09.10.2008 · IWW-Abrufnummer 083119
Bundesfinanzhof: Urteil vom 01.07.2008 – II R 71/06
Der Zugewinnausgleichsforderung, die dem überlebenden Ehegatten, der weder Erbe noch Vermächtnisnehmer geworden ist, zum Ausgleich des Zugewinns beim Tode des anderen Ehegatten zusteht, entspricht beim Erben eine Nachlassverbindlichkeit in der Form einer Erblasserschuld, die bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs mit ihrem Nennwert abzuziehen ist.
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin nach dem am 7. August 2001 verstorbenen Erblasser, ihrem Lebensgefährten H1. Dieser hinterließ eine Ehefrau (H2) sowie insgesamt fünf Kinder (H3 bis H7). Die hinterbliebenen Verwandten machten gegenüber der Klägerin Pflichtteils-, die Ehefrau H2 darüber hinaus auch Zugewinnausgleichsansprüche geltend.
Mit H2 sowie H5 bis H7 vereinbarte die Klägerin im August 2002, zur Abfindung sämtlicher güter- sowie erbrechtlicher Ansprüche insgesamt 355 245,60 ¤ (694 800 DM) zu zahlen; auf H2 entfielen hierbei 222 028,50 ¤ (434 250 DM), der Rest auf H5 bis H7 zu gleichen Teilen. Mit H3 vereinbarte die Klägerin im Juni 2002 eine Zahlung von 65 000 ¤; damit sollten alle erbrechtlichen Ansprüche abgegolten sein. H4 hatte von der Klägerin bis Ende 2002 32 579,81 ¤ (63 720,57 DM) auf ihren Pflichtteil erhalten. Eine Klage auf Nachberechnung des Pflichtteilsanspruchs gegen die Klägerin hat H4 zurückgenommen.
Durch letztmals während des Klageverfahrens geänderten Bescheid vom 29. September 2005 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin Erbschaftsteuer in Höhe von 119 615,19 DM (61 158,28 ¤) fest. Dabei berücksichtigte er als Nachlassverbindlichkeiten die tatsächlichen Zahlungen der Klägerin auf die Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsansprüche in Höhe von 885 648 DM sowie Kosten der Nachlassregelung in Höhe von 45 963,59 DM.
Mit Einspruch und Klage machte die Klägerin u.a. geltend, als Nachlassverbindlichkeiten seien nicht die von ihr tatsächlich gezahlten, sondern die rechtlich entstandenen Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsansprüche in Höhe ihres Nennwerts von 1 402 440,10 DM zu berücksichtigen. Auch seien als Kosten zur Regelung des Nachlasses Gutachterkosten (3 942,95 DM) sowie Steuer- und Rechtsberatungskosten (15 343,28 DM) erwerbsmindernd zusätzlich anzusetzen und ein zum Nachlass gehörendes Erbbaurecht in L sei nicht mit 58 000 DM, sondern nur mit 12 000 DM zu bewerten. Schließlich sei die Berücksichtigung eines Grundstücks in Österreich mit dem Verkehrswert im Rahmen des § 19 Abs. 2 und 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (ErbStG) gemeinschaftsrechtswidrig.
Die Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erkannte lediglich die geltend gemachten Kosten des Verkehrswertgutachtens als erwerbsmindernd an; im Übrigen wies es die Klage ab.
Mit der Revision hält die Klägerin an ihrer materiell-rechtlichen Auffassung fest und macht zusätzlich in verfahrensrechtlicher Hinsicht geltend, das FG sei zur Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verpflichtet gewesen, da der Bedarfswert für das zum Nachlass gehörende Erbbaurecht noch nicht bestandskräftig festgestellt worden sei.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 29. September 2005 dahin zu ändern, dass die Steuer auf 0 ¤ herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
1. Der Auffassung des FG, die der Ehefrau H2 zustehende Zugewinnausgleichsforderung sei als Nachlassverbindlichkeit nur mit dem Betrag zu berücksichtigen, auf den sich H2 und die Klägerin in der Vereinbarung vom August 2002 geeinigt haben, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Vielmehr ist die Zugewinnausgleichsforderung mit ihrem Nennwert abzuziehen.
a) Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb die vom Erblasser herrührenden Schulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i.V.m. § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auf die Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Der Zugewinnausgleichsforderung, die dem überlebenden Ehegatten, der weder Erbe noch Vermächtnisnehmer geworden ist, zum Ausgleich des Zugewinns nach den Vorschriften der §§ 1371 bis 1383, 1390 BGB beim Tode des anderen Ehegatten zusteht (§ 1371 Abs. 2 BGB), entspricht beim Erben eine Nachlassverbindlichkeit in der Form einer Erblasserschuld, die zwar den Erblasser selbst nie getroffen hat, jedoch aus einem Dauerrechtsverhältnis herrührt, in dem er zu Lebzeiten stand und das sich im Zeitpunkt seines Todes zur Ausgleichsforderung verengt hat. Die Erben können diese Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG von ihrem Erwerb abziehen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. März 1993 II R 27/89, BFHE 170, 466, BStBl II 1993, 368). Die Ausgleichsforderung ist eine Geldforderung. Der Abzug nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG hat daher zum Nennwert zu erfolgen (§ 12 Abs.1 ErbStG, § 12 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes --BewG--; ebenso Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 10 Rz 121); dies gilt auch dann, wenn Erfüllungsabreden getroffen werden (BFH-Urteil in BFHE 170, 466, BStBl II 1993, 368).
b) Einigen sich der Erbe und der Ausgleichsberechtigte vergleichsweise über die Höhe des Zugewinnausgleichs, sind die Grundsätze zum Erbvergleich nicht übertragbar. Der sog. Erbvergleich --die einvernehmliche Bereinigung streitiger Erbrechtsverhältnisse einschließlich etwa bestehender Ungewissheiten über einzelne Erbteile oder über die den Erben und sonstigen Berechtigten zufallenden Beträge-- ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch der Besteuerung zugrunde zu legen (vgl. m.w.N. der ständigen Rechtsprechung BFH-Urteil vom 26. Februar 2008 II R 82/05, BFH/NV 2008, 1051). Ein solcher Vergleich kann jedoch nur insoweit Verbindlichkeit im Besteuerungsverfahren beanspruchen, als er seinen letzten Rechtsgrund noch im Erbrecht findet. Die erbschaftsteuerliche Anerkennung des sog. Erbvergleichs stellt eine nicht weiter verallgemeinerungsfähige Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass weder die Miterben noch sonst am Nachlass beteiligte Personen berechtigt sind, den Kreis der steuerpflichtigen Personen oder den Umfang der steuerpflichtigen Bereicherung nach dem Erbfall durch freie Vereinbarung eigenmächtig neu zu bestimmen (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1051).
Die Zugewinnausgleichsforderung ist dagegen eine Erblasserschuld. Auf der Seite des Anspruchsberechtigten führt sie --im Gegensatz zum Pflichtteilsanspruch-- zu keinem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb (vgl. § 5 Abs. 2 ErbStG). Sie hat ihren Rechtsgrund nicht im Erbrecht, sondern im ehelichen Güterrecht. Die Ausgleichsverpflichtung ist daher wie jede andere Erblasserschuld zu behandeln (BFH-Urteil in BFHE 170, 466, BStBl II 1993, 368; a.A. Moench, Trost aus Schulden - Vom rechten Abzug der Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 ErbStG, Deutsches Steuerrecht 1992, 1185 ff., 1186; Schuck in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 2. Aufl., § 10 ErbStG Rz 76).
Die Verpflichtung zum Ausgleich des Zugewinns war im Streitfall auch nicht ausnahmsweise mangels wirtschaftlicher Belastung der Klägerin mit einem Betrag unterhalb ihres Nennwerts anzusetzen. Zwar setzt der Abzug einer Erblasserschuld voraus, dass die Verbindlichkeit rechtlich besteht und den Erblasser im Todeszeitpunkt wirtschaftlich belastet hat (vgl. m.w.N. BFH-Urteil vom 27. Juni 2007 II R 30/05, BFHE 217, 190, BStBl II 2007, 651). An einer wirtschaftlichen Belastung fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht geltend machen wird (vgl. m.w.N. BFH-Urteil vom 24. März 1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339). Die Zugewinnausgleichsverpflichtung kann deshalb nur insoweit wegen fehlender wirtschaftlicher Belastung mit einem Betrag unterhalb ihres Nennwerts angesetzt werden, als der Verpflichtete (Klägerin) damit rechnen konnte, der überlebende Ehegatte (H2) werde die Zugewinnausgleichsforderung nicht oder nicht in voller Höhe geltend machen (ebenso Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., § 10 Rz 32). Anhaltspunkte für eine solche Sachverhaltskonstellation hat das FG aber nicht festgestellt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
2. Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Der Senat kann den für die Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs maßgeblichen Nennwert der Zugewinnausgleichsforderung nicht bestimmen; das FG hat hierzu --von seinem Rechtsstandpunkt aus verständlich-- keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. Das ist im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
b) Für den Fall, dass es nach Ansatz der Ausgleichsforderung mit dem Nennwert noch darauf ankommen sollte, wird auf Folgendes hingewiesen:
aa) Die Pflichtteilsansprüche sind gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG nur in der Höhe anzusetzen, wie sie von der Klägerin auf Grund der geschlossenen Vergleiche erfüllt wurden. Denn die Berechtigten haben sich nach ernstlichem Streit über die Höhe des Pflichtteils vergleichsweise mit weniger zufrieden gegeben als sie beansprucht hatten und ihnen zustand. Nach der Rechtsprechung des BFH können die Pflichtteilsberechtigten in einem solchen Fall nur aus dem vergleichsweise vereinbarten, niedrigeren Wert besteuert werden (BFH-Urteile vom 19. Juli 2006 II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718; vom 18. Juli 1973 II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl II 1973, 798). Korrespondierend hiermit können beim verpflichteten Erben die entsprechenden Pflichtteilsverbindlichkeiten auch nur mit diesem niedrigeren Wert berücksichtigt werden.
bb) Die der Klägerin entstandenen Kosten ihrer Rechtsvertretung in den Steuerfestsetzungs- und Wertfeststellungsverfahren sind nicht als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 8 ErbStG, wonach die vom Erwerber zu entrichtende eigene Erbschaftsteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit i.S. des § 10 Abs. 5 ErbStG abzugsfähig ist. Das Abzugsverbot erstreckt sich auch auf die einem Erwerber entstehenden Rechtsverfolgungskosten, die er zur Abwehr der von ihm zu entrichtenden eigenen Erbschaftsteuer aufwendet (BFH-Urteil vom 20. Juni 2007 II R 29/06, BFHE 217, 187, BStBl II 2007, 722), und gilt auch für die Rechtsverfolgungskosten, die mit gesonderten Feststellungen der Grundbesitzwerte des zum Nachlass gehörenden Grundvermögens zusammenhängen. Denn derartige Aufwendungen haben einen unmittelbaren Bezug zu der vom Erben zu entrichtenden Erbschaftsteuer (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 21. November 2002 IV 350/2001, Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 633; ebenso Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O., § 10 Rz 220).
Dies gilt nicht für die der Klägerin entstandenen Gutachterkosten für die Ermittlung des Verkehrswerts des zum Nachlass gehörenden österreichischen Grundstücks. Denn diese sind nach den Feststellungen des FG im zivilrechtlichen Klageverfahren gegen H3 und damit unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses entstanden.
cc) Die Bewertung des Grundstücks in Österreich zur Ermittlung des Steuersatzes für den ganzen Erwerb (§ 19 Abs. 2 ErbStG) mit dem gemeinen Wert (§ 12 Abs. 6 ErbStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 und § 9 Abs. 1 BewG) ist nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemeinschaftsrechtswidrig (EuGH-Urteil vom 17. Januar 2008 Rs. C-256/06, Jäger, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2008, 87). Dieser Verstoß ist jedenfalls für eine belastende Ausnahmeregelung durch geltungserhaltende gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung zu beseitigen. Dies gilt auch bei der Ermittlung des Steuersatzes nach § 19 Abs. 2 ErbStG, und zwar dann, wenn sich für den ganzen Erwerb ein höherer Steuersatz ergibt als sich bei einer Bewertung des ausländischen Grundstücks in Anlehnung an die §§ 138 ff. BewG ergäbe.
§ 12 Abs. 6 ErbStG i.V.m. § 31 BewG ist danach insoweit nicht mehr anwendbar, als für ausländischen Grundbesitz höhere Werte anzusetzen sind als für den Erwerb eines vergleichbaren Grundbesitzes bei Belegenheit im Inland. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO ist deshalb zu schätzen, wie der streitgegenständliche Grundbesitz gemäß den Vorschriften zur Bedarfsbewertung des Grundvermögens (§§ 138 ff. BewG) zu bewerten wäre, wenn er im Inland läge.
dd) Da die Vorentscheidung aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war, bedarf es keines Eingehens auf die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, das FG hätte das Verfahren wegen der noch fehlenden Bestandskraft der gesonderten Feststellung des Grundstückswerts für das Erbbaurecht aussetzen müssen (§ 74 FGO). Für den weiteren Fortgang des Verfahrens weist der BFH darauf hin, dass eine Verpflichtung, das Verfahren auszusetzen, auch nicht besteht. Einer Änderung der Wertfeststellung kann nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO jederzeit Rechnung getragen werden.