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  • 05.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103193

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 24.03.2010 – 3 K 3258/06 B

    1. Wird im Falle der Bedarfsbewertung der niedrigere gemeine Wert eines Grundstücks erst nach der Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser gemeine Wert nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sind.



    2. Bei einem Grundstücksverkauf zu einem Kaufpreis, der unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten „Bedarfswert” des Grundstücks liegt, ist der niedrigere, im normalen Geschäftsverkehr zustandegekommene Kaufpreis auch dann eine neue Tatsache i. S. v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert des Grundstücks, wenn der Kaufvertrag nicht innerhalb eines Jahres, sondern erst rund 14 Monate nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden ist.



    3. Hat die nicht durch einen Steuerberater vertretene Klägerin noch vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen den urspünglichen Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwertes das streitige Grundstück verkauft, so kann ihr als steuerlicher Laiin kein grobes Verschulden angelastet werden, wenn sie –entsprechend den damaligen amtlichen Anleitungen zu den Steuererklärungen – dem Kaufvertrag bei der Feststellung des Grundbesitzwertes keine rechtserhebliche Bedeutung beigemessen hat, weil er nicht innerhalb eines Jahres nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden ist, und wenn sie deswegen nicht rechtzeitig Einspruch gegen den Feststellungsbescheid eingelegt hat.


    FG Berlin-Brandenburg v. 24.03.2010

    3 K 3258/06 B

    Tatbestand:
    Die Klägerin erwarb im Wege der Erbfolge nach dem am … März 2004 verstorbenen A dessen Miteigentumsanteil von … am Grundstück G.1. Als Grundlage für die Erbschaftsteuerfestsetzung erließ der Beklagte am 25. April 2005 für das Streitobjekt einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes zum … März 2004. Gegen diesen Bescheid, mit dem der Klägerin das Streitgrundstück irrtümlich insgesamt zurechnet wurde, legte die Klägerin mit beim Beklagten am 27. April 2005 eingegangenem Schreiben rechtzeitig Einspruch ein, mit dem sie (offenbar) beantragte, ihr den festgestellten Grundbesitzwert lediglich in Höhe ihres Miteigentumsanteils zuzurechnen. Dem folgte der Beklagte. Mit Bescheid vom 11. Mai 2005 änderte der Beklagte den Bescheid vom 20. April 2005 und stellte den Grundbesitzwert für das bebaute Grundstück für Zwecke der Erbschaftsteuer in Höhe von 688.500 EUR gesondert fest. Der Klägerin rechnete er daran einen Anteil von … in Höhe von … EUR zu. Der Berechnung legte der Beklagte statt des (niedrigeren) Ertragswerts im Sinne des § 146 Abs. 2 bis 5 Bewertungsgesetz – BewG – in der zum Eintritt des Erbanfalls geltenden Fassung (12,5 * erklärter Durchschnittsmiete 66.626 EUR abzüglich 25 % Alterswertminderung = 624.618 EUR) den Mindestwert in Höhe von 688.500 EUR gemäß § 146 Abs. 7 i. V. m. § 145 Abs. 3 BewG zugrunde. Der Ermittlung des Mindestwerts legte er 80 % des vom Gutachterausschuss für die Bewertung von Grundstücken auf den 1. Januar 1996 ermittelten Bodenrichtwerts (1.300 DM = 664,68 EUR * 0,8 =) 531,74 EUR/m² sowie eine Grundstücksgröße von 1.295 m² zugrunde. Gegen den Abhilfebescheid vom 11. Mai 2005 legte die steuerlich nicht beratene Klägerin keinen Einspruch ein, so dass dieser formell bestandskräftig wurde.

    Mit notariellem Kaufvertrag vom … Juni 2005 veräußerten die Klägerin und die weitere Miteigentümerin, Frau B, das Streitgrundstück mit Lastenwechsel zum 1. Juli 2005 zum Kaufpreis von 550.000 EUR an C und D.

    Mit dem beim Beklagten am 16. Januar 2006 eingegangenen Schreiben vom 12. Januar 2006 beantragte die Klägerin, den geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vom 11. Mai 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung – AO – zu korrigieren und den Grundbesitzwert auf 550.000 EUR herabzusetzen und ihr anteilig (…) zuzurechnen. Zur Begründung führte sie aus, dass der notariell beurkundete Kaufpreis die Anforderungen an den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts erfülle. Dass der Kaufpreiserlös nicht innerhalb einer Zeitspanne eines Jahres vor bzw. nach dem Besteuerungszeitpunkt zustandegekommen sei, sei unerheblich, weil nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch ein außerhalb dieser Zeitspanne vereinbarter Kaufpreis berücksichtigt werden müsse, wenn der Steuerpflichtige durch ein Sachverständigengutachten nachweise, dass die für den Kaufpreis maßgebenden Verkehrswertkomponenten (z. B. Bodenrichtwert, Mieten, Gebäudezustand) seit dem maßgeblichen Besteuerungszeitpunkt unverändert geblieben sind. Mit Schreiben vom 8. Februar 2006 (eingegangen beim Beklagten am 9. Februar 2006) legte die Klägerin ein Gutachten der von … öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken E vom 13. Januar 2006 vor. In diesem Gutachten – auf das der Senat im Übrigen Bezug nimmt (vgl. Heftung EW-Akte) – nahm die Sachverständige bezogen auf den Besteuerungszeitpunkt und den späteren Zeitpunkt des Verkaufs (Stichtag 1. Juli 2005) eine Bewertung im Ertragswertverfahren vor. Danach betrug der Ertragswert (jeweils ohne Berücksichtigung des Instandsetzungsbedarfs) zum Bewertungsstichtag rund 583.600 EUR und zum Zeitpunkt des Verkaufs rund 567.600 EUR. Weiterhin führte die Sachverständige aus, dass der vom Gutachterausschuss festgestellte Bodenrichtwert (bei einer gebietstypischen Geschossflächenzahl – GFZ – von 2,5) zum 1. Januar 2004 400 EUR und zum 1. Januar 2005 340 EUR betragen habe. Die rückläufige Marktentwicklung habe auch im Jahre 2005 fortbestanden. Für den Zeitraum vom … März 2004 bis zum 1. Juli 2005 sei von einem Preisrückgang von etwa 10 bis 15 % auszugehen. Von dieser Preisentwicklung seien auch bebaute Mietwohn- und Geschäftsgrundstücke gleichermaßen betroffen. Bezogen auf das Streitgrundstück führte die Sachverständige aus, dass ein erheblicher Instandhaltungsrückstau an den Gebäuden (Putzschäden an Fassaden und Durchfahrt, Regenentwässerung, schlechter Zustand der Fenster, veraltete Anstriche) bestehe. Der Preisrückgang beim Grund und Boden würde sich bei der Bewertung des bebauten Grundstücks im Ertragwertverfahren mit weniger als 5 % auf den Verkehrswert auswirken. Der für das veräußerte Streitobjekt erzielte Kaufpreis sei als marktgerecht zu erachten.

    Mit Verwaltungsakt vom 26. Januar 2006 lehnte der Beklagte eine Änderung des Feststellungsbescheides auf den … mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für dessen Korrektur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt seien.

    Den dagegen fristgerecht eingelegten Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 8. September 2006 als unbegründet zurück. Er führte aus, dass eine Änderung des Grundbesitzwertfeststellungsbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen sei. Als grobes Verschulden sei der Klägerin anzulasten, dass sie es sorgfaltswidrig unterlassen habe, den geänderten Feststellungsbescheid vom 11. Mai 2005 rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist mit dem Einspruch anzufechten und dass sie den Kaufvertrag vom … Juni 2005 nicht vorgelegt habe. Auch wenn der Kaufvertrag nicht innerhalb der Zeitspanne von einem Jahr vor bzw. nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden sei, hätte die Klägerin ausreichende Gelegenheit gehabt, spätestens im Einspruchswege gegen den geänderten Feststellungsbescheid vom 11. Mai 2005 einen geringeren Grundstückswert geltend zu machen. Es sei zu berücksichtigen, dass sich die Verhandlungen bei Grundstücksgeschäften regelmäßig über einen längeren Zeitraum erstreckten. Es müsse deshalb angenommen werden, dass der Klägerin schon zu einem weitaus früheren Zeitpunkt vor dem Kaufvertragsschluss bewusst gewesen sei, dass der festgestellte Grundbesitzwert überhöht sei. Die Klägerin habe außerdem versäumt, die amtlichen Erläuterungen in der Anlage „Grundstücke” zur Erbschaftsteuererklärung und der „Anleitung für die Feststellung des Grundstückswerts” (vollständig) durchzusehen. Wäre sie dieser Verpflichtung pflichtgemäß nachgekommen, wäre ihr zur Kenntnis gelangt, dass der Feststellungsbetroffene in bestimmten Fällen die Möglichkeit habe, einen niedrigeren Verkehrswert des Grundstücks nachzuweisen.

    Mit ihrer dagegen gerichteten fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin den Erlass eines geänderten Bescheides unter Berücksichtigung des durch den Kaufvertrag vom … Juni 2005 nachgewiesenen niedrigeren Verkehrswertes, da nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen für eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben seien. Ihr vorinstanzliches Vorbringen ergänzend und vertiefend trägt sie vor: Entgegen der Auffassung des Beklagten liege kein grobes Verschulden im Sinne der Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor. Ihr – der Klägerin – könne weder vorsätzliches noch grob fahrlässiges Fehlverhalten zur Last gelegt werden. Insbesondere könne ihr nicht vorgeworfen werden, die amtlichen Erläuterungen nicht gewissenhaft durchgesehen zu haben. Die amtlichen Anleitungen seien unvollständig, da sie keinen Hinweis darauf enthielten, dass Kaufpreise, die außerhalb der Zeitspanne von einem Jahr im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande kommen, ebenso wie innerhalb dieser Zeitspanne zustande gekommene Kaufpreise als Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes dienen könnten. Sie habe sich auf die amtlichen Anleitungen zu den Steuererklärungen verlassen und keine Veranlassung gesehen, den bei Abschluss des Kaufvertrages noch nicht bestandskräftigen Feststellungsbescheid vom 11. Mai 2005 anzufechten. Dass der außerhalb des Zeitraums von einem Jahr vereinbarte Kaufpreis entgegen den amtlichen Anleitungen den Nachweis eines geringeren Verkehrswertes erfüllen könne, sei ihr erst nach dessen Bestandskraft zu einem späteren Zeitpunkt bewusst geworden, als ihre Steuerberaterin, die sie mit der Prüfung des Erbschaftsteuerbescheides betraut habe, einen entsprechenden Hinweis gegeben habe.

    Die Klägerin beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),

    den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 26. Januar 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 8. September 2006 den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswertes vom 11. Mai 2005 betreffend das bebaute Grundstück G.1, dahingehend zu ändern, dass der Grundstückswert auf 550.000 EUR festgestellt und der Klägerin daran ein anteiliger Grundbesitzwert in Höhe von 348.337 EUR zugerechnet wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen

    und verweist auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung vom 8. September 2006.

    Dem Senat haben bei seiner Entscheidung ein Band Einheitswert- und Grundsteuerakten sowie eine Heftung mit Bedarfbewertungsvorgängen des Beklagten zur Steuernummer … vorgelegen.



    Entscheidungsgründe:
    Das Gericht konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

    Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet.

    Die Ablehnung des Erlasses eines Änderungsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 FGO).

    Die Klägerin hat gemäß § 173 Abs.1 Nr. 2 AO einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückbesitzwertes zum … März 2004 ändert.

    Im Falle der Bedarfsbewertung gem. §§ 145 Abs. 3 S. 3, 146 Abs. 7 BewG (in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung) besteht die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Dieser Nachweis kann bis zur Bestandskraft des Bescheides geführt werden.

    Wird der niedrigere gemeine Wert jedoch – wie im Streitfall – erst nach der Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sind (vgl. hierzu Rössler/Troll, BewG, § 138 Rn 31; Urteil des Finanzgerichts – FG – München vom 25. Juni 2003 4 K 4372/02, Juris). Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Hinsichtlich des nachträglichen Bekanntwerdens ist auf die zuständige Finanzbehörde abzustellen, hier also den Beklagten beziehungsweise die innerhalb der Behörde für die Bearbeitung des Steuerfalls zuständigen Bediensteten, wobei der Zeitpunkt der Unterzeichnung des jeweiligen Eingabewertbogens maßgeblich ist (vgl. hierzu Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 44 m.w.N.).

    Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des Korrekturtatbestands vor.

    Bei dem im Einspruchsverfahren ergangenen Änderungsbescheid vom 11. Mai 2005 handelt es sich um einen formell bestandskräftig geworden Vollabhilfebescheid, denn mit dem Änderungsbescheid wurde dem Einspruch der Klägerin in vollem Umfang entsprochen, mit der Konsequenz, dass hierdurch das Einspruchsverfahren erledigt war (zur Erledigungswirkung eines Vollabhilfebescheides, vgl. BFH, Urteil vom 18. April 2007 XI R 47/05, BStBl II 2007, 736). Da die Klägerin gegen den Vollabhilfebescheid keinen Einspruch einlegte, ist dieser bestandkräftig geworden.

    Im Streitfall sind zwar weder das Sachverständigengutachten noch der Kaufvertrag als neue Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen, denn beide Urkunden sind bei Erlass des Vollabhilfebescheides vom 11. Mai 2005 (Zeichnung des Eingabewertbogens) noch nicht vorhanden gewesen. Beide Urkunden belegen aber nachträglich bekanntgewordene (neue) Tatsachen im Sinne der Änderungsvorschrift.

    Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestands ist (Rüsken in Klein, a.a.O., 9. Aufl., § 173 Textziffer 21 m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung). Nicht zu den Tatsachen gehören Schlussfolgerungen, die auf rechtlichem Gebiet oder im Tatsächlichem liegen können (Rüsken in Klein, a.a.O., § 173 Textziffer 22 m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung). Dementsprechend gehört der Wert eines Gegenstandes nicht zu den Tatsachen im Sinne der Korrekturvorschrift des § 173 AO, weil es sich um das Ergebnis von Schlussfolgerungen aus den wertbegründenden Eigenschaften handelt (Rüsken in Klein, a.a.O.§ 173 Textziffer 31 m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

    Diese wertbegründenden Eigenschaften sind ihrerseits aber derartige Tatsachen. Bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegenden Kaufpreis ist der niedrigere Kaufpreis eine derartige wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert (so die Auffassung des Bayerisches Finanzministeriums, Erlass vom 19. Juni 2001 – 34 – S 3014 – 33/6 – 28 225, allerdings nur für die Fall, dass der Kaufvertrag innerhalb eines Jahres vor bzw. nach dem Besteuerungszeitpunkt abgeschlossen wurde, Juris).

    Nachträglich bekannt werden die Tatsachen oder Beweismittel, wenn die Willensbildung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten bereits abgeschlossen war; das ist bei Unterzeichnung der Verfügung, also in der Regel der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens der Fall (Rüsken in Klein a.a.O. § 173 Tz 53). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Dem Beklagten ist der Grundstücksverkauf mit einem unter dem festgestellten Wert liegenden Kaufpreis erst nach Erlass des im Einspruchsverfahren ergangenen Abhilfebescheides vom 11. Mai 2005 aufgrund des Schreibens der hiesigen Prozessbevollmächtigten vom 12. Januar 2006 (Eingang beim Beklagten am 16. Januar 2006) – zwischen den Beteiligten unstreitig – erstmals zur Kenntnis gelangt.

    Allerdings erlaubt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache nur dann eine Änderung der Steuerfestsetzung, wenn die frühere Kenntnis der später bekannt werdenden Tatsache für die ursprüngliche, zu ändernde Veranlagung rechtserheblich gewesen wäre. Die Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache ist aber zu verneinen, wenn das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre. (vgl. BFH, Beschluss des Große Senats vom 23. Januar 1987 GrS 1/86, BStBl II 1988, 180; Rüsken in Klein a.a.O. § 173 Tz 71). Ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache aus Sicht des Finanzamtes rechtserheblich gewesen wäre, entscheidet sich nach den zum Zeitpunkt der ursprünglichen Entscheidung bestehenden Verwaltungsanweisungen sowie der damals bestehenden Rechtsprechung, es sei denn, es lag ein Nichtanwendungserlass vor oder es ist festgestellt, dass z.B. eine allgemeine Weisung erteilt war, bestimmte Fälle in bestimmter Weise zu behandeln (Rüsken in Klein, a.a.O. § 173 Textziffer 72 m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH). Die Bindung an eine Verwaltungsanweisung erlischt bei (kommentarloser) Veröffentlichung eines entgegenstehenden BFH-Urteils im Bundessteuerblatt.

    Im Streitfall ist die nachträglich bekannt gewordene Tatsache rechtserheblich. Der BFH hat insoweit entschieden (Urteil vom 2. Juli 2004 II R 55/01, BStBl II BStBl 2001 II S. 2004, BStBl 2001 II S. 703), dass entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. R 163 Abs 2 Erbschaftsteuerrichtlinien 2003) der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes eines bebauten Grundstücks durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielten Kaufpreis auch dann möglich ist, wenn der Verkauf nicht innerhalb eines Jahres vor oder nach dem maßgeblichen Besteuerungsstichtag stattgefunden hat. Die durch den längeren zeitlichen Abstand nachlassende Indizwirkung des Kaufpreises für den gemeinen Wert müsse dann durch ein Gutachten des Gutachterausschusses, wonach der Bodenwert bzw. die Miete sich nicht geändert hat, kompensiert werden. Dies gilt nach dem BFH in gleicher Weise auch in den Fällen, in denen die nachlassende Indizwirkung eines erst zwanzig Monate nach dem Stichtag erzielten Kaufpreises durch ein Sachverständigengutachten ausgeglichen wird, aus dem sich ergibt, dass wegen des lediglich leichten Rückgangs des Bodenpreises der erzielte Kaufpreis den Marktverhältnissen zum maßgeblichen Stichtag entspricht (BFH, Beschluss vom 22. Juli 2004 II B 176/02, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2004, 1628). Da die Finanzverwaltung das BFH-Urteil vom 2. Juli 2004 ohne Beanstandung im Jahre 2004 im Bundessteuerblatt veröffentlicht hat, ein Nichtanwendungserlass insoweit nicht existiert (mit gleichlautendem Ländererlass vom 2. April 2007, BStBl 2007 I S. 314 hat die Finanzverwaltung den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts ausdrücklich auch für außerhalb des Jahres-Zeitraums zustande gekommene Kaufpreise anerkannt, siehe Ziff 2 „Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts” Abs. 5) ist davon auszugehen, dass der Beklagte der weitergehenden BFH-Rechtsprechung bei Erlass des Änderungsbescheides im Jahre 2005 gefolgt wäre und den Bedarfswert in Höhe des niedrigeren Kaufpreiserlöses festgestellt hätte, sofern ihm der Grundstücksverkauf vom … Juni 2005 bekannt gewesen wäre. Weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch sonst ist ersichtlich, dass der vorliegend vereinbarte Kaufpreis nicht nach den im gewöhnlichen Geschäftsverkehr geltenden Grundsätzen von Angebot und Nachfrage zustandegekommen ist, sodass gegen dessen steuerrechtliche Berücksichtigung auch insoweit keine durchgreifenden Bedenken bestehen.

    Im vorliegenden Streitfall beträgt die Zeitspanne zwischen dem Bewertungsstichtag (… März 2004) und dem Tag des Kaufvertragsabschlusses (7. Mai 2005) lediglich gut 14 Monate. Es könnte bei einer derart kurzen Überschreitung der Jahresfrist die Auffassung vertreten werden, dass die Indizwirkung des erzielten Kaufpreises auch ohne ein weiteres Gutachten ausreicht, um davon auszugehen, dass der erzielte Kaufpreis den Marktverhältnissen zum maßgeblichen Bewertungsstichtag entspricht. Indes bedarf es vorliegend nicht einer derartigen erweiterten Auslegung der vom BFH aufgestellten Grundsätze zur Jahresfrist, weil die Klägerin ein Gutachten vorgelegt hat, welches die nachlassende Indizwirkung ausgleicht.

    Nach eingehender Prüfung hält der Senat das vorgelegte Gutachten für schlüssig und zutreffend. Die Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass sowohl der Bodenwert als auch die sonstigen Verkehrswertkomponenten (Mieten) des (bebauten) Streitgrundstücks sich zwischen dem … März 2004 (Besteuerungszeitpunkt) und dem … Juni 2005 (Beurkundungstermin) nicht wesentlich verändert haben. Für den Senat ist auch nicht an der Feststellung zu zweifeln, dass die im Zeitraum von März 2004 bis Juli 2005 eingetretenen Preisrückgänge bei unbebauten Grundstücken lediglich einen geringfügigen und damit zu vernachlässigenden Einfluss (von weniger als 5 %) auf den Kaufpreis genommen haben. Bei der Ermittlung der Ertragswerte ist die Sachverständige insoweit folgerichtig und konsequent zu dem Ergebnis gelangt, dass der Ertragswert im Zeitpunkt des Verkaufs lediglich um etwa 2,7 % niedriger gewesen sei als zum Besteuerungszeitpunkt. Soweit die Sachverständige bezogen auf den Bewertungsstichtag (… März 2004) einen den Kaupreiserlös (550.000 EUR) übersteigenden Ertragswert in Höhe von 567.656 EUR ermittelt hat, handelt es sich nach Ansicht des Senats lediglich um eine unwesentliche, nicht ins Gewicht fallende Abweichung (von weniger als 4 %), zumal die Sachverständige den erforderlichen Aufwand für die Beseitigung des Instandsetzungsstaus an den Gebäuden bei der Wertermittlung unberücksichtigt ließ. Die Schlussfolgerung der Sachverständigen, der vereinbarte Kaufpreiserlös sei als marktgerecht anzusehen, hält der Senat deshalb im Ergebnis für schlüssig und nachvollziehbar.

    Entgegen der Auffassung des Beklagten trifft die Klägerin hinsichtlich der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache kein grobes Verschulden. Grobes Verschulden im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit gegeben. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Beteiligte die ihm persönlich zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße oder in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH, Urteil vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BStBl II 1987, 161). Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im wesentlichen Tatfrage. Zweifel darüber, ob den Steuerpflichtigen der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft, gehen zu Lasten des Finanzamtes, das insoweit die objektive Feststellungslast trägt (BFH, Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BStBl II BStBl 1991 II S. 1993, BStBl 1991 II S. 80). Zu Unrecht stützt der Beklagte den Vorwurf des groben Verschuldens der Klägerin auf die Annahme, diese hätte den Kaufvertragsschluss noch rechtzeitig innerhalb des zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Ursprungsbescheid vom 20. April 2005 ihm – dem Beklagten – mitteilen sollen und müssen. Bei seiner Auffassung übersieht der Beklagte jedoch, dass die Untätigkeit der Klägerin auf einem entschuldbaren Rechtsirrtum beruhte. Die Klägerin ging nämlich seinerzeit noch davon aus, dass dem Kaufvertrag vom … Juni 2005 bei der Feststellung des Grundbesitzwertes keine rechtserhebliche Bedeutung beigemessen werden könne, weil er entsprechend den amtlichen Anleitungen zu den Steuererklärungen außerhalb des 1-Jahres-Zeitraums zustandegekommen war. Dieser Mangel an Rechtskenntnis entschuldigt die Klägerin. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Klägerin sich die Bedeutsamkeit des Kaufvertragsschlusses hätte aufdrängen und etwa zur rechtzeitigen Einspruchseinlegung gegen den zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftigen Änderungsbescheid veranlassen müssen. Insoweit ist zu beachten, dass die steuerlich nicht vorgebildete Klägerin zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durch einen Steuerberater sachkundig vertreten und ihren steuerlichen Verpflichtungen (soweit ersichtlich) umfassend nachgekommen war. Angaben zum Kaufvertragsschluss konnte die Klägerin seinerzeit noch nicht machen, da der Vertrag erst nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung zustandegekommen war. Der Klägerin kann auch nicht vorgeworfen werden, Anleitungen zu den Steuererklärungen nicht aufmerksam genug durchgesehen zu haben, denn ein Hinweis auf die neue BFH-Rechtsprechung zur erweiterten Nachweismöglichkeit war zu diesem Zeitpunkt nicht in die amtlichen Anleitungen aufgenommen, sodass deren (nochmalige) Lektüre der Klägerin keine zusätzlichen Erkenntnisse hätte liefern können. Ein grob fahrlässiges Verhalten kann der Klägerin insoweit nicht zur Last gelegt werden.

    Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zuge lassen. Die Frage, ob ein rund 14 Monate nach dem Besteuerungsstichtag im normalen Geschäftsverkehr zustandegekommener Kaufpreiserlös, mit dem ein niedrigerer Ver kehrswert nachgewiesen wird, als neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen ist, ist – soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich geklärt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO –.

    RechtsgebieteAO, BewGVorschriftenAO § 173 Abs. 1 Nr. 2 BewG 1997 § 145 Abs. 3 S. 3 BewG 1997 § 146 Abs. 7