02.03.2010 · IWW-Abrufnummer 100667
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 08.04.2009 – 2 K 1655/08
1. Im Rahmen der Bewertung von Grundvermögen für Zwecke der Festsetzung der Erbschaftsteuer kann der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts u.a. durch Vorlage des Gutachtens eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden.
2. Einem Sachverständigengutachten, das bei Fehlen bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung entspricht und plausibel ist, wird auch dann regelmäßig zu folgen sein, wenn einzelne Faktoren – erzielbare Miete und Restnutzungsdauer – von der Behörde oder vom Gericht anders bewertet werden und bei der Berechnung daher auszutauschen sind.
3. Zur Eigennutzung ungeeignete Renditeobjekte wie im Streitfall ein Ladenlokal sind regelmäßig im Ertragswertverfahren zu bewerten. Das Sachwertverfahren findet im Regelfall bei renditeunabhängigen Objekten der Eigennutzung Anwendung.
Sächsisches FG v. 08.04.2009
2 K 1655/08
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Bewertung von Teileigentum zum Zwecke der Festsetzung der Erbschaftssteuer.
Die Klägerin ist Erbin nach der am 11. März 2005 verstorbenen …. Die Erblasserin war Eigentümerin von 136,67/1000 des Eigentums an dem Grundstück … Straße 50 – 56 in …, das eine Gesamtfläche von 8.613 m² hat. Das Gebäude wurde 1995 errichtet. Das Teileigentum besteht aus insgesamt 4 Ladenlokalen, wovon das größte eine Haupt- und Nebennutzfläche von 780 m² hat und bis Ende 2011 an einen P.-Markt vermietet ist. Die übrigen 3 Ladenlokale haben eine Haupt- und Nebennutzfläche von insgesamt 249 m², wovon eines zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht vermietet war. In den drei Jahren vor dem Erbfall erzielte die Erblasserin insgesamt EUR 224.747 an Nettokaltmieten.
Mit Bescheid vom 12. Juni 2006 setzte der Beklagte den Grundbesitzwert einheitlich und gesondert auf EUR 894.000 fest. Dabei legte er die angegebenen Nettokaltmieten sowie eine … Altersminderung für 9 Jahre gemäß § 146 Abs. 1 bis 6 BewG zugrunde. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, da sie der Auffassung ist, dass das Teileigentum einen geringeren Wert hat. Zum Beleg hierfür legte sie ein Gutachten vom 7. Dezember 2006 der Sachverständigen T., das zu einem Wert von EUR 410.000 im Ertragswertverfahren kommt, und ein Gutachten vom 7. Juli 2008 des Sachverständigen H., das im Ertragswertverfahren zum Wert von EUR 737.000 kommt, vor. Mit Entscheidung vom 12. August 2008 wies der Beklagte den Einspruch zurück.
Die Klägerin trägt vor, dass sich aus den vorgelegten Gutachten ein geringerer Wert als vom Beklagten angenommen ergibt. So sei die Lage außerhalb eines Stadtzentrums sowie die Konkurrenz im Umfeld zu berücksichtigen. Es bestünde das Risiko, das sich inzwischen auch realisiert habe, dass der Mieter P.-Markt seinen Vertrag über das Jahr 2011 hinaus nicht verlängere. Dies habe einen Nachzieheffekt bei den kleineren Läden, die dann auch schwer vermietbar seien. Diese Aspekte hätten die Sachverständigen berechtigt in ihren Bewertungen beachtet.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 11. März 2005 vom 12. Juni 2006, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2008 dahingehend zu ändern, dass der Grundbesitzwert mit EUR 737.000 festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass die Anwendung von § 146 Abs. 7 AO voraussetze, dass der Steuerpflichtige nachweise, dass der gemeine Wert niedriger sei als es sich aus der Berechnung nach § 146 Abs. 1 bis 6 BewG ergebe. Dieser Nachweis sei der Klägerin nicht gelungen. Neben den erheblichen Mängeln des Gutachtens T. weise auch das Gutachten H. Mängel auf. So sei unklar, warum der Sachverständige von der Nutzfläche von 994 m² und nicht von der Bruttogrundfläche von 1.164 m² ausgehe, er für die Alterswertminderung 14,29% statt – wie nach der Rossschen Karte – 8,6% ansetze, den Liegenschaftszins mit 8% statt 6,5% annehme und die Bewirtschaftungskosten mit 30% statt mit 20% für erforderlich halte. Im Übrigen vertieft er seine Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und die dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist größtenteils begründet.
I.
Gemäß § 146 Abs. 7 BewG ist für bebaute Grundstücke ein niedrigerer Grundstückswert festzustellen, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der gemeine Wert des Grundstücks niedriger ist als der nach den Absätzen 2 bis 6 der Vorschrift ermittelte Wert. Der Nachweis kann u.a. durch Vorlage des Gutachtens eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden. Der Nachweis ist erbracht, wenn die Behörde bzw. das Gericht dem Gutachten ohne Einschaltung weiterer Sachverständiger folgen kann. Einem Sachverständigengutachten, das bei Fehlen bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung entspricht und plausibel ist, wird regelmäßig zu folgen sein (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. Dezember 2008, DStR 2009, 573).
Die Gutachten der von der Industrie- und Handelskammer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken T. und des Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, Mieten und Pachten sowie Bauschäden H. weisen nach, dass das Grundstück einen niedrigeren gemeinen Wert als EUR 894.000 hat. Diesen Feststellungen ist weitgehend zu folgen, auch wenn einzelne Faktoren – erzielbare Miete und Restnutzungsdauer – anders vom Gericht bewertet werden und bei der Berechnung daher auszutauschen sind.
Die Gutachten sind zunächst zutreffend vom 11. März 2005 als Bewertungsstichtag ausgegangen.
Das angewandte Wertermittlungsverfahren ist für das zu bewertende Grundstück geeignet. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 WertV sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren, das Ertragswertverfahren, das Sachwertverfahren oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen. Das Vergleichswertverfahren ist zutreffend mangels eines entsprechenden Marktes für Teileigentum an abgeschlossenen Ladenlokalen verschiedener Größe ausgeschlossen. Da es sich bei dem streitgegenständlichen Objekt um ein Renditeobjekt handelt, weil es sich nicht zur Eigennutzung eignet, war das Ertragswertverfahren anzuwenden (so auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. Dezember 2008, a.a.O.). Das Sachwertverfahren findet im Regelfall bei renditeunabhängigen Objekten der Eigennutzung Anwendung.
Die Sachverständige T. hat sich umfassend mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Objekts vertraut gemacht. Sie kommt insbesondere zu dem Ergebnis, dass als wertmindernde Faktoren zu berücksichtigen sind, dass üblicherweise Mieter wie der P.-Markt Ladenlokale von 1.200 m² und nicht wie hier von 780 m² benötigen sowie die Parkplatzsituation mit nur 42 statt mindestens 80 Stellplätzen teilweise neben statt vollständig vor dem Objekt ungünstig ist.
Der Bodenwert ist nach dem Vergleichswertverfahren zu ermitteln, bei dem sowohl die Sachverständigen wie auch der Beklagte zu einem Wert von EUR 51.145 kommen.
Der Ertragswert der baulichen Anlagen ergibt sich zunächst aus dem Rohertrag (§ 17 WertV) nach Abzug der Bewirtschaftungskosten (§ 18 WertV). Aus dem Gutachten der Sachverständigen T., die die Mietverträge ausgewertet hat, ergibt sich eine Jahresrohmiete von EUR 91.038 statt EUR 87.367 wie vom Sachverständigen H. angenommen. Bei den Bewirtschaftungskosten geht die Sachverständige T. von 12,48% aus, der Sachverständige H. von 30% und der Sachverständige des Beklagten von 11,25%. Es erscheint dem Senat vertretbar, hier einen höheren Wert anzusetzen, in dem sich das Mietausfallrisiko niederschlägt. Die Sachverständige T. hat hier zwar nur 3% Mietausfallwagnis angesetzt, dies erklärt sich aber aus dem Umstand, dass sie die Restnutzungsdauer des Gebäudes an den Mietvertrag des P.-Marktes knüpft, da sie die Auffassung vertritt, dass danach überhaupt keine Vermietung mehr möglich ist. In diesen 3% spiegelt sich also nur das Risiko wider, dass die vorhandenen Mieter innerhalb von 6 Jahren keine Miete zahlen. Das konkret erhöhte Mietausfallrisiko zeigt sich durch die von der Sachverständigen beigefügten Unterlagen mit dem Schreiben der Vertreter der Mieter der Bäckerfiliale vom 28. Juli 1997 und dem Schreiben des P.-Marktes vom 30. Januar 1998, jeweils mit dem Inhalt, dass die Umsatzentwicklung sich seit längerem ungünstig entwickelt, aber auch aus der – nach dem Bewertungsstichtag liegenden – Kündigung des durch einen Metzger genutzten Ladenlokals vom 15. Mai 2006. Es kam daher in den Mietverhältnissen bereits vor dem Stichtag jeweils zur Reduzierung der Miethöhe. Die Bewirtschaftungskosten werden vom Senat deshalb mit 30% angesetzt.
Sowohl der Sachverständige H. wie auch derjenige des Beklagten gehen von einer relativ langen Restnutzungsdauer von 60 bzw. 51 Jahren aus, während die Sachverständige T. wie oben erläutert nur noch 6 Jahre ansetzt. Der Senat setzt hier ausgehend von den Angaben in Kleiber/Simon/Weyers (Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 8. Auflage, Seite 1511) den mittleren Wert von insgesamt 40 Jahren und somit eine Restnutzungsdauer von 31 Jahren an. Der Liegenschaftszins ist in Einklang mit den Angaben der Sachverständigen T., wonach nach der Literatur für Verbrauchermärkte zwischen 6,5% und 8,5% angesetzt werden, und dem Sachverständigen des Beklagten mit dem mittleren Wert von 7,5% anzusetzen. Nach den Feststellungen der Sachverständigen T. vor Ort besteht nur ein geringer Reparaturrückstau, der mit EUR 10.000 (statt EUR 66.559 wie vom Beklagten unterstellt) geschätzt wird. Dies ergibt folgenden Grundstücksertragswert:
Jahresrohmiete EUR 91.038
Bewirtschaftungskosten 30%
Reinertrag EUR 63.726
anteiliger Bodenwert EUR 51.145
multipliziert mit einem Liegenschaftszins von 7,5% EUR 3.836
Ergebnis Gebäudeertrag: EUR 59.890
wirtschaftliche Restnutzungsdauer 31 Jahre
Vervielfältiger bei einem Liegenschaftszins von 7,5% 11,92
Gebäudeertragswert EUR 713.889
Reparaturrückstau EUR 10.000
Gebäudeertragswert zum Stichtag: EUR 703.889
zuzüglich Wert Grund und Boden EUR 51.145
Grundstücksertragswert EUR 755.034
Die Einwände des Beklagten erschöpfen sich im Wesentlichen in der Auseinandersetzung mit der formalen Berechung, ohne auf die konkreten Feststellungen der Sachverständigen T., die ihrem Gutachten auch die von ihr verwandten Unterlagen beigefügt hat, einzugehen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 155 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO und diejenige über die Kosten des Vorverfahrens auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.