16.07.2004 · IWW-Abrufnummer 041889
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 11.12.2003 – C-364/01
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
11. Dezember 2003(1)
Auslegung der Artikel 48 und 52 EWG-Vertrag (später Artikel 48 und 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG), des Artikels 67 EWG-Vertrag (später Artikel 67 EG-Vertrag, aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam) und der Artikel 6 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 18 EG) - Richtlinien 88/361/EWG und 90/364/EWG - Erbschaftsteuer - Erfordernis einer grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit - Verbot der Diskriminierung aufgrund des Wohnmitgliedstaats
In der Rechtssache C-364/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Gerechtshof 's-Hertogenbosch (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Erben von H. Barbier
gegen
Inspecteur van de Belastingdienst Particulieren/Ondernemingen buitenland te Heerlen
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 48 und 52 EWG-Vertrag (später Artikel 48 und 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG), des Artikels 67 EWG-Vertrag (später Artikel 67 EG-Vertrag, aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam), der Artikel 6 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 18 EG) und der Richtlinien 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26) und 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter) und A. La Pergola,
Generalanwalt: J. Mischo,
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Erben von Herrn Barbier, vertreten durch P. Kavelaars, belastingadviseur,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und H. M. H. Speyart als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Erben von Herrn Barbier, vertreten durch P. Kavelaars, der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch R. Lyal und H. M. H. Speyart, in der Sitzung vom 24. Oktober 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Dezember 2002
folgendes
Urteil
1.
Der Gerechtshof 's-Hertogenbosch hat mit Beschluss vom 5. September 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 24. September 2001, gemäß Artikel 234 EG fünf Fragen nach der Auslegung der Artikel 48 und 52 EWG-Vertrag (später Artikel 48 und 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 43 EG), des Artikels 67 EWG-Vertrag (später Artikel 67 EG-Vertrag, aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam), der Artikel 6 und 8a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 18 EG) und der Richtlinien 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26) und 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den Erben von Herrn Barbier (nachfolgend: Kläger) und dem Inspecteur van de Belastingdienst Particulieren/Ondernemingen buitenland (Veranlagungsabteilung der Steuerverwaltung für Privatpersonen/Unternehmen Ausland) Heerlen (nachfolgend: Inspecteur) wegen dessen Weigerung, bei der Bewertung der Immobilien des Erblassers in den Niederlanden die darauf lastende Übertragungsverpflichtung in Abzug zu bringen, weil der Erblasser bei seinem Tod nicht in diesem Mitgliedstaat gewohnt habe.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 67 Absatz 1 EG-Vertrag, der beim Tod des Erblassers noch galt, bestimmte:
Soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist, beseitigen die Mitgliedstaaten untereinander während der Übergangszeit schrittweise alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs in Bezug auf Berechtigte, die in den Mitgliedstaaten ansässig sind, und heben alle Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnorts der Parteien oder des Anlageorts auf.
4.
Diese Bestimmung wurde durch mehrere Richtlinien durchgeführt, zu denen die zur maßgeblichen Zeit geltende Richtlinie 88/361 gehört. Artikel 1 Absatz 1 dieser Richtlinie lautet:
Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.
5.
Soweit für die vorliegende Rechtssache von Belang, heißt es in Anhang I - Nomenklatur für den Kapitalverkehr gemäß Artikel 1 der Richtlinie - der Richtlinie 88/361:
In dieser Nomenklatur werden die Kapitalbewegungen nach der ökonomischen Natur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, ausgedrückt in Landeswährung oder in Fremdwährungen, gegliedert.
Der in dieser Nomenklatur genannte Kapitalverkehr umfasst:
- alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte: Abschluss und Ausführung der Transaktion und damit zusammenhängende Transferzahlungen. Die Transaktion erfolgt im Allgemeinen zwischen Gebietsansässigen verschiedener Mitgliedstaaten; es kommt jedoch vor, dass bestimmte Kapitalbewegungen von einer einzigen Person für eigene Rechnung getätigt werden (beispielsweise Vermögenstransfers von Auswanderern);
- die von natürlichen oder juristischen Personen getätigten Geschäfte ...;
- den Zugang des Marktteilnehmers zu allen Finanzverfahren, die auf dem für die Durchführung des Geschäfts in Anspruch genommenen Markt zur Verfügung stehen. Beispielsweise umfasst der Begriff des Erwerbs von Wertpapieren und anderen Finanzinstrumenten nicht nur die Kassageschäfte, sondern alle zur Verfügung stehenden Geschäftsformen, wie Termingeschäfte, Optionsgeschäfte oder Geschäfte mit Optionsscheinen, Tauschgeschäfte gegen andere Vermögenswerte usw. ...;
...
Diese Nomenklatur ist keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffs des Kapitelverkehrs; sie enthält nämlich eine Rubrik XIII - F .Sonstiger Kapitalverkehr: Verschiedenes. Sie ist mithin nicht im Sinne einer Einschränkung des Geltungsbereichs des in Artikel 1 dieser Richtlinie niedergelegten Grundsatzes einer vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu verstehen.
6.
Die Nomenklatur umfasst dreizehn verschiedene Kategorien des Kapitalverkehrs. Die zweite Kategorie betrifft Immobilieninvestitionen, die wie folgt definiert werden:
A. Immobilieninvestitionen von Gebietsfremden im Inland
B. Immobilieninvestitionen von Gebietsansässigen im Ausland.
7.
Die elfte Kategorie der Nomenklatur - Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter - umfasst u. a. Erbschaften und Vermächtnisse.
8.
Artikel 4 der Richtlinie 88/361 sieht vor:
Das Recht der Mitgliedstaaten, auf insbesondere steuerrechtlichem oder bankenaufsichtsrechtlichem Gebiet die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern und Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen, wird durch die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht berührt.
Die Anwendung dieser Maßnahmen und Verfahren darf keine Behinderung des im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht abgewickelten Kapitalverkehrs zur Folge haben.
9.
Artikel 1 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 90/364 lautet:
Die Mitgliedstaaten gewähren den Angehörigen der Mitgliedstaaten, denen das Aufenthaltsrecht nicht aufgrund anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zuerkannt ist, sowie deren Familienangehörigen nach der Definition von Absatz 2 unter der Bedingung das Aufenthaltsrecht, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen.
Nationales Recht
10.
Nach niederländischem Recht wird jede Erbschaft besteuert. Artikel 1 Absatz 1 der Successiewet (Erbschaftsgesetz) 1956 vom 28. Juni 1956 (Stbl. 1956, S. 362, nachfolgend: SW 1956) unterscheidet danach, ob der Erblasser in den Niederlanden oder im Ausland wohnhaft war. Diese Vorschrift bestimmt:
1. Nach diesem Gesetz werden folgende Steuern erhoben:
1. Erbschaftsteuer auf den Gesamtwert der aufgrund des Erbrechts nach dem Tod einer zum Todeszeitpunkt in den Niederlanden wohnhaften Person übergegangenen Güter. ...
2. Übergangsteuer auf den Wert des in Artikel 5 Absatz 2 näher beschriebenen Übergangs durch Schenkung oder durch Erbanfall infolge des Todes einer zum Zeitpunkt der Schenkung oder des Todes nicht in den Niederlanden wohnhaften Person;
11.
In Artikel 5 Absatz 2 SW 1956 heißt es:
2. Die Übergangsteuer wird erhoben auf den Wert
1. der in Artikel 13 der Wet op de vermogensbelasting 1964 (Stbl. 520) genannten inländischen Besitzungen, gegebenenfalls nach Abzug der Verbindlichkeiten gemäß dieser Bestimmung;
12.
Artikel 13 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Wet op de vermogensbelasting (Vermögensteuergesetz) 1964 vom 16. Dezember 1964 (Stbl. 1964, S. 513, nachfolgend: WB 1964) definiert die inländischen Besitzungen als in den Niederlanden belegene unbewegliche Sachen oder Rechte daran (soweit sie nicht einem niederländischen Unternehmen gehören).
13.
Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe b WB 1964 lässt den Abzug von Verbindlichkeiten, die durch eine Hypothek an einer in den Niederlanden belegenen unbeweglichen Sache gesichert sind, nur zu, soweit die mit diesen Verbindlichkeiten zusammenhängenden Zinsen und Kosten bei der Ermittlung des Bruttoinlandseinkommens im Sinne des Artikels 49 der Wet op de inkomstenbelasting (Einkommensteuergesetz) 1964 vom 16. Dezember 1964 (Stbl. 1964, S. 519, nachfolgend: IB 1964) berücksichtigt werden.
14.
Nach Artikel 49 IB 1964 umfasst das Bruttoinlandseinkommen im Sinne dieser Vorschrift den Gesamtbetrag der Nettoeinkünfte einer nicht in den Niederlanden wohnhaften Person aus den in diesem Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sachen.
15.
Artikel 13 WB 1964 bedeutet in der Auslegung durch den Hoge Raad der Nederlanden (Urteil vom 5. Dezember 1962, BNB 1963/23), dass der Erblasser, der bei seinem Tod Eigentümer der in den Niederlanden belegenen unbeweglichen Sache war, aber nicht in diesem Mitgliedstaat wohnte und zuvor das wirtschaftliche Eigentum an der Sache durch einen Kaufvertrag auf eine juristische Person übertragen hatte, für die Zwecke der Vermögensteuer sowie der Übergangsteuer den vollen Wert dieser unbeweglichen Sache als inländische Besitzung hätte anmelden müssen, obgleich ein Dritter das wirtschaftliche Eigentum daran hat.
16.
Außerdem hat der Hoge Raad entschieden, dass, wenn die notarielle Beurkundung der Hypothek entgegen den Anforderungen des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht in die öffentlichen Register eingetragen wurde, ein solches Hypothekenrecht für die Zwecke der Anwendung von Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe b WB 1964 keine hypothekarisch gesicherte Verbindlichkeit ist (Urteil vom 23. Dezember 1992, BNB 1993/78).
17.
Folglich gehört bei einem Nachlass einer bei ihrem Tod nicht in den Niederlanden wohnhaften Person eine Übertragungsverpflichtung betreffend eine in diesem Mitgliedstaat belegene unbewegliche Sache nicht zu den inländischen Verbindlichkeiten im Sinne des Artikels 13 WB 1964 und kann deshalb nicht von der Besteuerungsgrundlage gemäß Artikel 5 Absatz 2 SW 1956 in Abzug gebracht werden. Bei einem Nachlass einer in den Niederlanden wohnhaften Person kann eine solche Verpflichtung dagegen abgezogen werden, da die Erbschaftsteuer sämtliche Aktiva und Passiva des Nachlasses betrifft.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
18.
Der Erblasser, ein 1941 geborener niederländischer Staatsbürger, starb am 24. August 1993. Die Kläger sind seine Ehefrau und sein einziger Sohn.
19.
1970 zog der Erblasser aus den Niederlanden nach Belgien, von wo aus er seine Tätigkeiten als Geschäftsführer einer in den Niederlanden ansässigen privaten Gesellschaft (Besloten vennootschap) fortführte, die u. a. Bekleidungsgeschäfte betrieb.
20.
Im Zeitraum von 1970 bis 1988 erwarb der Erblasser, als er in Belgien wohnte, verschiedene in den Niederlanden belegene Immobilien, aus denen er Mieteinkünfte bezog. Nach Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe b Nr. 2 IB 1964 gehören solche Mieteinkünfte zum Bruttoinlandseinkommen des Steuerpflichtigen. Auf den betreffenden Immobilien lasteten hypothekarisch gesicherte Verbindlichkeiten.
21.
Nach niederländischem Recht kann das dingliche Recht an einer unbeweglichen Sache vom so genannten wirtschaftlichen Eigentum daran getrennt werden. 1988 wickelte der Erblasser eine Reihe von Geschäften ab, zu denen die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an seinen Immobilien auf von ihm beherrschte private niederländische Gesellschaften gehörte. Diese Gesellschaften übernahmen die hypothekarisch gesicherten Verbindlichkeiten gegenüber der darlehensgebenden Gesellschaft, während der Erblasser formell Hypothekenschuldner blieb. Der Erblasser verpflichtete sich gegenüber den genannten Gesellschaften - offenbar unbedingt - zur Übertragung des dinglichen Rechts an diesen Immobilien und verzichtete im Vorgriff auf diese Übertragung auf sämtliche Rechte an den Immobilien.
22.
Diese Geschäfte boten dem Erblasser bestimmte steuerliche Vorteile, wie z. B. die Vermeidung der Entrichtung der Übertragungsteuer in Höhe von 6 %.
23.
Nach dem Tod des Erblassers gab dessen Notar für die Zwecke der Entrichtung der Übergangsteuer den Wert einiger anderer Immobilien, die noch im vollen Eigentum des Erblassers gestanden hatten, abzüglich der hypothekarisch gesicherten Verbindlichkeiten an, die zu ihrem Erwerb eingegangen worden waren.
24.
Der Wert derjenigen Immobilien, deren wirtschaftliches Eigentum der Erblasser übertragen hatte, war in dieser notariellen Erklärung nicht enthalten, doch rechnete der Inspecteur den Wert all dieser Immobilien dem angegebenen Nachlass hinzu, ohne irgendeinen Abzug für die Übertragungsverpflichtung betreffend das dingliche Recht anzuerkennen.
25.
Die Kläger erhoben gegen den vom Inspecteur festgesetzten Steuerbetrag Einspruch und begründeten diesen damit, dass der Wert der genannten Immobilien wegen der Verpflichtung zur Übertragung des dinglichen Rechts Null betragen hätte. Der Inspecteur wies den Einspruch zurück und bestätigte den Steuerbetrag. Dagegen erhoben die Kläger Klage beim vorlegenden Gericht, die sie allein damit begründeten, dass das nationale Recht nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.
26.
Das vorlegende Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Setzt die Anwendung des Gemeinschaftsrechts heute noch eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit voraus?
2. Verbietet es das Gemeinschaftsrecht, dass ein Mitgliedstaat (der Belegenheitsstaat) im Fall des erbrechtlichen Erwerbs eines in diesem Staat belegenen Grundstücks eine Steuer auf den Wert dieses Grundstücks erhebt, wenn er einen Abzug in Höhe des Wertes der Verpflichtung zur Übertragung des Grundstücks zwar für den Fall zulässt, dass der Erblasser bei seinem Tod im Belegenheitsstaat wohnte, nicht aber für den Fall, dass der Erblasser bei seinem Tod in einem anderen Mitgliedstaat (dem Wohnstaat) wohnte?
3. Ist es für die Beantwortung der zweiten Frage von Belang, ob der Erblasser zum Zeitpunkt des Erwerbs dieses Grundstücks nicht mehr im Belegenheitsstaat wohnte?
4. Kommt es für die Beantwortung der zweiten Frage auf die Verteilung des Kapitals des Erblassers zwischen dem Belegenheitsstaat, seinem Wohnstaat und etwaigen anderen Staaten an?
5. Wenn ja, in welchem Staat ist das Kapital im Fall einer Kontokorrentforderung gegen eine private Gesellschaft der unter 2.4 des Vorlagebeschlusses beschriebenen Art angelegt?
Zu den Vorlagefragen
27.
Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr und die Freizügigkeit sowie die Richtlinie 88/361, einer nationalen Regelung der Berechnung der Steuer auf den erbrechtlichen Erwerb einer im betreffenden Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache entgegensteht, nach der bei der Ermittlung des Wertes dieser Sache die unbedingte Verpflichtung des Erblassers, das dingliche Recht an eine andere Person abzutreten, die wirtschaftlicher Eigentümer der genannten Sache ist, dann berücksichtigt werden kann, wenn der Erblasser bei seinem Tod in diesem Mitgliedstaat wohnte, nicht aber dann, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat wohnte.
28.
In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Befugnis, sich auf die genannten Freiheiten zu berufen, davon abhängt, dass eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Es verweist hierzu auf Artikel 8a EG-Vertrag über die Unionsbürgerschaft und auf die Richtlinie 90/364. Ferner möchte es vom Gerichtshof wissen, ob es darauf ankommt, dass der Erblasser, der Angehöriger des Mitgliedstaats war, in dem die Sache belegen ist, seinen Wohnsitz, nicht aber seine wirtschaftliche Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hatte, und zwar bevor er die fragliche Sache erwarb, und ob es gegebenenfalls von Belang ist, dass das Kapital des Erblassers auf mehrere Mitgliedstaaten verteilt war.
Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen
Zum Abzug der Übertragungsverpflichtung nach Maßgabe des Wohnorts des Erblassers
29.
Die Kläger machen geltend, das niederländische Recht nehme eine verschleierte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vor, indem bestimmte Teile des Vermögens, die in den Niederlanden belegen und mit einer Übertragungsverpflichtung belastet seien, steuerlich je nachdem unterschiedlich behandelt würden, ob der Erblasser bei seinem Tod in den Niederlanden oder im Ausland gewohnt habe (Urteile vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993, I-4017, vom 12. April 1994 in der Rechtssache C-1/93, Halliburton Services, Slg. 1994, I-1137, und vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-307/97, Saint-Gobain ZN, Slg. 1999, I-6161).
30.
Die niederländische Regierung bestreitet nicht, dass es einen Unterschied in der Behandlung gibt, der allein an das Kriterium des Wohnsitzes anknüpft, und räumt ein, dass die Übertragungsverpflichtung im Fall einer Person, die bei ihrem Tod in den Niederlanden gewohnt habe, nicht aber im Fall einer Person abzugsfähig sei, die bei ihrem Tod in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt habe.
31.
Allerdings liege keine unterschiedliche Behandlung gleicher Sachverhalte vor. Dabei m üsse deutlich unterschieden werden zwischen dem Fall, dass der Erblasser das volle Eigentum an einer unbeweglichen Sache gehabt habe, und dem Fall, dass er wie im Ausgangsverfahren nur noch das rechtliche Eigentum daran gehabt habe. Im letzten Fall treffe den Eigentümer die Verpflichtung, das rechtliche Eigentum zu einem bestimmten Zeitpunkt zu übertragen, was eine persönliche Verpflichtung darstelle und keine dingliche Belastung der unbeweglichen Sache.
32.
Gestützt auf diese Unterscheidung ist die niederländische Regierung der Auffassung, dass der allgemeine Grundsatz des internationalen Steuerrechts über die Aufteilung der Steuerhoheit zwischen Staaten anzuwenden sei, nach dem die dinglichen Verpflichtungen Sache des Belegenheitsstaats seien, während persönliche Verpflichtungen wie die im Ausgangsverfahren fragliche Übertragungsverpflichtung vom Wohnstaat zu berücksichtigen seien.
33.
In Anbetracht dieses Grundsatzes unterscheide sich daher der Fall eines Erblassers, der in den Niederlanden gewohnt habe, von dem eines Erblassers, der in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt habe. Im ersten Fall knüpfe die gesamte Vermögenslage einschließlich der persönlichen Verpflichtungen an die Niederlande als Belegenheits- und Wohnstaat an.
34.
Im zweiten Fall dagegen seien in den Niederlanden als Belegenheitsstaat nur die dinglichen Verpflichtungen zu berücksichtigen, während die persönlichen Verpflichtungen in die Steuerzuständigkeit des Wohnstaats fielen. Obwohl in bestimmten Fällen sonstige, wirtschaftlich mit der unbeweglichen Sache verbundene dingliche Belastungen wie die mit dem Erwerb, dem Umbau, der Renovierung oder der Instandhaltung dieses Vermögensteils verbundenen Verbindlichkeiten bei der Anwendung des genannten Grundsatzes berücksichtigt würden, seien die persönlichen Verpflichtungen wie die im Ausgangsverfahren fragliche Übertragungsverpflichtung keine dinglichen Verpflichtungen und deshalb nach dem internationalen Steuerrecht eine Angelegenheit des Wohnstaats.
35.
Außerdem ergebe sich sowohl aus Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe a EG-Vertrag (jetzt Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe a EG) als auch aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 28. Januar 1992 in den Rechtssachen C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, I-249, und C-300/90, Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305, vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, vom 14. September 1999 in der Rechtssache C-391/97, Gschwind, Slg. 1999, I-5451, und vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-35/98, Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 43), dass eine Unterscheidung zwischen gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen gerechtfertigt sein könne.
36.
Die Kommission weist darauf hin, dass die direkte Besteuerung zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, dass diese ihre Zuständigkeit jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts wahrnehmen müssten (Urteil Verkooijen, Randnr. 32).
37.
Die Ungleichbehandlung, um die es im Ausgangsverfahren gehe, liege nicht in der Wahrnehmung einer steuerlichen Zuständigkeit begründet, sondern darin, dass eine auf dem Nachlass lastende Verpflichtung nicht berücksichtigt werde. Diese Nichtberücksichtigung des wirtschaftlichen Wertes einer Verbindlichkeit erhöhe die Besteuerungsgrundlage künstlich.
38.
Anders als in der Rechtssache Schumacker gebe es im Ausgangsverfahren keinen objektiven Unterschied, der eine solche Ungleichbehandlung von Gebietsansässigen und Gebietsfremden rechtfertigen könne.
39.
Außerdem sei es entgegen den Ausführungen der niederländischen Regierung nicht unter Kontrollgesichtspunkten statthaft, zwar die Übertragung des rechtlichen Eigentums, nicht aber die damit zusammenhängenden bindenden Vereinbarungen zu berücksichtigen. Die niederländische Regierung berücksichtige die bindende Vereinbarung nur, wenn der Erblasser in den Niederlanden gewohnt habe. Der Fall eines Gebietsfremden weise auf der Kontrollebene keinen Unterschied dazu auf.
Zum freien Kapitalverkehr
40.
Nach Ansicht der Kläger ist eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit nicht erforderlich oder liegt schon deshalb vor, weil es sich um grenzüberschreitende Anlagen in Immobilien durch Einschaltung einer Gesellschaft handele. Die Kläger berufen sich dafür auf das Urteil Verkooijen.
41.
Die im Ausgangsverfahren fragliche Ungleichbehandlung sei mit dem freien Kapitalverkehr deshalb unvereinbar, weil ein Gebietsfremder zögern werde, in den Niederlanden in den Kauf einer Immobilie zu investieren, da seine Erben in diesem Fall eine höhere steuerliche Belastung zu tragen hätten, als wenn er nicht in diesem Mitgliedstaat investiert oder dort eine andere Anlage vorgenommen hätte.
42.
Die niederländische Regierung ist dagegen der Ansicht, dass keine grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit vorliege, die durch das niederländische Steuerrecht behindert werde. Denn der Erwerb der Immobilien in den Niederlanden durch den Erblasser zu der Zeit, als er in Belgien gewohnt habe, sei in keiner Weise behindert worden, was auch für die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an diesen Sachen gelte, hinsichtlich deren er so behandelt worden sei wie ein in den Niederlanden Gebietsansässiger.
43.
Der Erwerb von Gütern von Todes wegen stelle jedoch an sich keine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Auch die Anlage in reine Rechtsgüter ohne wirtschaftliches Eigentum sei keine solche Tätigkeit. Der Erblasser habe diese Anlage nur aus steuerlichen Gründen gewählt.
44.
In der mündlichen Verhandlung hat die niederländische Regierung darauf hingewiesen, dass es weder eine wirtschaftliche Tätigkeit noch eine Anlage darstelle, das rechtliche Eigentum an einer Immobilie zu behalten. Das rechtliche Eigentum habe im Wirtschaftskreislauf keinerlei Wert. Entgegen den Ausführungen der Kläger könne von einem tatsächlichen Kapitalgeschäft nicht die Rede sein.
45.
Im Übrigen habe der Erblasser im Ausgangsverfahren Immobilien in den Niederlanden erworben, als er bereits in Belgien gewohnt habe; dieser Erwerb sei in keiner Weise behindert worden. Außerdem habe für den Erblasser keinerlei Hindernis bestanden, das rechtliche Eigentum an seinen Immobilien zu behalten und das wirtschaftliche Eigentum daran zu übertragen.
46.
Ferner macht die niederländische Regierung unter Hinweis darauf, dass der Verkauf des wirtschaftlichen Eigentums an den Immobilien fast ausschließlich zur Vermeidung oder Hinausschiebung der Übertragungsteuer erfolgt sei, geltend, dass es keine wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten gegeben habe und daher kein Schutz durch den EG-Vertrag erforderlich sei. Selbst wenn aber ein solcher Vorgang als tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sein sollte, wäre der Zusammenhang zwischen der Entscheidung, eine so komplizierte Konstruktion insbesondere zur Vermeidung der Übertragungsteuer zu ersinnen, und der späteren Unmöglichkeit, die persönliche Übertragungsverpflichtung in Abzug zu bringen, so lose, dass man nicht behaupten könne, dass das den freien Kapitalverkehr behindere.
47.
Die Kommission weist vorab darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 88/361, der unstreitig unmittelbare Wirkung entfalte, jede Beschränkung des Kapitalverkehrs beseitigen müssten.
48.
Außerdem werde der Nachlass des Erblassers dadurch beeinträchtigt, dass dieser bei seinem Tod Eigentümer von Immobilien in den Niederlanden gewesen sei, ohne dort zu wohnen. Der Erblasser habe diese Güter nach seinem Wegzug aus den Niederlanden erworben und sich aus diesem Grund objektiv in derselben Lage befunden wie jeder andere, der als in einem anderen Mitgliedstaat Ansässiger eine in den Niederlanden belegene Immobilie erwerben wolle. Deshalb gehe es bei dem Rechtsstreit auch um den in Artikel 1 der Richtlinie 88/361 verankerten freien Kapitalverkehr. Jede grenzüberschreitende Anlage stelle für sich genommen eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit dar.
Zur Freizügigkeit
49.
Die Kläger halten die im Ausgangsverfahren fraglichen niederländischen Bestimmungen auch mit denen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit für unvereinbar, da das niederländische Recht Personen, die in den Niederlanden wohnten und sich in einer Lage wie der Erblasser befänden, daran hindere, aus diesem Staat wegzuziehen. Denn der Wegzug bewirke, dass die steuerliche Belastung beim Tod solcher Personen höher sei, als wenn sie weiter im genannten Mitgliedstaat gewohnt hätten, oder aber, dass sie die Übertragungsverpflichtung vor ihrem Tod zum Erlöschen bringen müssten.
50.
Nach Ansicht der niederländischen Regierung betrifft das Ausgangsverfahren nicht die erbrechtlichen Folgen der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit, wie es vom EG-Vertrag vorgesehen sei. Vor seinem Wegzug sei der Erblasser Geschäftsführer eines niederländischen Unternehmens gewesen. Nach seinem Wegzug habe er schlicht diese Berufstätigkeit fortgeführt. Die niederländische Regierung macht unter Hinweis auf das Urteil vom 26. Januar 1993 in der Rechtssache C-112/91 (Werner, Slg. 1993, I-429) geltend, dass der Erblasser also nur seinen Wohnsitz verlegt habe, was keine wirtschaftliche Tätigkeit sei.
51.
Erstens könne nur die beim Tod des Erblassers am 24. August 1993 geltende Regelung für die Lösung des Ausgangsrechtsstreits erheblich sein. Da Artikel 8a EG-Vertrag erst am 1. November 1993 in Kraft getreten sei, dürfe er also im vorliegenden Fall keine Berücksichtigung finden.
52.
Zweitens solle die Richtlinie 90/364 zur Gewährleistung der Freizügigkeit insbesondere die einzelstaatlichen Vorschriften harmonisieren, die den Aufenthalt der Angehörigen der Mitgliedstaaten in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie wohnten, beträfen. Die Bestimmungen der SW 1956 hätten jedoch nichts mit den Voraussetzungen für den Zugang zum Gebiet eines anderen Mitgliedstaats und den Aufenthalt dort zu tun. Das niederländische Recht habe das Recht des Erblassers und der Kläger auf Aufenthalt in Belgien weder behindert noch beschränkt.
53.
Die Kommission führt zu dieser Frage vorab aus, dass die etwaigen erbrechtlichen Wirkungen der Ausübung eines im EG-Vertrag festgeschriebenen Freizügigkeitsrechts zu den Erwägungen gehörten, die jeder Betroffene bei der Entscheidung, ob er von dieser Freizügigkeit Gebrauch mache oder nicht, unbedingt berücksichtigen müsse. Somit könnten diese erbrechtlichen Wirkungen, obwohl sie den Betreffenden definitionsgemäß nicht mehr unmittelbar beträfen, nichtsdestotrotz eine Behinderung der Freizügigkeit darstellen.
54.
Die Kommission weist sodann darauf hin, dass in dem Beschluss nicht angegeben werde, dass der Erblasser nach seinem Umzug aus den Niederlanden nach Belgien seine zuvor ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten eingestellt habe.
55.
Unter den Umständen des vorliegenden Falles kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass der Nachlass des Erblassers dadurch beeinträchtigt worden sei, dass dieser von der Freiheit Gebrauch gemacht habe, sich als Arbeitnehmer oder Selbständiger in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen. Dabei komme es nicht darauf an, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Steuermaßnahme vom Herkunftsmitgliedstaat getroffen worden sei (siehe Urteile vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-264/96, ICI, Slg. 1998, I-4695, Randnr. 21, und vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-378/97, Wijsenbeek, Slg. 1999, I-6207, Randnr. 21).
Antwort des Gerichtshofes
56.
Direkte Steuern fallen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten; diese müssen ihre Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (vgl. Urteile Schumacker, Randnr. 21, vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94, Wielockx, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 16, sowie Geschwind, Randnr. 20, und Verkooijen, Randnr. 32).
57.
Zum anderen wurde der Kapitalverkehr durch die Richtlinie 88/361 vollständig liberalisiert; ihr Artikel 1 Absatz 1 verpflichtete zu diesem Zweck die Mitgliedstaaten, alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zu beseitigen (Urteil Verkooijen, Randnr. 33). Der Gerichtshof hat dieser Bestimmung im Urteil vom 23. Februar 1995 in den Rechtssachen C-358/93 und C-416/93 (Bordessa u. a., Slg. 1995, I-361, Randnr. 33) unmittelbare Wirkung zuerkannt.
58.
Immobilienanlagen, wie sie vom Erblasser von Belgien aus in den Niederlanden vorgenommen worden sind, gehören aber offenkundig genauso zum Kapitalverkehr im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 88/361 wie die Veräußerung der Immobilien einer Person, die Alleineigentümerin dieser Sachen ist, an eine private Gesellschaft, an der die betreffende Person sämtliche Anteile hält, und der Erwerb dieser Sachen von Todes wegen.
59.
Die von dieser Richtlinie verliehenen Rechte hängen von keinen weiteren grenzüberschreitenden Anknüpfungspunkten ab. Bereits die bloße Tatsache, dass eine nationale Bestimmung den Kapitalverkehr eines Anlegers, der Angehöriger eines Mitgliedstaats ist, nach Maßgabe seines Wohnsitzes beschränkt, begründet die Anwendbarkeit von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 88/361.
60.
Folglich kommt es für die Anwendung dieser Bestimmung weder auf den Umstand, dass der Erblasser seinen Wohnsitz vor dem Erwerb der fraglichen Immobilie in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hatte, noch auf die etwaige Aufteilung seines Kapitals auf zwei Mitgliedstaaten an.
61.
Genauso wenig kommt es darauf an, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Steuermaßnahme vom Herkunftsstaat des Betroffenen getroffen wurde (siehe in diesem Sinne Urteile vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 115/78, Knoors, Slg. 1979, 399, Randnr. 24, vom 3. Oktober 1990 in der Rechtssache C-61/89, Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551, Randnr. 13, vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 15, vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache C-419/92, Scholz, Slg. 1994, I-505, Randnrn. 8 und 9, und vom 27. Juni 1996 in der Rechtssache C-107/94, Asscher, Slg. 1996, I-3089, Randnr. 32).
62.
Was das Vorliegen einer Beschränkung im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 88/361 anbelangt, so können nationale Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, die den Wert einer Immobilie für die Zwecke der Berechnung des beim Erwerb von Todes wegen anfallenden Steuerbetrags festsetzen, einen in einem anderen Mitgliedstaat Ansässigen vom Kauf im betreffenden Mitgliedstaat belegener Immobilien sowie von der Veräußerung des wirtschaftlichen Eigentums an solchen Sachen an einen anderen abhalten. Sie bewirken außerdem eine Wertminderung des Nachlasses desjenigen, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die genannten Sachen befinden, und der in derselben Lage wie der Erblasser ist.
63.
Folglich bewirken die im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Bestimmungen eine Beschränkung des Kapitalverkehrs.
64.
Die niederländische Regierung führt hingegen, ohne allerdings die Richtlinie 88/361 zu berücksichtigen, eine Reihe von Erwägungen für die unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Steuerpflichtiger an.
65.
Sie macht, erstens, geltend, unter Berücksichtigung des Grundsatzes des internationalen Steuerrechts, nach dem dingliche Verpflichtungen Sache des Belegenheitsstaats seien, während persönliche Verpflichtungen wie die im Ausgangsverfahren fragliche Übertragungsverpflichtung vom Wohnstaat zu berücksichtigen seien, handele es sich im vorliegenden Fall nicht um eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte.
66.
Das vorlegende Gericht schildert ein ähnliches Vorbringen des Inspecteur, wonach sich aus der allgemein anerkannten Aufteilung der Steuerhoheit zwischen Staaten ergebe, dass die Abgrenzung nach Maßgabe des Wohnsitzes durch die beschränkte Steuerhoheit im Fall des Todes des Erblassers, der nicht im betreffenden Mitgliedstaat gewohnt habe, ausgeglichen werde. Das vorlegende Gericht ist jedoch der Auffassung, dass es einen solchen Aufteilungsgrundsatz nicht gebe. Zwischen den Mitgliedstaaten beständen nämlich zu große Unterschiede in der Rechtsordnung und in der Auffassung über die Besteuerung von Sacheigentum. Die Folgen dieser Unterschiede könnten nur durch ein bilaterales Abkommen geregelt werden. Zwischen dem Königreich der Niederlande und dem Königreich Belgien gebe es jedoch kein Abkommen über die Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet des Erbrechts.
67.
Die rechtlichen Schwierigkeiten, auf die das vorlegende Gericht hinweist, werden durch die vom Erblasser genutzte, nach niederländischem Recht gegebene Möglichkeit veranschaulicht, das dingliche Recht an einer Immobilie vom so genannten wirtschaftlichen Eigentum daran abzuspalten, eine Unterscheidung, die einigen anderen Rechtsordnungen fremd ist. Erkennt das Erbrecht des Staates, in dem der Erblasser wohnte, diese Möglichkeit nicht an, kann nur ein bilaterales Abkommen sicherstellen, dass die Verpflichtung des Verstorbenen zur Übertragung des dinglichen Rechts in diesem Staat als Grund für einen Abzug vom persönlichen Vermögen berücksichtigt wird und dass diesem Recht dann derselbe Wert beigemessen wird wie in den Niederlanden.
68.
Jedenfalls wird nach den Informationen, die der Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung erhalten hat, bei der Ermittlung des Wertes des Vermögens einer Person, die bei ihrem Tod in den Niederlanden wohnte, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht streng nach dinglichen und persönlichen Rechten unterschieden und die Übertragungsverpflichtung ganz einfach als Abzug berücksichtigt, so dass der Wert des beim Tod des Betreffenden zu seinem Vermögen gehörenden dinglichen Rechts mit Null angesetzt wird.
69.
Zweitens macht die niederl ändische Regierung für die in Rede stehende unterschiedliche Behandlung geltend, dass bei einem Abzug des Wertes der Übertragungsverpflichtung überhaupt keine Abgabe erhoben werde, weder auf die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums im Jahr 1988 (Übertragungsteuer) noch auf den Erwerb von Todes wegen im Jahr 1993 (Übergangsteuer).
70.
Wie die Kommission vorgetragen hat, haben die Übertragungsteuer und die Erbschaftsteuer nichts miteinander zu tun. Außerdem würden solche Steuern, wie der Generalanwalt in Nummer 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auch dann nicht entrichtet, wenn ein in den Niederlanden ansässiger Erblasser das wirtschaftliche Eigentum an den besagten Immobilien ohne die Eintragung einer Hypothek in gleicher Weise übertragen hätte wie der Erblasser. Im Übrigen konnten die Kläger unwidersprochen geltend machen, dass jedenfalls die Übertragungsteuer in dem Moment anfalle, in dem das rechtliche Eigentum schließlich übertragen werde.
71.
Die niederländische Regierung bringt weiter vor, dass die Kläger deshalb keinen Anspruch auf den Schutz des Gemeinschaftsrechts haben könnten, weil der Verkauf des wirtschaftlichen Eigentums an den besagten Immobilien die Vermeidung oder Hinausschiebung der Übertragungsteuer bezweckt habe. Jedoch verliert ein Gemeinschaftsangehöriger das Recht, sich auf die Bestimmungen des EG-Vertrags zu berufen, nicht deshalb, weil er steuerliche Vorteile nutzt, die ihm nach den in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnstaat geltenden Vorschriften legal offen stehen.
72.
Die niederländische Regierung beruft sich für ihre Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Unterscheidung zwischen gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen gerechtfertigt werden könne, auch auf Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe a EG-Vertrag.
73.
Ganz abgesehen davon, dass Artikel 73d EG-Vertrag nach dem Tod des Erblassers in Kraft getreten ist, dürfen jedoch nach Artikel 73d Absatz 3 die u. a. in Artikel 73d Absatz 1 genannten nationalen Vorschriften keine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen.
74.
Die niederländische Regierung hat sonst nichts vorgebracht, woraus sich ergäbe, dass zugunsten der im Ausgangsverfahren fraglichen gesetzlichen Regelung Ausnahmebestimmungen zur Richtlinie 88/361 griffen. Folglich steht Artikel 1 Absatz 1 dieser Richtlinie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen.
75.
Nach alledem können die Vorlagefragen, soweit sie die Freizügigkeit betreffen, dahingestellt bleiben. Allerdings gehören die erbschaftsteuerlichen Auswirkungen auch zu den Überlegungen, die ein Angehöriger eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung, ob er von der im EG-Vertrag verankerten Freizügigkeit Gebrauch machen soll oder nicht, zu Recht anstellen dürfte.
76.
Deshalb ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung der Berechnung der Steuer auf den erbrechtlichen Erwerb einer im betreffenden Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache entgegensteht, nach der bei der Ermittlung des Wertes dieser Sache die unbedingte Verpflichtung des Inhabers des dinglichen Rechts, dieses an eine andere Person abzutreten, die wirtschaftlicher Eigentümer der genannten Sache ist, dann berücksichtigt werden kann, wenn der Inhaber des dinglichen Rechts bei seinem Tod in diesem Staat wohnte, nicht aber dann, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat wohnte.
Kosten
77.
Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Gerechtshof 's-Hertogenbosch mit Beschluss vom 5. September 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Das Gemeinschaftsrecht steht einer nationalen Regelung der Berechnung der Steuer auf den erbrechtlichen Erwerb einer im betreffenden Mitgliedstaat belegenen unbeweglichen Sache entgegen, nach der bei der Ermittlung des Wertes dieser Sache die unbedingte Verpflichtung des Inhabers des dinglichen Rechts, dieses an eine andere Person abzutreten, die wirtschaftlicher Eigentümer der genannten Sache ist, dann berücksichtigt werden kann, wenn der Inhaber des dinglichen Rechts bei seinem Tod in diesem Staat wohnte, nicht aber dann, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat wohnte.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg