die der leiblichen Familie der Erblasserin entstammenden gesetzlichen Erben nach dem Beklagten im Wege der Nacherbfolge bedacht werden sollen, ist nicht feststellbar.

    a) Gegen die Annahme eines solchen hypothetischen Willens spricht, dass die Erblasserin gewusst hat, dass mit der Eheschließung nunmehr auch der Beklagte als gesetzlicher Erbe berufen sein würde. Vor dem Hintergrund des im Berufungsverfahren vorgelegten Schreibens der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 17.06.2019 (Anlage B4) ist von der generellen Kenntnis der Erblasserin auszugehen, dass der Beklagte mit der Heirat als gesetzlicher (Mit-) Erbe neben Mitgliedern ihrer leiblichen Familie berufen sein würde. Es entspräche im Übrigen auch der Lebenserfahrung, dass eine zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung 72jährige, zum Zeitpunkt der Heirat 79jährige Frau, die in der Vergangenheit die Buchhaltung eines Baugeschäfts geführt hat und anschließend erhebliches Vermögen eigenständig verwaltete, grundsätzlich weiß, dass eine Eheschließung erbrechtliche Folgen hat. Dass die Erbquote des Ehegatten im genannten Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Beklagten unzutreffend beziffert ist, ändert nichts an der grundsätzlichen Kenntnis der Erblasserin vom Ehegattenerbrecht. Auch unter der Annahme, die Erblasserin sei von einer falschen - zu niedrigen - Erbquote des Beklagten ausgegangen, lässt sich nicht der hypothetische Wille folgern, den Beklagten trotz Heirat lediglich als beschränkten Vorerben einzusetzen. Vor dem Hintergrund der - sicher anzunehmenden - grundsätzlichen Kenntnis des Ehegattenerbrechts kann dahinstehen, wie detailliert die Erblasserin in Hinblick auf erbrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten beraten oder informiert war und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie etwaige Änderungen - zum Beispiel der Abfassung eines gemeinsamen Testaments in der Form des so genannten Berliner Testaments - in Erwägung zog. Insoweit ist entscheidend, dass die Beklagte ihr ursprüngliches Testament, welches keine Erbeinsetzung enthielt, in der Zeit zwischen Eheschließung am ... 2019 und ihrem Tod am ... 2020 nicht geändert hat. Vor diesem Hintergrund sind auch die Ausführungen der Klägerin zu etwaigen widersprüchlichen Angaben des Beklagten, was die genaue Abfolge der erbrechtlichen Beratungen und etwaige Pläne zur Abfassung eines neuen - einzelnen oder gemeinsamen - Testaments nicht geeignet, die - tatsächliche, mutmaßliche oder ergänzende - Auslegung des bestehenden Testaments gerade im Sinne einer Vor- und Nacherbeneinsetzung schlüssig zu begründen.

    b) Gegen die Annahme, die Erblasserin hätte - hypothetisch im Wissen um die spätere Heirat - ausschließlich an Mitglieder ihrer leiblichen Familie vererben wollen, weil ihr letztere näher gestanden hätte als die Familie des Beklagten, sprechen die Neuabfassungen der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht der Erblasserin im Jahr 2019. In der Patientenverfügung hat die Erblasserin die Tochter des Beklagten als Bezugsperson und die Klägerin entgegen einer früheren Patientenverfügung aus dem Jahr 2011 nunmehr nur noch als Auskunftsperson eingesetzt. In der Vorsorgevollmacht hat sie den Beklagten und dessen Tochter als Bevollmächtigte eingesetzt.

    Die Neuabfassungen sind - wie bereits das Landgericht zutreffend gefolgert hat - ein Indiz dafür, dass sich die Erblasserin der Familie des Beklagten zumindest auch zugewandt fühlte. Ob hierbei eine Beeinflussung durch den Beklagten oder dessen Tochter eine Rolle spielte, mag dahinstehen. An der freien Willensbildung der Erblasserin in Hinblick auf Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sowie die grundsätzliche Möglichkeit, die leibliche Familie als Erben einzusetzen, bestehen - sowohl nach dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin als auch nach deren Erklärungen im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht - keine Zweifel.

    c) Ein Wille der Erblasserin, den Nachlass durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft auf Dauer und trotz der zwischenzeitlichen Heirat der leiblichen Familie zuzuwenden, lässt sich auch nicht vor dem Hintergrund der von der Klägerin behaupteten Äußerungen der Erblasserin ihr gegenüber folgern.

    aa) Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Klägerin und der Erblasserin mit Blick auf die Heirat des Beklagten gekommen. Die Klägerin hat gegenüber der Erblasserin den Verdacht geäußert oder zumindest die Frage formuliert, ob es der Familie des Beklagten nicht nur um das Vermögen der Erblasserin gehe. Die behauptete Versicherung der Erblasserin dahingehend, sie wolle den Beklagten lediglich versorgt wissen, vererbe ihr Vermögen aber der ihr näher stehenden leiblichen Familie, kann vor diesem Hintergrund eine Beschwichtigung gewesen sein, um nicht weiter dem Konflikt ausgesetzt zu sein. Wie das Landgericht zutreffend in diesem Zusammenhang angeführt hat, hat es sich bei den von der Klägerin im Rahmen der informatorischen Anhörung geschilderten Gespräche über die im Jahr 2019 neu aufgesetzte Patientenverfügung (vgl. Protokoll vom 20.04.2023) ebenso zugetragen und der Inhalt dieser Verfügung stimmte nicht mit den Schilderungen der Erblasserin gegenüber der Klägerin überein.

    bb) Darüber hinaus sind die behaupteten Äußerungen der Erblasserin in Hinblick auf die ihr näher stehende eigene leibliche Familie wirksam bestritten und nicht bewiesen.

    (1) Der Beklagte hat sich gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ausreichend substantiiert zu dem Vortrag der Klägerin erklärt. Der Beklagte hat seinen Vortrag insgesamt nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränkt. Vielmehr hat er im Verlauf des Verfahrens sowohl schriftsätzlich als auch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der Verhandlung vom 20.04.2023 (vgl. Protokoll vom 20.04.2023) in Bezug auf die von ihm wahrgenommenen und erinnerten Gespräche sowie Überlegungen zu möglichen Erbgestaltungen der Erblasserin konkret vorgetragen. Darin eingebettet ist das Bestreiten insbesondere der angeblichen Äußerungen der Erblasserin, wonach ihr Vermögen in ihrer leiblichen Familie bleiben solle, ausreichend substantiiert.

    (2) Eine förmliche Parteivernehmung der Klägerin hierzu - ein Antrag auf Vernehmung des Beklagten ist nicht gestellt - hat bereits deshalb zu unterbleiben, weil das gemäß § 447 ZPO erforderliche Einverständnis des Beklagten nicht vorliegt.

    (3) Eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen B. ist nicht angezeigt. Der Vortrag, die Erblasserin habe gegenüber dem Sohn der Klägerin B. im Zuge von Gesprächen über den Neuabschluss eines Pachtvertrages über Grünland, ein Brennereigebäude und ein Brennrecht vom 01.10.2017 geäußert "Die Pacht klärst du mit ... [der Klägerin], sie bekommt die Fläche ja sowieso und ich brauche das Geld nicht mehr", kann als wahr unterstellt werden, so dass eine Vernehmung des Zeugen nicht zu erfolgen brauchte. Ein Willen der Erblasserin, deswegen ihr Vermögen über die Nacherbschaft auch im Falle der Eheschließung nur ihrer leiblichen Familie zu vererben, lässt sich daraus nicht ableiten. Am 01.10.2017 und bis zur Heirat im Jahr 2019 hätte noch ausschließlich die leibliche Familie der Erblasserin mangels Erbeinsetzung als gesetzliche Erben geerbt. Eine später - mit der Eheschließung - geänderte Willensbildung ist damit möglich, wonach auch der Ehegatte und dessen Abkömmlinge erben sollten.

    (4) Eine Vernehmung des Direktors des Amtsgerichts Müller als Zeuge ist ebenfalls nicht erforderlich. Dass der Beklagte Angaben wie in der Niederschrift vom 03.02.2021 (vgl. Nachlassakten des Amtsgerichts Lörrach - Nachlassgericht, Az. 23 VI 549/20, Bd. I, AS 153) festgehalten, gemacht hat, ist schon nicht bestritten. Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, kann aber auch bei der Annahme etwaiger Widersprüche des Beklagten ein Willen der Erblasserin, wie ihn die Klägerin behauptet, nicht festgestellt werden.

    d) Aus dem Umstand, dass das Vermögen der Erblasserin - zumindest in Teilen - ererbtes Vermögen der leiblichen Familie ist und jedenfalls nicht vom Beklagten herrührt oder auf gemeinsamer Anstrengung mit diesem beruht, lässt sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen und ohne weitere hinzukommende Anhaltspunkte nicht der Wille schließen, die Erblasserin habe ihre leibliche Familie als Nacherben einsetzen wollen. Dasselbe gilt mit Blick darauf, dass der Beklagte sowie dessen Familie über eigenes beträchtliches Vermögen verfügen.

    e) Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft folgt schließlich nicht daraus, dass ein dem Beklagten zugewendetes Nießbrauchsvermächtnis mit der Heirat des Beklagten und dessen Stellung als gesetzlicher Miterbe seinen Sinn verlöre. Dem Beklagten wird unter der Annahme, er sei gesetzlicher Miterbe und Vermächtnisnehmer in Bezug auf den Nießbrauch am Nachlass eine Auseinandersetzung in Hinblick auf die ihm am gesamten Nachlass zustehende Nutzungsziehung erspart. Eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bedarf es hier nicht, um dem Beklagten die Nutzung vollumfänglich zu ermöglichen. Auch technisch schließen sich Nießbrauchsvermächtnis und gleichzeitige Miterbenstellung nicht aus. So kann ein Nießbrauch auch an einem eigenen Grundstück bestellt werden; der Nachweis eines berechtigten Interesses an der Bestellung ist hierfür nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 14.07.2011 - V ZB 271/10, juris, Rn. 7). Dies gilt für einen Nießbrauch in Bezug auf einen Nachlass gleichermaßen.

    f) Nach all dem ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin den Beklagten in ihrem Testament vom 29.03.2011 enterben wollte.

    g) Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz der Klägerin vom 23.09.2024 gibt keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, § 156 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, § 296a ZPO. Die rechtlichen Ausführungen wurden erwogen.

    III.

    Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Gründe, die für eine Zulassung der Revision sprachen, sind nicht ersichtlich.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 133 BGB, § 2101 BGB