26.02.2009 · IWW-Abrufnummer 090676
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 12.02.2009 – C-67/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
12. Februar 2009(*)
„Kapitalverkehrsfreiheit – Art. 56 EG und 58 EG – Erbschaftsteuer – Nationale Regelung, nach der die vom Erben in einem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaftsteuer, wenn es sich bei den Nachlassgütern um Kapitalforderungen handelt, nicht auf die Erbschaftsteuer angerechnet werden kann, die in dem Mitgliedstaat geschuldet wird, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz hatte – Doppelbesteuerung – Keine Beschränkung“
In der Rechtssache C‑67/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Januar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2008, in dem Verfahren
Margarete Block
gegen
Finanzamt Kaufbeuren
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Ó Caoimh (Berichterstatter), J. N. Cunha Rodrigues, J. Klučka und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Frau Block, vertreten durch Rechtsanwalt S. Gorski,
– des Finanzamts Kaufbeuren, vertreten durch M. Stock als Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von S. Ford, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG und 58 EG über den freien Kapitalverkehr.
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Block, die Erbin einer in Deutschland verstorbenen Person ist, und dem Finanzamt Kaufbeuren (im Folgenden: Finanzamt) über die Berechnung der Erbschaftsteuer auf Kapitalforderungen der Erblasserin gegen in Spanien ansässige Finanzinstitute.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Art. 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrags [aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] (ABl. L 178, S. 5) lautet:
„(1) Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.
(2) Die mit dem Kapitalverkehr zusammenhängenden Zahlungstransaktionen erfolgen zu den gleichen Devisenbedingungen, die bei Zahlungen für laufende Transaktionen gelten.“
Der Kapitalverkehr im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 88/361 umfasst gemäß Rubrik XI dieses Anhangs den „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“, worunter Erbschaften und Vermächtnisse fallen.
Nationales Recht
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer‑ und Schenkungsteuergesetzes in seiner im Jahr 1999 geltenden Fassung (BGBl. 1997 I S. 378, im Folgenden: ErbStG) ist der Erwerb von Todes wegen ein nach Maßgabe dieses Gesetzes steuerpflichtiger Vorgang.
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bestimmt unter der Überschrift „Persönliche Steuerpflicht“:
„(1) Die Steuerpflicht tritt ein
1. in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer … ein Inländer ist, für den gesamten Vermögensanfall. Als Inländer gelten
a) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
…“
In § 21 Abs. 1 und 2 ErbStG heißt es unter der Überschrift „Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer“:
„(1) Bei Erwerbern, die in einem ausländischen Staat mit ihrem Auslandsvermögen zu einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer – ausländische Steuer – herangezogen werden, ist in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1, sofern nicht die Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden sind, auf Antrag die festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer insoweit auf die deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen, als das Auslandsvermögen auch der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt. …
(2) Als Auslandsvermögen im Sinne des Absatzes 1 gelten,
1. wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Inländer war: alle Vermögensgegenstände der in § 121 des Bewertungsgesetzes [in seiner im Jahr 1999 geltenden Fassung (BGBl. 1991 I S. 230, im Folgenden: BewG)] genannten Art, die auf einen ausländischen Staat entfallen, sowie alle Nutzungsrechte an diesen Vermögensgegenständen;
2. wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes kein Inländer war: alle Vermögensgegenstände mit Ausnahme des Inlandsvermögens im Sinne des § 121 [BewG] sowie alle Nutzungsrechte an diesen Vermögensgegenständen.“
§ 121 („Inlandsvermögen“) BewG lautet:
„Zum Inlandsvermögen gehören:
1. das inländische land- und forstwirtschaftliche Vermögen;
2. das inländische Grundvermögen;
3. das inländische Betriebsvermögen. Als solches gilt das Vermögen, das einem im Inland betriebenen Gewerbe dient, wenn hierfür im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist;
4. Anteile an einer Kapitalgesellschaft, wenn die Gesellschaft Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Gesellschafter entweder allein oder zusammen mit anderen ihm nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes [Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen] …, am Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft mindestens zu einem Zehntel unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist;
5. nicht unter Nummer 3 fallende Erfindungen, Gebrauchsmuster und Topographien, die in ein inländisches Buch oder Register eingetragen sind;
6. Wirtschaftsgüter, die nicht unter die Nummern 1, 2 und 5 fallen und einem inländischen Gewerbebetrieb überlassen, insbesondere an diesen vermietet oder verpachtet sind;
7. Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und andere Forderungen oder Rechte, wenn sie durch inländischen Grundbesitz, durch inländische grundstücksgleiche Rechte oder durch Schiffe, die in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert sind. Ausgenommen sind Anleihen und Forderungen, über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind;
8. Forderungen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter und aus partiarischen Darlehen, wenn der Schuldner Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat;
9. Nutzungsrechte an einem der in den Nummern 1 bis 8 genannten Vermögensgegenstände.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Frau Block, die in Deutschland wohnt, ist Alleinerbin einer im Jahr 1999 in diesem Mitgliedstaat verstorbenen Person, die dort ihren letzten Wohnsitz hatte. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus Kapitalvermögen, das zu einem Teil in Höhe von 144 255 DM in Deutschland und zum anderen Teil in Höhe von umgerechnet 994 494 DM bei Finanzinstituten in Spanien angelegt war. Für das in Spanien angelegte Vermögen zahlte Frau Block dort Erbschaftsteuer in Höhe von 207 565 DM.
Mit Steuerbescheid vom 14. März 2000 setzte das Finanzamt die von Frau Block in Deutschland geschuldete Erbschaftsteuer fest, ohne dabei die in Spanien entrichtete Erbschaftsteuer in Ansatz zu bringen. Gegen diesen Bescheid legte Frau Block Einspruch ein, mit dem sie begehrte, die in Spanien gezahlte Erbschaftsteuer auf die in Deutschland zu entrichtende Erbschaftsteuer anzurechnen und folglich den diese Steuer übersteigenden Betrag zu erstatten.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2003 ließ das Finanzamt die spanische Steuerschuld als Nachlassverbindlichkeit zum Abzug zu, d. h. es gestattete den Abzug der in Spanien entrichteten Erbschaftsteuer von der Bemessungsgrundlage für die in Deutschland geschuldete Erbschaftsteuer. Damit ergab sich unter Berücksichtigung von Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen sowie eines persönlichen Freibetrags ein steuerpflichtiger Erwerb von 579 000 DM, auf den Erbschaftsteuer in Höhe von 124 500 DM (63 655,84 Euro) festgesetzt wurde.
Das Finanzgericht, bei dem Frau Block Klage erhob, mit der sie begehrte, die in Spanien gezahlte Erbschaftsteuer nicht wie eine Nachlassverbindlichkeit von der Bemessungsgrundlage abzuziehen, sondern sie auf die in Deutschland zu entrichtende Erbschaftsteuer anzurechnen, war der Ansicht, eine Anrechnung der spanischen Erbschaftsteuer nach § 21 Abs. 1 ErbStG komme gemäß Abs. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift nicht in Betracht, da die Kapitalforderungen gegen Finanzinstitute in Spanien nicht unter § 121 BewG fielen. Sie seien daher kein „Auslandsvermögen“ im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1 ErbStG. Zwar komme es in Bezug auf sie zu einer Doppelbesteuerung, es sei jedoch nicht Aufgabe des deutschen Fiskus, andere Mitgliedstaaten zu subventionieren.
Der mit der Revision befasste Bundesfinanzhof stellt fest, dass es in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Harmonisierung des Begriffs des Auslandsvermögens zu einer Doppelbelastung von Frau Block komme, da die Bundesrepublik Deutschland bei der Erhebung der Erbschaftsteuer auf Kapitalforderungen an den Sitz des Gläubigers, das Königreich Spanien dagegen an den des Schuldners anknüpfe.
Er wirft die Frage auf, ob diese Doppelbelastung gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt. Einerseits wäre nämlich, wenn das gesamte Vermögen der Erblasserin in Deutschland angelegt gewesen wäre, nur die deutsche Erbschaftsteuer zu erheben gewesen. Andererseits sei die Anknüpfung der Besteuerung an den Wohnsitz des Gläubigers nicht weniger vernünftig als die Anknüpfung an den Sitz des Schuldners, da das vererbte Vermögen dem Gläubiger gehöre.
Im Übrigen fragt sich das vorlegende Gericht, ob für den Fall, dass diese Doppelbelastung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen sollte, diese Beschränkung durch Art. 73d Abs. 1 Buchst. a EG-Vertrag (jetzt Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG) in der Auslegung der Erklärung Nr. 7 zu Artikel 73d des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Anhang des EU-Vertrags (ABl. 1992, C 191, S. 95) gerechtfertigt wäre, die lautet: „Die Konferenz bekräftigt, dass das in Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erwähnte Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, nur für die einschlägigen Vorschriften gilt, die Ende 1993 bestehen. Diese Erklärung betrifft jedoch nur den Kapital‑ und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten.“ Die Regelungen des § 21 ErbStG hätten bereits vor dem Jahr 1993 bestanden; die Bekanntmachung der Neufassung dieses Gesetzes im Jahr 1997 sei kein konstitutiver Akt des Gesetzgebers und stelle keine Neuverkündung dar.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Erlauben die Regelungen des Art. 73d Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG-Vertrag (jetzt Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG), die Anrechnung spanischer Erbschaftsteuer auf die deutsche Erbschaftsteuer auch noch bei Erbfällen des Jahres 1999 gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ErbStG in Verbindung mit § 121 BewG (gegenständliche Beschränkung) auszuschließen?
2. Ist Art. 73b Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt Art. 56 Abs. 1 EG) dahin auszulegen, dass die Erbschaftsteuer, die ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union beim Erwerb von Kapitalforderungen eines zuletzt in Deutschland wohnenden Erblassers gegen Kreditinstitute in jenem Mitgliedstaat durch einen ebenfalls in Deutschland wohnenden Erben erhebt, auf die deutsche Erbschaftsteuer angerechnet werden muss?
3. Kommt für die Entscheidung, welcher der beteiligten Staaten die Doppelbelastung zu vermeiden hat, der Sachgerechtigkeit der verschiedenen Anknüpfungspunkte in den nationalen Steuerrechtsordnungen Bedeutung zu und ist – sollte dies der Fall sein – die Anknüpfung an den Wohnsitz des Gläubigers sachnäher als die Anknüpfung an den Sitz des Schuldners?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 56 EG und 58 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der bei der Berechnung der Erbschaftsteuer, die von einem Erben mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat auf Kapitalforderungen gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut geschuldet wird, die in dem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaftsteuer auf die im erstgenannten Mitgliedstaat geschuldete Erbschaftsteuer nicht angerechnet wird, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz im erstgenannten Mitgliedstaat hatte.
Nach ständiger Rechtsprechung verbietet Art. 56 Abs. 1 EG ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten (Urteil vom 6. Dezember 2007, Federconsumatori u. a., C‑463/04 und C‑464/04, Slg. 2007, I‑10419, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Mangels einer Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG im EG-Vertrag hat der Gerichtshof bereits der Nomenklatur des Anhangs I der Richtlinie 88/361 – auch wenn diese Richtlinie auf die Art. 69 und 70 Abs. 1 EWG-Vertrag (später Art. 69 und 70 Abs. 1 EG-Vertrag, aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam) gestützt ist – Hinweischarakter zuerkannt; dabei ist nach dem dritten Absatz der Einleitung dieses Anhangs die darin enthaltene Nomenklatur aber keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs (vgl. u. a. Urteile vom 23. Februar 2006, van Hilten-van der Heijden, C‑513/03, Slg. 2006, I‑1957, Randnr. 39, und vom 17. Januar 2008, Jäger, C‑256/06, Slg. 2008, I‑123, Randnr. 24).
Der Gerichtshof hat insoweit u. a. festgestellt, dass Erbschaften, mit denen das Vermögen eines Erblassers auf eine oder mehrere Personen übergeht, unter die Rubrik XI des Anhangs I der Richtlinie 88/361 mit der Überschrift „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“ fallen und dass es sich beim Erwerb von Todes wegen, gleichviel, ob er Geldbeträge, unbewegliche Güter oder bewegliche Güter betrifft, um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 EG handelt; ausgenommen sind die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. u. a. Urteile vom 11. Dezember 2003, Barbier, C‑364/01, Slg. 2003, I‑15013, Randnr. 58, vom 11. September 2008, Arens-Sikken, C‑43/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 30, und Eckelkamp, C‑11/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 39, sowie vom 27. Januar 2009, Persche, C‑318/07, Slg. 2009, I‑0000, Randnrn. 30 und 31).
Vererbt eine Person, die zum Zeitpunkt ihres Ablebens ihren Wohnsitz in Deutschland hatte, einer anderen Person, die ihren Wohnsitz ebenfalls in diesem Mitgliedstaat hat, Kapitalforderungen gegen ein in Spanien ansässiges Finanzinstitut, auf die sowohl in Deutschland als auch in Spanien Erbschaftsteuer erhoben wird, so handelt es sich keineswegs um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt.
Folglich geht es bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erbschaft um Kapitalverkehr im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG.
Deshalb ist zu prüfen, ob, wie Frau Block geltend macht, eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige eine Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellt.
In Bezug auf Erbschaften ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass zu den als Beschränkungen des Kapitalverkehrs nach Art. 56 Abs. 1 EG verbotenen Maßnahmen solche gehören, die eine Wertminderung des Nachlasses desjenigen bewirken, der in einem anderen Staat ansässig ist als dem Mitgliedstaat, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden und in dem deren Erwerb von Todes wegen besteuert wird (Urteile van Hilten-van der Heijden, Randnr. 44, Jäger, Randnr. 31, Arens-Sikken, Randnr. 37, und Eckelkamp, Randnr. 44).
Es steht jedoch fest, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung, soweit sie die Berechnung der Erbschaftsteuer regelt, die von einem Erben mit Wohnsitz in Deutschland auf Kapitalforderungen geschuldet wird, die eine Person besaß, die bei ihrem Ableben ihren Wohnsitz ebenfalls in diesem Mitgliedstaat hatte, gleiche Bestimmungen für die Nachlassbesteuerung unabhängig davon vorsieht, ob das Finanzinstitut, das Schuldner dieser Forderungen ist, in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.
Frau Block macht allerdings geltend, dass diese nationale Regelung den freien Kapitalverkehr beschränke, da nicht bei allen Nachlassgütern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Erblasser bei seinem Ableben seinen Wohnsitz gehabt habe, befänden, zwangsläufig ein Anspruch auf Anrechnung der in dem anderen Mitgliedstaat entrichteten Erbschaftsteuer bestehe. Wenn nämlich wie im Ausgangsverfahren der Eigentümer solcher Güter zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe, erfasse der Begriff des Auslandsvermögens im Sinne des § 21 ErbStG, für das ein Anspruch auf eine derartige Anrechnung bestehe, nach Abs. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift bestimmte Vermögensgegenstände wie Kapitalforderungen selbst dann nicht, wenn sie wirtschaftlich gesehen klar im Ausland belegen seien. Daraus ergebe sich eine gegen Art. 56 Abs. 1 EG verstoßende Beschränkung insoweit, als die Gefahr einer Doppelbesteuerung sowohl die Eigentümer als auch ihre Erben von Anlagen in bestimmten Mitgliedstaaten abhalte.
Wie Frau Block geltend macht, führt zwar der Umstand, dass Nachlassgüter wie Kapitalforderungen in Deutschland kein „Auslandsvermögen“ sind, für das nach der nationalen Regelung ein Anspruch auf Anrechnung der im Ausland entrichteten Erbschaftsteuer auf die in Deutschland geschuldete Erbschaftsteuer besteht, dazu, dass es im Fall von Forderungen gegen ein Finanzinstitut, das in einem anderen Mitgliedstaat – hier dem Königreich Spanien – ansässig ist, der Erbschaftsteuer auf sie erhoben hat, zu einer höheren steuerlichen Belastung kommt als im Fall von Forderungen gegen ein in Deutschland ansässiges Finanzinstitut.
Wie aber die Regierungen, die schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zutreffend vorgetragen haben, folgt dieser Steuernachteil daraus, dass die beiden betroffenen Mitgliedstaaten ihre Besteuerungsbefugnis parallel zueinander ausgeübt haben, und zwar so, dass der eine, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, sich dafür entschieden hat, auf Kapitalforderungen dann die deutsche Erbschaftsteuer zu erheben, wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz in Deutschland hat, während der andere, also das Königreich Spanien, die Entscheidung getroffen hat, auf solche Forderungen die spanische Erbschaftsteuer dann zu erheben, wenn der Schuldner in Spanien ansässig ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. November 2006, Kerckhaert und Morres, C‑513/04, Slg. 2006, I‑10967, Randnr. 20, und vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C‑298/05, Slg. 2007, I‑10451, Randnr. 43).
Insoweit ist daran zu erinnern, dass Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, wie sie in Art. 293 EG vorgesehen sind, dazu dienen, die negativen Wirkungen, die sich aus dem in der vorstehenden Randnummer dargestellten Nebeneinander nationaler Steuersysteme f ür das Funktionieren des Binnenmarkts ergeben, zu beseitigen oder abzumildern (Urteile Kerckhaert und Morres, Randnr. 21, und Columbus Container Services, Randnr. 44).
Das Gemeinschaftsrecht schreibt aber bei seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand und in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Dementsprechend ist abgesehen von der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter‑ und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6), dem Übereinkommen vom 23. Juli 1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (ABl. L 225, S. 10) und der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (ABl. L 157, S. 38) bis heute im Rahmen des Gemeinschaftsrechts keine Maßnahme der Vereinheitlichung oder Harmonisierung zum Zweck der Beseitigung von Doppelbesteuerungstatbeständen erlassen worden (vgl. Urteile Kerckhaert und Morres, Randnr. 22, und Columbus Container Services, Randnr. 45).
Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts vorbehaltlich dessen Beachtung über eine gewisse Autonomie in diesem Bereich verfügen und deshalb nicht verpflichtet sind, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen Mitgliedstaaten anzupassen, um namentlich die sich aus der parallelen Ausübung ihrer Besteuerungsbefugnisse ergebende Doppelbesteuerung zu beseitigen und so in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die Anrechnung der Erbschaftsteuer zu ermöglichen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat des Erben entrichtet wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil Columbus Container Services, Randnr. 51).
Daran ändert auch der von Frau Block in ihren schriftlichen Erklärungen angeführte Umstand nichts, dass § 21 ErbStG günstigere Anrechnungsregeln vorsieht, wenn der Erblasser bei seinem Ableben seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland hatte, weil in einem solchen Fall der Begriff des Auslandsvermögens nach Abs. 2 Nr. 2 dieser Vorschrift weiter gefasst ist als in einem Fall wie dem der Klägerin des Ausgangsverfahrens.
Zwar sieht die nationale Regelung, wie die deutsche Regierung und die Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, für den Fall, dass der Erblasser bei seinem Ableben seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland hatte, in Bezug auf die Berechnung der Erbschaftsteuer, die ein inländischer Erbe in Deutschland auf Kapitalforderungen des Erblassers gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut schuldet, vor, dass die im letztgenannten Mitgliedstaat auf diese Forderungen entrichtete Erbschaftsteuer angerechnet wird, weil letztere in einem solchen Fall nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG unter den Begriff des Auslandsvermögens fallen.
Auch diese unterschiedliche Behandlung ergibt sich jedoch im Fall des Nachlasses einer Person, die zur Zeit ihres Ablebens ihren Wohnsitz nicht im Inland hatte, daraus, dass der betreffende Mitgliedstaat – wie es ihm nach der in den Randnrn. 28 bis 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung im Rahmen seiner Besteuerungsbefugnisse zusteht –, den Wohnsitz des Gläubigers als Anknüpfungskriterium für die Behandlung des Nachlasses als „Auslandsvermögen“ und demzufolge für die Anrechenbarkeit der in einem anderen Mitgliedstaat entrichteten Erbschaftsteuer in Deutschland gewählt hat.
Außerdem garantiert der EG-Vertrag nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs einem Unionsbürger nicht, dass die Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, in dem er bis dahin gewohnt hat, steuerneutral ist. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich kann eine solche Verlegung für den Bürger je nach dem Einzelfall mehr oder weniger vorteilhaft sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2004, Lindfors, C‑365/02, Slg. 2004, I‑7183, Randnr. 34, und vom 12. Juli 2005, Schempp, C‑403/03, Slg. 2005, I‑6421, Randnr. 45).
Deshalb ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 56 EG und 58 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der bei der Berechnung der Erbschaftsteuer, die von einem Erben mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat auf Kapitalforderungen gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut geschuldet wird, die in dem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaftsteuer auf die im erstgenannten Mitgliedstaat geschuldete Erbschaftsteuer nicht angerechnet wird, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz im erstgenannten Mitgliedstaat hatte.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 56 EG und 58 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der bei der Berechnung der Erbschaftsteuer, die von einem Erben mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat auf Kapitalforderungen gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut geschuldet wird, die in dem anderen Mitgliedstaat entrichtete Erbschaftsteuer auf die im erstgenannten Mitgliedstaat geschuldete Erbschaftsteuer nicht angerechnet wird, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen Wohnsitz im erstgenannten Mitgliedstaat hatte.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg