18.12.2008 · IWW-Abrufnummer 084034
Bundesfinanzhof: Urteil vom 28.08.2008 – VI R 50/06
1. Die Einkunftserzielungsabsicht kann auch bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit fehlen, so dass von einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Liebhaberei auszugehen ist.
2. Beurteilungseinheit für die Überschusserzielungsabsicht bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist das einzelne Dienstverhältnis. Fiktive weitere Einkünfte aus anderen Beschäftigungsverhältnissen, die sich im Anschluss an das jeweilige Dienstverhältnis ergeben könnten, sind für die Totalüberschussprognose nicht zu berücksichtigen.
3. In die Totalüberschussprognose ist das zu erwartende Ruhegehalt des Steuerpflichtigen und eine etwaige Hinterbliebenenversorgung seines Ehegatten mit den nach der aktuellen Sterbetafel des Statistischen Bundesamts zu bestimmenden und nicht abzuzinsenden Verkehrswerten einer lebenslänglichen Leistung einzubeziehen.
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (...) als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. ...
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr zunächst mit 0 DM fest, weil er der Einkommensteuererklärung der Kläger folgte. Darin hatte der Kläger vorweggenommene Werbungskosten in Höhe von insgesamt ... DM bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht, die zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte führten.
Nach einer Außenprüfung erging der von den Klägern angefochtene geänderte Einkommensteuerbescheid.
II.
Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG von einer Besteuerung des Spekulationsgewinns abgesehen; seine Entscheidung zur Einkunftserzielungsabsicht hält einer revisionsrechtlichen Prüfung jedoch nicht stand.
1. Soweit das FG der Klage hinsichtlich der Spekulationsgewinne stattgegeben hat, entspricht dies den Folgerungen, die die Finanzverwaltung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) gezogen hat. Danach nämlich ist in anhängigen gerichtlichen Verfahren ein Änderungsbescheid zu erlassen und eine Besteuerung der Einkünfte aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften rückgängig zu machen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 19. März 2004 IV D 2 -S 0338- 11/04, BStBl I 2004, 361).
2. Mit dem FG geht der erkennende Senat weiter davon aus, dass es auch bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an der Einkunftserzielungsabsicht fehlen kann und daher von einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Liebhaberei auszugehen ist (gl.A. Raupach/Schencking in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 2 EStG Rz 444, m.w.N.). Zutreffend ist die Vorinstanz ferner davon ausgegangen, dass die nicht durch das angestrebte ...amt veranlassten Aufwendungen dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes unterliegen und daher nicht in die erforderliche Überschussprognose einzubeziehen waren. Dies gilt sowohl für die Aufwendungen, deren berufliche Veranlassung vom Kläger nicht nachgewiesen werden konnte, als auch für die Beträge, die erst nach dem Zeitpunkt des Verzichts auf das angestrebte Amt aufgewendet wurden.
Waren danach die übrigen Aufwendungen von ... DM nur abziehbar, wenn der Kläger die Absicht hatte, durch die Erzielung von Einkünften aus der ...tätigkeit einen Überschuss zu erzielen, so erforderte dies nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) objektiv eine Totalüberschussprognose und subjektiv die Feststellung, dass der Kläger die Verluste nicht aus persönlichen Gründen oder Neigungen hingenommen hat. Die Vorentscheidung beruht zwar auf einer negativen Überschussprognose. Diese hält einer rechtlichen Prüfung jedoch nicht stand. Im Übrigen fehlt es völlig an Feststellungen zu persönlichen Gründen oder Neigungen des Klägers in Bezug auf sein Ausgabeverhalten, so dass der Senat auch insoweit nicht abschließend beurteilen kann, ob der Kläger mit Überschusserzielungsabsicht gehandelt hat.
a) Da im Streitfall nur der Abzug vorweggenommener Werbungskosten begehrt wird, setzt sich der für die Prüfung der Überschusserzielungsabsicht maßgebliche erzielbare Totalüberschuss allein aus den künftig zu erwartenden laufenden Einnahmen und Ausgaben aus der angestrebten ...tätigkeit zusammen. Zutreffend ist das FG insoweit davon ausgegangen, dass der Überschussprognose nur das Gehalt und die weiteren Gehaltsbestandteile (Zulagen, Ortszuschlag und Dienstaufwandsentschädigung) und die dem Amtsinhaber zustehenden ...gelder zu Grunde zu legen sind. Zu Recht hat es das FG auch abgelehnt, fiktive weitere Einkünfte aus anderen Beschäftigungsverhältnissen in die Prognose einzubeziehen, die sich im Anschluss an eine ...tätigkeit ergeben könnten. Ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zu solchen Einkünften besteht nicht. Entgegen der Auffassung der Kläger kann daher Beurteilungseinheit für die Überschusserzielungsabsicht bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur das einzelne Dienstverhältnis sein (gl.A. Raupach/Schencking in HHR, § 2 EStG Rz 390 und 444).
b) Da eine Totalüberschussprognose zu stellen ist, gehen die Beteiligten im Übrigen zutreffend davon aus, dass auch das zu erwartende Ruhegehalt aus der angestrebten ...tätigkeit in die Zukunftsbetrachtung einzubeziehen war. Allerdings ist der Wert der mit Vollendung des ... Lebensjahrs zu zahlenden Pension weder nach § 14 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. Anlage 9 zum BewG zu ermitteln, noch abzuzinsen.
Zu Recht haben die Kläger darauf hingewiesen, dass die Tabelle in Anlage 9 zum BewG zur Berechnung des Kapitalwerts einer Pension nicht in Betracht kommt. Bei § 14 BewG handelt es sich nämlich um eine Vorschrift zur Ermittlung des Steuerwerts einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung, die keinen Rechtsgedanken enthält, der auch bei der Bestimmung des Verkehrswerts einer lebenslänglichen Leistung auf einen bestimmten Stichtag zu beachten wäre (so BFH-Urteile vom 15. Juni 1956 III 156/54 U, BFHE 63, 143, BStBl III 1956, 252, und vom 17. Oktober 2001 II R 72/99, BFHE 196, 296, BStBl II 2002, 25, m.w.N.). Sie ist auch deshalb zur Bestimmung des Verkehrswerts einer lebenslänglichen Leistung ungeeignet, weil sie auf einer veralteten Sterbetafel beruht. Anzuwenden ist daher die aktuelle Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes, die für das Streitjahr einen Vervielfältiger von ... und damit auch einen höheren Wert bei vollendetem .... Lebensjahr ausweist (Statistisches Jahrbuch 2000 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 74), als den, der von den Klägern zu Grunde gelegt wurde.
Zu Recht haben sich die Kläger auch gegen eine Abzinsung des Werts der Pension gewandt. Der erkennende Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des X. Senats des BFH, wonach der Totalüberschussprognose keine abgezinsten Werte zu Grunde zu legen sind (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 X R 23/95, BFHE 190, 460, BStBl II 2000, 267). Mit der Berücksichtigung abgezinster Werte in solchen Fällen würde das Nominalwertprinzip unterlaufen, weil Einnahmen und Ausgaben nicht (unabhängig von ihrer zeitlichen Zuordnung) mit derselben Maßgröße erfasst würden.
c) Bei der Feststellung der Überschusserzielungsabsicht des Klägers war schließlich auch ein etwaiges Ruhegehalt der Klägerin zu berücksichtigen. Ihr Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung ist ebenfalls Ausfluss des angestrebten ...amts und damit Teil der Beurteilungseinheit "Arbeitsverhältnis". Entgegen der Auffassung des FA gibt es keinen Grundsatz, wonach die Überschussprognose personenbezogen durchzuführen sei. Für die Beurteilung der Einkunftserzielungsabsicht ist allein der aus dem jeweiligen Dienstverhältnis realisierbare Totalüberschuss entscheidend, so dass die Überschuss- bzw. Totalgewinnprognose auch subjektübergreifend durchzuführen ist, wenn dies wirtschaftlich geboten ist. So ist die Prognose des Totalgewinns bei sog. Generationenbetrieben in der Land- und Forstwirtschaft auch auf den Rechtsnachfolger auszudehnen (BFH-Urteil vom 24. August 2000 IV R 46/99, BFHE 192, 542, BStBl II 2000, 674, unter 3.a). Diese subjektübergreifende Sicht der Totalgewinnprognose hat der IV. Senat des BFH in seiner jüngsten Entscheidung zur Gewinnerzielungsabsicht bei einem landwirtschaftlichen Pachtbetrieb bestätigt (BFH-Urteil vom 11. Oktober 2007 IV R 15/05, BFHE 219, 508, BStBl II 2008, 465). Ebenso ist bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch die mögliche Nutzung durch unentgeltliche Rechtsnachfolger des Steuerpflichtigen in die Überschussprognose mit einzubeziehen (BFH-Urteil vom 6. November 2001 IX R 97/00, BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726, unter II.1.e cc). Auch die unter Ehegatten übliche Vereinbarung von Hinterbliebenenversorgungen bei der Begründung von Rentenansprüchen eines Ehegatten gebietet eine erweiterte Totalüberschussprognose (BFH-Urteil vom 16. September 2004 X R 29/02, BFHE 208, 129, BStBl II 2006, 234). Nichts anderes kann daher im Streitfall gelten, in dem eine Hinterbliebenenversorgung gesetzlich vorgesehen ist und angesichts der höheren Lebenserwartung der um zwei Jahre jüngeren Klägerin auch mit der für eine Prognose ausreichenden Wahrscheinlichkeit beansprucht werden könnte.
d) Allerdings sind bei der von der Revision dargelegten positiven Totalüberschussprognose keine Aufwendungen berücksichtigt, die während der Ausübung des ...amts und amtsbezogen danach anfallen könnten. Diese Aufwendungen hatte das FG ausdrücklich außer Acht gelassen. Zu Unrecht folgert das FA jedoch daraus, dass ein Totalüberschuss von ... DM ohne Weiteres durch den Ansatz entsprechend hoher Werbungskosten aufgezehrt und ins Negative verkehrt werden könne. Bei dieser Einschätzung handelt es sich um eine bloße Vermutung, die kaum der Lebenserfahrung entsprechen dürfte. Die gesamte Ausstattung des Amts eines ... spricht vielmehr dafür, dass dem Kläger nur Werbungskosten in geringem Umfang entstanden wären, sofern man nicht von dem eher atypischen Fall einer doppelten Haushaltsführung ausgeht.
3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Das FG wird den dargelegten Grundsätzen folgend eine neue Totalüberschussprognose zu erstellen haben, die auch die mutmaßlichen Werbungskosten des Klägers einbezieht, die ihm entstanden wären, wenn er das erstrebte Amt angetreten hätte. Auch hierzu bedarf es konkreterer Feststellungen und gegebenenfalls einer nachvollziehbaren Schätzung.
Sollte das FG bei erneuter Verhandlung gleichwohl zu einer negativen Totalüberschussprognose gelangen, so ist dem Kläger die Überschusserzielungsabsicht nur dann abzusprechen, wenn aus weiteren Beweisanzeichen die Feststellung möglich ist, dass er die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen angestrebt hat (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, zu C.IV.3.c bb (1) der Entscheidungsgründe).