06.08.2009 · IWW-Abrufnummer 092614
Bundesfinanzhof: Urteil vom 28.05.2009 – III R 8/06
Bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge des Kindes ist eine vom Kind gebildete Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG 2002, die es gemäß § 7g Abs. 6 EStG 2002 bei seinen gewerblichen Einkünften als Betriebsausgaben abgezogen hat, nicht entsprechend § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 als Bezug anzusetzen.
Gründe:
I.
Der im Jahr 1975 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) leistete in der Zeit vom 4. September 1995 bis 30. September 1996 seinen Zivildienst. Von November 2000 bis Oktober 2003 absolvierte er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, daneben war er als Eventmanager gewerblich tätig.
S erzielte im Jahr 2002 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 2 948 EUR und Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 3 692 EUR, die er nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 2002 durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt hatte. Bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb hatte er eine Rücklage für die zukünftige Anschaffung eines Kfz in Höhe von 6 000 EUR gemäß § 7g Abs. 6 EStG 2002 als Betriebsausgabe abgezogen. Nachdem S sich entschieden hatte, anstelle einer Anschaffung das Kfz im Jahr 2003 zu leasen, löste er die Rücklage zum 31. Dezember 2003 wieder auf und berücksichtigte sie als Betriebseinnahme.
Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte mit Bescheid vom 21. März 2001 Kindergeld für den Zeitraum 1. Januar 2000 bis 30. September 2003 fest.
Erst bei der Überprüfung der Einkünfte für das Jahr 2003 wurde der Familienkasse bekannt, dass S von den gewerblichen Einkünften im Jahr 2002 eine Rücklage von 6 000 EUR als Betriebsausgabe abgezogen hatte. Die Familienkasse war der Auffassung, die Rücklage sei nach § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 als Bezug anzusetzen, sodass der maßgebliche Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 in Höhe von 7 188 EUR überschritten werde. Sie hob daher mit Bescheid vom 8. März 2005 die Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 4 EStG 2002 von Januar bis Dezember 2002 auf. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Bescheid vom 8. März 2005 durch Urteil vom 12. Januar 2006 14 K 2060/05 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2006, 818) auf. Eine Rücklage sei keine Sonderabschreibung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 und daher nicht als Bezug anzusetzen.
Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002. Auch wenn die Rücklage keine Sonderabschreibung i.S. des § 7a Abs. 4 EStG 2002 sei, sei sie den in § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 genannten Sonderabschreibungen und erhöhten Absetzungen vergleichbar, da sie ihren Grund nicht in einer geminderten steuerlichen Leistungsfähigkeit des Kindes habe, sondern soziale Zwecke bzw. Subventionszwecke erfülle. Bei der Bildung der Rücklage handle es sich lediglich um einen buchhalterischen Vorgang, der nicht die Leistungsfähigkeit des Kindes mindere, da der entsprechende Betrag aufgrund lediglich geplanter betrieblicher Investitionen nicht tatsächlich gebunden sei. Der Betrag stehe vielmehr weiterhin zur Bestreitung des Lebensunterhalts bzw. der Berufsausbildung zur Verfügung. Bei der Rücklage werde nur die spätere Absetzung für Abnutzung in ihrer Aufwandswirkung vorgezogen, da sie bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 2002 im Zeitpunkt ihrer Bildung als Betriebsausgabe behandelt werde. Daher sei die Rücklage aufgrund ihrer Wirkung als vorweggenommene Sonderabschreibung den in § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 genannten Sonderabschreibungen zuzurechnen und deshalb bei S als Bezug anzusetzen.
Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Nach zutreffender Entscheidung des FG übersteigen die Einkünfte und Bezüge des S nicht den Jahresgrenzbetrag, sodass dem Kläger für das Jahr 2002 Kindergeld zusteht.
1.
Unter weiteren --hier nicht streitigen-- Voraussetzungen hat der Kindergeldberechtigte Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 7 188 EUR hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002).
a)
Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG 2002 gesetzlich definiert - je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Diese Begriffsbestimmung gilt nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) grundsätzlich auch für den Begriff der Einkünfte in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 (vgl. auch Senatsurteil vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738). Erzielt das Kind Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ermittelt seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG 2002, ist daher der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben bei den Einkünften anzusetzen.
b)
Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (z.B. Senatsurteil vom 29. Mai 2008 III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664). Nach § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002 gehören zu den Bezügen auch der Versorgungsfreibetrag (§ 19 Abs. 2 EStG 2002), der Sparerfreibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG 2002) sowie Sonderabschreibungen und erhöhte Absetzungen, soweit sie die höchstmöglichen Absetzungen für Abnutzung nach § 7 EStG 2002 übersteigen.
2.
Die Einkünfte des S liegen unterhalb des Jahresgrenzbetrags.
Nach § 7g Abs. 3 EStG 2002 können Steuerpflichtige für die künftige Anschaffung oder Herstellung von bestimmten Wirtschaftsgütern eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden (Ansparabschreibung). Ermittelt der Steuerpflichtige den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 2002, ist die Bildung der Rücklage nach § 7g Abs. 6 EStG 2002 als Betriebsausgabe (Abzug) und ihre Auflösung als Betriebseinnahme (Zuschlag) zu behandeln. Im Streitfall mindert die Rücklage daher die gewerblichen Einkünfte des S mit der Folge, dass dessen Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Arbeit den Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen.
3.
Eine Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG 2002 ist entgegen der Auffassung der Familienkasse, die zum Teil auch im Schrifttum vertreten wird (z.B. Blümich/Heuermann, § 32 EStG Rz 116; Dötsch, [...] Praxis-Report Steuerrecht 4/2005; Haferkamp, EFG 2004, 347), nicht als Bezug anzusetzen.
Nach § 7g Abs. 3 EStG 2002 kann der Steuerpflichtige "im Vorgriff auf spätere Abschreibungsmöglichkeiten" (BTDrucks 12/4487, S. 33) zur Finanzierung künftiger Investitionen eine Rücklage bilden. Dadurch hat er die Möglichkeit, Gewinnminderungen durch künftige Abschreibungen (z.B. Sonderabschreibungen nach § 7g Abs. 1 EStG 2002) in die Ansparphase vorzuverlegen (Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 7g Rz D 1; Schmidt/Drenseck, EStG, 21. Aufl., § 7g Rz 20). Dies kommt auch in dem vom Gesetzgeber verwendeten Begriff "Ansparabschreibung" zum Ausdruck. Dieser Begriff ist jedoch irreführend. Denn rechtstechnisch handelt es sich bei der Ansparabschreibung um eine den Gewinn mindernde Rücklage (Lambrecht, a.a.O., § 7g Rz D 1) und nicht um eine unter § 7a EStG 2002 fallende Sonderabschreibung wie sie z.B. in § 7g Abs. 1 EStG 2002 vorgesehen ist.
Die Rücklage ist auch Sonderabschreibungen nicht gleichzusetzen. Ohne gesetzliche Grundlage kann das Ergebnis der Einkünfteermittlung (hier der Abzug der Rücklage als Betriebsausgabe) nicht dadurch korrigiert werden, dass die Rücklage als Bezug angesetzt wird (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. September 2000 VI R 85/99, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684, und vom 27. Oktober 2004 VIII R 35/04, BFHE 207, 318, BStBl II 2008, 737).
Dem Ansatz der Rücklage als Bezug steht zudem entgegen, dass nur Bezüge angesetzt werden dürfen, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Durch die zu einer Steuerstundung führende Rücklage sollen aber Mittel angespart werden können, um dem Unternehmen die Finanzierung von Investitionen zu erleichtern. Auch wenn die Mittel wirtschaftlich nicht gebunden sind, sind sie aber doch in einer solchen Weise "verplant", dass sie nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes oder der Berufsausbildung des Kindes herangezogen werden können (BFH-Urteil in BFHE 207, 318, BStBl II 2008, 737, m.w.N.).