24.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120953
Finanzgericht München: Urteil vom 14.10.2011 – 8 K 338/08
Leistungen des Erben aufgrund von Vermächtnissen an Geschwister dienen regelmäßig der Gleichstellung und nicht der Exitenzsicherung und sind daher keine Versorgungsleistungen.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 8. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung … sowie der ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2011
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Streitig ist die steuerliche Behandlung von monatlichen Zahlungen aus einem Vermächtnis an den Bruder der Klägerin als Sonderausgaben.
Die Klägerin wird vom Beklagten – dem Finanzamt (FA) – für die Streitjahre 2001 bis 2004 zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.
1. Sie beerbte ihren am XX. November 1996 verstorbenen Vater aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern als Vorerbin neben ihrem Bruder Peter, der ebenfalls als Vorerbe eingesetzt war. Nacherben sollten deren Kinder sein. Der andere Bruder der Klägerin – B – wurde nicht als Erbe eingesetzt und erhielt stattdessen zu Lasten der Klägerin und ihres Bruders Peter ein Vermächtnis in Form einer monatlichen Rente in Höhe von 6.000 DM, die sich nach dem Tod der Mutter um 4.000 DM erhöhen sollte. Das Testament sah eine Wertsicherungsklausel vor, die sich an den Lebenshaltungskostenindex anlehnte, sowie einen Verweis auf § 323 Zivilprozessordnung. Sollte eines der Kinder der Erblasser nicht mit den testamentarischen Verfügungen einverstanden sein und den Pflichtteil verlangen, sollte dieser aus dem Nachlass der Mutter nur den Pflichtteil erhalten. Auf das in der ESt-Akte befindliche Testament samt Nachtragstestament wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Der Nachlass bestand nach der von der Klägerin eingereichten Anlage zum Erbschaftssteuerbescheid vom 3. Dezember 2000 aus dem hälftigen Anteil am Wohngrundstück des Erblassers, das dessen überlebender Ehefrau als Vermächtnis zugewendet wurde, sowie aus umfangreichen, verzinslich angelegten Bankguthaben und Mietgrundstücken. Der (berichtigte) Gesamtwert des Nachlasses betrug nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten rd. 4.537.830 DM, ohne Berücksichtigung der Vermächtnisse an die überlebende Ehefrau (Anteil am Wohngrundstück: 363.500 DM) und an den Sohn B (Barwert der Rente: 1.099.224 DM) rd. 6.000.554 DM.
Die Klägerin zahlte nach ihrem unstreitigen Vortrag in den Streitjahren an ihren Bruder den auf sie entfallenden hälftigen Anteil an dessen Rente.
2. Die Klägerin beantragte in ihren ESt-Erklärungen, die Zahlungen in Höhe von 36.000 DM im Jahr 2001, sowie jeweils 18.407 EUR in den Jahren 2002 – 2004 als dauernde Last bei den Sonderausgaben abzuziehen. Das FA lehnte dies mit Bescheiden vom 18. August 2005 (ESt 2001 und 2002) bzw. 24. Juli 2006 (ESt 2003 und 2004) mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Einkommensteuergesetz (EStG) im Streitfall nicht vorlägen. Der Einspruch der Klägerin blieb in der Einspruchsentscheidung [EE] vom 13. Dezember 2007 ohne Erfolg.
3. Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin hält die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG – wie sie die Rspr. herausgearbeitet habe – für erfüllt. Insbesondere sei kein vermögensmäßiger Ausgleich intendiert gewesen. Vielmehr habe sich die Rente am Versorgungsbedürfnis des mit HIV infizierten Bruders der Klägerin orientiert, der auch wegen seines gesellschaftlichen Umfeldes nicht Erbe habe werden sollen. Das ergebe sich daraus, dass die Zahlungen auf Lebenszeit zu gewähren seien. Die Erhöhung der Rente nach dem Tode des letztversterbenden Elternteils habe dazu dienen sollen, den Empfänger für den Fall einer späteren Pflegebedürftigkeit abzusichern. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2001 bis 2004 zusätzliche Sonderausgaben in Höhe von 36.000,– DM (2001) bzw. 18.407,– EUR (2002 bis 2004) zu berücksichtigen und die Einkommensteuer für 2001, 2002, 2003 und 2004 unter Abänderung der Bescheide vom 18. August 2005 bzw. 24. Juli 2006, alle in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 2007, entsprechend niedriger festzusetzen,
hilfsweise Zulassung der Revision.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist im Wesentlichen auf die EE. Es seien keine Anhaltspunkte vorhanden, aus denen sich ergäbe, dass die Rente nach den Bedürfnissen des Empfängers berechnet worden sei. Vielmehr handele es sich um eine Verrentung des Erbteils.
Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2011 wird verwiesen.
II.
Die Klage ist nicht begründet.
Die Zahlungen der Klägerin sind keine Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG (in der in den Streitjahren gültigen Fassung).
1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG).
Handelt es sich um eine dem Vertragstypus des „Versorgungsvertrags/Altenteilsvertrags” vergleichbare Vermögensübergabe, sind wiederkehrende Leistungen als dauernde Last abziehbar,
wenn Vermögen übertragen wird, das ausreichende Erträge abwirft, die die vom Übernehmer zu erbringenden Versorgungsleistungen abdecken,
wenn die Leistungen ihren Rechtsgrund in einer vorweggenommenen Erbfolge oder in einer letztwilligen Verfügung (z.B. in einem Vermächtnis) haben,
wenn der Empfänger der Versorgungsleistungen zum Generationennachfolge-Verbund gehört,
wenn die Versorgungsleistungen abänderbar sind (BFH-Urteil vom 11. Oktober 2007 X R 14/06, BFHE 219, 160, BStBl II 2008, 123).
2. Im Streitfall sind die Leistungen der Klägerin nicht als Versorgungsleistungen einzuordnen.
a) Versorgungsleistungen unterscheiden sich von Unterhaltsleistungen i.S. von § 12 Nr. 1 EStG durch ihre Charakterisierung als vorbehaltene Vermögenserträge; sie enthalten deshalb auch keine Zuwendungen des Vermögensübernehmers aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht i.S. von § 12 Nr. 2 EStG. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Übergeber – ähnlich wie beim Nießbrauchsvorbehalt – das Vermögen ohne die vorbehaltenen Erträge, die ihm nunmehr als Versorgungsleistungen zufließen, übertragen hat (BFH X R 14/08, m.w.N., a.a.O.).
b) Der Rechtsbegriff „Versorgungsleistungen” umfasst grundsätzlich solche Zuwendungen zur Existenzsicherung, durch welche die Grundbedürfnisse des Bezugsberechtigten wie Wohnen und Ernährung und der sonstige Lebensbedarf lebenslänglich abgedeckt werden (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 X R 75/97, BFHE 190, 197, BStBl II 2002, 650).
Gesetzlich erb- und pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge des Übergebers können allerdings nur dann begünstigte Empfänger der Versorgungsleistungen sein, wenn tatsächlich das Versorgungsbedürfnis im Vordergrund steht.
Wird der Bruder bzw. die Schwester des Vermögensübernehmers mit wiederkehrenden Leistungen bedacht, so ist daher zu prüfen, ob damit dessen Versorgung sichergestellt werden oder ob es sich um einen Ausgleich dafür handeln soll, dass das Vermögen auf den anderen übergeht. Im Verhältnis von Geschwistern ist in der Regel von einem Gleichstellungszweck auszugehen, mit der Folge, dass die Leistungen nicht als Sonderausgaben abziehbar sind. Denn die aus Anlass des Erbfalls entstehenden Schulden und auf erbrechtlichen Ausgleich gerichteten Schulden der Erben gegenüber Miterben sind ihrer Rechtsnatur nach privat und berühren nicht die Einkunftssphäre (BFH-Urteil vom 20. Oktober 1999 X R 86/96, BFHE 190, 365, BStBl II 2000, 602, m.w.N.). Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die ESt nur das erwirtschaftete Einkommen erfasst und unentgeltliche Zuwendungen – zu Lebzeiten oder von Todes wegen –, die als Einmalzahlung einkommensteuerrechtlich unbeachtlich sind, weder als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) abziehbar noch hiermit materiell-rechtlich korrespondierend als wiederkehrende Leistungen (§ 22 Nr. 1 EStG) steuerbar sind, bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Allein der Umstand, dass wiederkehrende Zahlungen zugewendet sind, genügt jedenfalls nicht (BFH, ebenda, m.w.N.). Diesen Grundsatz hat der BFH jüngst erneut bestätigt (BFH-Urteil vom 9. Februar 2010 VIII R 35/07, BFH/NV 2010, 1793). Ausnahmefälle, in denen die Rspr. eine Versorgungsrente zugunsten von Geschwistern für möglich gehalten hat, waren bestimmt durch die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse eines zivilrechtlichen Leibgedingsvertrages, insbesondere eine Eingliederung in die Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft des Steuerpflichtigen (Nachweise in BFH X R 86/96, a.a.O., Rz. 27). Diesen Ausnahmefällen gemeinsam ist, dass sie in Gegenstand und Höhe nicht einer lediglich verrenteten Beteiligung am Nachlass entsprachen, die einer Erbeinsetzung gleich kommt.
c. Im Streitfall liegt nach Auffassung des Senats keine Versorgungsleistung in diesem Sinne vor. Von einem Sonderfall, der die allgemeine Vermutung eines Gleichstellungszwecks im Geschwisterverhältnis widerlegen würde, kann nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausgegangen werden. Zum Einen liegen im Streitfall gerade keine besonderen Verhältnisse vor, die dem eines Leibgedingsvertrages, verbunden mit der Eingliederung in die Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft des Steuerpflichtigen, entsprächen. So bildet die Klägerin mit ihrem Bruder keine „Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft”.
Zum anderen übersteigt der zugewendete monatliche Betrag mit zunächst 6.000 DM das Maß, das als „Versorgung” des Bruders beurteilt werden könnte. Denn er geht weit über das hinaus, was üblicherweise zur Befriedigung der Grundbedürfnisse des Empfängers erforderlich gewesen wäre. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich dieser Betrag überhaupt an den Bedürfnissen des Bruders orientiert hätte oder dass erwartete Krankheitskosten damit hätten abgedeckt werden sollen. Wäre derartiges gewollt gewesen, so hätte es genügt, die beiden Vorerben – soweit nicht bereits durch die Bezugnahme auf § 323 Zivilprozessordnung erfolgt – über eine echte Versorgungsrente hinaus auch zur Übernahme etwaiger Krankheitskosten zu verpflichten. Das war aber nicht der Fall. Stattdessen erhielt der Bruder B ein auskömmliches „Quasi-Einkommen”. Im Übrigen kann nach der Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeschlossen werden, dass der Bruder aus einem früheren Erbfall über ausreichend Barmittel zur Bestreitung seiner Lebenshaltungskosten verfügte. Hinzu kommt, dass ein Ausbruch der Krankheit nicht konkret zu befürchten war. Denn der Bruder war nach den Angaben der Klägerin seit mindestens 1988 HIV-infiziert, ohne dass die Krankheit bis zum Zeitpunkt der Testamentserstellung und des Erbfalls ausgebrochen wäre. Vielmehr war der Bruder offensichtlich körperlich in der Lage, als FormationsFallschirmspringer einem Sport nachzugehen, der besondere Fitness verlangt.
Auch die Erhöhung der Rente beim Tod des Überlebenden spricht für eine „erbrechtliche” Veranlassung im Sinne einer Gleichstellung. Diese Vermächtnisaufstockung spricht dafür, dass dem Bruder ein Anreiz gegeben werden sollte, sich den testamentarischen Verfügungen zu unterwerfen und nicht etwa seinen Pflichtteil zu fordern. Unter Versorgungsgesichtspunkten hingegen gibt es für diese Erhöhung keine Erklärung.
Die vermachte Rente entspricht in etwa dem Wert des gesetzlichen Erbteils des Bruders der Klägerin oder übersteigt diesen sogar. Setzt man den Gesamtwert des Nachlasses mit rd. 6 Mio DM an, so beträgt der Barwert der Rentenverpflichtung mit überschlägig rd. 1 Mio DM in etwa 1/6 und entspricht damit in etwa dem Wert des gesetzlichen Erbteils. Bei der Berechnung ist allerdings die spätere Erhöhung der Rente beim Tod der Mutter, die angeordnete Indexierung der Rente und die statistisch vermutlich geringere Lebenserwartung des mit HIV infizierten Leistungsempfängers außer Betracht geblieben. Jedenfalls entspricht eine Leistungspflicht, die bei einer Gesamtbetrachtung jedenfalls dem Wert des entgangenen Erbes nahe kommt oder gar übersteigt, keinem der von der Rspr. des BFH in den Sonderrechtstypus der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen einbezogenen Ausnahmefälle. Eher bestätigt eine am Wert des Erbes orientierte Leistung die tatsächliche Vermutung, dass im Verhältnis von Geschwistern die erbrechtliche Gleichstellung im Vordergrund steht.
Soweit der Klägervertreter sinngemäß die „steuerliche Berücksichtigung” des Ertragsanteils der Rente begehrt, kann ihm nicht gefolgt werden. Im Streitfall liegt gerade kein anschaffungsähnlicher Vorgang vor. Vielmehr handelt es sich um eine erbrechtliche und damit unentgeltliche Vermögensnachfolge.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen, da die entscheidungserheblichen Rechtsfragen in der zitierten Rechtsprechung höchstrichterlich geklärt sind und der erkennende Senat lediglich tatsächliche Fragen zu würdigen und zu subsumieren hatte, die einer Revision nicht zugänglich sind.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.