09.10.2008 · IWW-Abrufnummer 083120
Bundesfinanzhof: Urteil vom 01.07.2008 – II R 2/07
Hat der Schenker im Verhältnis zum Beschenkten die geschuldete Steuer selbst übernommen und war dies dem FA bei Erlass des Schenkungsteuerbescheids bekannt, erfordert die Inanspruchnahme des Bedachten eine Begründung der getroffenen Auswahlentscheidung, es sei denn, die Gründe sind dem Bedachten bekannt oder für ihn ohne weiteres erkennbar.
Gründe:
I.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 21. Dezember 1998 übertrug L Teilgeschäftsanteile an mehreren Kapitalgesellschaften an seine beiden damals minderjährigen Kinder, die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihren jüngeren Bruder, unter der Auflage, diese in eine zugleich errichtete Gesellschaft bürgerlichen Rechts einzulegen. Gemäß § 5 Nr. 2 des Schenkungsvertrages übernahm L die aufgrund des Vertrages geschuldete Schenkungsteuer. In der für die Klägerin abgegebenen Schenkungsteuererklärung gab er an, dass die Schenkungsteuer von ihm getragen werde.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Klägerin durch wiederholt geänderte Bescheide Schenkungsteuer fest.
Die Klägerin wandte sich mit Einspruch und Klage zunächst lediglich gegen die Steuerberechnung des FA. Zuletzt beantragte sie, die ergangenen Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, da ihre Heranziehung zur Schenkungsteuer ermessensfehlerhaft sei.
Das Finanzgericht (FG) folgte dieser Ansicht und gab der Klage deshalb statt. Hiergegen richtet sich die Revision des FA.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, dass der angefochtene Schenkungsteuerbescheid sowie die vorangegangenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung rechtswidrig sind, weil das FA die Festsetzung der Schenkungsteuer gegen die Klägerin statt gegen L darin nicht begründet hat.
1. Sowohl Schenker als auch Beschenkter schulden gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) die Schenkungsteuer und sind daher Gesamtschuldner nach § 44 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Jeder der Gesamtschuldner schuldet die gesamte Leistung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO).
a) Die Entscheidung, gegen welchen der Gesamtschuldner die Schenkungsteuer festgesetzt wird, hat das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (§ 5 AO). Die Ermessensentscheidung bedarf nach Maßgabe des § 121 Abs. 1 AO einer Begründung, soweit diese zum Verständnis des Steuerbescheids erforderlich und die Begründung nicht nach § 121 Abs. 2 AO entbehrlich ist. Setzt das Finanzamt die Schenkungsteuer gegen den Bedachten fest, braucht es dies im Regelfall nicht zu begründen, weil eine Begründung zum Verständnis des Steuerbescheids nicht erforderlich ist. Dem Wesen der Schenkungsteuer als Bereicherungssteuer entsprechend ist das Finanzamt nämlich grundsätzlich gehalten, sich bei der Anforderung der Steuer an den Bedachten zu halten (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. November 1961 II 282/58 U, BFHE 75, 151, BStBl III 1962, 323; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 44 AO Rz 48).
b) Anders verhält es sich, wenn der Schenker im Verhältnis zum Beschenkten die Entrichtung der geschuldeten Steuer selbst übernommen hat und dies dem Finanzamt bei Erlass des Steuerbescheides bekannt ist. Dies ändert zwar nichts daran, dass auch der Bedachte Steuerschuldner ist (Gebel in Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 20 Rz 20); denn die an einer Schenkung Beteiligten können nicht durch privatrechtliche Vereinbarung über die gesetzlich geregelte Steuerschuldnerschaft disponieren. Die Festsetzung der Schenkungsteuer gegen den Beschenkten bedarf in einem solchen Fall aber regelmäßig einer Begründung, aus der die für das Finanzamt maßgeblichen Ermessenserwägungen hervorgehen. Fehlt die erforderliche Begründung und wird sie auch nicht in zulässiger Form nachgeholt, ist der gegen den Bedachten ergangene Steuerbescheid bereits aus diesem Grund rechtswidrig und aufzuheben (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1987 VII R 48/84, BFHE 149, 511, BStBl II 1988, 170, und vom 23. November 1993 VII R 32/93, BFHE 173, 274; BFH-Beschluss vom 12. Juli 1999 VII B 2/99, BFH/NV 2000, 99). Insoweit gelten für die Schenkungsteuer dieselben Grundsätze wie für die Grunderwerbsteuer, wenn das Finanzamt denjenigen der Gesamtschuldner, der nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien nicht verpflichtet ist, die Grunderwerbsteuer zu tragen, in Anspruch nimmt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 II R 31/93, BFH/NV 1997, 2).
Die Inanspruchnahme des Gesamtschuldners, der nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien nicht verpflichtet ist, die Steuer zu tragen, braucht nur dann nicht begründet zu werden, wenn die Steuerfestsetzung gegen den anderen Gesamtschuldner aus Rechtsgründen, etwa wegen Festsetzungsverjährung, nicht mehr möglich ist --dann entfällt bereits mangels einer Auswahlmöglichkeit eine Ausübung des Ermessens-- oder infolge dessen wirtschaftlicher Situation keinen Erfolg verspricht und dies dem in Anspruch genommenen Gesamtschuldner bekannt oder ohne weiteres erkennbar ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 2).
2. Das FA hätte danach spätestens in der Einspruchsentscheidung darlegen müssen, dass es sein Auswahlermessen tatsächlich ausgeübt hat, und die Auswahl der Klägerin als Steuerschuldnerin begründen müssen (§ 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Da dies nicht geschehen ist, sind sowohl der angefochtene Steuerbescheid als auch die zunächst ergangenen Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung rechtswidrig und waren daher aufzuheben. Gründe, die eine Festsetzung der Schenkungsteuer gegen L als unzulässig oder untunlich erscheinen lassen, hat das FG nicht festgestellt und auch das FA nicht vorgetragen. Für die Beurteilung maßgebend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem das FA erstmals Schenkungsteuer gegen die Klägerin festgesetzt hat. Die später ergangenen Änderungsbescheide beruhten auf der Grundentscheidung des FA für die Inanspruchnahme der Klägerin.
Der Begründungsmangel ist im finanzgerichtlichen Verfahren nicht geheilt worden. Das FA hat zum einen trotz eines vom FG zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweises die Begründung des Ermessens weder schriftlich noch zu Protokoll des FG nachgeholt. Eine solche Nachholung wäre zum anderen nach § 102 Satz 2 FGO auch nicht zulässig gewesen. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Die Finanzbehörde kann danach bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen vertiefen, verbreitern und verdeutlichen; sie ist jedoch nicht befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (BFH-Urteile vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579, und vom 26. September 2006 X R 39/05, BFHE 215, 1, BStBl II 2007, 222; BFH-Beschlüsse vom 2. Juni 2004 IV B 56/02, BFH/NV 2004, 1536, und vom 9. November 2004 VI B 39/02, BFH/NV 2005, 378).
Das FG hat zu Recht die fehlende Begründung der Ermessensentscheidung auch nicht durch eigene Ermessenserwägungen ersetzt (BFH-Urteil vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176).