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  • 03.05.2011

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 17.02.2011 – 3 K 4815/08

    1) Eine Abfindung, die der Steuerpflichtige aufgrund eines Erbschaftsvertrages mit seinen Geschwistern für den Verzicht auf die Geltendmachung seines Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach dem Tod der Mutter erhält, stellt eine freigiebige Zuwendung der Geschwister an den Steuerpflichtigen i.S.v. § 7 Abs. 1 ErbStG dar.

    2) Die Steuerklasse richtet sich in diesem Fall nach dem Verhältnis des Verzichtenden zum künftigen Erblasser.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 3. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richterin … Ehrenamtlicher Richter … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 17.02.2011 für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Der Kläger und seine drei Brüder schlossen am 14.02.2006 einen Erbschaftsvertrag. Darin verzichtete der Kläger für den Fall, dass er durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge seiner Mutter ausgeschlossen sein sollte, auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruches einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche. Seine drei Brüder verpflichteten sich, an ihn zum Ausgleich seines Verzichts auf die Geltendmachung seiner Pflichtteilsansprüche je 150.000 Euro zu zahlen. Die Parteien waren sich darüber einig, dass dieser Vertrag auch dann Bestand haben solle und die gezahlten Abfindungen nicht zurückzugewähren seien, wenn der Kläger nach dem Tode seiner Mutter nicht Erbe wird und keinen Pflichtteilsanspruch erwirbt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Erbschaftsvertrag vom 14.02.2006 (UR-Nr. B 136/2006 der Notarin U in A) Bezug genommen.

    Da der Vater des Klägers und seiner Brüder vorverstorben war, betreffen die Vereinbarungen lediglich die Erbfolge nach ihrer Mutter.

    Der Kläger gab drei Schenkungsteuererklärungen ab, in denen er angab, dass ihm von jedem seiner drei Brüder 150.000 Euro zugewendet worden sind.

    Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Abfindungszahlungen an den Kläger als (fiktiver) Erwerb nach seiner Mutter zu versteuern seien. Da sich die Steuerklasse nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum künftigen Erblasser richte (vgl. Bundesfinanzhof (BFH) vom 25.01.2001 II R 22/98, BStBl II 2001, 456), sei auch der Freibetrag nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers zum künftigen Erblasser zu berücksichtigen. Dies habe zur Folge, dass die drei Schenkungen zusammen zu einer Schenkung zusammengefasst würden und als fiktive Schenkung der Mutter des Klägers anzusehen sei. Folgerichtig sei auch die Vorschenkung der Mutter aus dem Jahr 2002 an den Kläger nach § 14 ErbStG zu berücksichtigen.

    Der Beklagte ermittelte den Wert des Erwerbs danach mit 448.440 Euro (450.000 Euro abzüglich Steuerberatungskosten in Höhe von 1.131 Euro und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 429 Euro) zzgl. Vorschenkungen in Höhe von 1.056.232 Euro, so dass der Wert des Erwerbs abzüglich des Freibetrags von 205.000 Euro 1.299.600 Euro betrug.

    Der Beklagte setzte die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung des Anrechnungsbetrags für die Vorschenkungen (161.728 Euro) auf 85.196 Euro fest. Überschrieben ist der Bescheid mit „Schenkungsteuerbescheid (Berechnungsbogen) über den Erwerb des Herrn R 1 aus der Schenkung der Frau R 2 in A-Straße 1 N vom 14.02.2006”. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Beklagten vom 21.08.2007 und den Schenkungsteuerbescheid vom 11.09.2007 Bezug genommen.

    Der Kläger legte Einspruch ein. Der Kläger habe die Zuwendung nicht von seiner Mutter, sondern von seinen drei Brüdern erhalten. Seine Mutter sei an dem notariellen Vertrag gar nicht beteiligt gewesen. Eine Schenkung von seiner Mutter scheide deswegen aus. Fiktive Schenkungen kenne das deutsche Schenkungsteuerrecht nicht. Eine Zusammenrechnung der Vorschenkung scheide aus, da es sich nicht um Schenkungen durch die gleiche Person handele.

    Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 03.12.2008 Bezug genommen.

    Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Es handele sich um Schenkungen der Brüder an den Kläger, bei denen die Schenkungsteuer nach der Steuerklasse I festzusetzen sei. Eine Schenkung der Mutter liege nach den in dem Urteil des BFH vom 25.01.2001 genannten Grundsätzen nicht vor. Deswegen seien auch die Vorschenkungen nicht zu berücksichtigen.

    Der Kläger beantragt,

    den Schenkungsteuerbescheid vom 11.09.2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.12.2008 aufzuheben,

    hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Wie in der Einspruchsentscheidung erläutert, träten die Abfindungen an die Stelle von erbrechtlichen Ansprüchen des Klägers gegenüber der Mutter und würden somit in letzter Konsequenz aus deren Vermögen erfüllt. Daher sei die Besteuerung der Abfindungsbeträge insgesamt nach dem Verwandtschaftsverhältnis zur künftigen Erblasserin auszurichten. Nur so sei gewährleistet, wie dies auch zu Recht vom BFH gefordert werde, dass Abfindungen, die vor bzw. nach Eintritt eines Erbfalls geleistet würden, nicht unterschiedlich behandelt würden.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO –). Der Beklagte hat zu Unrecht einen Erwerb des Klägers aus einer Schenkung seiner Mutter angenommen.

    Schließen künftige gesetzliche Erben einen sogenannten Erbschaftsvertrag nach § 311b Abs. 5 BGB (früher § 312 Abs. 2 BGB), d.h. einen Vertrag über den gesetzlichen Erbteil oder einen Pflichtteil eines künftigen gesetzlichen Erben, bei dem der eine gegenüber dem anderen im Hinblick auf den Nachlass eines noch lebenden Dritten auf etwaige künftige Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche verzichtet, stellt die Abfindung eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar (vgl. BFH, Urteil vom 25.01.2001 II R 22/98, BStBl II 2001, 456; ebenso Viskorf, Das Unternehmertestament und die vorweggenommene Erbfolge, JbFStR 2001/2002, S.507, S. 555; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, § 7 Tz. 316; a. A. Benne, Erbschaftsteuerfolgen des Erbvergleichs, FR 2004, 1102; Anmerkung Daragan, DB 2001, 848; Moench, in Moench/Weinmann, Kommentar zum Erbschaft-und Schenkungsteuergesetz mit Bewertungsgesetz, § 3 Rz. 214a; Fischer, in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2010, § 7 Rz. 422, Rz. 13).

    Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Schenkungsteuer dabei jedoch nach der im Verhältnis zum Erblasser geltenden Steuerklasse festzusetzen (BFH, Urteil vom 25.01.2001 II R 22/98, BStBl II 2001, 456; ebenso Kempermann, FR 2001, 553; kritisch: Meincke, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, 15. Auflage 2009, § 7 Anm. 107; a.A. Hartmann, Verzicht auf den Pflichtteil durch Erbschaftsvertrag, UVR 2001, 255; Schuck, in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, Kommentar, 3. Auflage 2009, § 7 Rdn. 145).

    Durch die Zahlung der 450.000 DM wurde der Kläger aber nicht aus dem Vermögen seiner Mutter bereichert, so dass es sich jedenfalls nicht, wie vom Beklagten angenommen, um eine freigebige Zuwendung seiner Mutter handelt.

    In dem dem Urteil des BFH vom 25.01.2001 (II R 22/98, a.a.O.) zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Bruder des dortigen Klägers sich zur Zahlung der Abfindung für den Pflichtteilsverzicht verpflichtet und die Abfindung auch tatsächlich bezahlt; dementsprechend hatte das Finanzamt eine freigebige Zuwendung des Bruders angenommen und besteuert. Der BFH bestätigte den Schenkungsteuerbescheid insoweit und führt unter II. 2 a) aus: „”Durch die Zahlung der 260.000 DM wurde der Kläger aus dem Vermögen seines Bruders bereichert.”

    Für eine Fiktion eines Erwerbs von der Mutter fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Anders ist dies in den Fällen des nachträglichen Pflichtteilsverzichts, in denen § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ausdrücklich einen Erwerb vom Erblasser fingiert. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen „jeder Vermögensvorteil, der auf Grund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags bei dessen Tode von einem Dritten unmittelbar erworben wird” (Hervorhebung hinzugefügt). Als Zuwendung des Erblassers wird auch die Abfindung für einen vorzeitigen Erbverzicht nach §§ 2346 und 2352 BGB behandelt (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG). Denn ein solcher Erbverzicht kann nur mit dem Erblasser persönlich geschlossen werden (§ 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB). Verpflichtet sich ein Dritter zur Zahlung, so bestimmt sich nach der Rechtsprechung des BFH die Steuerklasse gleichwohl nach dem Verhältnis des Verzichtenden zum künftigen Erblasser (vgl. BFH, Urteil vom 25.05.1977 II R 136/73, BStBl II 1977, 733); ob in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt der Beklagte eine Zuwendung des Erblassers oder eine Zuwendung des die Abfindung leistenden Bruders der dortigen Klägerin zugrundegelegt hat, ist dem Urteil nicht direkt zu entnehmen. Da lediglich die Anwendung der Steuerklasse streitig war, ist aber davon auszugehen, dass der angefochtene Bescheid einen Erwerb vom Erblasser zugrundegelegt hat.

    Der hier zu entscheidende Sachverhalt liegt anders. Der Kläger hat mit seinen Brüdern einen Erbvertrag geschlossen, an dem die potentielle Erblasserin nicht beteiligt war. Auch war § 312 Abs. 4 Sätze 1 und 2 BGB a.F. (jetzt § 311 b Abs. 4 Sätze 1 und 2) zu beachten, wonach ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig ist, und das gleiche von einem Vertrag über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten gilt. Gegenstand der Vereinbarung war daher allein das Vermögen der drei Brüder des Klägers, so dass als Schenker die Mutter des Klägers nicht in Betracht kommt (vgl. ebenso Hartmann, Verzicht auf den Pflichtteil durch Erbschaftsvertrag, UVR 2001, 255).

    Ob der Senat auch den Ausführungen des BFH im Urteil vom 25.01.2001 (a.a.O.) hinsichtlich der Freigebigkeit und zu der Frage, ob eine die Freigebigkeit ausschließende Gegenleistung vorliegt (vgl. Benne, a.a.O.), folgt, kann der Senat bei dieser Sach- und Rechtslage offen lassen, ebenso die Frage, ob, wenn es sich um eine Schenkung handelte und die Schenkungsteuer nach der im Verhältnis zum Erblasser geltenden Steuerklasse festzusetzen wäre, auch der Freibetrag nach dem Verhältnis zum Erblasser zu gewähren und § 14 ErbStG (Berücksichtigung früherer Erwerbe vom potentiellen Erblasser) anzuwenden wäre, wie dies der Beklagte im Streitfall getan hat.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

    VorschriftenErbStG § 15 Abs 1, ErbStG § 7 Abs 1