08.01.2003 · IWW-Abrufnummer 030057
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 23.10.2002 – II B 153/01
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Bewertung des mit einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden bebauten Grundstücks nach § 148 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BewG mit dem 18,6fachen des nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt zu zahlenden jährlichen Entgelts für die Grundstücksnutzung wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot mit der Verfassung vereinbar ist.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist mit einem Anteil von 22,22 v.H. Miterbin nach ihrem am 29. Mai 1997 verstorbenen Ehemann. Im Nachlass befand sich ein in X gelegenes, 1 147 qm großes Grundst ück; das Grundstück ist verpachtet. Der Pächter hat auf dem Grundstück Gebäude (auf fremdem Grund und Boden) errichtet.
Der Bodenrichtwert des Grundstücks beträgt 422,50 DM/qm, der Verkehrswert des unbebauten Grundstücks demnach 484 600 DM. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stellte durch Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum 29. Mai 1997 vom 29. September 1999 den Wert "für das unbebaute Grundstück" auf 852 000 DM fest und rechnete der Antragstellerin einen Anteil hieran von 189 334 DM zu. Den Wert ermittelte er gemäß § 148 Abs. 2 i.V.m. § 148 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nach dem 18,6fachen eines jährlichen Pachtzinses von 45 826 DM.
Mit ihrem Einspruch beantragte die Antragstellerin, den Grundbesitzwert auf 550 000 DM festzusetzen. Zur Begründung verwies sie auf ein für Zwecke der Erbauseinandersetzung erstelltes Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Danach beträgt der Wert des Grundstücks einschließlich der aufstehenden Gebäude 550 000 DM, der Wert der Gebäude wird in dem Gutachten mit 191 700 DM angegeben. Ferner machte die Antragstellerin geltend, das FA sei von einer zu hohen Jahrespacht (45 826 DM) ausgegangen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2001 stellte das FA ausgehend von einem Jahrespachtzins von 36 849 DM den Wert des (unbebauten) Grundstücks auf 685 000 DM fest und rechnete der Antragstellerin einen Anteil hieran von 152 222 DM zu. Dabei ermittelte es den Wert des Grundstücks nach dem 18,6fachen des jährlichen Pachtzinses (36 849 DM).
Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben und die Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheids hinsichtlich eines "Teilbetrages von 30 000 DM" beantragt. Zur Begründung macht sie u.a. geltend, § 148 Abs. 2 BewG betreffe nur die Bewertung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden, nicht jedoch die Bewertung des als selbstständige wirtschaftliche Einheit anzusehenden Bodenwerts (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BewG). Dieser sei nach § 145 BewG zu ermitteln.
Eine Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides lehnte das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung führte es aus, die Bewertung des Grundstücks, das mit einem fremden Gebäude bebaut ist, sei --auch wenn dies im Wortlaut nicht zum Ausdruck komme-- nach § 148 Abs. 2 BewG in analoger Anwendung des § 148 Abs. 1 BewG vorzunehmen. Der Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts sei für diese Fälle gesetzlich nicht vorgesehen. Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung habe das FG bislang einen derartigen Nachweis nur in den Fällen zugelassen, in denen § 148 Abs. 1 BewG wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich garantierte Übermaßverbot verfassungswidrig wäre. Davon könne aber im Streitfall nicht ausgegangen werden, weil der nach § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG ermittelte Wert (685 000 DM) nicht offensichtlich unzutreffend sei. Dieser Wert weiche nicht einmal um 25 v.H. von dem von der Antragstellerin mitgeteilten Verkehrswert des Grundstücks ab.
Das FG hat die Beschwerde zugelassen.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Aussetzungsbegehren weiter. Sie beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Beschlusses des FG Düsseldorf vom 22. August 2001 11 V 4282/01 A (BG) die Vollziehung des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundstückswerts zum 29. Mai 1997 vom 29. September 1999 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2001 in Höhe eines Teilbetrages von 30 000 DM auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Feststellungsbescheides in dem von der Antragstellerin begehrten Umfang.
Das FG hat zu Unrecht ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheides vom 29. September 1999 verneint.
1. Nach § 148 Abs. 2 BewG ist für Gebäude auf fremdem Grund und Boden die Bewertungsvorschrift für Erbbaurechte in § 148 Abs. 1 BewG entsprechend anzuwenden. Obwohl sowohl die Überschrift zu § 148 BewG als auch der Abs. 2 dieser Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur die Bewertung der Gebäude auf fremdem Grund und Boden, nicht jedoch die Bewertung des Grundstücks selbst ansprechen, wird die Vorschrift allgemein so verstanden, dass diese über die Verweisung in Abs. 2 auf Abs. 1 nicht nur eine Bestimmung für die Bewertung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden, sondern auch eine für die Bewertung des mit einem solchen Gebäude bebauten Grundstücks enthält. Nach dem insoweit maßgeblichen Satz 1 des § 148 Abs. 1 BewG beträgt der Wert des mit einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden bebauten Grundstücks das 18,6fache des nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt zu zahlenden jährlichen Entgelts für die Grundstücksnutzung.
2. Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Feststellung i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, weil ernsthaft in Betracht kommt, dass die der Feststellung zugrunde liegende Vorschrift des § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot verfassungswidrig und damit auch der angefochtene Steuerbescheid rechtswidrig ist. Das Übermaßverbot ist Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebots der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--). Nach ihm darf der Steuerpflichtige nicht zu einer unverhältnismäßigen Steuer herangezogen werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, 116, BStBl II 1978, 441). Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt.
Bei überschlägiger Prüfung spricht ein Vergleich des vom FA festgestellten Grundstückswerts (685 000 DM) mit dem sich aus dem Bodenrichtwert errechneten Verkehrswert für das (unbebaute) Grundstück (484 600 DM), der auch etwa dem von der Antragstellerin vorgelegten Wertgutachten entspricht, dafür, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Soweit das FG einen Verstoß gegen das Übermaßverbot verneint hat, weil der Unterschied zwischen dem vom FA festgestellten Grundstückswert und dem vom Sachverständigen ermittelten Verkehrswert des Grundstücks nicht so groß sei, dass die Wertfeststellung durch das FA als "offensichtlich unzutreffend" erscheine, hat das FG übersehen, dass der sich aus dem Sachverständigengutachten ergebende Wert das Grundstück und das Gebäude auf fremdem Grund und Boden umfasst. Für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt, kann jedoch nur der Vergleich der jeweiligen Werte für das unbebaute Grundstück maßgebend sein.
Der sich bei der Anwendung des § 148 Abs. 2 i.V.m. § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG im oben dargestellten Sinn ergebende Verstoß gegen das Übermaßverbot ist auch nicht unter Wahrung der gesetzgeberischen Wertung, den Wert des mit einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden bebauten Grundstücks typisierend mit dem 18,6fachen des nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt zu zahlenden jährlichen Entgelts für die Grundstücksnutzung zu ermitteln, im Billigkeitswege korrigierbar (vgl. hierzu die zu § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG ergangene Senatsentscheidung vom 22. Mai 2002 II B 173/01).
3. Der Senat hat offen lassen können, ob einem Verfassungsverstoß möglicherweise durch (verfassungskonforme) Auslegung des § 148 BewG in dem Sinne begegnet werden könnte, dass die Vorschrift --wofür der Wortlaut des Abs. 2 und die Überschrift zu § 148 BewG sprechen könnten-- zwar eine Regelung für die Bewertung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden, nicht aber auch eine Regelung für die Bewertung des Grundstücks enthält, auf dem sich das Gebäude befindet. Denn wenn eine solche Auslegung möglich und geboten wäre, würde dies ebenfalls zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheides führen.
Bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung folgt daraus, dass insoweit ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO an der Verfassungsmäßigkeit des § 148 Abs. 2 BewG und damit an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheides bestehen.
4. Soll sich die Rechtswidrigkeit eines Steuerbescheides aus der Verfassungswidrigkeit der angewandten Rechtsnorm ergeben, ist ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 19. August 1994 X B 318, 319/93, BFH/NV 1995, 143, m.w.N.). Es liegt vor, wenn die öffentlichen Belange --insbesondere das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung-- dem Anspruch des Steuerpflichtigen auf vorläufigen Rechtsschutz nicht entgegenstehen. Im Streitfall fällt diese Abwägung zugunsten der Antragstellerin aus, da das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung nicht in solch einem Ausmaß berührt ist, dass das Interesse der Antragstellerin, die mögliche Überbelastung abzuwehren, dahinter zurücktreten müsste.
5. Eine Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides vom 29. September 1999 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2001 kommt jedoch nur in dem von der Antragstellerin beantragten Umfang in Betracht, nämlich hinsichtlich eines Teilbetrages von 30 000 DM des ihr zugerechneten Anteils von 152 222 DM.