11.02.2009 · IWW-Abrufnummer 98141
Bundesfinanzhof: Urteil vom 10.12.1997 – II R 25/94
Eine Stiftung dient dann wesentlich dem Interesse einer Familie oder bestimmter Familien i.S. des § 1 Abs.1 Nr.4 ErbStG 1974, wenn nach der Satzung und ggf. dem Stiftungsgeschäft ihr Wesen darin besteht, es den Familien zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer Nutzung zu privaten Zwecken zugänglich ist, zu nutzen und die Stiftungserträge an sich zu ziehen. Inwieweit davon tatsächlich Gebrauch gemacht wird, ist nicht entscheidend.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist im Zuge der Auflösung des Hausvermögens der ... aufgrund des Familienschlusses vom ... mit Genehmigung der Preußischen und ... Minister der Justiz durch Beschluß des Auflösungsamtes in ... vom ... entstanden. Zum Stiftungsvermögen gehören land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Grundvermögen, Sammlungen, Bibliotheken, Archive und Wertpapiere.
In der Zeit bis zum 1. Januar 1984 änderte sich die Satzung der Klägerin mehrfach. Während die erste Satzung bestimmte, Stiftungszweck sei:
1. Sicherstellung und Zahlung der Gehälter und Ruhegehälter der Angestellten des bisherigen Hausvermögens und ihrer Hinterbliebenen,
2. Erhaltung und Pflege der Gegenstände von künstlerischem, wissenschaftlichem und geschichtlichem Wert,
3. Erhalt bestimmter Wälder und landwirtschaftlicher Grundstücke als Einheit im öffentlichen Interesse,
4. Sicherstellung und Befriedigung der Ansprüche der abfindungs- und versorgungsberechtigten Familienmitglieder,
5. Unterstützung bestimmter genußberechtigter Familienmitglieder,
und spätere Änderungen der Stiftungszwecke im wesentlichen nur die Reihenfolge betrafen, enthält die am 1. Januar 1984 geltende Satzung vom September 1982 folgende Stiftungszwecke:
1. Wahrung, Pflege und Ergänzung der Kulturgüter von künstlerischem, wissenschaftlichem oder geschichtlichem Wert im Interesse der Allgemeinheit,
2. unver änderte Fortführung des Museums im Schloß ... in dem von seinem Gründer geschaffenen sinnvollen Zusammenhang der Bestände,
3. Förderung von Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen zur Geschichte ...,
4. Wachhalten der Erinnerung an die Geschichte des ... Hauses,
5. Unterstützung berechtigter Familienmitglieder,
6. Unterhaltung bestimmter Familiengrabstätten.
Bezugsberechtigte hinsichtlich des "Jahresreineinkommens" bzw. später des "ausschüttungsfähigen Einkommens" waren nach allen Satzungen Abkömmlinge eines 18.. verstorbenen Vorfahrens, von denen jeweils einer die Stellung eines sog. Hauptberechtigten hatte. Zur Ermittlung des "Jahresreineinkommens" bzw. "ausschüttungsfähigen Einkommens" waren die Ausgaben für die Stiftungszwecke abzuziehen (§ 12 der Gründungssatzung; § 16 Nr. 2 Unternr. 1 der Satzung vom September 1982). Der Hauptberechtigte war bis zur Satzungsänderung von 1982 auch Anfallsberechtigter bei Auflösung der Stiftung. Ab 1982 ist die Auflösung ausgeschlossen. Die entsprechende Satzungsbestimmung ist mit einer Änderungssperre versehen. Über die verschiedenen Satzungen hinweg sind immer größere Teile des Stiftungsvermögens dem Anfall an Familienmitglieder entzogen worden.
Der Hauptberechtigte ist außerdem geborenes Mitglied des Stiftungsvorstands. Zum Vorstand gehören ein weiteres Mitglied, das von den einfachen Bezugsberechtigten, sowie eine dritte Person, die von den ersten beiden Mitgliedern gewählt wird. Die Vorstandsmitglieder erhalten näher bestimmte Vergütungen bzw. Entgelte.
In den letzten fünf Jahren vor dem Stichtag 1. Januar 1984 beliefen sich die Aufwendungen der Klägerin für Kulturgüter und die Ausschüttungen an Familienmitglieder auf folgende Beträge:
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Durch Bescheid vom 27. Mai 1986 zog der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Klägerin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Erbschaftsteuergesetzes 1974 (ErbStG 1974) zur Ersatzerbschaftsteuer heran. Der Einspruch blieb erfolglos. Während des anschließenden Klageverfahrens erließ das FA am 17. April 1990 einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid, durch den es die Steuer auf ... DM herabsetzte. Im übrigen hatte auch die Klage keinen Erfolg. Mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 493 veröffentlichtem Urteil vom 14. Dezember 1993 erkannte das Finanzgericht (FG), die Klägerin sei eine Stiftung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 seien nicht erfüllt. Sie, die Klägerin, sei wesentlich im öffentlichen Interesse und nicht im Interesse der ...-Familie errichtet worden. Die Errichtung sei darüber hinaus ein Zwangsakt gewesen. Diese Umstände der Gründung seien nach wie vor bedeutsam. Die Beschränkung des FG auf die Zeit ab 1954 sei mit § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 nicht vereinbar. Die Vorschrift verlange ausdrücklich, daß die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet sein müsse. Die Eigenschaft einer Zwangsstiftung schließe aber das Vorliegen einer Familienstiftung aus.
Abgesehen davon habe sich die Interessenlage bis zum 1. Januar 1984 nicht geändert. Selbst wenn öffentliches und Familieninteresse gleichzeitig bestehen könnten, reichte jedenfalls ein bloßes Nebeneinander nicht aus. Das Familieninteresse sei nur dann wesentlich, wenn es im Vordergrund stehe. Im Streitfall stünden aber die öffentlichen Interessen im Vordergrund, die durch die Sozialbindung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) und die Denkmalschutzgesetzgebung eine weitere Stärkung erfahren hätten. Als Familieninteressen seien dabei nur Vermögensinteressen zu berücksichtigen. Das ergebe sich aus dem Wesen einer Erbschaftsteuer. Ideelle und gesellschaftliche Interessen dürften nicht berücksichtigt werden. Der Einfluß auf die Geschäftsführung begründe ohne Hinzutreten materieller Vorteile kein wesentliches Interesse. Im übrigen sei die Geschäftsführung durch den staatlichen Stiftungswillen gebunden, der nach wie vor durch das Fideikommißgericht für ... durchgesetzt werde.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung vom 14. Dezember 1993, den geänderten Erbschaftsteuerbescheid vom 17. April 1990 sowie den ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheid vom 27. Mai 1986 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 1988 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin eine Stiftung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 ist.
1. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 unterliegt das Vermögen einer Stiftung, sofern sie wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist, in Zeitabständen von 30 Jahren seit dem in § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes bestimmten Zeitpunkt der Erbschaftsteuer. Dieser im Zuge der Erbschaftsteuerreform 1974 durch Gesetz vom 17. April 1974 (BGBl I, 933, BStBl I 1974, 216) geschaffene Steuertatbestand soll verhindern, da ß das in Familienstiftungen gebundene Vermögen auf Generationen der Erbschaftsteuer entzogen wird. Zu diesem Zweck wird fingiert, daß das Vermögen im Abstand von 30 Jahren einer nächsten, aus zwei Kindern bestehenden Generation anfällt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. April 1981 II R 47/79, BFHE 133, 308, BStBl II 1981, 581). Die Fiktion erfaßt zwar nicht alle Stiftungen, sondern nur Familienstiftungen, stellt diesen aber diejenigen Vereine zur Seite, deren Zweck wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist.
Entsprechend dem Charakter der Erbschaftsteuer als Steuer auf den Vermögensanfall sind dabei unter den Interessen der begünstigten Familie(n) Vermögensinteressen zu verstehen (vgl. Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, § 1 ErbStG Rdnr. 12). Dazu gehören nicht nur Bezugs- und Anfallsrechte, sondern alle Vermögensvorteile, die die begünstigten Familien aus dem Stiftungsvermögen ziehen. Darunter fallen beispielsweise auch die unentgeltliche oder verbilligte Nutzung des Stiftungsvermögens --etwa der stiftungseigenen Immobilien zu Wohnzwecken--, der Einsatz des Personals der Stiftungen für Arbeiten im Rahmen des eigenen Hausstandes und --bei Stiftungen mit Kunstbesitz-- der Zustand, mit diesem zu leben und von ihm umgeben zu sein.
Den solchermaßen weit zu fassenden Vermögensinteressen bestimmter Familien dient eine Stiftung dann wesentlich i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974, wenn nach der Satzung und ggf. dem Stiftungsgeschäft ihr Wesen darin besteht, es den Familien zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer Nutzung zu privaten Zwecken zugänglich ist, zu nutzen und die Stiftungserträge aus dem gebundenen Vermögen an sich zu ziehen. Inwieweit davon tatsächlich Gebrauch gemacht wird, ist nicht entscheidend. Daß den Familien derartige Nutzungs- und Zugriffsmöglichkeiten offenstehen, kann sich allein aus der Natur des Stiftungszwecks oder aber in Verbindung mit dem Einfluß der Familie(n) auf die Geschäftsführung ergeben. Abzustellen ist dabei auf den jeweiligen Dreißigjahreszeitraum.
2. Nach diesen Grundsätzen stellt die Klägerin eine Stiftung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG 1974 dar. Gemäß allen in der Zeit von 1954 bis einschließlich 1. Januar 1984 geltenden Satzungen waren die begünstigten Familien in der Lage, privat nutzbares Stiftungsvermögen zu nutzen und die Stiftungserträge an sich zu ziehen.
Bereits der Katalog der Stiftungszwecke spricht eher für das Vorliegen einer Familienstiftung. Während nämlich auf der einen Seite Zwecke wie die unter Nr. 5 und 6 der Satzung 1982 ausschließlich den Familieninteressen nutzen, dienen andererseits Zwecke wie die unter Nr. 1 und 2 der Satzung 1982 keineswegs ausschließlich öffentlichen Interessen. Dies gilt unabhängig davon, daß die Zwecke im Sinne der Nrn. 1 und 2 der Satzung 1982 weiterhin denjenigen öffentlichen Interessen Rechnung tragen, die bei Gründung der Klägerin durch staatlichen Verfügungsakt bestimmend waren. Solange nämlich die Familie die gebundenen Kulturgüter nicht veräußern will, liegt deren Pflege und Erhaltung nicht nur im öffentlichen, sondern gleichermaßen im Familieninteresse. Die Pflege und Erhaltung des eigenen Kunstbesitzes ist in erster Linie Sache des jeweiligen Eigentümers. Sie dient nicht nur ideellen Interessen, sondern auch dem eigenen Vermögensinteresse am Erhalt des in den Gegenständen verkörperten Vermögenswerts. Der von der Klägerin angenommene Interessengegensatz ergibt sich erst dann, wenn die Familie einzelne Kulturgüter oder den gesamten Kunstbesitz veräußern möchte, sich daran aber durch die Vermögensbindung gehindert sieht. Das kann aber nicht als Normalfall unterstellt werden.
Die abstrakte Beurteilung der einzelnen Stiftungszwecke anhand der jeweiligen Satzung reicht jedoch nicht aus, da die Satzungen die Zwecke nicht gewichten. Erst die Art und Weise, wie die Geschäfte der Klägerin tatsächlich geführt worden sind, gibt Aufschluß über die wirtschaftliche Bedeutung, die dem einzelnen Zweck im Rahmen der Wirtschaftsführung der Stiftung zukommt. Soweit dabei die für den einzelnen Stiftungszweck aufgebrachten Mittel Veränderungen unterliegen, kann sich auch dessen Rang innerhalb des Katalogs der Stiftungszwecke verschieben. Entscheidend ist daher, wer über die Verwendung der Mittel befindet, und infolgedessen, wem der maßgebliche Einfluß auf die Geschäftsführung zusteht. Dies waren nach allen aufeinanderfolgenden Satzungen seit 1954 die Familien des .... Sie stellten mit dem jeweiligen Hauptberechtigten, einem weiteren Bezugsberechtigten und einer von diesen beiden gewählten dritten Person unmittelbar oder mittelbar den Stiftungsvorstand. Aufgrund ihres Einflusses konnten die Familien den Einsatz der erwirtschafteten Mittel für die verschiedenen Stiftungszwecke steuern und die Erträge auch selbst vereinnahmen. Dies zeigen beispielhaft die vom FG festgestellten Zahlen der letzten fünf Jahre vor Entstehung der Steuer, wonach in einzelnen Jahren ohne Verstoß gegen die Satzung ... DM --in einem Jahr mehr als 85 v.H. der Erträge-- an die begünstigten Familien ausgeschüttet worden sind. Dabei sind die sonstigen Vermögensvorteile noch nicht berücksichtigt. Allein, daß die Satzung dies zuließ, offenbart ihre Ausrichtung an den Familieninteressen und schließt einen Vergleich mit gemeinnützigen Stiftungen i.S. des § 58 Nr. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) ungeachtet der Frage, welche Einkommensgrenze dort maßgebend ist (vgl. dazu Urteil des FG München vom 12. Januar 1995 7 K 1178/93, EFG 1995, 650), aus.
3. An dieser Beurteilung ändern die Umstände der Entstehung der Klägerin im Zuge der Auflösung der Familienfideikommisse und verwandter Besitzformen nach dem ersten Weltkrieg nichts (vgl. für Preußen das Gesetz über die Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen vom 23. Juni 1920, Preußische Gesetzessammlung, S. 367, sowie die Zwangsauflösungsverordnung vom 19. November 1920, Preußische Gesetzessammlung, S. 463). Zwar erfolgte der Vermögensübergang auf die dabei gegründete Stiftung nicht durch ein privatrechtliches Stiftungsgeschäft, sondern --wenn auch nach entsprechendem Familienschluß-- durch einen öffentlich-rechtlichen Verfügungsakt der zuständigen Aufsichtsbehörde (vgl. Gutachten des Reichsfinanzhofs vom 23. Juni 1921 I D 1/21, RFHE 6, 292, 314). Im Ergebnis lief dies jedoch lediglich auf die Umwandlung einer rechtlich nicht mehr aufrechtzuerhaltenden Form der Vermögensbindung in eine andere, nach wie vor zulässige Bindungsform hinaus (so RFHE 6, 292, 314, sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juni 1974 1 BvL 13, 23, 25/69, BVerfGE 37, 328, 336). Diese Umwandlung wahrte nicht nur die Vermögensbindung, sondern schonte auch weitgehend die Familieninteressen.
4. Die Eigenschaft der Klägerin als Familienstiftung hat nicht zur Folge, daß Ersatzerbschaftsteuer unter Einbeziehung der Kulturgüter in das steuerpflichtige Vermögen (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG 1974) anfällt. Diese Teile des Vermögens sind gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b ErbStG 1974 von der Besteuerung ausgenommen.